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Nr. 36843.Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
urch das
das märkische
Sonnabend, 7. August 1926
ALKSTEINCEBIE
Der Regen floß wieder ohne Unterlaß. Der Wetterbericht hatte ihn vorausgesagt und der Augenschein konnte nichts anderes bestätigen. Dicke graue Wolken hingen schwerbelastet überall, dazwischen gleichförmiges, unsäglich trauriges Grau. Man wußte: Es regnete seit Stunden und es würde noch stundenlang regnen. Dennoch traten wir die Fahrt an, die uns von Erfner nordwärts zum Stienitzsee führen sollte, der im Gegensatz zur Löcknitz oder zu dem Seengebiet, das die Müggelberge umschließt, weniger bekannt und weniger besucht ist, denn er ist wie ein verwunschenes Wasser, bewacht von Schleusen, Fabriken, einer Sperrfette und einer Abgaben heischenden Wächterin.
Fahrt im Regen.
Wir brachten das Boot zu Wasser, machten alles dicht, die Kleider verschwanden unter der Sprizwasserdecke und wir selbst begnügten uns mit einer Badehose. So gerüstet, konnte die Fahrt beginnen. Seit einigen Minuten hatte der Regen ausgesetzt. Bon Von allen Seiten famen fahrtenluftige Paddler heraus aus ihren Schlupf winkeln und steuerten ihren Zielen zu. Kurz vor der Straßenbrüde von Erkner trafen wir Bekannte, die uns mit Hallo begrüßten. Bir gaben ihnen eine Zeitlang das Geleit, obgleich fie in entgegengefegter Richtung fuhren. Erst in der Mitte des Dämeritzsees trennten wir uns. Bald hatte sie die Entfernung und das diesige Wetter verschluckt. Es regnete schon wieder und langsam fuhr der Pilot in den regenerfüllten Nachmittag hinein, durchlief den Kanal zwischen dem Dämeriz- und dem Flakensee und nahm dann Kurs auf Woltersdorf . Die Wasserfläche lag wieder mie ausgestorben. Die Regentropfen fielen immer dichter. Es wurde ungemütlich falt. So erreichten wir die Woltersdorfer Schleuse. Dort legten wir das Boot an einen Steg und warteten. Und wirklich, der Himmel hatte Einsehen, der Regen ebbte etwas ab. Wir hoben das Boot ans Land, erkundeten auf der anderen Seite der engen Landzunge, die den Flakensee vom Kalfsee trennt, die beste Stelle, an der man das Boot wieder einsehen konnte. Dann brachten wir unseren zweirädrigen Wagen unter das Vorderschiff und fuhren zum Vergnügen Der Einwohner unseren Piloten hinüber. Neben der Brücke, hinter der Schleuse war früher einmal ein brauchbarer Steg, an dem das Zumafferbringen von Booten wohl ein Vergnügen gewesen sein mochte. Dieser Steg ist längst zerbrochen, elende Reste starren aus dem Wasser, wie Zeichen des ewig Vergänglichen. Sie warnen, die hölzerne Ruine zu betreten, die nun geradezu zu einer Gefahr für magemutige Leichtfüße geworden ist. Der Strand selbst ist aus Kalksteinen und lehmigem Sand gebildet. Durch das nasse Wetter mar er zu einer Rutschbahn geworden. Troy des Regens hatten fich noch genug Schaulustige eingefunden, denen es Freude machte, Daß wir uns hier mit aller Schläue und aller Geschicklichkeit mühten, das Boot unbeschädigt ins Wasser zu bringen und es dann wieder zu besteigen. Wer auch immer für die Instandhaltung dieser Uferanlagen verantwortlich sein möge wir wünschten aus tiefstem Herzensgrunde, daß er sich zum Teufel scheren möchte. In einer Gegend, die vom Wassersport so bevorzugt wird, sollte es ganz selbstverständlich sein, daß sich eine Regelung treffen ließe, die die Uferanlagen in einem Zustand hielte, der auch den Wassersportlern zugute käme. Endlich hatten wir das Kunststück, uns selbst im Boot zu verstauen, fertiggebracht und fuhren nun am Woltersdorfer Kiek vorüber, hinein in den Kalkfee. Der Regen troff wieder etwas reich licher, ein Ruderboot mit Außenbordmotor fam uns entgegen. Ein wohlbeleibter Herr fauerte in ihm unter einem Regenschirm. Als er uns in unserem regenmäßigen Adamskostüm sah, entrüstete er fich: Wie die Reiber," schrie er hinüber. Wir lachten den guten Spießer aus und waren ihm dankbar dafür, daß er unsere Stim
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Die Figurantin.
