Soauabeaö 17. IuUl92S
Unterhaltung unö �Dissen
Vellage ües vorwärts
von Liebe unö Hilter . Ans dem Nachlaß von Andrej Sobol. Sprecht mir nicht vom Frühling, ich hasie ihn. Er lauert den Unerfahrenen auf, spottet der grauen Haare, gleich einem Verführer flüstert er den Frauen unbescheidene Worte zu, stößt die Mädchen in den. Abgrund. Und die Mädchen gehen mit geschlossenen Augen gehorsam ins Verderben. Und Greise verführt er in Sockgassen. Vor 20 Iahren war's. Ich hatte eben erst nach neunmonallicher Hast das Gefängnis verlassen. Der blutige Abglanz des S. Januar hatte die Todesruh« meiner Einzelzelle aufgestört, mich zusammen- gerissen, und als ich im Frühjahr in meine Heimat zurückkehrte, war ich ein müder zerbrochener Mensch. Lange nachher reckte ich mich wieder empor. Doch davon ein ander Mal. Jetzt erzähle ich vom verwünschten Frühling, der mir meine Freude genommen. Und die Freude war licht gewesen. So licht wie ihre Zöpfe— lange und dicke—* so wundervoll wie ihre brennenden sechzehnjährigen Augen. Ich bin ihr alles. Bruder, Freund und Führer. Meine Tage verbrachte ich ganz mit ihr. Die morgendlichen Freuden des Früh- lings, die Frühlingsstille des Tages— Frühlingsregen, Frühlings- blühen— all dieses teilten wir.\ Wir lebten still, zurückgezogen. Unser winziges Städtchen kannte nicht, noch liebte es den Lärm. In den Morgenstunden saß ich bei meiner Arbeit.— Das Gefängnis hatte mich von der Universität losgerissen, doch die Revolution regte mich zu neuen Studien an.— Werotschka wirtschaftete im Hause und der Rest des Tages und der Abend gehörte uns beiden. Der Frühling entfaltete sich voller. Die Pappeln ersäuselten w ersten jungen Blättern— das unvergeßliche Säuseln unserer Pappeln— und Mitte Mai erschien in unserem Städtchen ein neuer Mensch, ein Verbannter. Das war ein kleiner hogerer Mensch von etwa 20 Iahren, rothaarig, ganz mit Sommersprossen bedeckt, nervös, hastig, mit einer etwa» kurzatmigen Stimme und seltsamen, dem sonstigen Gesichtsausdrucke widersprechenden beharrlichen Augen. Er kam zu uns mit einem Briefe der Petersburger Kameraden. Ich half ihm ein Zimmer mieten. Werotschka— das Nötige anschaffen. Er ward ein häufiger Gast, ein zu häufiger, und oer- wandte zuviel Aufmerksamkeit auf sie. Unsere gemeinsamen Abende gingen auf den Lauf. Aber die Pappeln rauschten und säuselten nach wie vor. Doch nicht die Vorige sah ich in Wera— richtiger: ich sah sie nicht, stundenlang abends. Doch einmal bemerkte ich, daß sie irgendwelche Kopeken vor mir verbarg. Es fiel mir nicht ein, mich darauf auszuschweigen und ich fragte: Was hast du da? Sie ward verlegen, sie antwortet« nicht. Ich verließ da» Zimmer. Ich murmelte dumpf vor mich hin: „So... so... Du versteckst dich.� Ich beherrschte mich nicht, trat eilig ins Zimmer und fand mühelos das Paket: Proklamationen, Broschüren. Steckte sie wieder hinein, gelangte vorsichtig schleichend in den Flur, trank gierig Wasser im Flur, aber dann suchte ich Wera.— Ich fand sie und verlor den Kopf. Ich ging hinter Werotschka her und rief: .Mein kleines Mädchen, kleine» Mädchen, glaube diesen Blättern nicht, zerreiß« sie, wirf sie fort." .Las ist ein süßes Gift. Wie wagt er es, sie dir zu geben, einem Kinde, einem Dummchen." Ich fand die Worte nicht. Ich geriet außer Atem und wand mich unter ihrer Entgegnung. Und es kam der Tag— und schon längst hätte ich sein Kommen voraussehen müssen—, daß sie mir sagte, bebend von Kopf bis zu Fuß, noch dünner werdend, noch schlanker: „Hör auf. Ich flehe dich an. Ich liebe ihn." Ich brach in Lachen aus— ich lachte lange, ich lachte wütend. „Ihnl Aber er ist doch ein Ungeheuer, ein Ungeheuer." Ich gab mir Mühe. .Schmächtig, ein Rothaariger." Wild schrie sie mir entgegen: „Wag es nicht, wag es nicht, du kennst ihn nicht, wenn er spricht, gewinnt er mein Herz, meine Seele." „Ein Ungeheuer "— wiederholte ich—„ein Ungeheuer. Du darfst ihn nicht lieben. Du Sonnenschein, du— Pappelchen. Und du küßt ihn. Dieses rothaarige Gesicht, diese