Nr. 308 43. Jahrg. Ausgabe A Nr. 159
Bezugspreis.
Wöchentlich 70 Pfennig, monatlich B, Reichsmart voraus zahlbar. Unter Kreuzband für Deutschland , Danzig , Saar- und Memelgebiet, Defterreich, Litauen , Luxemburg 4,50 Reichsmart, für das übrige Ausland 5,50 Reichsmart pro Monat.
Der„ Borwärts" mit der Sonntags. beilage Volt und Zeit" mit„ Sied. Jung und Kleingarten" sowie der Beilage Unterhaltung und Wiffen" und Frauenbeilage Frauenstimme" erscheint wochentäglich zweimal, Sonntags und Montags einmal.
Morgenausgabe
Vorwärts
Berliner Volksblatt
10 Pfennig
Anzeigenpreise:
Die einspaltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reklamezeile 5,- Reichsmark. Kleine Anzeigen" das fettgedruckte Wort 25 Pfennig ( auläffig zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Reile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten
Reile 40 Pfennig.
Anzeigen für die nächste Nummer müssen bis 4% Uhr nachmittags im Hauptgeschäft, Bevlin SW 68, Linden. straße 3, abgegeben werden. Geöffnet von 8½ Uhr früh bis 5 Uhr nachm.
Sonnabend, den 3. Juli 1926
Vorwärts- Verlag G.m.b. H. , Berlin SW. 68, Lindenstr.3 Bostichedkonto: Berlin 37 536 Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Wallstr. 65; Diskonto- Gesellschaft, Depoßitenkaffe Lindenstr. 3.
Der Reichstag bis 3. November vertagt.
Die Reichsregierung zieht die Fürstenvorlage zurück und bleibt im Amt. Das Sperrgesetz angenommen.
Nach der Erklärung des Genossen Wels und des Grafen We starp( Dnatl.) gab im Reichstag Reichs fanzler Dr. Marg namens der Reichsregierung die Erklärung ab, daß, nachdem feststehe, daß die beiden Flügelparteien den Gesekentwurf über die Fürstenabfindung ablehnen würden, die Reichsregierung ihren Gesezentwurf zurückziehe. Damit war die Weiter beratung dieser Vorlage erledigt und der Reichstag wandte sich dann dem Rest der Tagesordnung zu. Der Reichstag vertagte sich in später Nachtstunde bis zum 3. November.
Der Reichstag ist nicht aufgelöst worden. Er ist in die Sommerferien gegangen, die bis zum 3. November dauern sollen.
Die Fürstenvorlage ist nicht angenommen, nicht einmal in dritter Lesung zu Ende beraten worden. Die Regierung hat die Fürstenvorlage zurüdgezogen.
-
Die Reichsregierung ist nicht zurückges treten. Sie hat sich durch einen Brief des Reichs: präsidenten einen amtlichen Brief diesmal be wegen lassen, von einer Demission Abstand zu nehmen. Der Reichstag geht in die Sommerferien. Das Ergebnis ist: die Fürstenfrage ist nicht gelöst. Aber ein Blod von den Demokraten bis zu den Deutschnationalen hat die Bülow 3ollsätze ab 1. August an die Stelle der bisher geltenden niedrigen Zollsäge gesetzt. In der Zeit der Massennot und Massenarbeitslosigkeit.
Nach dieser negativen und dieser positiven Leistung geht der Reichstag in die Sommerferien. Bis zum 3. November. Und die Regierung Marx bleibt und wartet auf eine durch Aenderung der politischen Lage herbeigeführte Aenderung der parlamentarischen Voraussetzungen.
*
Der Verlauf der dritten Lesung der Fürstenvorlage bot feine leberraschungen mehr. Genosse Wels begründete in scharfer, würdiger Form die ablehnende Haltung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion: Borgeschichte des Volksentscheids, Versagen des Parlaments, Volksentscheid, Bersagen der Mittelparteien im Parlament. Das in der Erklärung des Zentrums vor dem Volksentscheid gegebene Versprechen ist nicht eingelöst worden. Eine andere parlamentarische Lösung fann nur von einem neuen Reichstag gefunden werden, darum Annahme des Sperrgesetzes, Auflösung des Reichstages.
Nach Wels Graf West ar p. Seine Rede enthielt ein Angebot der Deutschnationalen an die Mittelparteien, mit ihnen gemeinsam die Fürstenvorlage zu verabschieden. Selbst verständlich erst dann, wenn sie durch deutschnationale Anträge noch weiter denaturiert worden wäre.
Nach Westarp erhob sich der Reichskanzler Marg. Die Regierung sei zur Auflösung entschlossen gewesen, wenn eine der Flügelparteien das Gesetz zu Fall gebracht hätte. Da aber beide Flügelparteien gegen das Gesetz stimmen würden, werde sie nicht auflösen. Sie ziehe das Gesetz zurüd. Sie werde nicht zurücktreten, da der Reichspräsident gebeten habe, von einer Demission abzusehen.
Dann wurde das Sperrgesetz mit verfassungsändernder Mehrheit angenommen.
