Abendausgabe
Nr. 303 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 149
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10 Pfennig
Mittwoch
30. Juni 1926
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Keine Bergbaureform in England. Falsche Ziele oder falsche Technik?
Der Arbeiterantrag abgelehnt.
Condon, 30. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Das Unterhaus hat spät nachts das Gefeh über die Arbeitszeit im Bergbau angenommen. Der gegen den Gesetzentwurf gerichtete prinzipielle Antrag der Arbeiterpartei, der eine organisatorische Zusammenfaffung des Bergbaus zu einer Betriebseinheit verlangte, wurde mit 355 gegen 163 Stimmen( Liberale und Arbeiterpartei) abgelehnt 60 fonfervative Abgeordnete enthielten sich der Abstimmung. Nachdem die Debatte ohne Zwischenfall verlaufen war, brach fpät am Abend ein Sturm aus, als der Marinesekretär Bridge man aufstand, um die Debatte zu beendigen. Mitglieder der Ar beiterpartei riefen großen Larm hervor und forderten den Bremierminister auf, auf die Angriffe, die während der Debatte auf seine Unbescholtenheit im Zusammenhang mit seinen Anteilen an seinem alten Familienbesig erhoben worden waren, zu antworten. Baldwin sprang auf, bezeichnete die Anklagen als falsche Behauptungen und sagte, wenn er aus dem Krieg Vorteil gezogen hätte, so hätte er sein Geld in Staatspapieren oder im Ausland gewinnbringend anlegen können. Wie dem auch sei, er habe sein Geld lieber in der britischen Industrie investiert, und fünf Jahre lang habe er weder Geminn erzielt, noch erwarte er für die nächsten Jahre irgendwelchen. Der Bremierminister stellte ferner nachdrücklich in Abrede, daß die Regierung auf den Bericht der Rohlenkommission irgend einen Einfluß ausgeübt habe. Den Schluß der Rede Baldwins begleiteten die Mitglieder der Ar Feiterpartei mit lautem Beifall. Während der übrigen Debatte brach noch einmal heftiger Tumult aus, so daß es Bridgeman un
Kommunistischer Budenzauber. Steigbügelhalter der Reaktion.
In der Breffe veröffentlicht der sogenannte Ruczynski. Ausschuß die Mitteilung, daß er die. Boltsbewegung auch ohne die Sozialdemokratie fortführen würde.
Herr Kuczynski hat sich in den letzten Wochen weidlich als Führer der großen Boltsbewegung in der Enteigmungsfrage feiern laffen. Ihm und allen denen, die mit dem Kuczynſti- Ausschuß in näherer Berbindung stehen, einschließlich der Kommunisten, ist dabei die gänzliche Bedeutungslosigteit dieses Ausschusses bekannt. Sein Einfluß auf den Ausfall des Boltsentscheides war gleich Null. Der Erfolg ist allein der aufopfernden Arbeit der Sozialdemo
fratie zu verbanken, der durch die ungeschickte Propaganda
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Der Kommunisten nur geschmälert werden fonnte. Herr Kuczynski und sein Ausschuß sind lediglich eine Atrappe. Das geht am besten daraus hervor, daß in der Sigung, die am 26. Januar 1926 zur Borbereitung des Volts: Sizung, die am 26. Januar 1926 zur Vorbereitung des Bolts: begehrens stattfand, die Erklärung abgegeben wurde, daß die organisatorischen Arbeiten allein von den Parteien geleistet merden müßten, und Herr Thälmann ertlärte, daß der Kuczynsti- Ausschuß mit seinem Troß von woht 30 weiteren Ausschüssen, die an ihm hängen, nur imftande sei, fa ge und schreibe 3000 Mart zu den Kosten des Volksbegehrens und Bollsentscheides aufbringen zu fönnen, die zu gleichen Teilen der Kommunistischen Bartei und der Sozialdemokratie zugeführt werden sollten. Daß diese 1500 Mart an die Sozialdemokratie nicht abgeführt wurden, sei nur nebenbei
erwähnt.
möglich war, sich verständlich zu machen, worauf der Sprecher die Debatte schloß. Die Sigung wurde nach der Abstimmung in er regter Stimmung abgebrochen, einige Mitglieder der Arbeiterpartei begannen während der Abstimmung die" Rote Flagge" zu fingen, was der Sprecher sofort verbot.
Friedensverhandlungen im Kohlenstreik?