Sommersprossen. Weißt du, wen man liebt? Die liebt man, die..." Ich stieß sie gegen den Diwan. Ich zwang sie, sich zu setzen. Ich riß die Bibel vom Buchständer, und das alte verlogene Buch rief ich zu Hilfe, um mit alter Lüge ewige Wahrheit der Liebe zu oerdecken..Höre,.. Da, höre zu. Wen man liebt..." Ich las nicht, ich schrie es hinaus: .Mein Freund gleicht einer Gemse oder einem jungen Hirsch. Da kommt er, springt einher." Las und wiederHolle von Sinnen. „Doch er ist ein Ungeheuer... Hör zu... Seine Wangen — sind ein duftender Blumengarten, Beete voll wohlriechender Pflanzen. Doch er hat abscheuliche und ekle Sommersprossen. Solche liebt man.— Hör zu. Sein Haupt ist eitel Gold... Seine Augen—.Tauben... Doch wen liebst du? Ein Ungeheuer ist er. Ein widerliches Ungeheuer." Sie entwand sich meinen Händen und die Bibel mit Füßen tretend, eille sie zur Tür— ohne Tuch, ganz so wie sie vor mir gestanden: dünn, mit herabgefallenem Zopfe, dünn, ganz dünn, gleich als wäre sie der grauen Erde entglitten gegen den fern sich verflüchtigenden Himmel. Auf der Schwelle verfing ich mich an einem Nagel. Das war lächerlich und dumm. Und der blöd« Nagel brachte mich zur Be- sinnung. Doch ihr nicht zu folgen, das oermochte ich nicht. Der Nothaarige wohnte nicht weit von uns. Da» Fenster seines Zimmerchens, halbwegs erblindet wie seine Augen, zwinkerte zwischen den Pappeln. — Ich eilte zu den Pappeln, ich stahl mich unter da» Fenster. Der ein« Flügel de, offenen Fenster» klirrte in meiner Hand, und zu einem kleinen elenden Knäuel erstarrt« ich unter dem Fenster.„Lieber...", hörte ich..Lieber. Wenn du wüßtest, wie ich dich liebe... Es Ist mir so schwer ohne dich. — Weißt du denn, wie sehr ich dich liebe! Deine Augen. Deine Lippen... Lieber, deine Augen... sind Tauben, deine Lippen — sind Blumen. Lieber, lege dein Haupt auf mein« Knie... dein goldene» Haupt..." Sprecht mir nicht vom Frühling. Wohl, Jahre sintz dahin- gegangen. Und viel süße Frühlingszeiten liegen hinter mir. Lange schon weill der Rote nicht mehr unter den Lebenden; im Jahre 1316, fast am Vorabend der Revolution kam er um. Männlich und schön während eines kühnen und heldenhaften Aufstandes der Sträflinge de» Zentralgesängnisses. Und gerade heute habe ich von
Sarbarosia— Doornröschen.
<kc spricht im Schlaf zum Knaben: ,5ahr rasch zu Herrn von öerg Unö frag, ob wir noch haben Den alten Reichstag, Zwerg l
Droh'a keine neue Wahlen, Lebt er noch immerüar, Kann ich in voorn mich aalen Setrost ein weitres Jahr:*
meiner Schwester, von meiner hellhaarigen Freude au« dem fernen Wladiwostok die Nachricht erhalten, daß ihr Leben still und stürm- lo» dahinfließt und daß ihr älteste» Bübchen, ein rothaariger Tauge- nichts, vom Meere phantasiert.— Alles hat sich beruhigt und wir alle sind all geworden. Doch sprecht mir nicht vom Frühling. Denn er spottet der grauen Haare. - Mädchen wirbell er umher auf wirren Pfaden über Abgründen und Greise verführt er in Sackgassen. (Aus dem Russischen übertragen von Sascha Rosenthal.)
Nord unö Süö.
fflcn schreibt im»«u» München : Der alte deutsch » Borkidilpfer für ein demokratisch«» Deutschland , der 189» verstorbene Ludwig Bamberger , hat einmal über den immer noch bestehenden Gegensa» zwischen Nord und Süd folgenden gültigen Sa» geprägt: Denn der Süddeutsche nach Ziorddcutschland kommt, Ist er lern» begierig: wenn der Norddeutsch« nach Sllddeutschland kommt, ist er lehr begierig. In einem Aufsatz, der dieser Tage in norddeutschen Partei- blättern erschienen ist. steht zu lesen, daß es in München und Um. gebung außer den staatlichen Sammlungen, dem Deutschen Museum und der herrlichen Umgebung nur noch ein weiteres Positioum gibt: den Suff. Nach diesem Aufsatz ist das Saufen in München die einzige ffutturtötigkeit.„Man gehe durch das Hosbräuhau» und sehe die Tausend: herumstehen und-sitzen... Die Kneipen sind voll und die Taschen der Brauerciaktienbesitzer desgleichen... Hier gibt es keine Parteien mehr, hier gibt es nur noch Säuser..
