Abendausgabe
Nr. 34943. Jahrgang Ausgabe B Nr. 172
Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin
10 Pfennig
Dienstag
27. Juli 1926
Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 8% bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhof 292-297
Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Staatsanwalt gegen Reichsbanner.
Einseitiges Vorgehen auf Grund deutschnationaler Heze.
Sinowjews Sturz.
So vergeht die Herrlichkeit der Welt...
Die gestern durch die offizielle russische Telegraphenagentur mitgeteilten Einzelheiten über den Hinauswurf
Am Sonntag, den 18. Juli, fam es zwischen Reichs banner-] 3. B.: Nur Ruhe, die werben heute abend schon Sinowiews bedeuten selbst für die an Maßregelungen leuten der Ortsgruppe Langendreer und Mitgliedern des wieder zurüdtommen müssen." Vereins ehemaliger Heeresangehöriger aus Laer zu einer Schlägerei. Die Rechtspreffe brachte über den Vorfall einen völlig tendenziösen Artikel unter der Ueberschrift:" Reichsbannerüberfall auf friedliche Kriegervereinler". In dem Artikel, der fast durch die ganze deutsche Rechtspresse lief, wurde von„ Banditen" und„ Mordbuben" gesprochen, die mit Messern und Totschlägern über wehrlose und friedliche Kreigervereinler hergefallen seien. Die Folge der Presseheze war, daß von der Bochumer Staatsanwaltschaft fieben Reichsbannerfunktionäre verhaftet wurden, die seit mehreren Tagen im Gefängnis figen, während den Kriegervereinlern bis jetzt fein Haar gekrümmt wurde.
Bie hat sich die Schlägerei in Laer in Birklichkeit abgespielt? Am 18. Juli fand in Bochum ein Kreisverbandsaufmarsch des Reichsbanners statt, zu dem die einzelnen Gruppen aus der Umgebung eingeladen waren. Durch den Ort Laer , in dem eine Feier des Vereins ehemaliger Heeresangehöriger stattfand, marschierte um die Mittagsstunde eine etwa 100 Mann starke Reichsbannerabteilung aus Langendreer . Bei dem Vorbeimarsch vor der Wirtschaft Bur Post" traten die Kriegervereinler aus dem Lokal. Sie provo zierten auf alle mögliche Weise die Reichsbannerleute und marschierten quer über die Straße in eine Seitengaffe. Der Reichsbannertrupp ließ die Kriegervereinler ruhig vorüberziehen. Ein Teil drängte sich mitten durch die Marschgruppen des Reichsbannerzuges und machte dabei brohende und hämische Bemerkungen, wie
Verfolgungen in Elsaß- Lothringen . Zehn Eisenbahner wegen des Manifestes entlassen. Straßburg , 27. Juli. ( Mtb.) Die zehn Eisenbahner, die seinerzeit das Manifest des Heimatbundes mitunterschrieben haben, sind nun vom Direktor der elja- lothringischen Bahn entlassen worden.
„ Der Elsässer" bemerkt dazu:„ Die Beamten der elja- lothringifchen Bahnen sind auf Grund der Konvention von 1921 nicht als Staatsbeamte zu betrachten. Es kann ihnen infolgedessen das Recht der freien Meinungsäußerung nicht bestritten werden. Aber die Elfaß- Lothringer, die nicht die im öffentlichen Leben herangezüchtete Liebedienerei mitmachen, find anfcheinend vogelfrei. Es ist eine böse Saat, die durch die Sanktionspolifit ausgeftreut wurde."
Der Disziplinarausschuß der Rechtsanwälte von Saargemünd hat es der Staatsanwaltschaft gegenüber abgelehnt, gegen den Rechtsanwalt Thomas in Straßburg , der zu den Unterzeichnern des manifestes gehört, vorzugehen. Als Begründung foll angeführt sein, daß Thomas durch die Unterzeichnung feineswegs gegen feine Berufsehre verstoßen, sondern lediglich außerhalb seines Berufes von den Menschen- und Bürgerrechten Gebrauch gemacht
In der Nacht zwischen 11 und 12 Uhr fam ein Reichs bannertrupp von noch nicht 20 Mann auf dem Rückweg wieder an der Wirtschaft vorüber. Als die Kriegervereinler die Reichsbannerleute fingen hörten, stürzten sie aus dem Gast hof, und gleich darauf vernahm man Hilferufe von zwei Reichsbannerkameraden, die etwas hinter dem Trupp zurückgeblieben waren und von den Kriegervereinlern angefallen wurden. Die Angreifer konnten jedoch in das Lokal zurückgedrängt werden. Als aber der Reichsbannertrupp weitermarschieren wollte, tamen plöglich 60 bis 70 Kriegervereinler mit Gewehren( Modell
1871), Stuhlbeinen und dergl. bewaffnet, auf die Reichsbannerleute auf beiden Seiten endete. Bon den Reichsbannerkameraden 8. Erst jetzt begann die Schlägerei, die mit Verlegungen wurden mehrere durch Messerstiche verletzt.
