Einzelbild herunterladen
 
  

Abendausgabe

Nr. 361 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 178

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3 * Fernsprecher: Dönhoff 292-29% Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlia

Vorwärts

Berliner Volksblatt

10 Pfennig

bit Dienstag

3. August 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 8% bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff   292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Briand über seine Locarnopolitik.

-

Seine Wünsche an Deutschland  . Er sagt nichts von den Besatzungstruppen. Wien  , 3. August.  ( Eigener Drahtbericht.) Der französische geblieben. Ich messe dem teine entscheidende Bedev. Außenminister Briand   erklärte einem österreichischen Breffever. tung bei. Aber unsere öffentliche Meinung wird unruhig, wenn treter gegenüber, daß die Aenderung der Regierung feineswegs eine fie hört, daß die Entwaffnung Deutschlands   auf neue Schwierig Renderung der auswärtigen. Politik bedeute: Nie hätte ich mein feiten stößt. Aus diesem Grunde würde ich wünschen, daß Deutsch­Amt übernommen, wenn ich nicht völlig sicher gewesen wäre, land alle Maßnahmen durchführt, die noch durchzuführen sind. meine bisherige Politit fortjeßen zu fönnen. Meine Politik ist, wie gesagt, die Politik von Locarno  . Sie be­Poincaré hat die Regierung übernommen, um die Finanzfrage zu deutet eine Politik der Verständigung mit Deutschland  , lösen. Wir haben uns um ihn gruppiert Männer aller und es ist meine feste Ueberzeugung, daß ohne eine Annäherung Barteien, um ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unter- zwischen Frankreich   und Deutschland   das europäische Gleichgewicht stützen. Mit dieser Mehrheit wird Poincaré   sich bemühen, die fran- nicht wiederhergestellt werden kann. Ich will die Bolitik von zösischen Finanzen zu ordnen, ich werde meine Bolitit fortsetzen, Locarno   nicht nur weiterführen, ich will sie auch noch ausge stalten. Es ist meine Absicht, im Herbst wieder nach Genf   zu gehen, um bei der Aufnahme Deutschlands   in den Völkerbund mitzuwirken. Dieser Aufenthalt in Genf   wird mir eine willkommene Gelegenheit geben, Unterhaltungen mit den deutschen   Staatsmännern zu führen, und zwar sehr ausgedehnte Unterhaltungen.

-

und meine Politik ist die Politit von Locarno  .

Diese Abmachungen", erklärte Briand   weiter, find zum größten Teil, man kann sagen zu vier Fünfteln, bereits erfüllt. Ich kann darauf verweisen, daß ich sogar schon vor der Konferenz von Locarno   auf eine Milderung des Rheinlandregimes hingearbeitet habe. Der Rest der Abmachungen von Locarno  , der noch zu verwirklichen ist, wird verwirklicht werden, und das wäre vielleicht schon geschehen, wenn nicht die französische   Regierungskrise die Abwicklung aller Angelegenheiten verzögert hätte. Freilich ist guter Wille auf beiden Seiten erforderlich. Im Rheinlande hat es während der letzten Zeit allerhand Vorfälle gegeben, die in Frankreich   die öffentliche Meinung irregeführt haben. Beispiels weise gewisse geräuschvolle Erinnerungsfeiern. Ich weiß sehr wohl, daß die deutsche Regierung nicht für alle Veranstaltun­gen und alle Zwischenfälle verantwortlich gemacht werden fann. Immerhin würde es mir die Durchführung meiner Politit erleichtern, wenn man in Deutschland   manchmal mehr be rüdsichtigen würde, welchen Eindruck gewisse Vorfälle auf die öffentliche Meinung in Frankreich   machen.

Das gleiche gilt für die Entwaffnung. Mit allerlei kleinen Eingelheiten ist Deutschland   mit der Entwaffnung im Rückstande

Der Fall Kölling und die Staatsautorität. Preffe- Kombinationen. Schweigen des Ministeriums.

-

Die Einzelheiten der Entschließung der preußischen Re­gierung zum Fall Rölling find nicht bekannt. Beröffent lichungen darüber in der Presse sind Kombinationen; sie mögen neben Falschem auch etwas Wahres enthalten, so die Mitteilung, daß Richter Kölling in Krankheitsurlaub zu gehen gedente.

