HbenSausgabe Nr. 367 ♦ 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 1$1
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Zentralorgan der Sozialdemokratifcben Partei Deutfcblands
Schröders letzte Hoffnung. Er widerruft vor— Kölling.
Der Raubmörder Schröder hat vor dem Unter- suchungsrichter Kölling sein Geständnis widerrufen. Das war vorauszusehen. Er kämpft um seinen Kops— man kann auch sagen, um jeden Tag. Interessant ist nur, wie sich die Stellung des Untersuchungsrichters im Behördenkonflikt im Kopfe des Raubmörders malt. Eine Bedeutung für den Beweis gegen Schröder bai dieser Widerruf nicht. Es bleibt das Geständnis der Äöge, es bleibt der Indizienbeweis, es bleibt das Geständnis Schröders selbst, das mit diesem Widerruf als Beweismittel Nicht aus der Welt geschafft ist. Es hat höchstens eine Bedeutung für Kölling. Während heute morgen die gesamte Rechtspresse'hre nieder- trächtige Hetze gegen die preußische Regierung abbrechen mußte, hat die„Deutsche Zeitung noch eine leiste Hoffnung aus Kölling und auf Schröder gesetzt. Sie schrieb: „Nach allem, wa» man bisher erlebt hat, wird man erst Magdeburger Nachrichten abwarten müssse n. um die Bedeutung der obigen Berliner amtlichen Erklärung erkennen zu können." Kölling hilf! Nun, die Hoffnung auf Magdeburg ist nicht enttäuscht worden. Schröder hat sein Geständnis wider- rufen, und Kölling hat den Widerruf der Presse mitge- teilt. Eine letzte Chance, die Hetze noch einen halben Tag fang fortzusetzen. Aber was für ein« Chance! Wird nun endlich das Justizministerium gegen Kölling vorgehen? Eine Ueberraschung, die keine ist. Magdeburg . 6. August.(Eigener Drahtbericht.) Schröder ist wieber in das Untersuchungsgefängnis übergeführt worden und soll dort nach Angaben von Berichterstattern, die ihre Informationen von K ö i t i n g beziehen, fem Geständnis, daß er der alleinige Mörder Hellmgs war und aus eigenem Antrieb« den Mord aus- geführt hat, widerrufen haben. Wenn auch dieser Widerruf kein« Bedeutung für die Klärung des Sachoerhalles hat— denn Schröder gestand unter der Last des urkundlichen Beweismaterials der Bertiner Kriminalisten— so läßt doch der unmittelbare Widerruf nach der Einlieferung in das Unter- suchung«g«fängnis sehr bedeutungsvolle Rucksthlüss« zu. Un
mittelbar nach der amtlichen Bestätigung des Geftändnifles Schröders wurde angenommen, daß Haas, Fischer und Reuter sofort von Kölling auf freien Fuß gesetzt werden. Nachdem das am Freitag vormittag noch nicht geschehen ist, hat der Verteidiger von Haas bei der Beschwerdekammer einen beschleunigten An- trag auf Haftentlassung eingebracht, in dem er bittet, nicht mehr durch Nachprüfung seines umfassenden Entlastungsmaterials die Freilassung zu verzögern, denn durch das Geständnis Schröders erübrig« sich alles andere. Es ist anzunehmen, daß Haas noch heute oder spätestens morgen entlasten werden wird. Kölling, der Schröder nur nach schwerem Zögern aus seinem Machtbereich, dem Untersuchungsgefängnis, in das Polizeigsfüngnis überführen ließ, beharrte auf sofortiger Zurück. e r st a t t u n g Schröders. Dieser selbst hatte wenig Neigung, wieder zu Kölling zurückzukehren. Er genierte sich etwas und hatte vor allen Dingen nach seinen eigenen Angaben Angst, von neuem in die Zerre genommen zu werden. Nach seinem Geständnis war er in bester Laune und sagte zu Kriminalkommissar Dr. Riemann.'„W i r beide sind jetzt die berühmte st en Leute in Deutsch - land!" Diese Befriedigung seiner Ruhmgier(man denke an die künstlichen Schmisse, an den falschen Doktor usw.) stimmte ihn sogar fröhlich. Es ist falsch, anzunehmen, Schröder sei ein raffinierter, systematisch sich entlastender Gauner. Irgendwo steckt ein Kern(viel- leicht ist auch das nur Eitelkeit) Wahrhaftigkeit in ihm. Er sträubte sich bei allen Gegenüberstellungen dagegen, Haas, Reuter oder Fischer direkt ins Gesicht zu sagen, was er vorher von ihnen behauptet hatte. Als Haas in seiner Gegenwart gegen die Annahme protestierte, daß er In Rottmersleben gewesen sei, wich Schröder aus und sagte: „Dann müssen Sie einen Doppelgänger haben." Als Reuter ihn sehr energisch anging und bemerkte, wie Schröder zu der Dehaup- tung komme, er, Reuter, habe die Leiche transportiert, drehte sich Schi öder um und oerweigerte die Aussage mit dem Bemerken:„Ich habe ja schon alles gesagt." Ob es wahr stt, daß Schröder sich bei dem Verhör, das mit seinem Geständnis endete, nachher auf die Frag«:„Wie find Sie denn eigentlich auf Haas verfallen?" sagte,„Unter- suchungsrichter Kölling habe ihm Haas, den er vorher nie gesehen hatte, als Mann mit roten Backen und schwarzem Haar beschrieben', konnten wir nicht nachprüfen. Die amtlichen Stellen verweigern darüber jede Auskunft. Sowohl der Polizei- Präsident wie die Regierung schließen sich schon seit Tagen hermetisch von der Oeffentlichkeit ab.