Zu den Bürgern der Säuferstadt zählen auch die hundert- tausende Arbeiter und Beamten, die zu ihrem Erstaunen auf dem Wege über die auswärtige Presse hören, wie üppig, wie kannibalisch wohl es ihnen bei gefüllten Maßkrügen geht. Und staunen werden die unzähligen Kurzarbeller, Arbeitslosen, knapp oerdienenden Ar- heiter, die gern eine Maß trinken möchten, wenn es ihnen nur mag- lich wäre! Das Bier als täglicher Haustrunk ist in den meisten Münchener Arbeiterfamilien eine vergessene Sache geworden. Vielleicht ist hier die Anmerkung gestattet, daß der ÄlkoholgenM in'grünsten llndl�n�eaend?N'''Deutlchlands nicht hmfier�dfl?
upst....»W> darbietet, den bunten Bauerntand, womit die Trachten gemeint sind, die Lust an Farbe, wie sie die Heiligenmalereien an Fassaden zeigen, kurz alles das, dem der Fremde, bejonders wenn er nicht Katholik ist, wirtlich fremd und rätselvoll gegenübersteht. Und es ist vielleicht auch wirklich nicht so einfach, mit dieser sinnenhaft animalischen Lebensart etwas anzufangen, die zwei scheinbare Gegensätze vereint: bigotte Frömmigkeit und strotzende Lebenslust, deren Bindeglied der Katholizismus ist. Ich erinnere mich gut meiner ersten Münchener Zeit. Damals wohnte ich in einem kleinen Vorort mit ausgesprochenem Dorf- 'arakter, in dem sedes Jahr eine ganze Woche Ablaß ist. Münchencr ürger und Bürgerinnen wallfahren— der Bequemlichkeit halber
dem gegenüberliegenden vrachtvollen Wirtsgarten erklingt von einer Schmetterkapelle„Puppchcn, du bist mein Augenstern...' zum weißblauen bayerischen Himmel empor, und vom Hintergrunde des Garten her quieckt die Orgel eines Karussells zu lustigem Kinder- geschrei. Aus der Kirche kommt Weihrauchdunst, und aus der Straße vermählt er sich mit dem verlockenden Duft der Würstel- und Steckerfischbratereien. Das ist München , Altbayern im Still- lebenformat. Sinnenfreudige, gott- und weltbeflissene Daseinsfülle, die man in Deutschland in dieser Form nur einmal trifft. Meine geographische Zugehörigkeit zur Mainlinie macht mir das Eindringen in diese Sphäre wohl leichter und autorisiert mich vielleicht, einige schnellfertige Urteil« und Uebertreibungen etwas zurechtzurücken. Gewiß, München ist durch den seiner Physiognomie so widersprechenden Hitler -Rummel politisch in üble» Ruf gekommen. Das Danausisch-Spießerische. da» Ignorantentum haben es ungast- lich gemacht. Aber da» war sehr stark preußisch-junkerlicher(Luden- dorfsscher) Import und wird auch längst zugegeben. Die Diskussion über den Niedergang München » als Kunststadt ist heute schon eine öffentliche Angelegenheit geworden München ist auch«ine Bierstadt . Es trägt diesen Stempel, und da» ist«in Stück seiner Originalität, seiner Weltberühmtheit. Wie- viel von dem erzeugten Naß außerhalb Münchens , vor allem in Norddeutschland vertilgt wird, lei unerörtert. Es ist gewiß nicht wenig. Aber ein« Stadt von 670000 Einwohnern zu einem Säufer. gomorrha zu stempeln, dazu muß man entweder ein fanatischer Abstinent oder ein„Nichtbayer" sein, und zwar ein Nichtboyer, der die Gabe hat, die Einheimischen und Fremden, die iit den Bräus mehr oder weniger einträchtig beisammensitzcn, vielfach multipliziert zu sehen, was angesichts der Süssigkett des Münchener Bieres ent- schuldbar wäre.