Die Zurückhaltung der amtlichen Stellen ist nach den legten, vom Sensationstreiben umbrandeten Magdeburger  Fällen begreiflich. Dennoch vermißt die auf das Objektive fehende Deffentlichkeit eine starte öffentliche Wahrung Der Staatsautorität.

Richter Rölling hat in der Deffentlichkeit schwere An­griffe gegen ein Staatsministerium gerichtet, er hat den Kreis feiner Kompetenzen überschritten, er hat sich unserer Auf­faffung nach sogar strafbar gemacht.

Das angegriffene Ministerium hat ihn in der Deffentlichkeit energisch und würdig in seine Schranken ge­wiesen. Das Justizministerium aber scheint der Ansicht zu sein, daß es genüge, wenn die Autorität des Staates im Ge= heimen auf dem vorgeschriebenen Wege gewahrt werde. Eine folche Auffassung läßt sich in einem demokratischen Lande nicht vertreten. Die Autorität der Zentralbehörde muß der Deffentlichkeit weithin sichtbar geschüßt werden.

Der Fall Rolling liegt sehr klar, aber der Deffent lichkeit sind die Absichten des Justizministeriums fehr untlar.

Verhaftung ohne Kölling. Magdeburg  , 3. Auguft.( WIB.) Die Kriminalfommiffare Dr. Riemann und Braschwitz   aus Berlin   haben in Köln  die angebliche Braut des Schröder, Hilde Göße, fest Sie wird nach Magdeburg   übergeführt.

genommen.

Mut vom Deutschen Tageblatt".

Erst Berleumdung, dann kneifen.

1

In dem Strafverfahren gegen den verantwortlichen Redakteur des Deutschen Tageblatts", Dr. Lippert, wegen Be­leidigung des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt, dem sich Staatsminister Hirtfiefer als Nebenfläger angeschlossen hat, wurde im heutigen Termin Bertagung beschlossen, da der An getlagte nicht erschienen war. Wie der Amtliche Breu sische Pressedienst meldet, behielt sich das Gericht die Beschlußfassung über den von der Staatsanwaltschaft und dem Vertreter des Neben tlägers gestellten Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls gegen den Angeklagten vor. Ein neuer Termin ist auf den 14. Sep­tember anberaumt worden, zu dem auch der deutschvölkische Land­tagsabgeordnete Giefeler als 3euge geladen werden soll. Der An­geflagte hält sich in der Schweiz   auf. Trogdem zeichnet er nog als verantwortlicher Redakteur des Deutschen Tageblatts".

Die Einladung Deutschlands   nach Genf  .

Richterliche Selbstüberhebung.

Richterwillkür über Gesek.

Bon Kurt Rosenfeld  .

Die Deutsche Richterzeitung", das offizielle, von einem Senatspräsidenten beim Reichsgericht herausgege= bene Organ des Deutschen Richterbundes  , bringt in Heft 7 vom 15. Juli 1926 ein von dem Geheimen Justizrat Prof. Dr. E. Stampe in Greifswald   geschriebenen Artikel. Herausgeber der Zeitschrift und Verfasser des Auf­sages liefern damit einen wahrhaft erschreckenden Beitrag zur Beurteilung richterlicher Selbsteinschätzung.

In diesem Artikel wird die Frage aufgeworfen, ob, wann und inwieweit die Richter an das Gesez gebunden find. Eine sonderbare Frage! Sagt doch der grundlegende § 1 des Deutschen   Gerichtsverfassungsgesetzes: Die richter­liche Gewalt wird durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt."

