Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 30543. Jahrgang Ausgabe B Nr. 150

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Redaffion: Sm. 68, Lindenstraße 3 Fernfprecher: Dönhoff 292-292 Tel.- Udreffe: Sozialdemokrat Berlin

10 Pfennig

Donnerstag

1. Juli 1926

Vorwärts=

Berliner Volksblatt

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Spanien in Erregung.

Der Diktator läßt planlos verhaften.- Von der Armee verlassen.

Attentatsfurcht in Paris .

Paris , 1. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Mit der Abreise des Königs von Spanien , die am Mittwoch erfolgte, ist der Pariser Polizei ein Stein vom Herzen gefallen. In den letzten Tagen find verschiedene spanische Anarchist en unter dem Berdacht festge­nommen worden, auf den König und die Königin von Spanien während ihres Pariser Aufenthalts ein Attentat zu beabsichtigen. 3wei der festgenommenen Anarchisten sind in Spanien gesuchte Bank­räuber. Man fand bei ihnen hohe Geldsummen.

Paris , 1. Juli( WIB.) Deuvre" veröffentlicht eine| tommende Reisende versicherten, daß das Land am Borabend Depesche seines Privatforrespondenten aus Hendaye ( an der tiefgreifender Beränderungen stehe. Die Zenjur laffe fpanischen Grenze zwischen Biarritz und San Sebastian ) über die unparteiische Berichte über die Ereignisse nicht zu. Ereigniffe in Spanien . Darin heißt es, die Diftatur laffe weiter Hausfuchungen und Berhaffungen vornehmen. Mehr als 400 Militärpersonen befänden sich in Haft, die Gefängnisse seien überfüllt. Man habe General Aguilers, der, auf der Durch reise nach Balencia begriffen, zusammen mit General Batet in Tarragona festgenommen und ins Madrider Gefängnis eingeliefert worden war, veranlassen wollen, 3urid zunehmen, was er in seiner Kundgebung erklärt habe. Der General habe aber seine Behauptungen bekräftigt und hinzugefügt, er sehe die Re­gierung Primo de Rivera als unmoralisch an. Der ehemalige Präsident des Kongresses, der bekannte spanische Redner Melquia des Alvares sei gestern festgenommen worden. Außerdem fei die Weisung erteilt worden, den früheren liberalen Ministerpräsiden­ten Graf Romanones zu verhaften, dieser habe sich jedoch rechtzeitig im Automobil aus feinem bei Madrid gelegenen Sig geflüchtet und befinde fich nunmehr in einem Hotel in Hendave. Da die Diffafur von der Armee im Stich gelassen worden fei, flüße sie sich nunmehr auf die Polizei organe und fielle auf gut Glüd Berfolgungen an. Da sie nicht wisse, wer an der Spike der Verschwörung stehe, so jei 3. B. eine Tochter des Generals Luque in Madrid feffgenommen worden. Alle diese Ereignisse riefen in Spanien eine starke Erregung hervor, und aus Spanien

Das Petit Journal" erklärt, daß die französische Regierung den König von Spanien vor seiner Abreise offiziell eingeladen habe, an der großen Truppenschau am 14. Juli in Paris teilzunehmen. zu dieser Veranstaltung wird auch der Sultan von Marotto anwesend sein. Es ist nicht ausgeschlossen, daß auch der General Primo de Rivera, menn die politische Lage es ihm gestattet, bei dieser Gelegenheit seinen offiziellen Besuch in Paris machen wird. Der franzöfifche Panzerkreuzer Paris", der an der Beschießung der Bucht von Alhucemas teilgenommen hat und von mehreren Rif. bomben getroffen wurde, ist ausgewählt worden, um den Sultan von Marokko mit seiner Begleitung zu dem offiziellen Besuch in Baris abzuholen.

"

Die Zölle im Handelspolitischen Ausschuß schauungen eines kleinen, feilſchenden Krämers nähert. Tat voraussetzt, reichlich weit entfernt ist und sich vielmehr den An­Die Vertreter der Fürsten scheinen noch gar nicht begriffen zu haben, daß die materiellen Interessen der Fürsten erst in zweiter Linie zur Verhandlung stehen, daß in erster Linie aber die Frage der Fürstenabfindung nicht zuletzt durch die Schuld dieser Herren zu einer hochpolitischen Attion ausgewachsen ist, von der die zufünftige Orientierung der gesamten deutschen Innenpolitik und| damit die politische Zukunft des Reiches abhängt.

