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Nr. 33843. Jahrg. Ausgabe A nr. 174

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Mittwoch, den 21. Juli 1926

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Kritische Zuspitzung in Frankreich  .

Die Staatskaffen sind leer.- De Monzie   verlangt Vollmachten und droht mit Rücktritt.

Paris  , 20. Juli.  ( EP.) Die politische Lage hat sich heute abend im Berlaufe des Ministerrates hochdramatisch zu­gespiht. Man bestätigt zunächst, daß tatsächlich de Monzie

feinen Rüdfritt angeboten hatte, und zwar zur Hauptsachenaudel mit, daß 23 sozialistische Abgeordnete für die Beteiligung

infolge einer Unterredung mit dem Gouverneur der Bank von

Frankreich Moreau und mit Caillaux  , welch letterer ihm erklärte, daß die Staatskaffen leer feien und daß er ge­

3wungen fein werde, die 3 ahlungen einzustellen, wenn nicht zu einer neuen massiven Inflation geschritten werde. Darauf gestüht forderte de Monzie von dem Ministerrat Vollmachten für die Lösung des Finanzproblems, ähnlich wie schon Caillaug, und außerdem Gewährung eines Moratoriums für den Staat. Dieser würde insbesondere ermächtigt werden, die Rück­zahlung der Verteidigungsscheine und der Schahzscheine bis auf weiteres zu verweigern, was einem vertappten Bankrott gleich fäme.

De Monzie   erklärte im Ministerrat, er werde zurüdfreten, wenn das Kabinett feine Forderungen nicht in vollem Umfange vor der Kammer unterstütze. Herriot hatte darauf eine angekündigte Unterredung mit Doumergue  . Nach Wiederaufnahme der Sigung des Ministerrats gelang es de Monzie, feine Kollegen von dem Ernst der Lage zu überzeugen und die gewünschten Bollmachten zu erlangen. Es wurde außerdem beschlossen, daß das Kabinett fich nicht erst am Donnerstag, sondern bereits Mittwoch nach mittag um 5 Uhr vor der Kammer vorstellen werde, da, wie Herriot erklärte, die Regierung fo rasch als möglich wiffen wolle, ob sie das Vertrauen des Parlaments besige oder nicht, da sonst der Frankenfurs noch weiter fallen fönne.

Jmmer schlechtere Aussichten für Herriot. Konflikt bei den Radikalen.- Die Mitte drückt sich.­Die Sozialisten warten ab.

Paris  , 20. Juli  .( Eigener Drahtbericht.) Das neue Kabinett Kerriot wird fich am Donnerstag Kammer und Senat vorstellen. Seine Aussichten auf eine Mehrheit sind im Laufe des Tages be­deutend 3 ufammengeschrumpft, und die Ueberzeugung, daß das Kabinett nicht lebensfähig sein wird, hat sich in par­lamentarischen Kreisen nach mehreren Fraktionssitzungen des Diens­tags verschärft.

In der Fraktionssihung der Radikalen Partei, die den Grundpfeiler der parlamentarischen Mehrheit des neuen Kabinetts bilden soll, ift der 3 wiespalt zwischen den Herriotisten und den Antiherriofiffen um Franflin- Bouillon, der bereits mehrfach die Partei bei entscheidenden Abstimmungen in zwei Lager gespalten hat, schärfer denn je zutage getreten. Troh mehrstündiger lärmender Disfuffion ist die. Partei zu feinem einheitlichen Beschluß über ihre Haltung dem neuen Kabinett gegenüber ge­langt. Es scheint sicher, daß ein Teil der eigenen Partei Herriots gegen ihn Stellung nehmen wird. Die Marin- Gruppe, der

Die Gegensätze im sozialistischen   Lager. Paris  , 20. Juli  .( EB.) In der Zeitschrift ,, Bie sozialiste" teilt Re= der Sozialisten am Kabinett Herriot in der Fraktionssigung gestimmt hätten. Renaudel zieht daraus den Schluß, daß mit einer Spal: tung innerhalb der sozialistischen   Partei gerechnet werden müsse.(?) Fortsetzung der Frankenbaisse.

