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Donnerstag 15.�111926

Unterhaltung unö ÄVlssen

Seilage ües vorwärts

das ZinSetkinö. Vau Volkmar 3ro.

Die Kellnerin imRoten Igel" heißt Anna und ist so schmächtig. daß ihr« kleinen Hände zittern, wenn sie die Bierkrüge von der Tchant zu den Tischen schleppt. Sie ist nicht hübsch, nur ihre großen, dunklen, manchmal verweinten Augen sind schön. Sie ist auch nicht kokett wie andere Kellnerinnen und sie versteht nicht. Spähe zu machen, oder die kleinen Beamten und Handwerker, die ihr Bier imRoten Igel" trinken, haben sie gern, necken sie viel und fragen oft, wenn sie unter Tränen lächelnd ihr Trinkgeld nimmt, ob sie den treulosen Schatz noch immer nicht vergesien habe und sich nicht mit einem von ihnen trösten wolle. Dann lachen sie alle, der dicke Gerber Baumonn wischt sich den Schaum vom Bart, poltert auf den Tisch und schreit, daß er so der richtige Kerl wäre,«in liebeskrankes 'Weibsbild zu trösten. Und die schmächtig« Anna lacht mit, denn sie braucht die Pfennige, die sie ihr dann aus den Tisch legen. Aber wenn sie oben in ihrer engen, niedrigen Kammer Uegt. drückt sie den Kopf in das blau, und rottariert« Kisten und schluchzt oft, bis sie vor Herzweh und Müdigkeit einschläft. Manchmal nimmt sie die Blechbüchse mit den ersparten Markscheinen und zählt und versteckt sie wieder sorgfältig unter dem Fußboden. Und jeden Morgen wartet sie bei der Türe des Schankzinnners, bis aus der Mietkaserne gegenüber die dicke Frau Lokomotivführers- gattin Müller mit der grünen Einkaufstasche und einem zweijährigen Jungen an der Hand tritt. Dann geht sie rasch hinüber und streichelt den Kleinen, der so große, dunkle Augen hat wie sie und gibt ihm jedesmal ein kleines Stück Schokolade oder ein paar Hafelnüste und weint oft, wenn der Klein« sein« Händchen nach ihren schmalen Wangen streckt. Er heißt Fritz und Frau Müller fand ihn an einem bitterkalten Februarabend in elenden Lumpen auf der Stiege sitzen. An sein rotgefrorenes Fäustchen war«in Fetzen Papier angebunden. auf dem ein« unglückliche Mutter ihr Kind guten Menschen empfahl, da sie seit vierzehn Togen ohne Obdach sei und mit dem Kleinen keinen Posten finde. Herr und Frau Müller nahmen ihn zu sich. All« Parteien des Hauses, bis auf die grobe Frau Bohie, die trinkt und keine Kinder mag, sind gut zu ihm, manche schenken ihm alte Puppen und Bilderbücher: aber die Kellnerin Anna vergöttert ihn. Sie küßt ihn oft aus die seidigen blonden Haare, läuft mit nassen Augen in die Wirtsstube zurück, putzt ihre Gläser in einem dunklen Winkel und weint ganz leise, damit sie niemand hört. Denn obwohl sie um geringen Lohn und schlechtes Esten dient, zittert sie bei jedem Scheltwort des Wirtes, der ein« lustige Kellnerin will, die den Gästen die Zeit vertreibt. Sie zittert auch vor der Wirtin, die oft von der Gicht geplagt wird und der dann nichts recht zu machen ist. Aber sie muß den Posten um jeden Preis behalten» damit sie jeden Morgen und manchmal auch Nachmittag den kleinen Fritz sehen kann, damit sie weiß, ob er an einem Regen- tage seinen warmen Mantel trägt, ob seine dicken Wänglein rot sind und ob er fröhlich ist. Bon diesen paar Minuten zehrt sie den ganzen Tag, und die halbe Stunde, in der sie jede Woche die Frau Müller besucht und dem Kleinen selbstgestrickt« Fäustlinge, Hemdlein und Strümpfe bringt, sind für sie ein so schmerzliches Glück, daß sie sich oft nachher an einem Sessel halten muß, wenn sie wieder bedient und Bier aus dem Schank trägt. Und jeden Abend lacht die arme, schmächtig« Anna mit, wenn sie wegen ihres Schatzes geneckt wird. Sie lacht und läßt sich auch von dem Gerber Baumann um die Taille nehmen. Denn sie braucht jeden Pfennig, weil sie hofft, daß sie dann doch eines Tages ihr Kind von der Frau Müller zurückholen kann. Wie das weiß sie noch nicht: aber es ist ihr Glaube, von dem und für den sie lebt.