London , 30. Juni. ( WTB.) Die Blätter berichten neuerdings über neue inoffizielle Friedensverhandlungen im Kohlenstreit. Dem politischen Korrespondenten der„ Daily Mail" zufolge find die Unterhändler Arbeitervertreter und Mittelspersonen, die in Berührung mit der Regierung stehen. Nachdem ein be. trächtliches Maß von Uebereinstimmung erzielt und das Ergebnis der Regierung mitgeteilt worden sei, hätten gestern abend ein Bortführer der Regierung und ein führendes Mit glied der Bereinigung der Grubenbesitzer eine Unterredung gehabt. Die allgemeine Grundlage, auf der bei diesen Berhandlungen eine Regelung gesucht werde, entspreche in weitem Maße den Borschlägen, die Baldwin unmittelbar nach dem Generalftreit beiden Parteien vorgelegt habe.
Die Arbeitslosigkeit.
Condon, 30. Juni. ( WTB.) Die Zahl der Arbeitslosen in Eng. land betrug am 21. Juni 634 700, das bedeutet eine Zunahme um 4761, verglichen mit der Borwoche und um 335 053, verglichen mit der gleichen Woche des Vorjahres. Die Zahl schließt die etne million feiernder Bergarbeiter nicht ein.
Neue französische Kapitalflucht. Die Folge von Caillaug Programm: Nener Frankensturz Bon der Berliner Börje wird gemeldet: Da ble Banten fich mit Rüdsicht auf die zwei Monatsbilanzen möglichst flüffig balten, war Geld heute noch sehr start gesucht und loftete, 6-7 Pro3. Das verschiedentlich herauskommende Material wurde jedoch von der Proving wie vom Auslande glatt aufgenommen. Die Umfahtätig leit war sehr lebhaft, die Kurſe zumeist höher. Namentlich über Düffeldorf wurden lebhaft Montan- Attien getauft, zum Teil auf franzöfifche Rechnung, zumal die Franten valufen eine neue Verschlechterung zeigen. neue Verschlechterung zeigen. Besonders Paris 172.
Mißerfolge der Handelsvertragspolitik. Bon Friz Naphtali.
Der frühere deutschnationale Wirtschaftsminister Dr. Neuhaus, der wesentlich mit für die Schaffung der Grundlagen der deutschen Handelsvertragspolitik des letzten Jahres verantwortlich war, hat fürzlich in der Berliner Börsenzeitung" einen Auffaz veröffentlicht, der bestimmte Borschläge enthält für eine neue Technit der Handelsvertragspolitik. Bevor man in die Erörterung dieser technischen Vorschläge eintritt, ist es wichtig, festzustellen, daß nun auch von dieser Seite der mangelnde Erfolg der deutschen Handels= pertragspolitit zugegeben wird, und daß insbesondere darauf hingewiesen wird, daß es auf der bisherigen Grundlage und mit den bisherigen Mitteln nicht gelungen ist, einen wesentlichen Abbau der die deutsche Ausfuhr hemmenden internationalen Schutzölle zu erreichen.
der Gegner der Hochschutzzollpolitik im vergangenen Jahre In der Feststellung dieser Tatsache, die den Voraussagen durchaus entspricht, stimmen wir Herrn Dr. Neuhaus volltommen zu. Dagegen scheint es uns nicht angängig, diesen Mißerfolg lediglich auf die Frage der Technit unseres Zollsystems zurückzuführen. Daß diese Technik der Veränderung und der Fortentwicklung bedarf, soll nicht geleugnet werden. Aber so sehr wir die Notwendigkeit, an diesem Problem zu arbeiten, anerkennen, so sehr muß auf der anderen Seite betont werden, daß nicht minder entscheidend und im Augenblick viel mehr im Vordergrund stehend die Frage des 3ieles der deutschen Handelspolitik ist. Wenn man von deutscher Seite selbst in die Handelsvertragsverhandlungen eintritt mit dem Ziel, vor allen Dingen die lückenlosen Hochschutzölle für landwirtschaftliche Produkte aufrechtzuerhalten und möglichst geringe Konzessionen in bezug auf den induftriellen Zollschutz zu machen, so ist es fein Wunder, daß man gegen die Hochschutzzollmauern des Auslandes zustande bringt. mit dieser eigenen Zielfegung feinen entscheidenden Vorstoß Erst wenn man sich darüber im flaren ist, daß nicht jede Zollermäßigung, die man beim Abschluß von Handelsverträgen dem Gegner gewährt, ein Nachteil für die deutsche Wirtschaft ist, sondern daß auf sehr vielen Gebieten der Abbau der Zölle durchaus im Intereffe der Entwicklung der produktiven Kräfte in Deutschland selbst liegt, erst dann besteht die Aussicht, durch eigene Großzügigkeit der Vorschläge in den Berhandlungen auch eine Bresche zu legen in die hochschutzöllnerischen Tendenzen des Auslandes. Die energische Umstellung der Zielsetzung unserer Handelspolitik auf den Abbau nicht nur der fremden, sondern auch der eigenen Zollmauern, ist die Fordeanzustrebenden Systemänderung, zunächst erfüllt werden muß.