Aus London   wurde gestern ein Börsenschlußkurs von 237,50 französische Franken für ein Pfund Sterling gemeldet( Montag 224). Devise Brüssel   notierte 219( Montag 210,50).

New York  , 20. Juli  .( WTB.) Die heutige Fondsbörse nahm offenbar unter dem Eindruck des weiteren Rückgangs der französischen  Währung einen überwiegend schwachen Verlauf. Der französische  Franken ging zeitweise auf den Tiefstand von zwei Cents( 8,5 Pfg.) zurüd. Auch am Fondsmarkte lagen die französischen   Werte gedrückt. Andererseits wurden ausgedehnte Kapitalfluchtfäufe in amerikanischen   Effekten für französische   Rechnung vor­genommen.

Preissteigerungen. Zusammenstöße mit

Ausländern.

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Paris  , 20. Juli  .( Eigener Drahtbericht.) Die im Anschluß an die plögliche Frankenbaisse der letzten Tage eingetretene Ueber flutung von Baris durch Ausländer hat ein startes, zum Teil unverhältnismäßig hohes Anziehen der Preise nach sich gezogen. Gleichzeitig greift eine gefährliche feindselige Stim mung gegen die Ausländer um sich. Es ist in den letzten Tagen bereits mehrfach zu Zusammenstößen oder peinlichen Zwischenfällen in Kaffeehäusern und Ladengeschäften getom men. Die starten Devisenschwankungen haben die Syndikatskammer für den Zuckerhandel veranlaßt, bis auf weiteres auf dem Termin­markt die Notierung höherer Kurse als der Schlußkurse vom 16. Juli zu verbieten. Die Bankhäuser endlich haben am Dienstag ein Zirkular erlaffen, nach dem die Reportgeschäfte von Ende dieses Monats an bis auf weiteres aufgehoben sind.

Erste Ermächtigungsdelikte in Belgien  . Brüssel  , 20. Juli  .( Eigener Drahtbericht.) Die ersten Er lasse, die am Dienstag auf Grund des Ermächtigungsgesetzes erschienen, sind von sämtlichen Ministern gegengezeichnet. Der erste Erlaß bedroht die Verbreitung wissentlich falscher Nachrichten, die geeignet sind, den Staatskredit zu erschüttern, mit Gefängnis bis zu fünf Jahren. Politische und Pressedelitte sind ausdrücklich ausgenommen. 3wei weitere Erlasse regeln die Ein- und Ausfuhr von Ge­treide und Mehl sowie das Backen des Einheitsgrau­brotes und den Verkauf von Mehl und anderen Nahrungs­mitteln.

frühere Nationale Blod, wird gefchloffen gegen das Kabinett Vor der Neuwahl des Kammerpräsidenten.

Stellung nehmen, wie natürlich alle anderen Parteien, die noch weiter rechts fizzen. Was die Mittelparteien und die Parteien des linfen Zentrums, denen die beiden Minister Colrat und Dariac ent­nommen find, anbetrifft, so ift bezeichnend für ihre Stimmung, daß die beiden Minister erklärt haben, sie hätten ihre Portefeuilles auf eigene Berantwortung und ohne ihre Fraffion zu engagie­ren übernommen.

Die fozialistische Partei endlich, auf deren Unterstützung Herriot zählt, hat am Dienstag in einer Fraffionssihung befchloffen, die Haltung dem Kabinett gegenüber von dem Inhalt der Regierungs­ertiärung und speziell ihrem finanziellen Teil a bhängig zu machen.

Paris  , 20. Juli  .( Eigener Drahtbericht.) Der Minister­präsident Herriot hat verfassungsgemäß am Dienstag dem ersten Bizepräsidenten der Kammer seine Demission als kammer­präsident zugehen lassen. Mehrere Kandidaturen für den Posten

Dscherschinski gestorben.