/tos Nlussolinis /lrbeiterleben. Aus der Mustolini-Biogrophie. die Frau Margarete Sarfatti veröffentlicht, druckt ein römisches Faschiftenblott den nachstehenden Brief Mustolinis aus Lausanne ob, der das Datum 3. Oktober 1 90 2' trögt. Der heutige Ministerpräsident war damals 19 Jahre alt. Daß der«jährige die Erlaubnis zur Ber- öjientlichung dieses unerbaulichen äoeument bumain gegeben hat, ist befremdlich und dient seinerseits dazu, die anormale Geistes- bcfchaffenheit des Mannes zu beleuchten. Der Brief lautet in wortgetreuer Ueberfetzung: .Mein Freund! Was ich mich anschicke. Dir zu schreiben, sind Erinnerungen. Traurige Erinnerungen einer verzweifelten Jugend, die alle» oer- löschen steht, sogar das Ideal. Was die folgenden Seiten enthalten werden, wirst Du niemand sagen: nur eine Frau kennt meine Schmerzen, und Du, wenn Du dies geleson Host. Ich werde Dich nersluchen, we»m Du schwatzest. Diele meine Forderung der Ge- Heimhaltung wird Dir begreiflich erscheinen. Und jetzt fange ich an. Aus Gualtieri bin ich am Morgen des 9. Juli abgereist, nach­dem ich niemand Zldien gesagt hatte, außer der Frau meines Herzens. Es war ein Mittwoch, von Parmo bis Mmland und von Mailand bis Ehiasto eine unerträgliche Hitze, zum Verrecken. Ehiasto, der erste republikanisch« Ort, beherbergte mich bis 10.50 Uhr abends. Beim Lesen des..Sccolo" hatte ich die Ueberraschung. von der Verhaftung meines Vaters zu erfahren, der bei Wahl- unruhen beteiligt war. Die Verhaftung machte mir nur deshalb Eindruck, weil, wenn ich in Gualtieri davon gewußt hätte, ich nicht nach der Schweiz , sondern nach Romaana gefahren wäre. Ich fand einen Reisegefährten, einen gewissen Tangherone aus PontremoN, wechselte mein italienisches Geld und stieg in den Zug, der am nächsten Morgen in Luzern halten sollte. 12 Stunden Fohrt. Der Wagen war voll von Italienern . Wirst Du es glauben? Ich stand fast die ganze Zeit am Fenster. Die Rächt war herrlich. Der Mond oing hinter den hohen, von Schnee weißen Bergen auf unter dem silbernen Lachen der Sterne. Der Lugoner See hatte magische Reflexe, wie eine polierte metallische Fläche, auf der unbekanntes verzaubertes Licht spielt. Der Gotthard erschien meinen Augen wie ein nachdenklicher, in sich gekehrter Riese, der der stählernen Schlange, die mich in schwindelnder Flucht unter neue Menschen trogen sollte, wohlwollend Durchzug gewährte. Im Wagen ichliefen alle, nur ich allein dachte. Was dachte ich in jener Nacht, die zwei Perioden meines Lebens schied? Ich erinnere mich nicht. Nur am Morgen und das konnte von der körperlichen Ermüdung kommen als wir durch die deuische Schweiz fuhren und ein novemberartiger Regen uns kalt� bewillkommnete, wie der Gruß eines Unglücklichen, dachte ich und da« Herz. zog sich in mir zu- lammen an die grünen Gefilde Italiens , die eine glühend« Sonne küßt... War das der erste Keim des Heimwehs? Vielleicht. In Luzern stieg ich um und nahm ein Billett nach Pverdon, verleitet durch meinen Reisegefährten, der mir eine Stellung bei einem Ber - wandten versprach, einem Stoffhändler. Um 11 Uhr kam ich in Aoerdon an: 36 Stunden Fahrt. Derstumpst und müde ging Ich in eine ärmlich» Kneipe, wo ich zum erstenmal Gelegenheit hatte, französisch zu sprechen. Ich. Dann zu dem italienischen Kauf- mann. Der redete mir den Kopf voll. Immerhin lud er mich zum

Potemkin-Ersatz.

was brauchen wir üen Potemkin-Zilm! Im vismar<k-§ilm 11 weröeu ohnehin üie potemkinscheo Dörfer üer Kaiferzeit aufgebaut!

