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Abendausgabe

Nr. 285 43. Jahrgang

Ausgabe

Nr. 140

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sw. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

Berliner Dolksblatt

10 Pfennig

Sonnabend

19. Juni 1926

Betleg und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr Berleger: Borwärts- Verlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Der Schwindel mit Amerika .

Der Reichspräsident Hindenburg ist im letzten Augenblic angeftiftet worden,

Bestellte und gefälschte Kabelgramme- nnd die wirkliche Auffassung. Die gesamte Fürstenpresse arbeitet seit Tagen mit| wächst die Furcht der Befürwortung der Fürstenforderung vor der bestellten oder gefälschten Rabelgrammen aus Amerika , des Volksstimme. Inhalts, Amerifa würde den Deutschen den Kredit sperren und sie sozusagen am ausgestreckten Arm verhungern laffen, wenn das Bermögen der Fürsten enteignet würde. Inwiefern dieser Amerikoschwindel mit der nationalen Würde" vereinbar ist, mag die nationale" Presse selbst ent­scheiden, sie hat ja dafür das Monopol. Immerhin ist es intereffant, zu erfahren, wie man in Amerifa wirklich über die inneren deutschen Kämpfe dentt. Deshalb sei hier ein Aufsatz aus dem führenden Handelsblatt der Nem Vorfer Großfinanz, dem Journal of Commerce" vom 9. Juni in wortgetreuer Uebertragung wiedergegeben:

Am 20. Juni ist der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung Deutschlands Gelegenheit gegeben, auf die Frage, ob die Forderung des Boltes auf Enteignung der Fürstenvermögen Gesez werden foll, mit ja oder nein" zu antworten. Als zuerst die Forderung nach einem Boltsbegehren auftauchte, hatten selbst die heftigsten Biberfacher gegen

die zügellos hohen Entschädigungsforderungen der abgesetzten Fürsten Deutschlands

nur geringe Hoffnung, daß dieses Boltsbegehren erfolgreich fein würde. Es schien, als ob die Schwierigkeiten zur Aufbringung der erforderlichen Stimmen für das Boltsbegehren und den eventuellen späteren Bolfsentscheid allzu groß wären, um auf diese Weise eine das Bolt befriedigende Lösung herbeizuführen. Die erwiesene 11 n= fähigkeit der Regierung aber, mit den furzfichtigen Befür­worfern der Fürstenforderungen zu einem Rompromiß zu fommen nd die täglichen Enthüllungen über

die ungezähmte Gier der Fürsten

Um die 20 Millionen.

Auf zum Volksurteil!

Morgen geht das deutsche Bolt zum ersten Male zur Bahlurne, um mit dem Mittel des Bolfsentscheids eine einzige große Gesetzgebungsfrage zu lösen. Bolfsentscheid: im Worte schon liegt, worum es sich handelt. Das Parlament, das durch die allgemeine Volkswahl den Auftrag erhalten hat, die all­gemeine Politik zu führen, hat in der Frage der Fürstenforde­rungen versagt. Nun entscheidet das Volk selbst. Es wählt diesmal nicht Bertreter, nach Barteien gruppiert, es bringt durch einfaches Ja oder Nein seinen Willen gegenüber den Fürstenforderungen zum Ausdruck.