Der Leiter der russischen Tscheka. ostau, 20. Juli  .( Eigener Drahtbericht.) Das Mitglied des höchsten Wirtschaftsrats und Borsitzender der GPO.( Tscheka  ), Dscherschinski ist im Alter von 49 Jahren gestorben.

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Alles in allem hat der Dienstag die Aussichten der Kabinetts verringert. Falls es die erste Abstimmung über die Regierungs- Mit Dscherschinski verlieren die Bolschewifi einen erklärung entgegen aller Wahrscheinlichkeit überleben sollte, rechnet ihrer ältesten Mitarbeiter von der alten bolfchemistischen man mit seinem baldigen Sturz über das de Monziejche Finanz- Garde. Wie viele maßgebende Führer der russischen Kommu­programm, um so mehr, als diefer beabsichtigt, von der Kammer nistischen Partei, ist Dscherschinski aus der früheren polni Bollmachten zu verlangen, die Caillaug auf Intervention fchen Bewegung hervorgegangen. Der äußerlich unschein­Herriots verweigert wurden. In parlamentarischen Kreisen ver- bare Mann galt als einer ihrer hervorragendsten Organisa­lautet am Dienstag abend, daß diese Bollmachtsforderung de Monzies toren. Seine Partei hat ihn stets auf die gefährdetsten Posten zu scharfen Differenzen zwischen ihm und Herriot geführt gestellt. So ist er der gehaßte und gefürchtete habe. Leiter der russischen Tscheta gewesen und hat als solcher vor nichts haltgemacht, wenn es nach seiner Ueberzeugung galt, die russische Revolution vor Gefahren zu verteidigen. Ihm hat man später auch die Reorganisation der gänzlich verwahrlosten Eisenbahn anvertraut und auch diese Aufgabe hat der afzetische, von fast mönchischer Strenge gegen sich selbst erfüllte Mann mit derselben Rücksichtslosigkeit und auch mit Erfolg in Angriff genommen. Dscherschinskis Tod reißt eine Lüde in die Reihen der alten Bolfchemiti, die durch niemand wird ausgefüllt werden können.

Einberufung der Exekutive der Radikalen? Paris  , 20. Juli  .( WTB.) Wie in parlamentarischen Kreisen bekannt wird, hat eine Anzahl von Mitgliedern des Eretutio­komitees der radikalen Partei an den Parteivorsitzenden Herriot   die Aufforderung gerichtet, umgehend eine vollver­jammlung des Eretutiskomitees der Partei einzuberufen, um alle erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung der wichtigsten Intereffen per Partei zu treffen.

find bereits aufgestellt. Die Radikale Partei hat den Vizepräsidenten Leon Bouyssou zu ihrem Kandidaten ausersehen, die Mittel­parteien schlagen den früheren Kammerpräsidenten des Nationalen Blods, Raoul Peret  , vor, die sozialistische Partei empfiehlt den bisherigen zweiten Bizepräsidenten Genoffen Ferdinand Bouisson. Die Kammer hat am Dienstag das Datum der Neu­wahl ihrer Präsidenten auf Donnerstag vor der Regierungs­

erklärung festgefeht. Sie hat gleichzeitig mit 274 gegen 233 Stimmen der Kartellparteien die Aufhebung der geheimen Ab­ftimmung bei der Präsidentenwahl beschlossen.

Die andere Weise".

Gefährdung der Staatssicherheit durch Zensoren. Von Otto Meier  .