Die Konsequenzen der Regierung Marg, mit denen der Reichsinnenminister Külz in der zweiten Lesung gedroht hatte, waren feine Konsequenzen. Es waren verhinderte Konsequenzen. Berhindert dadurch, daß die Minderheit gegen die Regierungsvorlage, auf die die Regierung gefaßt war, zu einer Mehrheit geworden war. Eigenartiger Grund, eine Regierung an der Ziehung von Konsequenzen zu verhindern!
Konsequenz ist überhaupt nicht die Stärke der Regierung. Gestern hat der Reichskanzler erklärt, die Regierung werde das Sperrgesetz zurückziehen. Heute hat sie es annehmen laffen.
Konsequenz ist auch nicht zu finden, menn man die Erflärung des Reichskanzlers und den Brief des Reichspräsi denten zusammenhält. Der Reichstanzler erflärt, die Regierung war zur Auflösung entschlossen, wenn eine der Flügelparteien die Annahme des Gesezes verhindert hätte. Der Reichspräsident schreibt: er könne sich zurzeit zu einer
Auflösung des Reichstags aus innen- wie außenpolitischen| katastrophaler Weise überhört hat. Aber haben nicht schon Gründen nicht entschließen. Wir nehmen wohl mit Recht an, daß die außenpolitischen Gründe des Herrn Reichs präsidenten sich nicht geändert haben würden, wenn die Sozialdemokraten mit Ja gestimmt hätten, die Vorlage aber am Nein der Deutschnationalen gescheitert wäre. Die Regierung Mary wäre wahrscheinlich auch in diesem Falle die Regierung der verhinderten Konsequenzen gewesen.
Die einzige Konsequenz, die die Regierung Marr aus dem Scheitern der Fürstenvorlage in Wahrheit zieht, ist, daß sie bleibt. Ihre Sonne geht nicht unter, obgleich sie sich schon dem Horizont zu neigte. Wir leben ja auch in den sommer lichen Tagen, an denen im hohen Norden die Mitternachtsjonne strahlt. Sie neigt sich, sie berührt den Horizont, dann aber steigt sie wieder in alter Bracht empor. Sie wird glänzen, solange die sommerlichen Ferien des Reichstags andauern, den die verhinderten Konsequenzen der Regierung Marr vor der Auflösung gerettet haben.
Aber:
,, Scheint die Sonne noch so schön,
Einmal muß fie untergehn."
Die ablehnende Haltung der sozialdemokratischen Reichs tagsfraktion hat bei der Demokratischen Partei und beim Bentrum heftige, erbitterte Angriffe hervorgerufen. Aus druck dieser Stimmung sind die Aeußerungen der Zentrumns preffe sowie offizielle Erklärungen der demokratischen Frak tion und Parteileitung.
Die Germania " versichert, man hätte die Wünsche der Sozialdemokratie in der 30llfr age nicht über hören fönnen. wenn sie in der Fürstenfrage mit Ja gestimmt hätte. Wir wollen nicht darauf verweisen, daß man die Wünsche der Sozialdemokratie in der Fürstenfrage in
Britischer Regierungswortbruch.
Kampfaufruf der Gewerkschaften. London , 2. Juli. ( WTB.) Der Generairat der englischen Gewerkschaften hat an alle ihm angeschloffenen Berbände einen Aufruf gerichtet, in dem er die Organisation eines planmäßigen Widerstandes gegen die„ reaktionäre gewertschaftsfeindliche Politik der Regierung" fordert. Der Aufruf verurteilt mit großer Schärfe die Regierungsvorschläge in der Bergbaufrage, die ein vollständiges Berlaffen der Grundfähe des Abkommens darstellten, auf das hin der Generalftreit abgebrochen worden sei. Ferner wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Einigkeit zu wahren und sich zu bemühen, die Bergarbeiter mit Geldmittel zu unterstützen.
Der Ausnahmezustand bleibt bestehen. London , 2. Juli. ( WTB.) Im Unterhaus wurde heute die Verlängerung der der Regierung für den Ausnahmezustand erteilten außerordentlichen Bollmachten beraten. Ein Antrag der Arbeiter partei, in dem die Politik der Regierung als Hindernis für die Wiederherstellung des Friedens im Kohlenbergbau und als Bedrohung der öffentlichen Ordnung verurteilt wird, wurde mit 256 gegen. 95 Stimmen abgelehnt. Der Arbeitervertreter Clynes erklärte bei der Einbringung dieses Antrages, die Regierung habe fich gänzlich auf die Seite der Berg merts befizer gestellt. Die Politik der Regierung habe Hun derttausende von Bergarbeitern zur Entbehrung verurteilt, um sie zur Wiederaufnahme der Arbeit zu zwingen. Schatzfanzler Church i ll erwiderte, die Regierung habe die Vorschläge der Kohlenkommission bis auf zwei sämtlich zur Durchführung gebracht. Wenn der Gefeßentwurf angenommen sei und die Bergwerksbesitzer die Lohnfäße, die sie zu zahlen bereit seien, bekanntgegeben hätten, würde sich vielleicht die Möglichkeit zu neuen Berhandlungen bieten.
