Nr. 334 ♦ 43. Jahrgang
1. Seilage öes Vorwärts
Sonntag, 1S.�ulNH2ö
Das große Gesicht der OeffentlichkeU war und bleibt stet» die Masse, die zujubelt oder verhöhnt, gutheißt oder verdammt. Ihrer wuchtigen, erdrückenden Mehrheit mußte sich von jeher der einzelne, ob gerecht oder ungerecht, unterwerfen. Das Forum der alten Römer war der Schauplatz wichtiger öffenllicher Begebenheiten in der Politik, und das Tribunal entschied. In den Schlösiern und Palästen spann man feinere, aber nicht minder unerbittliche Fäden und stürzte oder krönte nach eigenem Kodex. So ist die große Masse unzertrennlich mit allen wichtigen Ereignissen im menschlichen Leben verknüpft. Die Klassiker ließen in chren großen historischen Dramen und Schauspielen gewaltige Doiksmassen aufmarschieren. Als man diese Werke in den Film zu bannen begann, bedurfte es notur- gemäß eines kolossalen Menschenaufgebots, und die Armee der Film- lomparsen wuchs mit der Zeit zu einer wahren Legion an. Dsr Niedergang. Im Oktober 1S2S setzt«— als Folgeerscheinung der allgsmeinen Wirtschaftskrise— de? Niedergang der Filmindustrie so plötzlich und intensiv ein, daß im daraufsolgeitfen Winter bereits 75 Proz. aller beim Film Beschästigten arbeit*#? waren. Der Abbau machte sich hier um so schrecklicher fühlbar, als es sich ja ausschließlich um Menschen handelt«, die bloß eine tageweise Veschäfligung und einen tageweisen Verdienst hatten und mit einem Male direkt auf der Straße sagen. Die Ziffer der Filmkomparsen schätzt man auf rund 2000, wovon knapp ein Viertel davon ab und zu tageweise Beschäftigung findet, so daß etwa l500 Menschen ohne jegliche Ein- nähme sind. Massenszenen, die früher mit Hunderten von Menschen dargestellt wurden, hat man heut« auf 30 bis 35 Personen reduziert. Dazu kommt noch, daß die Herstellung von Filmen mit Massen- szencn auch immer geringer wird. Die Beschäftigung eines Film- ftatisten— soweit von einer solchen überhaupt die Rede ist— beträgt im Laufe eine? Monats meist nur wenige Tage. Wovon lebt er die übrige Zeit und wovon leben die unzähligen Nichtbeschäftigten? Gage unü flrbeitszelt. Für ein« Aufnahme im Straßenanzug gibt es pro Tag 7,50 ML, im besseren Anzug oder Uniform 10,— ML, Gesellschafiskleidung 12,— Mk., bei mehrmaligem Kleidungswechsel eine Extravergütung von I,— Mk., für Pelze eine solche von 2,— Mk. Reiter und Schwimmer erhalten ein lageshonorar von 15,— Mk Sämtliche > Prioatkleidung muß der Darsteller natürlich beibringen. Di« Dauer der Beschäftigung loll acht Stunden betragen— was natürlich niemals«ingehalten wird— und mußte mit der vierten Nachmittags- stund« beendet sein, damit dem Darsteller Gelegenheit gegeben ist, sich auf der Filmbörse um fünf Uli? zur Entaegennabme eines neuen Engagements für den nächsten Tag einzufinden. Ist die Arbeits- zeit um 4 Uhr nicht beendet, so hatte der Beschäftigte von dieser Zeit ab Anspruch auf die Bezahlung eines zweiten Tages. Es sei bei dieser Gelegenheit unter anderem eines höchst unliebsamen Vor- falles in Neu-Babelsberg gedacht. Man bestellte die Darsteller morgens zur Ausnahm« und nachmittag- um 3 Uhr begann man glücklich mit der Arbeit, die natürlich in einer Stunde nicht fertig- gestellt sein konnte. Als die Leute später Bezahlung des nächsten Tage» verlangten, einigte man sich mit denen, die man unbedingt baben mußte, alle anderen— und es war eine recht stattliche Anzahl— ließ man einfach gehen und ersetzte sie zum Teil durch Arbeitslose oder solch» Personen, die eben mit allem einverstanden waren. Aus derartigen Vorfällen ergibt sich auch die ungeheure Schwlerigkett einer einheitlichen Organisation, die solche Vortomm- Nisse einfach unmöglich machen würde. Trötz aller Bemühungen der