Die Sicherheit des Staates kann auch in anderer Weise als durch augenblickliche Unruhen gefährdet werden. ( Aus der amtlichen Begründung des Potemkinverbots). Das Verbot des Potemkinfilms unter dem Vorsiz des Beheimrats Seeger und unter freundlicher Mitwirkung des Geheimrats Mühleisen aus dem Reichsinnenministerium des demokratischen Herrn Külz   hat eine starke und erfreuliche Protest bewegung des geistigen Deutschland   hervor gerufen. Es ist so nachdrücklich von allen Seiten unter mert­licher Bezugnahme auf das im Hintergrund stehende Reichs­wehrministerium des Herrn Geßler protestiert worden, daß zu protestieren faum noch etwas übrig bleibt. Höchstens fönnte man den Herren dankerfüllt dazu gratulieren, daß sie damit so etwas wie eine Einheitsfront des neuen Deutschland  geschaffen haben.

Ein einziger Saß aber der famosen Verbotsbegründung - der diesen Ausführungen als Motto vorangestellte- lohnt ein nochmaliges Eingehen auf die Angelegenheit. Dieser Sazz, der von der Sicherheit des Staates handelt, hat es, wie man so zu sagen pflegt, in sich. Man kann der Versuchung nicht widerstehen, ihn über das Potemkinverbot hinaus auf unser ganzes öffentlich- politisches Leben in Anwendung zu bringen. In bezug auf leider ganz allgemein gewordene Erscheinungen unseres öffentlichen Lebens ist er nämlich absolut richtig. Wir bestreiten mit aller Entschiedenheit seine Berechtigung beim Potemkinfilm. Aber wir gehen über das deutungsfähige Börtchen kann" hinaus und erweitern ihn durch präzisere Fassung: Die Sicherheit des Staates wird auch in anderer Weise als durch augenblickliche Unruhen gefährdet!

Weil die Herren, die die Verantwortung für das Film­verbot und seine tiefsinnige Begründung tragen, diese All­gemeinerscheinungen, die natürlich außerhalb ihres Dienst­Diese Gefahren- quelle, d. h. die gefährdete Sicherheit bereiches liegen, nicht zu kennen brauchen, wollen wir auf des Staates, worunter wir die Republik   ver­stehen, mit allem Nachdruck hinweisen.

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Die Gefahr eigentlicher Unruhen ist troß des Potemkin­films nicht afut. Eine weit größere Gefahr liegt in der Wirtschaftsfrise mit ihrer ständig zu= nehmenden Arbeitslosigkeit. 277 000 Arbeitslofe allein in Berlin   das sind weit mehr als die Hälfte des Friedenskontingents des stehenden Heeres der Kaiserzeit fönnten zu einer Gefahr werden, wenn sie in ihrer ver­zweifelten Lage am neuen Staat irre werden. Sie in ihrer verzweifelten Lage aber zu Unbesonnenheiten zu reizen, ist die würdige Aufgabe jener politischen Hochstapler um Herrn Claß, die so die Herrschaft aufrichten zu können glaubten. Die Sicherheit des Staates wird ohne augenblickliche Unruhengefährdet, wenn diese hochverräterischen Pläne gewollt oder ungewollt ihre Stüße, zumindest aber eine wohlwollende Duldung in jenen Fat. toren finden, die verfassungsmäßig für die Sicherheit des Staates verantwortlich sind. Die zwar immer bestrittene, dann aber nicht mehr abzuleugnende und schließlich von Herrn Geßler in aller Deffentlichheit zugegebene Zusammenarbeit der Reichswehr   mit den illegalen, monarchistischen Verbänden hat die Sicherheit des Staates bereits bedenklich unterminiert. Noch vergeht beinahe kein Tag, an dem die republikanische Presse nicht Fälle empörender Uebergriffe oder Verächtlich­machung der republikanischen Reichsfarben durch mon­archistischeOffiziere oder offiziell auftretende Truppenteile. notiert. Der aufsehenerregende Fall des Kreuzers hamburg  " scheint vom Wehrministerium durch intensives Stillschweigen erledigt zu werden. Gegenüber diesen Dingen wird tatsächlich das schleichende Gift der Abstumpfung" zu