Internationale unü fibrüftung. Denkschrift der JLP. an die Internationale. London . 6. August. (WTB.) Die Unabhängige Arbeiterpartei hat dem Vollzugsausschuß der Sozialistischen Arbeiterinternationale eine Denkschrift über ihre Politik in der Abrüstungsfrage unterbreitet. Es heißt darin u. a.. die geplante, vom Völkerbund einberufene internationale Abrüstungskonferenz bezwecke die Herbeiführung nicht der gesamten Abrüstung, sondern der„Verminderung und Beschränkung der Rüstungen". Nach Ansicht der Unab- hängigen Arbeiterpartei könne sie daher von wenig Nutzen für die Beseitigung der Kriegsgefahr fein. Die vorbereitende Kom- mistion für die Abrüstungskonferenz erkenne anscheinend die Z w e ck- lostgkeit ihrer Tätigkeit als Mittel zur Verhinderung des Krieges an. Die Politik der daran teilnehmenden Regierungen be- weise, daß sie nicht a u s r i ch t i g seien. Die britische Regierung fahre zum Beispiel fort, Singapore auszubauen, halte ihre militärische Besegung Indiens und Aegyptens ausrecht, habe die Besetzung des Irak ausgedehnt, halte weiter die Vertragshäfen von China besetzt, beharre auf ihrer Kontrolle Gibraltars und des Suezkanals und lehne es ab, die Anwendung einer Seeblockade aufzugeben oder ihre Haltung gegenüber der„Freiheit der Meere " abzuändern. Dies« Handlungen, die auf Grund der Aufrechterhaltung der militärifchen und der Flottenmacht begangen würden, zeigten, daß die britische Regierung nicht den ausrichtigen Wunsch habe, die Abrüstung herbeizuführen. Solang« die Regierung«in« derartige i m p« r i a- listischc Politik fortsetze, bestehe keine Aussicht auf Ab- rüstimg oder Sicherheit für den Frieden. Es fei die Gefahr vor- honden, daß jede Vereinbarung zwifchen derartigen Regierungen über Herabsetzung oder Beschränkung der Rüstungen nur dazu dienen könnte, ein falsches Sicherheitsgefühl unter den Ar- b e i t e r n zu erzeugen, indem es ihre Aufmerksamkeit von der falschen und gefährlichen Politik, die verfolgt wird, ablenk«. Es sei die Pflicht der sozialistischen Bewegung, dies durch ein« beharr- lich« Bloßstellung der imperialistischen Politik, die kriegs- fördernd sei, zu verhindern. Die Zeit sei für die internationalen Sozialisten gekommen, um einen unnachgiebigen Standpunkt gegen den Krieg ein- zunehmen durch eine vereinte Weltkampagne für eine allgemeine Abrüstung, durch gegenseitige Vereinbarungen und durch die Or- ganisation des Wider st andes der Arbeiterklosse gegen jede Kriegsdrohung, einschließlich die Einstellung der Ar-- beit in den Schlüsselindustrien und die Weigerung, Kriegsdienste zu tun und Munition anzufertigen. Ferner sei kein wichtiger Schritt in Richtung'auf ein« Rüstungsbefchränkung wahrscheinlich, wenn die russische Mitarbeit nicht gesichert werde. Die Unab- hängige Arbeilerpartci fordere daher, daß neue Anstrengungen gemacht werden, um die Unstimmigkeiten zu beheben, die bisher eine Beteiligung Rußlands oerhindert haben.
