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Dienstag

22. Juni 1926

Juni.

Unterhaltung und Wissen

DEUTSCHE REPUBLIK

Beilage des Vorwärts

Rofe Dächer ducen sich ganz

in afmende Roggenfelder. Rotdorn loht in helle wanderfel'ge Frühlingswolfen. Ins Blondhaar eines Kindes fliegt ein Sonnenfäfer,

taffet über weiße Floden,

die Jasmin ins Haar ihm warf.

Wo der Ruch des Roggens

in die Gärten streicht,

foll der Juni- Nachmittag

mich in Träumen finden.

Morgen loht der Rotdorn wieder in wanderfel'ge Frühlingswolfen meiner Sehnsucht nur erreichbar im Tagewerk der großen Stadt.

Hans Heinrich Strätne r.

Die Nacht des Fred Hopkins.

Bon A. Deutsch.

( Uebertragung von Arnold Wasserbauer.)

1. Der Schlüffel Nr. 3347.

Um 8 Uhr, an einem flaren Sommerabend, näherte sich ein junger, einfach, aber gefchmadvoll gefleideter Mann einem Signal­apparat auf der Wall- Street . Mit entschlossener Geste nahm er aus seiner Tasche einen Schlüsselbund, der an einer langen Ridelfette hing. Mit Hilfe eines fleinen Schlüssels, der die Nummer 3347 trug, öffnete er die Tür des Apparates. Das Innere dieses Apparates stellte ein großes Ziffernblatt dar, welches in elf Teile geferbt war. Jeder dieser elf Striche trug ein anderes Kennwort: Diebe, Mord, Straßenauflauf usw." Rasch drehte der junge Mann den Zeiger auf die Stellung: Mord". Dann blickte er jo lange auf dieses Wort, bis eine fleine elektrische Klingel ihn durch ihr Läuten davon ver­ständigte, daß die Wache bereits nach dem Aufgabeplatz unterwegs sei. Dann schloß er die Tür und partete ruhig auf die Ankunft der Polizei. Nach wenigen Minuten erschien bereits ein Polizeiauto mit Schutzleuten. Noch während des Heranfahrens rief dem jungen Manne einer der Polizisten entgegen: Sind Sie der Aufgeber dieser Meldung? Wo ist der Mord geschehen?"

Das Auto hielt an. Die Polizisten stiegen aus und umringten den jungen Mann.

Ja, ich habe Sie hierher gerufen. Der Mord wurde in Long­Branch verübt. Man muß den Mörder festnehmen."

Wo ist er, wo ist er?

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Der Mörder bin ich. Mein Name ist Tom Prowdy. Alles meitere merde ich dem Polizeikommissar erzählen."

Noch bevor es zu einer größeren Ansammlung von Gaffern gekommen war, saufte auch schon wieder das Polizeiauto mit dem Verbrecher davon. Es war 8 Uhr 8 Minuten abends.

2. Der Verbrecher spricht nicht die Wahrheit. Barum haben Sie nicht die Wahrheit gejagt?" fragte der Polizeikommissar den eben festgenommenen Verbrecher. Sie nannten sich Tom Prowdy und in meiner Liste steht, der Besizer des Schlüffels Nr. 3347 ist der Reporter Fred Hopkins von den New­Yorker Nachrichten", wohnhaft 18. Avenue 147, 13. Stod, Tür Nr. 443, Telephon 1-77-77-23. Was fönnen Sie zur Sache jagen?"

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Ich bin trotzdem Tom Bromdn. Ich habe diesen Schlüssel bei meinem Freunde Fred Hopkins gestohlen. Ich war mit ihm zu­im Affekt fammen in Long- Branch. Dort habe ich den Mord begangen. Ich habe meine Brauf, Miß Jonny Gray, getötet, wohn­haft oder vielmehr: früher wohnhaft in der Villa Michigan . Ich habe mich nachts in ihr Zimmer geschlichen, indem ich den Weg über die große Veranda nahm, habe die Jalousien herabgelaffen und sie mit den Polstern erwürgt. Die Leiche trug ich in einem Sad aus der Billa und warf sie ins Meer. Niemand weiß davon. Auch Hopkins nicht. Ueber die Veranlassung zu diesem Morde will ich nicht sprechen. Mit dem 2- Uhr- 3ug bin ich nach New York ge­fommen, befam Gewissensbisse und beschloß, mich den Händen der Justiz zu überliefern."