Roman eines Dienstmädchens von Léon Frapié . Autorisierte Uebersehung aus dem Französischen von Kunde- Grazia.
Aber dann, welches Mißbehagen, festzustellen, daß alles falsch, erfünftelt in der grauen düsteren Wohnung ihrer Herrschaft war. Welcher Kummer, zu erkennen, daß alles in feindseliger Rücksicht auf die Fremde, das Dienstmädchen, gefagt und getan wurde, auf die Fremde, über die man herr schen, deren Kraft man gänzlich unter den günstigsten Bedingungen aufzehren mußte.
Die Herrschaft war unablässig des Mädchens wegen sehr vorsichtig, Herzensergüsse wären in Gegenwart dieses verdächtigen Zeugen lächerlich gewesen. Sie zeigten sich gegeneinander weder gefällig noch zuvorkommend: des Deforums halber baten sie sich gegenseitig um feinen der kleinen, angenehm zu leistenden und zu empfangenden Dienste: sie riefen Marie her. Ein unausstehlicher fester Entschluß nötigte sie, nichts zu tun, eher die Daumen zu drehen, als nach einem Teller den Arm auszustreden.
Sulette empörte sich gegen den Anblick, wie sie, wider jeden Augenschein, Befehle von oben herab in Millionärposen gaben. Man hielt sie also für blödsinnig? Gab es etwas Erniedrigenderes, als die Verpflichtung, Respekt für die Wichtigkeit dieser kleinen Leute zu heucheln! Man mußte eine Berbeugung machen, wenn man sagte:„ Die Schuhe des gnädigen Fräuleins find wieder geflict Will der Herr Friedrich auf den Topf gehen?" Wäre die Wäsche, welche Sulette abends, wenn sie zu Bett maren, musch, nicht nachts am Ofen getrocknet, so hätte man morgens diese kleinen Herrschaften, die nicht einmal ein Paar Strümpfe zum Wechseln hatten, nicht aufstehen lassen können
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Auch Sulette nahm ein gezwungenes Wesen an: öe empfand die mürrische Aufsicht knickeriger Armut daß die Gesichter ihr zuriefen, sie sei eine Feindin, ein schädlicher Parasit; ihre Bewegungen wurden übertrieben, ihr Schritt, Atem, ihre Blide hastig, zuweilen mangelte es ihrem herbgewordenen Munde an Speise für das so schwer erkämpfte Brot bei fremden Leuten.
Wochen verflossen. Das Ehepaar fäute feine immer schlimmer werdenden Schikanen wieder; Sulette hätte beim Waschen die brüchige Leinwand neu machen, das Gemüse in Butter dünsten mögen, statt es bloß in Wasser zu fochen. Der Gipfel der Ironie war, daß die Gatten sich im
| mung so verbessert hatte. Schwarz wurde der Himmel, der Wald dunkelte über den See. Dickbäuchige Rähne lagen auf hohem Ufer. Niemand rührte eine Hand auf der Schiffswerft, die Feierstunde hatte geschlagen.
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Das Land des Kalksteins.