Münchens zurücksteht. Der Schwabe trinkt seinen Moscht, der Pfälzer , Rheinländer und Badenser seinen Wein, der von der Water- kante seinen stiefen Grog, und was in gewissen Gegenden an Schnaps gestülpt wird, darüber ließe sich manches Nachdenkliche sagen. Unsere sozialistischen Arbeiter in München , die freUich zum wenigsten Abstinenten sind, fühlen sick nicht beleidigt, wenn man sie Kapuaner nennt. Sie. die einen scharfen Kampf mit einer ver- schlagenen Reaktion führen, haben nur den Wunsch, oaß nicht außer- halb Bayerns Dinge geschrieben werden, die letzten Ende« da» Wafsenarsenal der Gegner füllen. Ich denke hier an gewisse, meist sehr verunglückte Karikaturen und Glossen, denen die Unkenntnis bayerischen Wesens aus der Stirn geschrieben steht, über die der Bayer lacht, wenn er Dialektausdrücke und Eigenarten so deplaciert wieoerfindet, daß sie den Pfeil der Lächerlichkeit auf den Schützen zurückprallen lassen. Wahrer Witz— und dieser liegt dem Bayern — verletzt nicht, sondern entwaffnet nur, weshalb der Bayer manches, was ihm am Norddeutschen..g'spaßig" dünkt, mit einer witzigen Berulkung übergeht. Er wirft sich aber nie als Belehrender auf, obwohl er manchem von unseren preußischen Gästen einen sehr guten Rat in bezug auf Bescheidenheit und Takt mitgeben könnte, denn die Sorte, von der hier die Rede ist. kennt man unter Tausenden heraus. Es gibt einen treffenden Witz, der das illustriert. Ein Fremder fragt am Münchcner Hauzitbahnhof einen Dienstmann nach dem Löwenbräu. Der weist ihm dre Richtung und sagt:„Da genga S' nur zua, da hör'n Sie s' scho."—„Wen?" fragte der Fremde, „die Löwen?"—„Na," erwidert der Münchener,„die Preiß'n." Wir Sozialisten reklamieren gern den wahren Föderalismus für uns. Wir können das. Aber das setzt voraus, daß wir die Stammcseigenheiten In ihren Fehlern gewiß nicht verbergen, doch ihren tieferen Sinn zu entdecken versuchen. Darauf kommt es an. Um auf den alten Bamberger zurückzukommen: noch immer ist Deutschland durch die Mainlinie In zwei Teile getrennt. Der Sü>>- deutsche läßt sich nicht gern« schulmeistern und schimpft darum aus die„Berliner ". Das rührigere, geschäftigere Norddeutschland aber hält die oft etwas schwerere Art des Süddeutschen sür minderwertig, obwohl ein Blick auf das Gediegene, Harmonische und sehr Durch- dachte auf allen Gebieten die naturgewachsene Kultur sofort ins Auge springen lassen müßte. Reisen ist gut, aber Reisen mit forschenden Augen, mit grllnd- lichem Studium Man soll nicht die Tatsache, daß man in Bayern viele Kirchen, viel Bigotterie findet, einfach mit„Rücksiändigkest" abtun, sondern soll in den Geist dieser Erscheinungen eindringen. ihnen das Geheimnis ablauschen. Da dürste dann auch ein„Auf- geklärter" leichter mit ihnen fertig werden, wenn er sie nicht mit einer fixen Formel abtut. Und die Liebe am„Farbigen", am „Bauernstand" hat am Ende gar noch einen tieferen Sinn. Sie verrät einmal Phantasie, und die Kniehose, ein gesundes Kleidungs- stück, wird recht gern auch von Norddeutschen getragen. Wenn irgendein Fremder eine Bauerntracht komisch findet, so soll er doch die Freude des Trägers achten, der stolz daraus ist. daß große Maler wie Leibi und Desregger das Farbige. Volkstümliche an ihnen fesselte. So ließe sich noch manches über Stammeseigenart sogen, aber ich wollte nur einmal an ein heikles Thema rühren, um uns vor einer falschen Methode zu warnen: Nämlich die Originalität der Stämme, die:n sich, von Winkel zu Winkel, in Sprache. Sitte und Charakter vielfältig differenziert ist. die ein buntes Moso'k unseres Volkslebens bildet, nachlässig, oberflächlich oder gar verletzend zu behandeln. Leider ist es oft so. daß das eigene Volk sich nicht kennt. weil da» räumlich schon schwierig ist. Die Presse soll aber ver- tiefend, näherbringend wirken. Eben die Eigenarten nutzbringend zu entwickeln, ohne das Nationalbewußtsein zu hemmen, dos ist eine der Ausgaben, die wir im republikanischen Deutschland lösen müssen. Und die» gelingt nur, ivenn wir sie mit Verantwortungs- und Taktgefühl, wenn wir sie mit Einfühlungsvermögen anfassen. Im übrigen wandelt man nicht ungestraft unter Maßkrügen, wenn man nicht unter ihnen ausgewachsen ist. Z.
«