Spanien rollt Sie Ratskrise auf. Antrag, dey Studienausschuh einzuberufen. Genf , S. August.(Schweizerische Depeschenogenlur.) Der Vertreter Spaniens in der Kommission für das Studium der Zusammensetzung des Völkerbundsrates de Palafios richtete an den Präsidenten dieser Kommission, Bundesrat Motto, ein Schreiben, in welchem er ersucht, das Datum der zweiten Session der Kommission fest zu sehen. England und Frankreich bemühe« fich um Spanien und Brasilien . London , 6. August. (WTB.) Nach dem diplomatischen Korre- spondenten der„Morning Post" bemühen sich Frankreich und Großbritannien weiterhin, Brasilien und Spanien zu einer Nachprüfung ihrer Haltung gegenüber dem Völkerbund zu bringen. Es werde daraus hingewiesen, daß die Ab- ficht dieser beiden Staaten, ihre Verbindung mit dem Völkerbund zu lösen, wenn sie nicht ständige Sitze im Rat« erhalten, die Tä- tigteit des Bundes in Europa nicht behindern werde, obwohl sie eine fruchtbringende Arbeit des Bundes, was Südamerika betreffe, verringern könnte. Von vielen Seiten werde jedoch die Hoffnung ausgedrückt, daß beide Länder sich belehren lasten würden. poincars regiert Sie Kammer. Große Mehrheiten für feine Entwürfe. Pari», 6. August. (Eigener Drahtbericht.) Am Donnerstag nachmittag wurden von der Kammer im Verlauf einer einzigen Sitzung die beiden Entwürfe der Regierung über die Schaffung einer Amortisationskasse und die Erteilung der Crmächti- gung an die Bant von Frankreich zum Ankauf ausländischer Devisen und als Gegenwert neue Noten zu drucken, an- genommen. Die Diskussion verlief ziemlich inhaltlos. Widerstände traten, außer bei den S o z i a l i st e n, nicht aus. Der Sozialist Bedouce erhob allein gegen die beiden Entwürfe formellen Ein- spruch. Er betonte wiederum, daß besonders der zweite Entwurf eine verhüllte Inflation darstelle. Poincare hat aber. gegen die sozialistischen Bedenken ohne weiteres trium- p h i e r t. Beide Entwürfe wurden mit großer Mehrheit angenom- men. Der erste mit 42l) gegen 140, der zweite mit 365 gegen 181 Stimmen.— Das„Oeuvre" schreibt deshalb heute morgen, daß die Kammer auf den Punkt gelangt fei, daß Poincare mit Vor- schlügen kommen kann wie er will, sie nimmt ohne weiteres an. Cr habe nicht einmal mehr nötig, das Dringlichkeitsvcrfahren anzuwenden. Die ganze Debatte spiele sich so ab, als ob das Dring- lichkcirsverfahren in Kraft wäre. Die Kammer gibt sich nicht ein- mal die Mühe, den Schein zu wahren.
öaperische Dunkelheiten. Der Boden der Fememorde. Aus Bayern wird uns geschrieben: Ein typischer Fall, dessen forensische Aufrollung vielleicht Licht in Zusammenhänge wirft, welche für die bayerischen Zustände bezeichnend, ja von historischer Bedeutung sind. Gleich vielen anderen war auch der junge Studienlehrer G a r e i s aus innerster Ueberzeugung zu der Sozialdemo- kratie gekommen. Das war etwas Unerhörtes an dem „katholischen" Gymnasium Aschaffenburg , und den Kenner der bayerischen Verhältnisse kann es nicht über- raschen, daß alle Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um den Mißliebigen zu entfernen. So verfuhr man nach dem bei br Marine üblichen Rezepte, nach dem tüchtige Offiziere, die etk offenes Wort der Kritik nicht scheuten, in den Admiralstab versetzt wurden, um sie mundtot zu machen: Gareis wurde — ausgerechnet nach München versetzt. Daß ihn die besten„Empfehlungen" dahin begleiteten, braucht nicht ge- sagt zu werden. Es �wäre aber lehrreich, wenn in dem zu erwartenden Verfahren auch diese Zusammenhänge aufge- deckt würden, welche durch gewisse Begleitumstände noch an Interesse gewinnen. Aschaffenburg , der Wirkungort des ermordeten Gareis, war nämlich dazu ausersehen, die ersten„Exempel" in der Ordnungszelle Bayern zu statuieren. Der damalige erste Staatsanwalt hatte die ersten Anklagen gegen die„Räte- führer" zu vertreten, und er hatte für diesen Fall hinsichtlich des Strafmaßes gewisse Direktiven aus München erhalten. So