"
vor der Beschlußfassung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion die Regierungsparteien einschließlich des Zentrums das Zollkompromiß auf der Grundlage der BülowTarife gesucht? Sieht die Germania " nicht, daß es sich bei der Erhöhung der bisher geltenden niedrigen Zollsäge nicht um Nichtberücksichtigung parteipolitischer Wünsche der Sozialdemokratie handelt, sondern um Bruch eines Versprechens, das das Zentrum seinerzeit seinen eigenen Parteiangehörigen, den Mitgliedern der christlichen Gewerkschaften gegeben hat? Letzten Endes um eine neue Belastung der unter schwerer Not leidenden Massen? Ist die Haltung der Sozialdemokratie in der Fürstenfrage eine Entschuldigung für diese handelspolitische Schwenkung?
Die demokratische Reichstagsfraktion teilt offiziell ihre große Verstimmung" mit. Die demokra= tische Parteileitung veröffentlicht eine Erklärung, deren wesentlichster Punkt darin besteht, daß sie der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion die Verantwortung dafür zuschiebt, daß sich die Kluft zwischen der Sozialdemokratie und den anderen republikanischen Parteien zu vertiefen drohe. War die Verweigerung berechtigter sachlicher Anträge der Sozialdemokratie bei der Fürstenvorlage ein Bindemittel? 3st es die Zustimmung der demokratischen Reichstagsfraktion zum neuen Zollkompromiß, die Ablehnung des sozialdemo= fratischen Bollantrags, um dessen Inhalt sie einst mit uns gefämpft hat, und für den gestern drei demokratische Reichstagsabgeordnete troz des Zollkompromisses stimmten?
Angesichts der Haltung der Demokraten zur Zollfrage wirkt diese Proklamation gegen die Sozialdemokratie peinlich. Sie wirkt wie ein Ablenkungs- und Entschuldigungsversuch. Fördert es die Zusammenarbeit der republikanischen Barteien, wenn unter dem Vorwand der Verärgerung von den Demokraten sachliche Politik gegen die Interessen der arbeitenden und leidenden Massen für die Interessen der Schußzzoll interessenten getrieben wird?
Die Berärgerung der Mittelparteien über die Haltung der Sozialdemokratie in der Fürstenfrage ist wahrhaftig kein zu reichender Ersatz für das fehlende Mandat dieses Reichstags in der Zollfrage, und der Verdacht, daß die Verärgerung willfommenen Vorwand zur zollpolitischen Schwenkung bietet, ist fein Bindemittel für Sozialdemokratie und Mittelparteien. Sie sollten ihre Ueberlegungen auf dies Gebiet konzentrieren, statt leidenschaftliche Proklamationen gegen die Sozialdemokratie zu erlassen.
Der Brief des Reichspräsidenten .
Der Reichspräsident hat gestern an den Reichskanzler folgendes Schreiben gerichtet:
Sehr geehrter Herr Reichskanzler! Ich höre, daß das Kabinett angesichts des zu erwartenden Scheiterns der Gesetzesvorlage über die vermögensrechtliche Auseinandersetzung mit den Fürstenhäusern, über die Frage der Auflösung des Reichstages und die des Rücktritts der Reichsregierung berät. Ich möchte Ihnen hierzu meine Auffassung dahin kundtun, daß ich mich zu einer Auflösung des Reichstages aus innen mie außenpolitischen Gründen zurzeit nicht entschließen könnte. und daß ich aus denselben Gründen auch einen Rücktritt der Reichsregierung für untunlich erachte. Ich bitte Sie, Herr Reichskanzler, wie die anderen Herren der Reichsregierung daher, von dem Gedanken einer De mission Abstand zu nehmen.
Mit der Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung bin ich Ihr sehr ergebener gez. v. Hindenburg ."
#
Schon lange vor Beginn der zuerst auf 1 Uhr festgesetzten Sigung des Reichstags, die die Entscheidung über das Fürstenabfindungsgesetz bringen soll, suchen zahllose Personen Einlaß in das Haus zu finden, ein Beweis dafür, wie tief diese Frage die Massen Das Oberhaus hat das Gesetz über die Arbeitszeit im Bergbau des Volkes aufwühlt. Die Sigung wird wegen der Regierungsverangenommen.
Besprechung Baldwin- Henderson- Macdonald. London , 2. Juli. ( WTB.) Im Zusammenhang mit Baldwins Schlußbemerkung in feiner gestrigen Erflärung im Unterhaus zur Rohlenfrage hatten die Führer der Arbeiterpartei, Macdonald und Henderson, eine Besprechung mit Baldwin, jedoch ist ein greifbares Ergebnis bis jezt nicht zu verzeichnen.
handlungen um zwei Stunden vertagt. Als Reichstagspräsident öbe gegen 3% Uhr die Verhandlungen eröffnet, ist das Haus außerordentlich stark befeßt. Die Fraktionen find fast vollzählig vertreten. Auf der Regierungsbank haben der Reichsfanzler, der Außenminister Dr. Stresemann, der Innenminister Külz und die anderen Mitglieder des Rabinetts Platz genommen. Die Tribünen sind überfüllt, in der Diplomatenloge ficht man Bertreter der ausländischen Staaten.