in gewissermaßen unoffizieller Form die Enteignungsvorschläge als Angriff auf die Grundlage des Staates und als eine Verlegung ber fundamentalen Gesetze von Moral und Recht zu verdammen. Das sind sehr starte Worte des Reichspräsidenten , Alle Reichstagswahlen in Deutschland , und dazu die der sich bis dahin vorsichtig davon zurückgehalten hat, seine Person Reichspräsidentenwahl, haben sich unter stärkster Teilnahme in den Bordergrund zu stellen. Es sind auch bedeutsame der Bevölkerung vollzogen. Das deutsche Volt ist ein poli­Worte, denn sie beweisen, daß die Herzen aller derjenigen, die tisches Bolf geworden. Die Erkenntnis, daß eine Reichstags­sich hinter den Reichspräsidenten gestellt haben, ven Furcht erwahl, die über Zusammensetzung des Parlaments und der griffen sind, daß der Volksentscheid zu ihren Regierung entscheidet, bestimmend für die Interessen jedes in gunsten ausgehen tönnte. Dadurch, daß der Reichs einzelnen ist und tief in seine Lebenssphäre eingreifen fann, präsident dem Prinzip nach seine Absicht, oie Unterschrift unter das feßt sich durch. Die Indifferenten und Unpolitischen sind ein Enteignungsgesetz zu verweigern, angefündigt hat, womit als Folge kleiner Teil des Volkes. In den Zahlen derer, die sich an erscheinung sein Rücktritt verbunden sein würde, hat er feinen ge- allgemeinen Wahlen nicht beteiligen, ist zudem immer noch ein famten persönlichen Einfluß in die Bagschale geworfen im Rampf großer Prozentsaz, der durch äußere Umstände, nicht durch gegen die Forderung des Boltes. Nachdem jetzt die Regierung, innere Gleichgültigkeit abgehalten wird. Die politisch wollen­Kirche und alle Anhänger des monarchischen Systems in gemein den Staatsbürger find in Deutschland in der überwiegenden famer Abwehrfront stehen, fönnte der Sieg der An Mehrheit gegenüber den indifferenten Spießbürgern. hänger des Boltsentscheides nur durch die alles Die Zahl der Deutschen , die stimmberechtigt ist, beträgt nieberreißende Entrüstung des Boltes erflärt runb 39 millionen. Von diesen 39 Millionen stimmten in den großen Wahlen seit dem Bestehen der Republik : National­versammlungswahl 1919 30,4 Millionen; Reichstagswahl 1920 26,2 Millionen; 4. Mai 1924 29,4 millionen; 7. Dezember 1924 30,3 millionen; Reichspräsidentenwahl zweiter Wahl­gang 30,3 millionen.

werden.

Sollte das deutsche Bolt in diesem Kampf fiegreich fein, fo ift damit noch feinesfalls bewiesen, daß es einen Mangel an Respekt vor Eigentumsrechten aufzuweisen hat.

Der Sieg wäre einfach nur ein Beweis dafür, wie, jeber Ueber legung bar, die Politifer es unternommen haben, ein verarmtes Bolt zu zwingen, ihren früheren in Mißtredit gefommenen Beherr. schern Reichtümer und finanzielle Macht zuzu­

of Commerce" solche Ansichten vertritt, so ist damit bewiesen, daß alles, was die Fürstenpresse über die Haltung Ameritas erzählt hat, er st un fen und erlogen ist. Richtig ist nur, daß die Fürsten und ihre Helfer Amerita zur Krebilsperre gegen Deutschland förmlich ermuntern und anreizen, wie das Wilhelm II. felbst erst fürzlich in einem Interview mit einem amerikani­fchen Blatt getan hat.

aben jetzt der Forderung des Boltes, die sich anfänglich nur auf Sozialisten und Kommunisten beschränkte, eine unwiderstehliche Stoß- chanzen. raft gegeben. Die ungeheure 3ahl von 12% Millionen Wählern, Wenn ein Blatt von der führenden Stellung des Journal le fich im Bolt für die Enteignung ausgesprochen haben, muß sie ein Bligichlag auf die Selbstzufriedenheit derjenigen treise eingewirkt haben, die nie glauben mollten, daß ein so großer Teil des deutschen Boltes mit der Enteignung von Privateigentum inverstanden sein würde. Es ist möglich, daß das Boltsbegehren on Anfang an nicht auf eine Enteignung hinausging, denn es wird, vohl mit einer gewissen Berechtigung, behauptet, daß sehr viele Bähler, die sich damals einzeichneten, das getan haben, weil fie der Meinung waren, daß man dadurch den Widerstand der Politifer jegen eine gerechte Lösung der Frage rechtzeitig brechen könnte. Es hat sich aber gezeigt, daß folche Raftulationen zu optimistisch maren, und je näher der Zeitpunkt des Boltsentscheides heranrüdt, je mehr

Die ganze Welt versteht die alles nieder. reißende Entrüftung des Boltes!"

Darum morgen, Ja, Ja und abermals Ja"!