kamen zuerst der Lehrer Hartig, der sich später den baye- rischen Staub von den Füßen schüttelte, und der Buchdrucker Stock vor das Volksgericht-, ihnen folgten die„Rädelsführer" aus Lohr . Der Erste Staatsanwalt hatte seine Sache so gut gemacht, daß er— nach München befördert wurde. In- zwischen wurde die Orgesch rührig organisiert: das Aschaffen- burger Schloß wurde mit Waffen gefüllt. Die Verbindung nach München riß um so weniger ab, als der Oberbürger- meister von Aschaffenburg in München seinen Bruder, den nachmaligen Kultusminister Dr. Matt, sitzen hatte. Beson- ders rührig arbeitete aber daselbst zugleich der Vertrauens- mann des Herrn von Soden, der eifrig überall durch Spitzel in den Versammlungen vertreten war. Dieser Vertrauens- mann war der beim Oberbürgermeister beliebteste Beamte der Kriminalpolizei in Aschaffenburg . Er lieferte seine Ge- heimberichte an Herrn von Soden, und es gehört kein be- sonderer Scharfsinn dazu, um zu ermessen, welche Fäden auf diese Weise gesponnen wurden, für den Fernstehenden un- erkennbar. Daneben war ein weiteres Spitzelsystem organisiert, das im wesentlichen von der Großindustrie, vor allem von der Maschinenfabrik Augsburg-Mllnchen subventioniert wurde, deren Haupt bekanntlich der monarchistisch-partikularistische Frhr. von Kramer-Klett ist. Die„Geschäftsführer" dieser Zentralen waren Ofiziere der Brigade Ehrhardt , vor allem in Würzburg ein gewisser Otto, der sein politisches Gewerbe unter dem Deckmantel einer Papiergroßhandlung betrieb. Da- bei wäre dieser Papiergroßhändler in die größte Verlegen- heit gekommen, wenn er ein Ries Papier oder 100 Briefumschläge hätte liesern sollen. Diese Kreise standen in engster Führung mit der Münchener Polizeidirektion, wo die Führer ungehindert ein- und ausgingen. Hilfsagenten wurden da- durch legitimiert, daß ein Stück Papier ungleich durchrissen wurde: das eine Ende wurde eingeschickt, das andere Ende erhielt der Agent als Legitimation. Die Zentrale außerhalb des Münchener Polizeipräsi- diums befand sich im R i n g h o t e l am Sendlingertorplatz in München . Ringhotel und Polizeidirektion arbeiteten aufs engste zusammen— Ordnungsblock und Ordnungszelle. Die Akten des Ringhotels würden einen tiefen Einblick in gewisse Vorgänge und Zusammenhänge gewinnen lassen, wenn sie nicht vernichtet oder doch beiseite geschafft worden wären, Einblicke in das monarchistische und separatistische Treiben in München und in Bayern überhaupt. Es wird viel darauf ankommen, in diese Zustände hineinzuleuchten und diese Kreise endlich unter Eid zum Reden zu bringen, die so lange ungestört ihr Treiben fortsetzen konnten, bis selbst der MAR. und deren für diese Dinge verantwortlichen Syndikus Dr. Glaser der Atem ausging. Für die Herren vom Ord- nungsblock im Ringhotel war die Polizeidirettion stets die auskunft- und dienstbereite Filiale. Ein letztes kommt dazu. Es ist aktenmäßig nachzu- weisen, daß bei Ausstellung der Reichswehr in Bayern nur streng„nationale" Kreise Berücksichrigung fanden. Welche verheerende Gesinnung in diesen Kreisen'herrschte— dafür zwei besonders charakteristische Beispiele! Als die Franzosen Frankfurt a. M. besetzt hatten und ihre Vorposten vorschoben. erging ein Geheim befehl der Brigade Würzburg, in dem die Tatsachen zunächst registriert wurden. Dann hieß es weiter:„Sollten französische Vorposten weiter vorgeschoben werden, dann ist an der bayerischen Grenze bewaffneter Wider st and zu leisten. Die Truppen ziehen sich kämpfend zurück." In dem Dreieck Aschaffenburg . Hammelburg , Würz- bürg sollte allen Ernstes ein Gefecht geliefert werden. Welch unermeßliches Unheil hat damals Deutschland bedroht! Ein zweites! Zur Sicherheit des Reichspräsidenten sollte ein? eigene Trupps aus ollen Londesteilen zusammen- und an gestellt werden. Bayern suchte zu dem Zwecke die'/">? lässigsten, rabiatesten und monarchistischsten unter den zieren und Mannschaften aus.