Der Polizeifommissar protokollierte die Aussagen des Mörders, dann rief er telephonisch den Chefredakteur der New- Yorter Nach­richten" an. Dieser bestätigte ihm, daß Fred Hopkins tatsächlich Reporter bei seinem Blatte sei, daß er sich tatsächlich geäußert habe, nach Long Branch fahren zu wollen, habe aber weder über seine Reisegesellschaft noch über das Ziel irgendwelche Mitteilungen ge­der Redakteur macht. Selbstverständlich kenne er weder einen Tom Prowdy noch eine Jonny Gray, er könne das Gespräch über­haupt nicht mehr fortsetzen, da eben eine wichtige Meldung über den Ausbruch eines grandiosen Eisenbahnerstreits in England angelangt sei und er stecke über den Kopf in Arbeit.

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Um 8 1hr 20 Minuten wurde der Verbrecher, der ein aufrichtiges Geständnis abgelegt hatte- nach Aeußerung des Polizeikommissars, vorläufig nach Zelle Nr. 17 in Untersuchungshaft gebracht.

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3. Wer ist er?

Zelle Nr. 17 war ein großes, mit weißer Farbe frisch ge­strichenes Zimmer, in dem verschiedene Verbrecher untergebracht waren. Unbedeutende Taschendiebe, Mörder, Brandstifter, Gelegen heitsdiebe die größtenteils aus Not zu diesen Schritten getrieben murden. Es gab auch solche, die fleine Uebertretungen des Gesetzes auf dem Gewissen hatten, wie z. B. Leute, die auf der Straße von einem Polizisten in volltrunkenem Zustand aufgelesen werden mußten oder andere wieder, die sich geweigert hatten, den Anord­nungen der Polizei Folge zu leisten. Der neue Gast befam seine Liegestatt in der Ede, gleich neven einem rothaarigen Alten und einem herzigen, jungen Mädchen. Mit dem Gefühle denkbar größter Selbstzufriedenheit blickte er sich in seinem neuen Gesellschaftsfreise um und es hatte den Anschein, als hätte er sein ganzes Leben lang Peinen sehnlicheren Wunsch gehabt, als ins Gefängnis zu fommen. Er plauderte viel mit den Leuten und pfiff nergnügt einen der legten Modefchlager vor sich hin, fragte den oder jenen nach den Ursachen seiner Verhaftung aus, was einen der Stammgäste" des Gefängnisses fogar einigermaßen aufreizte. Diefer äußerte fich näm­lich zu einem Kollegen" folgendermaßen:

Du, sei vorsichtig! Merfst du denn nicht, daß der da ein Spizel ist, den man mur hereingesetzt hat, um zu spionieren?! Schau

BERLIN

*

Solange der Berliner Bär den Eingang bewacht, kommen die nie hinein.

nur, wie er sich alles notiert, was ihm dort die dummen Biester erzählen!"

Und tatsächlich, der Abkömmling benahm sich höchst sonderbar. Ununterbrochen machte er sich in seinem dicken Notizblock Aufzeich nungen, fah dabei alle Augenblicke nach der Uhr, die auf dem goldenen Armband, das er ums Handgelenk trug, leuchtete, nach jener Uhr, die schon den Neid mehrerer anwesender fleiner Gelegenheits­Taschendiebe hervorgerufen hatte. In diesem lebensluftigen jungen Menschen hätte wahrhaftig niemand einen frisch eingelieferten Mörder vermutet. Scheinbar hatte er ein wunderbares Be­herrschungstalent. Eben spricht er mit seiner Nachbarin einer Blondine mit ungewöhnlich feinem Teint und hellblauen Augen. Was fonnte sie verbrochen haben, dieser Engel in Menschengestalt, um in diese Welt der Verbrecher gebracht zu werden? Gerne erzählte das Mädchen seinem Nachbar seine furze, traurige Geschichte.