Stampe geht davon aus, daß oberstes Ziel des Staates sei, die Lage und das Zusammenleben aller von ihm um­faßten Menschen für jeden wirtschaftlich erträglich und sittlich befriedigend" zu gestalten, daß dies Ziel die Richtschnur für alle Staatsgewalten, auch für die Gesetzgebung sein müsse, daß zur Verfolgung jenes Bieles die Arbeit an der zweckent­sprechenden Berteilung der Lebensgüter von besonderer Bes deutung sei, und daß als Werkzeuge für die Ausführung dieser Arbeit die einschlägigen Gesetze dienten. Ob ein Gesez zu dieser Arbeit tauge, darüber aber Da Deutschland   nicht Mitglied des Völkerbundes ist, wird es zu habe der Richter zu entscheiden! Finde er es der Anfang September stattfindenden Tagung in Genf   nicht in der nach pflichtmäßigem Ermeffen" untauglich, gleichen Weise eingeladen wie die Völkerbundsmitglieder. Bei der so müsse er die Freiheit haben, die Ber  Märztagung lag die Sache anders, da die Aufnahme Deutschlands   wendung des von ihm untauglich befunde. der einzige 3wed der Tagung war. Diesmal enthält die Tagesordnen Werkzeuges zu verweigern". nung außer der Neuregelung der Zusammensetzung des Bölkerbunds. rates und der Aufnahme Deutschlands   noch eine große Anzahl weite. rer Gegenstände, mit denen Deutschland   bisher nichts zu tun hat. Da jedoch die Formalien beim Eintritt Deutschlands   schon in und seit der Märztagung fe ft gelegt worden sind, ist es nicht un­wahrscheinlich, daß Deutschland   im geeigneten Zeitpunkt während der Genfer   Tagung zur Teilnahme eingeladen wird.

Höchstdauer in der Erwerbslosenfürsorge. Verlängerung der bisherigen Vorschriften bis zum 31. Januar 1927.

Nach dieser ,, Rechts"-Auffassung würde das Gesetz, dem nach der Gerichtsverfassung der Richter unterworfen ist, Richter unterworfen sein! umgekehrt dem Richterlicher Willfür bei der Anwendung der Gesetze würde damit Tür und Tor geöffnet. Noch mehr als schon jetzt! Und das will gewiß viel heißen.

Nichts kann deutsche Richter besser charakterisieren, als die Tatsache, daß in ihrem offiziellen Organ gefordert wird: Die Freistellung des Richters von der Befolgung des Einzelgefeges."

Jetzt schon bringt jeder Tag neue Beweise für eine geistige Berlodderung mancher Richter. Wenn nun gar noch festgelegt würde, wie es Stampe in der Deutschen Richterzeitung" for­dern darf, daß es in das Ermessen der Richter gestellt wird, ob und inwieweit sie ein verfassungsmäßig zustande gekom­Der Reichsarbeitsminister hat am 30. März die Höchstdauer in menes Gesez anwenden wollen, so würde ein richter­der Erwerbslosenfürsorge auf 39 Wochen verlängert und am 9. Juni licher Absolutismus Plaz greifen, gegen den der das Baugewerbe mit einbezogen. Gleichzeitig wurden die zur Entfürstliche Absolutismus des dunkelsten Mittelalters scheidung über die Unterstützung zuständigen Stellen aufgefordert, auf famt aller Kabinettsjustiz ein Kinderspiel wäre. Grund der ihnen zustehenden Befugnisse die Fürsorge über die Der Verfasser dieses eigenartigen Artikels vergleicht 39. Woche bis zur Dauer von 52 Wochen zu verlängern. sonderbarerweise ein Gesetz mit einem Kompaß, Gewehr oder Motor, und er meint, daß diese Gegenstände gründlich erprobt werden könnten, bevor man sie dem Verkehr zugäng­lich mache, daß dagegen in der Regel feine Möglichkeit ge= geben sei, die Brauchbarkeit eines Gefeßes vor seinem In­frafttreten praktisch zu erproben. Diese Prüfung könne nur der Richter in der Praxis vornehmen, und daher müsse er das Recht haben, ein ihm untauglich erscheinendes Gesetz einfach nicht anzuwenden! Auch diese höchst eigen­artige Argumentation, deren bloße Wiedergabe bereits ihre Widerlegung bedeutet, ist nur geeignet, zur Charakterisierung deutscher   Richter und ihrer Ueberheblichkeit, durch die sie an der Erkenntnis gehindert werden, daß ihre Gottähnlich feit, wie sie in der Richterzeitung proflamiert wird, doch nicht über allen Zweifel erhaben ist.

Die Wirksamkeit dieser Anordnung war zunächst auf die Zeit bis zum 31. Juli 1926 begrenzt. Der Reichsarbeitsminister hat jetzt diese Frist bis zum 31. Januar 1927 verlängert.

Wir müssen nochmals mit allem Nachdrud betonen, daß diese Friftverlängerung allein nicht genügt. Der Reichsarbeitsminister muß vor allen Dingen auch die Bezugsdauer verlängern, damit den langfristig Erwerbslosen der Fortbezug der Erwerbslosenunter ftügung gewährleistet bleibt.