Trotz der Beschimpfungen und Provokationen durch die Krieger vereinler, troz des mit der Uebermacht unternommenen Angriffs auf die Reichsbannerleute, die nur mit etwa 20 Mann zurüdfamen und schon deshalb außer Verdacht sind, Prügeleien gesucht zu haben, hat es also die Staatsanwaltschaft fertig gebracht, lediglich auf Grund einseitiger Pressemeldungen in schärfster Form gegen Reichsbannermitglieder vorzugehen, sie von der Straße weg verhaften und tagelang festsetzen zu lassen. Also auch hier das übliche Berfahren unserer Justiz!
3wed, den Frieden zu begründen. Der Völkerbund sei gerade des halb groß, weil er den Frieden wolle und weil er als erste internationale Organisation der Staaten der Friedenssicherung diene. Die Auffassungen, die Jaurès von der nationalen Verteidigung gehabt habe, hätte nicht genügt, die Belegung franzöfifchen Gebietes durch die deutschen Truppen zu verhindern. Jaurès habe immer verlangt, daß von irgendeinem internationalen Institut der Angreifer festgestellt werde. Ebenso verlangte er für den Angegriffenen das Recht, sich zu verteidigen. Er wollte die Ereignisse den Intrigen der Geheimdiplomatie und den Kanzleien entziehen und eine genaue Feststellung desjenigen ermöglichen, der angegriffen hat, und des anderen, der sich verteidigen muß. Der erste Schritt in dieser Beziehung sei das internationale Schiedsgericht gewesen. Aber erst mit dem Völkerbund sei man zur Bezeich nung des Angreifers geschritten und habe allen anderen Nationen zur Pflicht gemacht, dem Lande zur Seite zu treten, das fich verteidigen muß. Jaurès sei am ersten Tage des Krieges getötet worden, ohne seine Träume erfüllt zu sehen; aber aus diesen Träumen sei der Völkerbund hervorgegangen.
habe, die ſelbſtverſtändlich auch den Rechtsanwälten zuſtehen. Dieses Abessinien wendet sich an den Völkerbund.
Urteil hat umfomehr Bedeutung", sagt die Zukunft", als es nur von Juristen gefällt wurde."
Noten lenkt.
=
reiche Geschichte der russischen Kommunistischen Partei eine Ueberraschung. Selbst wenn man berücksichtigt, daß Sinowjew nach dem letzten kommunistischen Parteifongreß im vorigen Jahre politisch faltgestellt war und von der herrschenden Richtung im Zentralfomitee auf das heftigste bekämpft wurde, ist sein jeziger Ausschluß aus dem Politischen Bureau ein Borgang von weitreichender politischer Bedeutung. Durch den Ausschluß Sinowiews und seiner nächsten Anhänger, sowie durch ihre öffentliche Infamierung wird mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß die inneren Gegensäge im ruffischen Bolschewismus eine bisher noch nicht dagewesene Schärfe erreicht haben und daß die gepriesene Einheit und Geschlossenheit" der in Rußland herrschenden Partei ins Reich der Vergangenheit gehört.