Die Regierungsparteien suchen nach einem Kompromiß. Der Handelspolitische Ausschuß , der heute bereits auf 9 Uhr einberufen war, fonnte in eine Beratung deshalb nicht eintreten, weil die Vereinbarungen der Regierungsparteien den Mit­gliedern noch nicht vorlagen. Die Situation ist außerordentlich ernst dadurch, daß bei Nichtzustandekommen einer Vereinbarung vor der Tagung des Reichstags die autonomen 3ölle, die für Getreide 7 resp. 7,50 m. ausmachen, automatisch in Kraft treten würden. Aus diesem Grunde hat die sozialdemokratische Fraktion in lebereinstimmung mit der Eingabe der Gewerkschaften einen An­trag auf Verlängerung der zurzeit geltenden nie. drigen Lebensmittelzölle eingebracht und wird diesen Standpunkt in den weiteren Beratungen energisch verfechten. Im übrigen sind bereits innerhalb der Regierungsparteien über das gestern nacht zustande gekommene kompromiß wieder Diffe. renzen eingetreten, so daß eine neue Beratung des Ausschusses wahrscheinlich nicht vor morgen vormittag stattfindet. In diesem Rompromiß war für Roggen ein Zollfag von 5 M., für Weizen ein Sag von 5,50 M. in Aussicht genommen. Neben den Getreidezöllen spielten eine große Rolle die Zölle auf animalische Produkte, bei denen gleichfalls von unserer Seite auf Aufrechterhaltung der zurzeit geltenden niedrigen Säge bestanden

wird.

Die Regierungsparteien dementieren. Bon unterrichteter Seite wird dem WTB. mitgeteilt, daß der in verschiedenen Organen der heutigen Berliner Morgenpresse enthaltene Bericht die Besprechungen, welche innerhalb der Re gierungsparteien über den schwedischen Handelsvertrag und die Lebensmittelzölle am gestrigen Tage im Reichstage stattgefunden haben, nicht zutreffend wiedergibt, insbesondere soweit er bestimmte von der Reichsregierung bei fünftigen Handels. vertragsverhandlungen geplante Maßnahmen in Aussicht stellt.

Das Fürstengericht.

Die Vorschläge für die Besekung.

Das Reichskabinett hat den Regierungsparteien eine Liste mit den Namen der für das Reichssondergericht in Aussicht genommenen juristischen Persönlichkeiten und Nichtjuristen über. mittelt. Die Liste enthält 24 Borschläge, von denen neun als Hauptrichter und neun als Stellvertreter in Frage kommen. Barlamentarier befinden sich unter diesen in Aussicht ge­nommenen Kandidaten nicht.

Feilschende Krämer.

Die Kölnische Zeitung " über die Fürften. Die Antwort des Herrn v. Berg, des Bevollmächtigten der Hohenzollern , bringt jetzt auch die Kölnische Zeitung " in Harnisch. Bon ihr war der Vorschlag ausgegangen, die Fürsten möchten burch ein weitgehendes materielles Entgegenkommen die Schwierig feiten im Reichstag beseitigen helfen. Die Antwort war, wie nicht anders zu erwarten, eine glatte Ablehnung. Das zwingt jetzt selbst ein Blatt wie die Rölnische Zeitung" zu folgender Fest stellung:

Man muß feststellen, daß die Geistesverfassung, von der aus bie Bevollmächtigten der Fürsten die Interessen ihre Auftraggeber wahrnehmen, non einer föniglichen Gesinnung, die eine entsprechende

Wir sind nur zu gut davon unterrichtet, daß die Fürstenver treter immer noch nicht das nötige Verständis dafür haben, daß der Ausgangspunft einer wirklich vornehmen föniglichen Taf nicht früher abgeschlossene Verträge, sondern das derzeitige Kompromiß­gefeß sein muß und daß große Kreise des deutschen Volkes bis in die Rechtsparteien hinein die Auffassung vertreten, daß es moralische Pflicht der früheren Fürstenhäuser gewesen sei, durch materielle Opfer fürstlichen Stils dem deutschen Bolte schwere innerpolitische Krisen zu ersparen."