Poincarés Schuldentilgungsplan.

Der Ertrag des Tabakmonopols dient zur Tilgung der Nationalbonds.

Paris  , 3. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Die heutige Morgen presse teilt Einzelheiten über die Zusammensetzung und das Funktio­nieren der neuen Amortisationstasse mit. Die diesbezüg­liche Vorlage umfaßt neun Kapitel. Ein Verwaltungsrat soll sowohl das Tabatsmonopol als auch die Amortisationstasse verwalten. Die Staffe selbst wird von dem Ertrag des Tabatmonopols gespeist werden. Sie wird das Recht haben, sich Borschüsse geben zu lassen oder Aftien auszugeben, die vom Ertrag des Tabatmonopols garantiert werden. Sie wird ferner die Berwal­tung der 49 Millionen Nationalbons und furzfristigen Schaßscheine sowie deren Verzinsung, ihre Erneuerung und Rückzahlung übernehmen. Es wird im Barlament faum ernſter Widerstand erwartet. Der Entwurf wird wahrscheinlich von der Rammer an einem Tage verabschiedet werden und schon am Donnerstag an den Senat gehen. Unter diesen Umständen fönnte das Gesetz bereits am Sonnabend vormittag im Jour­nal Officiell" erscheinen.

Die Lyoner Sozialisten gegen Herriot  . Lyon  , 3. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) In der geftrigen Sigung des Stadtrats von Lyon   verlas der Vorsitzende ein Schreiben des Bürgermeisters Herriot, in dem er ersucht, eine außer ordentliche Sigung des Stadtrats einzuberufen, um Auf­flärungen über das Kabinett Poincaré   zu geben. Der Sprecher der Sozialisten erwiderte, daß seine Partei die Erklärungen nicht nötig habe und im übrigen in dieser Sigung nicht erscheinen werde.

Die albanischen Grenzen sind endlich festgesetzt worden. Am 31. Juli unterzeichneten Jules Cambon   für Frankreich  , der englische, spanische und italienische Botschafter und die Gesandten von Jugo­flamien, Griechenland   und Albanien   in Paris   den Vertrag, der sie endgültig regelt. Die europäischen   Regierungen haben 14 Jahre gebraucht, bis sie damit fertig wurden.

Geradezu unerhört ist die Anwendung der Stampeschen Argumentation auf das zur Auseinandersetzung der deutschen   Fürsten mit den Ländern geplante Ge­fez. Es wird nämlich in dem Artikel der Standpunkt ner­treten, daß das Gesetz zur Enteignung der deutschen  Fürstenhäuser dem von Stampe aufgestellten höchsten Staats­ziel gerade ins Geficht schlage. Es würde ein Att von folcher Unfittlichkeit sein, daß uns die Völker der Erde ob seiner verachten müßten. Ist der Gesekgeber solcher Schritte fähig, so muß sich der Richter ihnen gegen­über auf seine Pflicht zur Wahrung des obersten Staats­zieles befinnen. Der Umstand, daß ein solches Gesetz mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen wurde, ist dabei für den Richter nicht maßgeblich. Auch diese Mehrheit kann das oberste Staatsziel nicht überwinden."

Alfo: Wenn der Richter ein Gesetz für unsittlich hält, soll er es nicht anzuwenden brauchen! Nicht die einfache Mehrheit, nicht die für Verfassungsänderungen vorgeschriebene 3meidrittelmehrheit braucht dem Richter zu genügen. Er allein soll zu entscheiden haben, was als Gesetz anzu­wenden ist!

Die AII macht Gottes  - dem Richter! Das ist die Quintessenz der neuesten Richterforderungen.

Durch den Artikel Stampes läßt der Herausgeber der Reitschrift des Deutschen Richterbundes   Auffassungen propa­gieren, die noch über die in dem neuen Strafaefeßzentwurf vorgeschlagene Machterweiterung der deutschen   Richter weit hinausgehen. Schon die in diesem Entwurf vorgesehene Gr­weiterung des richterlichen Ermessens hat in unseren Reihen scharfe Kritik gefunden. Erst recht muß gegen die von Stampe gewünschte Loslösung der Richter vem Gesetz schärfster Protest erhoben werden.