Essen ein. Ich nahm an. Weiteres zweckloses Geschwätz. Schließlich gab er mir 5 Lire. Damit er nicht dachte, mir ein Almosen gegeben zu haben, ließ ich ihm ein sehr schönes Messer, arabische Imitatton, das ich noch in Parma am l. April gekauft hatte, zusammen mit unserm guten blonden Romani. Der Freilag sah mich eine Stunde lang vor der Statue Pesta- lozzis, der in Pverdon geboren ist, und 23 Stunden im Bett. Am .Samstag ging ich zusammen mit einem arbeitslosen Maler nach Orb«-v- einer nahen Stadt um als Handlanger zu arbeiten. Ich fand Arbeit und sing am Montag morgen, den H. an. Els Arbeits­stunde» am Tage, 32 Cent, die Stunde. Ich trug 12l mal eint Trage voll Steinen aus den zweiten Stock eines im Bau befindlichen Hauses. Am Abend waren die Muskeln meiner Arme geschwollen. Ich Kartoffeln, die in der Asche gebacken waren und wars mich angezogen aufs Bett: einen Haufen Stroh. Um 5 Uhr wachte ich am Dienstag auf und ging wieder zur Arbeit. Ich bebte von der schrecklichen Wut der Ohnmacht. DerPadrvne" machte mich toll­wütig. Am dritten Tage sagte er mir: Ihr seid zu gut angezogen! Das sollte eine Anspielung sein. Ich hätte mich auslehnen mögen, dem Emporkömmling den Schädel spalten, der mir Faul- heit vorwarf, wo sich mir die Knochen bogen unter den Steinen, ihm in die Schnauze schreien: Halunke, Halunke! Und dann? Recht hat der. der dich bezahlt. E» kam der Same- tagabend. Ich sagte dem Podrone. daß ich abreisen wollte, er solle mich bezahlen. Er ging in sein Bureau, ich blieb aus dem Flur. Kurze Zeit darauf kam er heraus. Mit schlecht versteckter Wut warf er mir 20 Lire und Eentesimi hin und sagte: da ist euer Lahn , und er ist gestohlen. Ich blieb versteinert. Was sollte ich ihm tun? Ihn umbringen? Was tat ich ihm? Nichts. Warum? Ich hatte Hunger und war ahne Schuhe. Ein Paar fast neuer Holbstiefel hatte ich in Fetzen auf den Steinen des Baues gelassen, die mir die Hände zerrissen hatten wie das Lcder. Fast barfuß ging ich zu einem Ita- liener und kaufte mir Bergstiefel mit Nägeln. Dann packte ich mein Zeug und am nächsten Morgen Sonntag. 20. Juli nahm ich in Ebaoonnay den Zug nach Lausanne . Das ist keine schöne, aber eine sympathische Stadt. Von der Spitze des Berges dehnt sie sich bis an die Ufer des Genfer Sees mit dem entzückenden Vorort Ouchy. Lausanne ist roll von Italienern 10000), die nicht beliebt sind: hier ist die Erekutivkommission der sozialistischen Partei und hier erscheint dos WochenblattAvvenire del Lavoratore", das ich mit dem Rechtsanwalt Barbpni zusammen redigier«. Aber ich will der Reihe nach erzählen. Die erste Woche lebte' ich leidlich in Lau- sänne mit dem in Orb« verdienten Gelde. Dann war olles alle. Eines Montags war der einzige metallische Gegenstand, de» ich in der Tasche hatte, eine vernickelte Medaille von Karl Marx . Ich hatte am Morgen ein Stück Brot gegessen und wußte nicht, wo ich am Abend schlafen sollt». Derzweijelt wandte ich mich ins Weite, dann setzte ich mich(die Magenkrämpfe mochten es mir unmöglich, lange zu gehen) au? den Sockel der Tellstatue, die im Park von Moni- benon steht. Mein Blick muß schrecklich gewesen sein in jenen schreck- lichen Augenblicken, denn die Besucher des Denkmal? sahen mich argwöhnisch, fast ängstlich an. Ach! Wenn De Domtnicis gekommen wäre, um mir seine Moral zu predigen, mit welcher Wonne hätte ich ihn umaebrachtl Um 5 Uhr oerlasse ich Moni- benon und wende mich nach Ouchq. Ich geh« lange auf dem Quai seine herrliche Straße am Seeufer) und darüber unrd es Abend. Die letzten Lichter der Dämmerung und die letzten Töne der alten Glocken lenken mich ab. Eine unendliche Melancholie überfällt mich, und ich frage mich am Ufer des Genfer Sees, ob es der Mühe lohnt, noch einen Tag zu leben. Ich denke nach, aber eine Musik, die süß ist, wie der Song der Mutter an der Wiege des Sohne», lenkt meine Gedanken ab, und ich wende«ich um.(Ott Orchester von