n
Die Mitteilungen der offiziellen russischen Telegraphenagentur kommen nicht unerwartet. Schon vor einigen Tagen hat das in Berlin erscheinende Zentralorgan der russischen Sozialdemokratie, Der sozialistische Bote", einen Bericht aus Moskau gebracht, in dem unter Bezugnahme auf die bevorstehende Sigung des kommunistischen Zentralfomitees angekündigt wurde, daß eine entscheidende Schlacht zwischen der vereinigten Opposition und dem an der Spize des Parteiapparates stehenden Generalsekretär der Partei, Stalin , stattfinden werde. Der Bericht enthält Einzelheiten, die für die Beurteilung der gegenwärtigen äußerst gespannten Situation sehr aufschlußreich sind. So ist es von Interesse, daß sich neuerdings eine gemeinsame Front der Opposition gegen Stalin gebildet hat, die von Trozti, Radet, Sinomjew und Kamenem geführt wird. Sensationell ist vor allem die Mitteilung, daß sich Radek und Trotti den beiden Führern der vorjährigen Opposition, Sinomjew und Kamenew , angeschlossen haben. Der Grund dafür liegt darin, daß diese kommunistischen Führer vor allem gegen die Tendenz Stalins ankämpfen, die Politik der russischen Sowjetunion vom Einfluß der Kommunistischen Internationale freizumachen. In führenden kommunistischen Kreisen Moskaus herrscht ins= besondere Unstimmigkeit darüber, ob die Stellung der Kommunistischen Internationale zum englischen Kohlenarbeiterstreit und die Tätigkeit des englischrussischen Komitees den Interessen der russischen Außenpolitik entsprechen.
Die von Stalin geführte Mehrheit des Kommunistifchen 3entralfomitees scheint sich davon Rechenschaft abzugeben, daß die abenteuerliche Politik, die jetzt von der Exekutive der Kommunistischen Internationale in England eingeleitet worden ist, den Interessenderrussischen Außenpolitik zuwiderläuft, die gezwungen zum Abschluß zu bringen. Diese Strömung in der äußeren Politik steht durchaus im Einklang mit den immer deutlicher hervortretenden Tendenzen in der inneren Politik, die auf eine Rapitulation vor dem wirtschaftlichen Machtstreben der mittleren Bauernschaft hinauslaufen. Um sich an der Macht zu erhalten, sehen sich die maßgebenden Führer genötigt, den Wünschen
ist, den angebahnten wirtschaftlichen Ausgleich mit England
Wegen der englisch - italienischen Verhandlungen. London , 27. Juli. ( TU.) Der Unterstaatssekretär im Foreign Office erwiderte auf die Frage nach den englisch- italieni schen Verhandlungen über Abessinien, daß die englische Sichere Mehrheit in der Kammer. Regierung am 24. Juli vom Generalsekretär des Völkerbundes die Paris , den 27. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Die Regierung Abschrift einer Mitteilung erhalten habe, in der die abessinische Poincaré stellt sich heute nachmittag um 3 Uhr den beiden Regierung die Aufmerksamkeit des Völkerbun der großen Masse der russischen Bauernschaft, und zwar nicht Rammern vor. Im Senat wird Justizminister Bartheu, in der des auf die fürzlich zwischen England und Italien ausgetauschten der armen, sondern der mittleren, besitzenden Schichten, in Kammer Poincaré selbst die Regierungserklärung Der Arbeiterabgeordnete Burton fragte darauf, welche Vorverlesen. Sie wird, daran ist nicht zu zweifeln, bei den bürgerlichen teile sich die englische Regierung neben dem Rechte des Baues Fraktionen eine günstige Aufnahme finden. Was die Interdes Tiana Staubedens sichern fönne als Gegenleistung für pellationen anlangt, die der Regierung vielleicht ungemütlich die der italienischen Regierung in Süd- und Westabessinien merden könnten, so beabsichtigt Poincaré , einfach unter Stellung der gemachten Konzessionen. Der Unterstaatssekretär erwiderte, Bertrauensfrage die Bertagung ihrer Besprechung zu verlangen. die englische Regierung suche keinerlei Borteile für EngUnter diesen Interpellationen befinden sich zwei sozialistische land, sondern die Verbesserung der Wasserversorgung für den über die allgemeine Politik der Regierung und zwei weitere, Sudan und Aegypten , wovon die Wohlfahrt jener Länder abebenfalls von Sozialisten eingebrachte, über die Maßregeln, die die hänge. Der einzige 3weck des kürzlich abgeschlossenen Abkommens Regierung angesichts der in der letzten Zeit enorm gestiegenen beftünde darin, die italienische Unterstützung bei den nationalen" Anstrich zu geben und sich von der abenteuerbevorstehenden Verhandlungen mit der Regierung zu gewinnen, die allein den Bau des Tjana- Staubeckens genehmigen könne. England hoffe, in der Lage zu sein, der abessini- nationale unter der Leitung Sinowjews seit ihrer Gründung schen Regierung zu zeigen, daß dieser Bau den Interessen abessiniens ebenso sehr dienen werde, wie denen des Sudans und Aegyptens .