sich sogenannt«„wilde" Filmbörsen. Eine von diesen tagt zurzeit im ehemaligen Kabarett„Schall und Rauch", und es ist trotz An- zeige bei der Polizei und beim Landesarbeitsamt nicht gelungen, mit Erfolg dagegen anzukämpfen. vle Zilmborse. Im„U l a s>' am Lehrter Bahnhof , vor dem Schweizerhaus. kann man täglich um die vierte Nachmittagsstunde lebhafte Menschengruppen beobachten. Manchmal ist der Andrang vor den um diese Zeit noch verschlossenen Toren ein derartiger, daß die Polizei Ordnung schaffen muß. Von 5 bis IVi llhr lagt hier die Film- börse. Hier harren in nervöser Ungeduld viele, viel« hundert ab- gehetzte, körperlich und seelisch ausgepumpte Menschen auf den Er- lüser, den Messias, in Gestalt des Filmregisseurs. Don ihm er- warten sie ihr Heil durch eine Rolle, ein Röllchen oder bloß des
Die Filmborsc im U'.ap.
Mitwimmelns in der großen Masse. Dichtgedrängt. Kopf an Kopf sitzen sie hier, bunt durcheinandergewürselt. Der Heldenvater neben dem Backfisch, der jugendliche Liebhaber, der Intrigant, der kühne Sportsmen und dann noch all die vielen undefinierbaren Gestalten. So verschieden sie sind, so gleich ist der Wunsch, der sie beseelt: Brot, wenigstens für morgen. Der goldene Leichtsinn ihres Boheme- tums läßt sie ja immer noch auf ein Wunder hoffen! Während der langen, langen Geduldsprobe— die Regisseure kommen meist sehr spät, wenn überhaupt— tauschen sie gegenseitig ihre kleinen und doch so riesengroßen Alltagssorgen aus. Zwischendurch flattert auch mal ein kecker Witz, denn der Humor ist das einzige, das einigen Wenigen noch geblieben. In diese große Gesellschaft, die bereits feit 4 Uhr hier versammelt ist, weil sie leider wieder mal unbeschäftigt waren, kommen dann, gleich einer aufgescheuchten Vogelschar, halb abgeschminkt, mit wehenden Haaren und flackernden Augen die paar Glücklichen angerast, die tagsüber zu tun hatten. Endlich erscheint er, der Langersehnte, der Regisseur! Im Moment seines Einirills umschließt ihn eine ungeheure Rienschenwoge, die ihn umringt, bedrängt, beschwört. Hunderte von Armen strecken sich nach ihin, Hunderte von Augen betteln um Verdienst. Der Mann, der ab- gehetzt von der Arbeit kommt, ist nervös, rätlos all dem Elend gegenüber. Rasch engagiert er die wenigen, die or benötigt, und sucht das Weite. Und wieder müssen so Unzählige resignieren und auf ein glücklicheres Mvrgen hoffen. Ein Menschenmarkt grauen- haftesten Elends. Die Alten lind stumpf und mürbe geworden im harten Kampf, die Jungen hoffen und warten... Sie.stellen das große Kontingent der traurigen Phantasten, die Bühne und Film noch immer und trotz� allem fürs Märchenland der unbegrenzten Möglichkeiten halten. Sie sind verkannt, man wird sie eines Tages entdecken und chren. Arme, große Kinder! Es ist ein Festklammern an einen eingebildeten Beruf, ungeachtet des kümmerlichen Daseins und seiner verheerenden Folgeerscheinungen!