Diese Hoffnungen waren vergebens und werden vergebens bleiben. Die Fürsten haben bei dem ganzen Abfindungsstreit gezeigt, wes Geistes Kinder sie sind. Ihr moralischer Berlust an Ansehen in den Kreisen, die ihnen an sich nahestanden, wiegt jedenfalls politisch schwerer als alle materiellen Güter, um die fie hartnäckig schachern.

Das Ausnahmerecht in England. Um einen Monat verlängert.

London , 1. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Das Unterhaus stimmte am Mittwoch mit 278 gegen 119 Stimmen einer Berlängerung der Ausnahmegeseßgebung und des Notverord: nungsrechts der Regierung, die feit Ausbruch des Bergarbeiter streifs in Kraft sind, um einen weiteren Monat zu.

Im Verlauf der Debatte erklärte der Arbeitsminister, daß der ohnausfall während der 10 Tage des Generalstreiks annähernd 16 Millionen Pfund betragen habe.

Wer will unter die Soldaten? Rußlands Schuljugend wird militärisch ausgebildet. Mostau, 1. Juli. ( TU.) Der Rat der Bolkskommissare hat das Projeft des Kriegsministers Boroschilom über die Ein­führung der allgemeinen militärischen Ausbildung der Jugend in Volksschule, Mittelschule und Hochschule bestätigt. Die Ausbildungspflicht soll am 1. August nach Bestätigung seitens des zentralen Vollzugskomitees eingeführt werden. Im Zusammen­Militärdienstzeit in der Roten Armee. Diese Maßnahme hang mit diesen Maßnahmen steht auch die Berkürzung der wird aus Sparsamkeitsrücksichten vorgenommen.

Die Kommunistische Partei Württembergs hat den früheren Reichs- und Landtagsabg. Hans Stetter wegen fortgesetzter parteifchädigender Tätigkeit aus der Partei ausgeschlossen. Stetter hatte in einer kommunistischen Parteiversammlung in Schwenningen den vor einiger Zeit gleichfalls aus der Kommunistischen Partei aus. sagte: Es gibt noch andere forrupte Gestalten, bie man geschlossenen Landtagsabg. Haller in Schuh genommen, indem er hinauswerfen muß."

Die ruffifch- franzöfifchen Verhandlungen find ergebnislos abge brochen worden. Es war nicht möglich, auch nur über eine wichtige Frage eine Einigung zu erzielen. Es ist möglich, daß die Besprechun gen im Spätherbst von neuem begonnen werden.

Der tschechische Außenminister Benesch hat auf Berlangen seiner Bartei das Abgeordnetenmandat zur Rammer niedergelegt.

Ein verkanntes Problem.

Arbeitszeitkontroversen und Betriebsintensivierung im Handelsgewerbe.

Bon Warenhausbefizer Willi Cohn Halberstadt.

=

Es ist typisch für die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland , daß bei der gegenwärtigen zu­spizung der Wirtschaftskrise die Bersuche, eine Steigerung der Rentabilität im Handelsgewerbe durch eine Verlän­gerung der Arbeitszeit zu erzielen, wieder stark in den Vordergrund getreten sind. Auch die Zulassung Don Sonntagsarbeit spielt dabei eine erhebliche Rolle. Der Gesetzentwurf der Wirtschaftlichen Vereini g ung sieht das in weitem Umfange vor, während die fozialdemokratische Reichstagsfrattion in ihrem Gesetzentwurf die Einführung der vollständigen Sonntagsruhe verlangt.

Es handelt sich bei den gegenwärtigen Erörterungen um zwei Dinge: um die Abänderung des 7- Uhr Laden­schlusses und um die Aufhebung der Sonntags­ruhe. Da in beiden Fragen im wesentlichen mit den gleichen Argumenten gekämpft wird, können sie zusammen behandelt werden, obwohl nicht übersehen werden darf, daß die Frage der Sonntagsruhe bei weitem größere grundsätz­liche und praktische Bedeutung hat.