Stahlhelmschlacht unter Schutz der Schupo.| bitterifte Feinschaft angekündigt. Dagegen wird Herriot versuchen,

In Halle darf der Stahlhelm ungestört provozieren. Halle, 19. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Am Freitag abend fam es in Halle anläßlich eines Transparentumzuges, den die Kommunisten veranstalteten, zu schweren zusammenstößen. Der Zug wurde von Stahlhelmern, die auf fieben Autos durch die Stadt fuhren, überfallen. Nachdem die Stahlhelmer erit fauft große Steine auf die kommunisten ge­fchleudert hatten, wobei zwei Leute schwer verletzt wurden, gingen fie mit Dolchen, Stöden und knüppeln gegen die völlig unbewaffneten Demonftranten vor. Es wurden 7 Berwundete gezählt darunter 1 Reichsbannerkamerad, von denen einige durch Messerstiche schwer verlegt worden sind. Die Schupo ließ, nachdem der Kampf fein Ende erreicht hatte, die Stahl­helmer auf ihren Autos Plah nehmen und unbehelligt davonfahren, während sie den Kommunisten die£ atten, an denen die Transparente befestigt waren, abnahmen und gegen die fich anjammelnden entrüfteten Menschen mit Gummiknüppeln vor­gingen.

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Herriot auf der Kabinettsuche. Grundsäglich links aber auch in der Mitte. Paris , 19. Juni( Eigener Drahtbericht). Der mit der Regie. rungsbildung beauftragte Kammerpräsident Herriot wird zunächst verfuchen, ein Kabinett zustandezubringen, das fich im wesentlichen auf die Linkspartein ftüht.

Ueber die Grenzen, die Herriot feinem Rabinett nach links und rechts geben wird, hat er sich gestern abend Journalisten gegenüber in dem Sinne geäußert, daß er als idelle Basis für die Kabinetts. bildung die von der Demokratischen Linken" im Senat angenom mene Tagesordnung erblidt, in der diefe Gruppe die Hoffnung ausdrüdt, das fommende Rabinett möge eine Politik der Zu­fammenfaffung der republikanischen Linksparteien zur Durchführung der finanziellen Sanierung im wahrhaft demokratischen Sinne" sein. Dann, erklärte Herriot den Journalisten gegenüber meiter, merde er zuerst ein Programm in großen Zügen entwerfen und darauf an die Lösung der Personenfrage herantreten. Herriot wird also fein Rabinett, wenn er der Tagesordnung der Demokratischen Linten folgt, nach der Linken Mitte hin erweitern und nur die Republi tanische Union", welche die Rechte des früheren Nationalen Blocks in der Rammer umfaßt, aus seiner Rombination ausschließen müssen. Diese Gruppe hat übrigens, ohne auch nur die Kabinetts. bildung oder das Regierungsprogramm Herriots abzuwarten, in giner gestern abend gefaßten Entschließung Herriot bereits ihre er

die gemäßigten Mittelparteien der Demokratischen Linten ( Botanowsti und Loucheur), dann die Republikanisch- demo­fratische Partei( Lengues und Cofrat)) in seinem Ministerium aufzunehmen. Hier scheint der gefährlichste Punkt des Expe­riments Herriots zu liegen. Denn man muß sich bei aller Sym pathie für den französischen Kammerpräsidenten immerhin fragen, ob ihm die übernommene Aufgabe gelingen wird.

Briand will nicht mehr Außenminister sein. Paris , 19. Juni .( WTB.) Unter den politischen Persönlich. feiten, mit denen Herriot gestern abend verhandelte, befindet sich auch Caillaug. Aus den Erflärungen Herriots geht hervor, daß die Entscheidung, ob er das Rabinett bilben tönne, zweifellos nicht or heute abenb werbe erfolgen fönnen. Uebrigens glaubt Matin" bereits feststellen zu tönnen, daß in einem Ministerium Herriot Briand nicht als Minister des Aeußern mitwirken werbe, obgleich dies der Wunsch Herriots sei. Bis jetzt habe Briand sich noch nicht entschloffen, ein derartiges Angebot anzunehmen.