Was sollen diese Leute aber beginnen? Es handelt sich in der Haupt'ache um Menschen, die in irgendeiner Beziehung zur Kunst stehen oder gestanden haben. Dieser Beruf ist ihnen heute mehr denn je verschlossen und andere Bcrufszweige sind— gabz abgesehen von den notwendigen Vorkenntnisse» und der Eignung hierzu— ebenfalls überfüllt. Und doch— trotz dieses fürchterlichen Berufselends drängen sich immer noch neue dazu, die dann all den Jammer erst am eigenen Leibe erfahre» nnissett. Eine Gewissen- losigteit sondergleichen sind die sogenannten F i l m s ch u l e n. Pie Inserate verheißen armen Unwissenden„glänzende Laufbahn in kürzester Zeit, sofortige Beschäftigung bei Aufnahmen" u. dergl. schöne Redensarten mehr. In Wirklichkeit knöpfen sie den Leuten Geld ab sür ein„Studium", das überhaupt keines ist. Nicht genug aber, daß diese„Film-Universitätcn" eine Menge Geld schlucken, verwenden sie auch ihre Schüler zur Erlangung der notwendigen Rouiine"— zu Filmaufnahmen ohne jedwede Entschädigung. All dem sollte mit aller Emschiedenheit gesteuert wenden.
Der Wobbly. 35� von B. Traven . Buchmeister-Verlag. Berlin und Leipzig . In jeder Hinsicht war ich billig davongekommen. Das Uebersetzen mit der kleinen Fähre würde nach meiner Schätzung eine volle Woche gedauert haben. Auch dabei konnten Tiere verlorengehen, die abspringen, oder die man bei einem so langen Aufenthalt an einem Fluß durch Tiger und Alli- gatoren einbüßt. Man hat an tausend verschiedene Kleinig- leiten und Nebenumstände zu denken. Dazu kam noch das Fährgeld. Und was ich an Fährgeldern. Brückengeldern, Wegegeldern, Weide- und Wassergebühren sparte, ging in meine Tasche und gehörte mit zu meinem Verdienst. Was ich hier bei diesem Uebergang über den Fluß gespart hatte, verdankte ich niemand sonst, als meinen lieben kleinen Kälbern. Sie hatten die Liebe, die wir ihnen und ihren Müttern entgegengebracht hatten, reichlich vergolten. 22. Es wäre sa kein echter Transport gewesen, wenn er ohne die Mithilfe von Banditen zu Ende gegangen wäre. Man erwartet sie eigentlich immer, und man wundert sich nur dann. wenn wieder einmal ein Tag vorüber ist. ohne daß sich der eine oder der andere Trupp hat sehen lassen. Ein solch großer Diehiransport geht ja nickt schweigend vor sich. Dutzende von Ind 'anem sehen ihn. und es spricht sich herum. Und man weiß n'e, wer den Kundschafter macht sür eine Horde. Die Mehmohl der Banditenhorden sind die Ueberbleibsel der Revo- lutiansarmeen. die gegen die Arbeiterormeen kämpften. Es sind die Reste jener Truppen, die von den Diktatoranhängern. von den großen Landeigentümern, von einer Clique ameri- tenischer Kapitalisten geworben wurden, und die bei Beendi- gung der Revolution übrigblieben, weil sie das Freischärlertum vorzoaen. Eines Morgens kamen Sie. Genauer gesagt, eines Morgens trafen wir sie. Sie kamen ganz unschuldig an- geritten. Sie konnten Peons sein, die irgendwohin zu Markte ritten oder auf der Arbeitsuche waren. Sie kamen aus der Flanke. Wir zogen auf einem breitm Buschwege, und plötzlich