,, Ein schlechter Anfang."
Paris , 30. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die Presse spiegelt
deutlich die peinliche Enttäuschung wider, die die Dürftig keit der gestrigen Erklärung ausgelöst hat. Man scheint in begreiflicher Sorge, daß nachdem sich mehrere größere Barteien fategorisch gegen jebe ausländische Anleihe ausgesprochen haben, Caillaur dies dadurch zu umgehen fucht, daß er zwar nicht selbst, aber durch feine neuen Männer in der Bant von Frankreich mit der Bank von England und der Federal- Bank würde verhandeln laffen, um nachher offiziell zu dementieren, daß der franzöfifche Staat in irgendwelchen Berhandlungen stehe. So findet heute die Inter. vention Tardieus, in diefem Punkte von Briand formelle 3uftimmung zu erhalten, bis weit in die Lintstreife hin 3u stimmung. Die Regierung hatte erklärt, das Finanzproblem stehe im Bordergrund des Interesses. Niemand zweifelt hieran, aber man bedauert bitter, daß Caillaug, um es zu lösen, nur zu überholten oder unzeitgemäß wagehaltigen Mitteln greifen will. Daher die zahlreich geäußerte Sorge, daß Caillaur auf dem besten Bege fei, Frankreich in ein Abenteuer einer überstürzten Stabilisierung zu werfen, ähnlich wie Bolen und Belgien . Alles in allem ein schlechter Anfang und eine besorgte Aufnahme in der Breffe. Es bleibt noch die schwache Hoffnung, daß die erwarteten Caillaurschen Finanzentwürfe nächste Boche unter dem Einfluß der heutigen Kritiken Neues und Befferes
Jetzt soll die Aktion in der Weise fortgeführt werden, daß man die Arbeiterschaft gegen die Sozialdemofratische Partei aufheßt. Heute- sollen Dele gierte aus den Betrieben in den Reichstag entfandt werden, um dort die sozialdemokratischen Abgeordneten unter entsprechenden Drud zu sehen. Das ist ein törichtes Beginnen. Die sozialdemokratische Frattion fennt ihre Pflicht. Jene Delegationen sind ohne Bert. Sozialdemokraten werden sich an ihnen schon deshalb nicht beteiligen, weil diese sich von der fommunistischen Demonstration am heutigen Tage fernbringen mögen. halten. Die Delegationen sollen aber nach dem Besuch im Reichstag im Luftgarten auftreten, um gegen die Sozial- In der„ Ere Nouvelle" wiederholt am Mittwoch der soziali. demokratie Stimmung zu machen. Der Kampf gegen die Sozialdemokratie ist den Kommunisten und ihren Schild. haltern während der ganzen Kampagne das Wichtigste. Steigbügelhalter der Reaktion zu sein, ist ihr Lebenszwed.
Das Verfahren gegen KPD. - Abgeordnete. Verhaftung im Geschäftsordnungsausschuß abgelehnt. Im Geschäftsordnungsausschuß des Reichstags wurde heute vormittag der Antrag der Oberreichsanwaltschaft abgelehnt, die fommunistischen Reichstagsabgeordneten Stöder, Roenen, Remmele, hörnle, Pfeiffer und Hedert zu perhaften, um ihrer bei der Durchführung des Prozesses gegen die Zentrale der RPD. aus Anlaß der Vorgänge vom Jahre 1923 ficher zu sein.
Die Ablehnung erfolgte mit 18 gegen 8 Stimmen. Für die Berhaftung ftimmten nur Deutsch nationale und Deutsche Boltspartei.