40 Personen spielt vor dem großartigen Hotel Beau Riooge. Ich lehn« mich an das Gartengiller, spähe durch dos dunkle Grün der Tonnen, horche auf und lausche. Die Musik tröstet mir Hirn und Bauch. Aber die Pausen sind schrecklich, die Krämpfe stechen meine Eingeweide wie glühende Nadeln, lind inzwischen wandeln die Scharen der Genießende» durch die Alleen des Parks: iimn hört dos Knistern der Seioc und stüstern in Sprachen, die ich nicht oer- stehe. Ein paar alte Leute kommen on mir vorbei. Es scheinen Eng- lönder. Ich möchte sie bitten umI'.ir�enr pour nie coucher ce. ioir". Aber das Wort stirbt mir auf den Lippen. Die plumpe, kahle Frau strotzt von Gold und Juwelen. Ich habe keinen Saldo, lein Bett, kein Brot. Ich laufe fluchend davon. Ach! Heilige Idee der Anarchie des Gcdantcns und der Tat! Ist es nicht ein Recht dessen, der am Boden liegt, den zu beißen.der ihn zermalmt? Bon zehn bis elf bleibe ich unter einem alten Boot. Es bläst Wind aus Savoyen und es ist kalt. Ich gehe in die Stadt zurück und verbringe den Rest der Nacht unter dem Grand Pont(dem verbin- denden Ring zwischen den beiden Hügeln). Am Morgen betrachte ich mich neugierig in einem Schaufenster. Ich bin nicht zu erkennen. Dann treffe ich einen Romagnolen. Ich sag« ihm kurz meine Loge. Er lacht darüber Ich fluche ihm. Er grinst in die lasche und gibt mir zehn Saldi. Ich stürze in einen Bäckerladen und kaufe ein Brot. Ich wende mich dem Walde zu. Mir ist, als ob ich einen Schatz be- sätze. Vom Mittelpunkt der Stadt entfernt, beiße ich mit det Wut des Zerberus in dos Bro». Seit 26 Stunden hatte ich nichts ge» gessen! Ich kühle«in bißchen Leben durch die Adern rrnnen. Der Mut kehrt zurück, mo der Hunger flieht. Ich beschließe zu kämpfen. Sa wende ich mich nach der Villa Amino, Avenv» du Löman. Da lebt ein italienischer Sprachlehrer, ein gewisser Zinl Ehe ich in den Flur des hübschen Hauses trete, remige ich mir die Schuhe. nicke die Krawatte grade und den Hut. Ich trete ein. Zini hat einen Kopf mit struppigem, grauem Haar: die Nase ist phänomenal. Kaum babe ich ihn auf italienisch begrüßt, so empfängt er mich mit einer Ladung vontäglichen Scherereien, jeden Tag, heiliger Herrgott! Heiliger usw. Was wollen Sie? Ich weiß nicht, wüßie nicht. Ich werde sehen, wir werden sehen. Wenden Sie sich an Borgatta, ru« Solitude. Ach, wenn ich könnte! Aber es ist nicht möglich". Zum Teufel, du. und wer dich gemacht hat, du lumpiger Kerl! Und mit diesem Gruß gehe ich meiner Wege. Im nächsten Brief dos übrige. Es wird Dir wie ein Roman scheinen und ist Wirklichkeit. Ich habe Deine Karle bekommen. Schicke mir die Ode und Nachricht von den Freunden. Dein Freund Benito Mussolini ." Psychologisch oder, wenn man will: psychiatrisch beachtenswert ist, daß der junge Mensch nicht weniaer als dreimal in den wenigen Tagen von dem Trieb gepackt wird, seinen Mitmenschen den Garäu» zu machen, von dem theoretisch-anarchisttschen Anfall abgesehen. Die schreckliche Wut der Ohnmacht" so erklärlich sie jedem Proletarier erscheinen muß, war sozial ungefährlich. Aber es ist nerhängmsvoll für em Land, wenn dem derartigen Dutimpulscn Unterworfenen Macht gegeben ist über andere.

Schneeballschlacht« lm Seebade. In dm Seebädern der mneri- ramschen Westküste ist ein neuer Sport aufgekommen, die Schneeball. schlacht am Strand«. Don_g«schästsluchtigcn Unternehmern wird aus dem hohen Norden der Schnee in besonderen Kühlwaggons nach der Westküste gebracht und dort in Blöcken verkauft. Die Zahlung». fähigen Liebhaber diese» Sports, die in Badelostümen diese Schnee- ballschlachten veranstalten, rühm« besonders die anregend« Dir» ttftg der Schneebälle auf erholungsbedürftige Nerven.