standen sie an der Seite des Weges, am Ausgange eines schmalen Buschpfades. „Hallo!" rief der Führe».„Keinen Tcquila?" „Nein," sagte ich.„Haben keinen. Aber wir haben Tabak mit. Könnt hundert Gramm abbekommen." „Gut. Nehmen wir. Habt ihr Maisblätter?" „Zwei Dutzend können wir wohl abgeben." „Nehmen wir auch." „He, wie ist es denn mit Geld? Der Transport hat doch Geld für die Fähren und Drücken und so." Jetzt wurde es heiß. Das Geld. „Wir haben kein Geld mit," sagte ich.„Wir haben nur Schecks." „Schecks ist Dreck. Kann ich nicht lesen." Die Leute sprechen etwas zueinander, und dann kam der Sprecher herangeritten und sagte:„Wegen des Geldes wollen wir doch einmal nachsehen." Er durchsuchte meine Taschen und das Sattelzeug, aber ich hatte kein Geld. Er fand nur die Schecks, und er sah ein. daß ich recht hatte. .Lühe können wir auch gebrauchen," rief er nun. „Die brauche ich selbst." sagte ich.„Ich bin nicht der Besitzer, ich habe nur den Transport." „Dann tut es Ihnen ja nicht weh, wenn ich mir ein paar aussuche." „Bitte," sagte ick.„heften Sie sich nur. Ich bade eine Kufkr-inke Kuh. Dkb Kuh ist gut. sie milcht in drei Monaten. Den Hus können S'e kurieren. Ist frisch." „Wo ist sie denn?" Ich ließ sie heraustreiben, und sie geliel ihm. Wöhrend der ganzen Zeit wanderte der Transport natürlich weiter. Der läßt sich ja nicht so auf Kommando halten, besonders wenn keine Weide da ist, sondern nur so dünnes, mageres Gras am Wege entlang steht. Die guten Leute ritten neben mir her. Der Führer sagte:„Schön, eine haben Sie mir gegeben, jetzt bin ich an der Reihe und darf mir eine aussuchen." Er suchte sich eine aus. aber er verstand nichts vom Vieh. Sie war nicht viel wert. Ich verschmerzte sie leicht. »Nun dürfen Sie mir wieder eine aussuchen."
Er bekam sie. Dann suchte er wieder eine aus. Diesmal nahm er eins der milchenden. „Jetzt sind Sie wieder an der Reihe, Senor," sa�te er. Ich versuchte es mit einem Scherz. Ich rief einen meiner Leute heran, der das Kalb trug, die sich der Wegelagerer ausgesucht hatte. „Hier haben Sie das Jungtier dazu," sagte ich und händigte ihm das Kälbchen aus. Mit dem Angebot war er sehr zufrieden, und er ließ das Kalb für ein Volltier gellen. Das tat er nicht aus Generosität. Nein, viele der Indianer können die Kühe nicht melken. Sie können nur melken, wenn das Kalb gleichzeitig saugt, sonst kriegen sie keinen Tropfen aus den Zitzen. Die Miich muß so halb von aliein fließen, die Kuh muß glauben, daß sie die Milch dem Kalb gibt. Darum war ihm das zugehörige Kalb so willkommen, denn nun konnte er die Kuh melken, und sie hatten Milch daheim. Dann war er wieder an der Reihe. Als sie fortritten, zogen sie mit sieben Kühen und einem Kalb von bannen. Kostete mich, wenn ich das Kalb nicht rechnete, hundertfünfundsiebzig Pesos. Denn auf welche Weise ich die Tiere verlor, das war ' �chgultig. Was mir fehlte, wurde mir abgezogen. Mit o--., Banditen wurde gerechnet und mit den Zöllen, die man ihnen zu zahlen hatte. Es kam eben daraus en, wie man mit ihnen handelseinig wurde. Man mußte handein mit ihnen wie mit Geschäftsleuten. Dmlomat'e spielie eme Rolle. Sie hätten ja auch mit fünizehn abziehen können oder mit vierzig. Das alles sind Transportunkosten. Gehört zur Fracht. Kaan überall geschehen. Wo anders entgleist ein Zug, oder es verbrennt oder scheitert ein Schiff, und der Transport ist fertig. Zu all dem hat man die hohen Versicherungsprämien zu zahlen Hier versichert niemand. Keine Versichenings- gesellschaft übernimmt das Risiko, oder sie übernimmt es nur zu Sätzen, die ZU zahlen sich nicht lohnt. Wo anders sind es die Ve�'c-dekosten, die Fütterungskosten und wer weiß, was loust noch alles für Kosten. Hier sind es die Fluß'äuse, Die Pässe, die Schluchten, die Sandstreckcn, die wasterloscn Strecken, die Banditen, die Jaguare, die Klapperschlangen, die Kupserschlangen, und wenn es ganz schief gehen soll, eine Seuche, die dem Vieh auf dem Marsche irgendwo von anderem Bieh, dem es begegnet, mitgegeben wird. (Fortsetzung folgt.)