Der Volksentscheid verhindert den Diebstahl

GRANAS

Keiner darf

=

Wie wird es beim Bolfsentscheid sein? Der Boltsents scheid über die Fürstenabfindung ist eine noch stärkere Probe auf die politische Reife des deutschen Boltes als eine Reichs tagswahl. Hier wirken nicht die vielfältig verflochtenen, unzählbaren Interessen, die in der Parlamentswahl durch die Abstimmung für eine Partei politischen Ausdruck und Wir tung fuchen. Es gilt, eine Frage zu entscheiden, und zu beurteilen, welche Bedeutung die Entscheidung der einen Frage für die Gesamtheit der Politit als Ausdruck einer großen staatspolitischen Willensrichtung des Volkes hat. Rund 30 millionen gehen bei allgemeinen Wahlen in Deutsch­ land zur Wahlurne wie viele werden es diesmal sein? Werden 30 Millionen erkennen, daß die Frage der Fürsten­forderungen eine Frage des ganzen Boltes ist, daß ihre Entscheidung aufs engste verknüpft ist mit der Würde des deutschen Boltes? Wer politisches Fingerspitzengefühl hat, der weiß, daß diese Frage das deutsche Bolt auf das stärkste bewegt. Nun gilt es durch überwältigende Wahlbeteiligung trog aller reaktionären Wahlenthaltungsparolen ein Zeugnis für die politische Reife des Boltes abzulegen.

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30 Millionen Deutsche von rund 39 Millionen Stimm­berechtigten entscheiden in den allgemeinen Wahlen über den allgemeinen politischen Kurs. 20 Millionen Deutsche müffen mit Ja stimmen, um dem Entwurf des Gesetzes über die Enteignung der ehemaligen Fürstenhäuser Gesetzes­traft zu geben. 20 Millionen Jaftimmen, das bedeutet eine überwältigend große Zusammenfassung politischen Willens zu einem einzigen, zielbewußt auf einen Bunft gerichteten Willen. Um es flar zu machen, was 20 Millionen Stimmen bedeuten: in einer Reichstagswahl würde die Abgabe von 20 Millionen Stimmen für eine Partei eine Reichstagsfraktion dieser Partei von 333 Abgeordneten ins Parlament bringen. Diese Fraktion würde für sich allein die Regierung bilden fönnen, fie befäße die nicht zu brechende Mehrheit des Barla­ments, fie fönnte jede Berfassungsänderung im Barlament mit 3weidrittelmehrheit beschließen. Mit einem Worte: fie wäre bie Bertreterin des Boltes, getragen von dem Willen Boltes. Diesen einheitlichen Willen gilt es, für die Forderung und dem Bertrauen der überwältigenden Mehrheit des der Enteignung der ehemaligen Fürstenhäuser zu zeigen.

Eine solche Zusammenfassung übertrifft bei weitem alle politischen Zusamenfaffungen, die wir in Abstimmungen seit bem Bestehen der Republit erlebt haben. Berfolgen wir zum Bergleiche zunächst die Entwicklung der Stimmenzahl der Sozialdemokratischen Partei:

Wahlen zur Nationalversammlung

zum Reichstag 1920

4. Mai 1924

7. Dezember 1924.

11 500 000

5 600 000

6 000 000

7 800 000

Faßt man die Stimmen der Parteien, die sich vornehmlich auf die Arbeiterschaft stützen, zusammen

-

Sozialdemokras

tische Partei, Unabhängige Sozialdemokratisch Partei, Kom­ munistische Partei und verfolgt ihre Entwicklung, so ergibt fich das folgende Bild:

-

Bahlen zur Nationalversammlung

zum Reichstag 1920.

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13 800 000

10 900 000

4. Mai 1924 . 10 100 000 7. Dezember 1924.. 10 700 000,

Schon dieser Bergleich zeigt, daß es nicht möglich ist, daß die Anhänger einer Partei oder einer Klasse die Frage der Fürstenforderungen löfen können. Das ganze Bolt muß in

zu Hause berwältigender Mehrheit, die ſonſt in Barteien ausein­

bleiben

anderfällt, sich für die Enteignung der Fürsten entscheiden. Roch weitere Bergleichszahlen, um zu erkennen, welche gewaltige Zusammenfassung des Boltswillens beim Bolts­I entscheid erfolgen muß: bei der Reichstagswahl pom