Standpunkt vertreten, daß die bevorstehende Beratung seiner Finanzentwürfe den Interpellanten Gelegenheit geben wird, ihm über die allgemeine Politik des Kabinetts zu befragen. Da er, wie gesagt, an die Bertagung die Vertrauensfrage fnüpfen wird, so besteht fein Zweifel darüber, daß die gesamten bürgerlichen Parteien dafür zu haben sein werden. Dagegen werden aller Boraussicht nach nur die Sozialisten und Kommunisten geschlossen stimmen. So wird dem Kabinett zum mindesten ein bedeutender Anfangserfolg beschieden sein, die Regierungserklärung wird mindestens mit 350 Stimmen gutgeheißen werden.
Paul Boncour über den Völkerbund. Jaurès kämpfte für die Feststellung des Angreifers. Paris , 27. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Paul Boncour hat am Montag in Bruay eine Rede gehalten, in der er sich gegen den Vorwurf rechtfertigte, als ob er durch Annahme seines Postens beim Bölferbund die sozialistischen Interessen ver raten habe. Paul Boncour betonte, daß seine Genfer Tätigkeit feineswegs im Widerspruch mit der Friedens politit stünde, die stets von der sozialistischen Partei auf ihren Barteltagen verfochten worden sei. Das Genfer Wert habe den
Deutsch - polnische Verhandlungen.
Bis auf weiteres unterbrochen.
Die im Rahmen der deutsch - polnischen Wirtschaftsverhandlungen geführten Verhandlungen über das Niederlassungsrecht sind auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Beranlaffung hierzu gab in erster Linie das bevorstehende Infraftrteten des neuen polnischen Ausländergesezes, das gemäß der neuen Bollmachten der polnischen Regierung voraussichtlich in einigen Tagen auf dem Verordnungswege erlassen werden wird. Dieses polnische Ausländergesetz verschlechtert die Rechtslage der Ausländer in Polen ganz erheblich und liefert sie bis zu einem gewissen Grade dem Ermessen der unteren Behörden aus. Für die Wiederaufnahme der Niederlassungsverhandlungen bedeutet dieses Gesez eine übergroße Belastung, die mit den erst fürzlich betonten guten Absichten der polnischen Regierung, eine Besserung der deutsch - polnischen Beziehungen herbeizuführen, faum in Einklang steht.
I
weitgehender Weise Rechnung zu tragen. Der russische Bauer entpuppt sich immer deutlicher als der wirkliche GePartei zwar heute noch regieren läßt, der aber durch seine winner der russischen Revolution, der die kommunistische zunehmende wirtschaftliche Stärke die gesamte Politik der Sowjetregierung in die Bahn einer ausgesprochenen privatfapitalistischen Bauernpolitik drängt, die in sozialpolitischer Hinsicht in scharfem Gegensatz zur Arbeiterklasse steht. Ebenso zwingt diese Wandlung in der inneren Politit die Moskauer Regierung immer mehr, ihrer äußeren Bolitik einen
geführt hat.
allem, die die verschiedenen Gruppen und Schattierungen in Diese Wandlung der russischen Außenpolitik ist es vor der kommunistischen Opposition gegen Stalin vereinigt hat. Im Bericht des Sozialistischen Boten" heißt es darüber:
,, Die Opposition aller Schattierungen hat sich vereinigt und bereitet eine entschiedene Attade gegen Stalin vor. Aber auch der Parteiapparat" schläft nicht und bereitet insgeheim eine grausame Abrechnung mit den Gegnern vor, insbesondere mit La schewitsch, dem Organisator der Opposition. Von der einen und der anderen Seite wird die öffentliche Meinung der Partei mobilisiert. Der Opposition hat sich fast die gesamte alte Garde der Bolschewisten angeschlossen. zu ihr gehört anscheinend auch ein Teil der wegen verschiedener Abweichungen" in Moskau festgehaltenen ausländischen Kommunisten. Das Programm, auf dem sich diese ganze vielstimmige Opposition geeinigt hat, ist der Internationalis mus", im Gegensatz zu dem Nationalismus" Stalins, der danach strebt, die gesamte Tätigkeit aller kommunistischen Parteien der nationalrussischen Staatspolitit unterzuordnen. An dem Ausgang dieses Kampfes, d. h. an dem Sieg