4. Die Geschichte des jungen Mädchens. ,, Mein Name ist Helen Drimmer"- begann sie leise mit ihrer zart vibrierenden Stimme. An meine Mutter fann ich mich nicht mehr erinnern. Der Vater fuhr eines Tages meit fort, ins Aus land, um nie wieder zurückzukehren. Gute Menschen nahmen sich meiner an. Nach Absolvierung der niederen Schulen tam ich an die Universität. Meine Jugend war erwärmt durch die Liebe, die mir ein kinderloses Ehepaar entgegenbrachte. Aber auch diese guten Leute starben. Vermögen hatte ich feines. Arbeit finden, war unmöglich, überall herrschte Arbeitslosigkeit. Armut, Hunger, Ber zweiflung. Ich mußte meine Universitätsstudien aufgeben, nahm die schmierigste Schwarzarbeit, man machte sich über meine aus: gearbeiteten Hände luftig. Bergangene Woche verlor ich aber auch diese Verdienstmöglichkeit. Ich ging durch die lärmenden, mit Menschenmassen überfüllten Straßen, jah gierig nach den Vitrinen der Lebensmittelgeschäfte.. Nicht einmal ein Stück Brot fonnte ich mir faufen. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus: bei einem Bäder stahl ich ein Brötchen, wurde ertappt und hierher gebracht. Nun size ich schon den zweiten Tag hier. Aber ich fühle mich hier wohler als in der Freiheit. Wenigstens bekomme ich täglich meine Gerstensuppe."

Auf seine sonderbare Art notierte sich der junge Mensch alles, was das Mädchen erzählte, sorgsam in seinen Blod, indem er von Zeit zu Zeit mitleidig den Kopf schüttelte. Dann begann er ſeiner­seits, ihr feine Geschichte zu erzählen. Er, Tom Prowdy, sei der Sohn eines reichen Biehhändlers aus New Orleans . Nie habe er Not gelitten. Den Mord habe er aus rein romantischen" Gründen verübt. Nun werde er gehörig büßen müssen.... Wie könnte man ihn denn auch freisprechen? Wenn das Weib, das er getötet hat, nur annähernd so bescheiden, so zart, so lieb gewesen wäre, wie Miß Helen Drimmer er wäre jetzt gewiß fein unglücklicher Ber­brecher...

Seien Sie deshalb nicht so verzweifelt, mein Leidensgenoffe Jeder trägt seine Bürde, Sie wegen unglüdlicher Liebe, ich wegen des Hungers. Morgen vielleicht wird man mich schon freilassen und ich will hungern, um Ihnen täglich Speise und Trank ins Gefängnis zu bringen. ( Schluß folgt.)

Französische Fürstenabfindung.

Bedeutet es einen ersten Schritt zur allgemeinen Sozialisierung, menn man dem Schlund der davongelaufenen Fürsten nicht noch überflüssige Renten nachwirft? Die französische Geschichte be­antwortet diese Frage mit einem scharfen Nein. Als Ludwig XVI . am 21. Januar 1793 nach der großen französischen Revolution das Schaffot besteigen mußte, verfiel sein Vermögen ohne meiteres dem Staate. Selbst das hatte keine Gedanken an allgemeine Sozialisierung zur Folge, sondern es bemirfte die Berfassung von 1793, durch die zum erstenmal dem franzöfifchen Bolt das direkte allgemeine Bahlrecht aller Bürger, die älter als 21 Jahre waren in die Hand gegeben wurde. Das Bewußtsein, daß auch des Königs Eigentum nunmehr dem Bolf gehörte, festigte die demokratische Idee in Frankreich .

Denn wie hatte vorher das Königshaus gefchmelgt hatte doch der Sonnenfönig" Ludwig XIV. , der über 30 Millionen Meilen von der wirklichen Sonne entfernt war, mehr Menschen zur Her. richtung der Wasserfälle des Städtchens Maintenon umtommen lassen, als der Kampf um die Verfassung von 1793 zur gerechten

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| Steuerverteilung und zur Herstellung der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Wenn man allerdings, mie Ludwig XIV. , der das bin ich", dann ist nicht verwunderlich. Ansicht ist, der Staat daß allein die Kammerzofen seiner Gemahlin durch den Weiter­verkauf angebrannter Wachskerzen 50 000 Franken jährlich neben­her verdienten. Ganz wie Wilhelm II. und so mancher seiner Throngenoffen, betrachtete sich auch Ludwig XIV. als Stellvertreter Gottes auf Erden

Gerade deshalb fann uns Frankreichs Geschichte zum Beispiel dienen. Denn die Art des Hofstaates Wilhelms 11. nähert sich be­denklich dem sorglosen Dahinleben Ludwigs XIV. Nur daß dieser menigstens die bedeutendsten Dichter und Denter seiner Zeit an feinen Hof zog, mährend der Holland - Reisende als Kaiser des Volkes der Dicter und Denker nur für geschmacklojes Gepränge Sinn hatte.