Dann fanden wir links eine kleine Ausbuchtung, in der ein schwerer Lastkahn hinter dem andern lag. Aus jedem quoll der dem Kalkstein eigentümliche Geruch. Eifrig kläfften fleine Hunde. Angelruten ragten bei vielen Kähnen über Bord und neben jeder stand ein Schiffersmann und beobachtete aufmerksam das Wasser. Bei diesem Regen mußten doch die Fische beißen! Wir hatten die Einfahrt zu dem Stolpgraben gefunden, der vom Kalfsee zum Stienissee führt. Ohne Unterlaß floß der Regen, bald stärker, bald schwächer. Aus dem Graudunkel des Abends hoben sich die Schornsteine und Dächer der Kalfsteinfabriken gespenstig ab. Wir durchfuhren Brücken aus Stein und Holz, zuweilen eine Tafel:„ Rüders dorfer Gewässer, das Anlegen von Schiffsfahrzeugen jeder Art ist verboten." Aus dem Dunkel leuchteten plöglich links die tausend Lichter einer Fabrik. Hohe Krangerüste ragten auf und hinter diesem Meer von Licht erschien ein tiefschwarzes Loch wie die Einfahrt zur Unterwelt. Unwillkürlich ließen wir das Boot langsam gehen. Ein Eisenbahnzug donnerte vor uns. Wir hatten die Eisenbahnbrücke der Bahn erreicht, die von Fredersdorf nach Kaltberge führt. Sie macht in der Dunkelheit, wenn sie so unvermutet auftaucht, einen unheimlichen schaurigen Eindruck. Wir ließen das Boot treiben. Unter dem schachtartigen langgestreckten Brückenbogen waren wir endlich kurze Zeit vor dem Regen geborgen. Hinter der Brücke zweigt sich rechterhand ein Arm ab, der von einer anderen tunnelartigen Brücke überspannt wird. Es ist dies der Weg, der zum Kriensee geht. Wir führen unser Boot geradeaus vorwärts. Links die Häuser von Tasdorf , dann wieder eine Brücke, unter ihr ein Schild:„ Achtung, Kettensperre!" Der Eingang zum Stienisjee. Zwei andere Boote lagen bereits unter der Brücke. Hinter ihr steht. ein Holzhäuschen, hoch und schmal mit einem winzigen Fenster kurz unter dem kleinen Dach. Geheimnisvoll schaut es in die regnerische Nacht. Eine Frau taucht aus dem Dunkel auf. Sie ist es, die den Eingang bewacht. Sie hebt und senkt die Kette, die über den Kanal gespannt ist. 50 Pfennig fordert sie, dann geht die Kette nieder, der Weg zum Stienissee ist frei. Die Frau teilte noch mit, daß vor kurzem zwei Dampfer durchgefahren feien, und daß in dem Wirtshaus, der am rechten Ufer des Stienisfees liege, die ganze Nacht über„ Trimoli", d. h. Musik und Tanz sei. Wir sollten, wenn wir Nachtquartier haben wollten, zum anderen Ufer gehen, dort, wo die Badeanstalt liege. Wir dankten für die freundliche Belehrung und fuhren über die unter das Wasser gesenkte Kette. Links geleiteten uns die hohen Bäume eines alten Parks. Dann folgten Wiesen und endlich fam der ersehnte Stienißfee. Am rechten Üfer lockte ein weißes Geländer. Wir hielten darauf zu. Musik tönte aus der Ferne. Ein Lichtschimmer bewegte sich auf dem Wasser: Ein Motorboot, das mit sangesluftigen Leuten besetzt war, deren Stimmen recht urwüchsig flangen. Das Motorboot verschwand und por uns schaufelte eine glänzende Reihe von Lampions: Das Gait. haus am rechten Ufer. Richtig, da lagen auch die beiden Dampfer. Geige und Klavier mühten sich verzweifelt, den Lärm der Gäste zu übertönen. Wir schauten uns das eine Zeitlang an und drehten dann ab zum anderen Ufer, wo ein bescheidenes Lichtlein winkte. Es gehörte zu dem kleinen Gasthaus neben der Badeanstalt. Auch dort gab es genügend Gäste. Sehr heldenhafte Jünglinge riefen: Hurra, hurra, hurra! und. fonnten sich kaum auf den Beinen halten. Nachtquartier? Bedaure, alles besetzt!" Schlimm für uns, sehr schlimm, denn draußen regnete es immer noch und es war bitter
Salon ihren Freunden gegenüber beklagten, bei Sulette feine Dankbarkeit und Hingebung zu erkennen. Eine Wendung wurde ganz besonders von Frau Coton und ihren Besucherinnen mit fühner Verzweiflung wiederholt:
,, Es muß wirklich so sein, daß die Dienstboten sehr wenig Herz haben!"
Eines Tages bei einer unwiderstehlichen Zorneswallung warf Sulette ein aus einer Tasche auf den Teppich warf Sulette ein aus einer Tasche auf geglittenes Schlüsselchen zum Fenster hinaus. Im nächsten Augenblic, als ihr die Ueberlegung wiederkam, wunderte sie sich über diesen dumen Streich.