Gleichzeitig wurde auch der Antrag der tommunistischen Frattion, das Berfahren überhaupt einzustellen, mit 14 gegen 11 Stimmen abgelehnt
ftische Abg. Uhry in einem Brief an den neuen Sparminister" Caillaug feine oft geäußerten Klagen über die Verschwendung, Die in der Befagungsarmee und in der Berwaltung der bestände hätte der Generalftab der früheren Organisation beinahe Rheinarmee herrsche. Troß bedeutender Herabsetzung der Truppendiefelbe Zahl an Offizieren gehalben, die im übrigen in der Mehrzahl Bohnungen durch zahlreiche Offiziere und Beamten getrieben. Go flerifal und reaktionär seien. Ein müfter Lugus werde auch in den bewohne der General Almofain der Rheinarmee in Mainz eine Bohnung von nicht weniger als 15 Zimmern. Uhry fordert Caillaug auf, zufammen mit dem General Guillaumat dem Unfug ein Ende zu machen und zum Nachfolger Guillaumats einen erprobten republikanischen General, nämlich Targe, zu ernennen.
Die elfässischen Autonomisten. Paris , 30. Juni. ( WTB.) Der Disziplinarrat der städtischen Angestellten in Hagen au im Elsaß hat, wie der Temps " berichtet, fich für unzuständig erklärt, über den Stadt archivar und Generalrat Groner und Generalsekretär Reppi wegen Unterzeichnung des autonomistischen Manifests des Heimat bundes ein Urteil zu fällen, da die Angelegenheit einen politi chen, nicht aber einen disziplinarischen Charakter trage.
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Was nun die Borschläge von Herrn Dr. Neuhaus anbe langt, so fnüpfen sie an die vor dem Kriege lange Zeit geltende Brüsseler Zuckerkonvention an. Die Brüsseler Zucker= tonvention hatte das Ziel, die Bedingungen für den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Zuckerarten der Vertragsstaaten es waren dies faft alle 3uder ausführenden Länder auszugleichen durch Beseitigung der Zuckerausfuhrprämien. In den Vereinbarungen der Brüsseler Zuckerfonvention wurde nun weiter der Grundsatz aufgestellt, daß ein Schu33011, der über ein bestimmtes wirtschaftliches Maß hinausgeht, einer Ausfuhr prämie für das übermäßig geschüßte Erzeugnis gleich tommt, und daß die Konpentionsstaaten auf diese Weise begünstigten Bucker ihrerseits mit Zuschlagszöllen belegen fönnen. Dabei wurde, wenn auch nicht unumstritten, der Standpunkt vertreten, daß Zuschlagszölle für in der Ausfuhr prämiierten Zucker auch gegenüber solchen Ländern festgesetzt werden können, mit denen Meist begünstigungsverträge der einzelnen Staaten bestehen. Auf diesem Grundgedanken der Brüsseler Zuckerfonvention baut nun Dr. Neuhaus auf, indem er den Vorschlag macht, wir Staaten ein Handelsabkommen etwa folgenden Inhalts absollten versuchen, mit mehreren oder allen europäischen zuschließen:
,, Die Ronventionsstaaten verpflichten sich einerseits: im gegenfeitigen Verkehr Fertigfabrikate mit einem Zollfak von höchstens... pom Hundert des Wertes zu belaften und andererseits: folche Fertigs fabrikate, die in ihrem Erzeugnislande mit höheren Eingangszöllen geschützt sind, mit entsprechenden Zuschlagszöllen zu belegen." dem gegenwärtigen Reichswirtschaftsminister Dr. Curtius In der Diskussion über diesen Vorschlag ist bereits von auf die Unmöglichkeit der Anwendung dieser der allgemeinen Form des Neuhausschen Borschlages hinge Formel, die seinerzeit für einen Spezialfall nüzlich war, in wiesen worden. Es ist ganz unmöglich, einen einheitlichen Brozentsaz der Zollbelastung vom Werte auch nur für alle Fertigfabrikate festzusehen, ganz abgesehen von den Bedenken der einseitigen Abstellung einer solchen Konvention auf industrielle Fertigerzeugnisse. Man würde dabei sehr leicht dazu fommen, denjenigen Zollsag, den eine Reihe wichtiger In dustrien für das unerläßliche Mindestmaß des Schuzes an sprechen zu verallgemeinern, und in einer Fülle von Fällen würde auf Grund der Tendenz, aus dem Höchstsatz den Normalfaz zu machen, mit einer starten Aufwärtsbewegung der Schutzölle zu rechnen sein. Dabei fommt noch hinzu, daß fich bei der Umrechnung der Gewichtszölle, die Dr. Neuhaus aus zolltechnischen Gründen nicht zu beseitigen denkt, in den generellen Wertzoll Schwierigkeiten ergeben würden, an denen allein schon der Gedante einer schematischen Uebertragung der