Die Sonntagsruhe für das Handelsgewerbe ist durch eine Verordnung vom 5. Februar 1919 im allgemeinen festgelegt. Die gegenwärtigen Bestrebungen zur Beseitigung dort aus auch auf eine Reihe weniger dicht bevölkerter Landes­der Sonntagsruhe gingen von Bayern aus und griffen von teile über. Berlangt wurde die Aufhebung der Sonntagsruhe insbesondere für Landstädte, damit die Landbevölkerung in die Lage versetzt würde, am Sonntag ihre Einkäufe in der Stadt zu machen. Daneben wird auch darauf hingewiesen, daß durch die Sonntagsruhe ein bedenkliches leberhand­nehmen des Haufiergewerbes begünstigt wird. Der 7 Uhr Ladenfchluß ist gefeßlich durch eine Berordnung über die Arbeitszeit der Angestellten vom 18. März 1919(§ 9) festgesetzt, mit der Maßgabe allerdings, daß die Ortspolizeibehörde jährlich an höchstens 20 Tagen den Berkauf bis 9 Uhr abends freigeben tann. Bon dieser Ausnahme ist jedoch so gut wie kein Gebrauch gemacht worden. Was nun bei den gegenwätrigen Bestrebungen auf die Berlängerung der Arbeitszeit im Handelsge­werbe am stärksten auffällt, ist die geringe Sorgfalt, mit der die verwandten Argumente aufgestellt sind. Doppelt zu be dauern ist dies deswegen, da in breiten Kreisen der Eindruck entstehen muß, als handle es sich bei dem jetzt wieder auf­gerollten Kampfe tatsächlich nur um eine durch die allgemeine Wirtschaftsentwicklung möglich gewordene Aus nugung der wieder erstartten Unternehmerstellung", eine Bointierung, mit der für die fachliche Weiterführung der Untersuchung dieser Frage nichts gewonnen ist, so daß auch vollständig dahingestellt bleiben kann, in welchem Maße diese Deduktion vielleicht doch das Richtige trifft.

Bei dieser Sachlage erübrigt sich deshalb, der Unter­fuchung der vorgebrachten Einzelargumente einen zu breiten Raum zu widmen. Sie sind so zufällig gewählt und formu­liert, daß ihre Widerlegung ebenso einfach wie ihre Aufstellung ist. Tatsächlich können sie vollständig mit einem Hinweis auf die bisher gemachten Erfahrungen und die Er­ziehungsseite der Arbeitszeitfrage entträftet werden. Das trifft sowohl im besonderen Fall der polni­schen Wanderarbeiter für die Aufhebung der Sonn­tagsruhe zu( da genügend katholische Festtage vorhanden sind, die die Erledigung der Einkäufe in der Stadt an Wochentagen ermöglichen), wie auch allgemein für die Festsetzung des Abendschlusses im Handelsgewerbe( da bisher erfahrungs­gemäß das Publikum sich an jeden Ladenschluß gewöhnt hat). Man hat es deshalb kaum nötig, noch besonders darauf hin­zuweisen, daß die Bevorzugung der Landstädte bei der Festsetzung der Arbeitszeit im Handelsgewerbe eine große Ungerechtigkeit gegenüber größeren und mittleren Städten esin würde und sofort Bestrebungen auslösen müßte, auch für diese die Sonntagsruhe zu beseitigen. Tatsächlich will ja auch schon der von der Wirtschaftlichen Vereinigung vor­bereitete Gesetzentwurf die Sonntagsruhe grundsäglich fallen laffen.

ber

eine Untersuchung des eigentlichen Kerns Wichtiger als die Behandlung dieser Einzelargumente ist verständlichkeit zugrunde liegt, daß man es anscheinend nicht jüngsten Arbeitszeitkontroverse, der den Bestrebungen auf Verlängerung der Arbeitszeit mit so offensichtlicher Selbst­für nötig hält, ihn immer wieder mit anzuführen.

Es liegt auf der Hand, daß durch die längere Offen­haltung der Verkausstellen eine Steigerung des Um­fages bezwedt wird, eine Intensivierung des Betriebes oder die Sicherung einer größeren Rentabilität also. Genau gesehen hat man es demnach hier mit dem Versuch einer Rationalisierung des Handelsgewerbes zu passung der Wirtschat an die neuen Berhältnisse verstehen tun, wenn man unter Rationalisierung allgemein die An­will. Es empfiehlt sich, die Erörterung einmal unter diesem Gefichtspunkte durchzuführen, da dabei mit größter Ein­dringlichkeit der grundsägliche Irrtum der augenblick­lichen Arbeitszeitverlängerungsbestrebungen in Erscheinung

tritt.

Hierzu ist es nötig, den etwa möglichen Vorteil der vor­geschlagenen Arbeitszeitverlängerung mit den Kosten" zu