Auch Napoleon I. mußte erfahren, was es bedeutete, durch unsinnige Militärabenteuer Attentate auf die Volksrechte zu unter­nehmen. Als Frankreich 1815 nach der Schlacht von Waterloo des Krieges überdrüssig wurde und man Napoleon auf die Insel St. Helena im Atlantischen Ozean verbannte, da verfiel ebenfalls fein Gesamtvermögen dem Staat. Schlimmer erging es dem König Ludwig Philipp, als am 24. Februar 1848 in Baris dic Revolution ausbrach. Die wütende Menge zerstörte den Thron im Königsschloß und warf alle föniglichen Möbel durch die Fenster. Rapolcon III., dem es daraufhin gelungen war, zunächst Präfident auf 10 Jahre und dann Kaiser zu werden, uerfügte 1852. die Kon­fistation aller Güter der Königsfamilie Orleans zugunsten des Staates. Erst Thiers öffnete im Sommer 1871 der Orleans- Familie wieder den französischen Boden, doch gab er thr nicht die Güter zurück. Alles Geld und die Domänen der Orleans - Familie find noch heute franzöfifches Staatseigentum. Als man jah, daß die verflossenen Herrscher ihre Angriffe auf die französische Republie nicht unterließen, half das Gefes vom 23. Juni 1886 nach, durch das der jeweilige Kronprätendent für sein ganzes Leben aus Frankreich verbunnt ist. So lebt der junge Prinz Ludwig Napoleon geau so im Auslande( und zwar in Brüssel , wie der Herzog de

Guise, der fühn genug ist, Fronfreichs Konigsthron zu erhoffen. Nichts hat in Frankreich die Republik so ge it är ft, mie das freche Auftreten feiner Rönioe und Kaiser. Und doch ist feiner von ihnen so weit gegangen, daß er von seinem den herrlichen Zagen entgegengeführten" Bolk nodh jahrelange Renten verlangte. Diefen Höhepunkt zu erreichen, blieb den deutschen Fürsten vorbehalten.

Der Landungsstieg.

Kurt Lenz.

Also, so sieht die Zukunft aus... Tändelnde Wellen, mogen ab, mogen auf. Mit ihnen spielt millkürlich die Sonne und wenn es dem Bettergott gefällt, dann peirscht er wild Winde und Stürme ouf, die das Wellenspiel ohnmächtig an nackten Felsen und sandigen Flächen zerstäuben läßt..

Immer wieder starrt sehnsüchtig, unentwegt, der Blick hinaus in das stechend flimmernde Waffergeträufel, das feinen Anfang, fein Ende fennt. Trogig stehe ich auf dem Landungssteg. Ihn hat ein Meister der Technit gebaut, der mit menschlichen Händen dem un­sicheren Naß triumphierend einen trockenen Ankerplatz abgerungen hat. Ein eiserner Vorsprung, weist er hinaus in die Grenzenlosig. feit wolkenloser Ferne.

Irgendwo, weit drüben, über diesem Wasserchaos lockt ein Eiland mit grünen Gefilden, das der Seele Ruhe und Friede verspricht, das der Schaffensluft des Strebenden neue Ziele zeigt... Wie Lust nach einer nie gefofteten, herrlichköstlichen Frucht brennt es auf dem Baumen. Einer Paradiesfrucht, um deretwillen man Weib und Kind verlassen kann, eines Phantoms, das den Seßhaften zum Abenteurer macht. Und dabei lächelt der Wellenmund der Meeresnire ein unschuldsvolles Lachen. Warum erregt, lieber Freund, bist du wanderlustig? Warum diesen feurigen Stein im Busen, der sich drüben über meinem meiten Rücken Löschung der Sehnsuchtsqual verspricht? Meine Tiefen sind verschwiegen. Sie bergen Massengräber, fie bergen aber auch wunderbarste Schäße eines Märchenreiches... Komm doch, femme.

Und die Mens hen, die heiter am Steg promenieren, marten und gehen, flirten und scherzen, sehen nicht, wie ich mich an den eifernen, flitschigen Stangen anflammere, fie verstehen nicht meine Angst, daß einmal der Tag fommen wird, an dem, gleich einem lebenden Wrack, bei der Rückkehr von zerschellten Hoffnungen dieser Landungssteg der Hafen des armseligen Geborgenseins werden tönnte, den Tatenluft und Lebensmut mit fchwellenden Freuden. H. W. Limmer. segeln verlassen hat...