Am Jahresschluß hatte Frau Coton etwas ersonnen, Besuch im Ministerium in großer Toilette. um Gratifikationen für ihren Mann zu erbetteln: einen
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Am Tage dieser stolzen Zeremonie hatte Sulette fie war zufällig mit dem kleinen Fritz allein geblieben ihn sogar bei sich untergebracht und in der Küche spielen lassen, wo ihn Madame beim Nachhausekommen findet.
Bis zu diesem Grade Herrn Friedrich zu erniedrigen! Ihn zu den Kafferollen zu setzen! Das war doch zu start! Frau Coton, ganz blaß, stotterte vor Entrüstung: Ich lasse weder dem Rang noch der Erziehung meiner Kinder Abbruch tun. Ich fündige Ihnen!"
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Als Sulette im Freien war sie hatte mit Mühe Erlaubnis erhalten, eine Stelle zu suchen, jagten tufe Atemzüge eine wahre Trübfinnsvergiftung aus ihrer Brust, wie das Rauschen einer Schleuse braufte es verworren in ihren Ohren, jetzt empfand sie eine Leere, eine Schwähe; dann tam es ihr wie ein Zuströmen, wie ein Erfülltwerden mit einem lebermaß an frischer Luft vor.
In dem verwirrenden Verkehr der Rue Saint Denis sah sie sich nun ohne ihre weiße uniformierende Schürze in der Freiheit! Sie bewunderte vor den Magazinen ihr Signalement: um die Taille glatt anliegendes, guifizzendes, wollenes Kleid, linnene, muschelförmige Haube in Höhe des Haarknotens, den schmalen, flachen Kragen, Halbhandstuhe, gesticktes Tuch über den Schultern.
Ihr bleichgewordenes, abgemagertes Gesicht zeigi die typischen Züge der Rasse: die schwarzen, glänzenden, aber tiefliegenden Augen, den großen Mund, gewö'bte Stirn, fohlschwarze Brauen, das unter der Hauke hvorquellende lockige Haar.
Je weiter sie schritt, um so mehr erwedte eine Wallung des Blutes ihre vom Lande mitgebrachte Sehnsucht nach
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lich falt geworden. Doch hatte man Mitleid mit uns und im Stroh des Heubodens fanden wir unsere Rubstatt. Johann" führte uns hinauf, nachdem wir geschworen hatten, fein Streichholz anzuzünden und keine Zigarette zu rauchen. Johann" war ein Russe, der noch aus den Kriegsjahren hiergeblieben war. Johann hatte oft nach ,, Nift Hause geschrieben. Aber er erhielt keine Antwort mehr. gut," sagte er und erzählte, wie es ihm im Kriege gegangen war: Gefangen, sehen Sie. Bei Bauer arbeiten. Nig zu essen, nir Arbeit! Nun hier. Hier gutt."" Wollen Sie nach Rußland zurück?" Weiß nich. Hier arbeiten, dort arbeiten. Alles egal." Am Morgen vertrieben wir uns die Zeit mit Wespenfangen, bevor wir ausgeschlafen hatten. Im Garten stand ein Mann in Frauenkleidern und säuberte seine vom Regen völlig veränderten Kleidungsstücke. Ein Sportsmann, der eben nicht aussehen wollte wie ein Reiber" oder einer, der sein Adamskostüm vergessen hatte.
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Heimfahrt.
Gegen 10 Uhr vormittags setzten wir das Segel und traten mit gutem Wind den Rückweg an. Noch nicht fünf Minuten mährte die Fahrt, als auch schon wieder der Regen begann, der sich in den Im triefenden Regen segelten wir dem Ausgang des Stienissees zu. Wie verändert war
Morgenstunden etwas ausgeruht hatte.
Dann
die Landschaft jetzt, wo Tageslicht, wenn auch vom Regen gedämpfKlarheit gewichen. Hinter der Kettensperre entdeckten wir jetzt eine tes, sie traf. Das Geheimnisvolle, das mystische Dunkel war der lange Mauer, die sich aus der Umgebung heraushebt wie ein Burgwall. stehen die Pfähle, die den Kanal begrenzen sollen. Die Sonne fam Nackt Die Uferbefestigungen find allenthalben hinterspült. heraus und brannte jengend, stechend. Und sie verließ uns nich., bis wir am Flakensee waren. Auf dem Kalfsee aber freuzten wir noch im Sonnenschein, daß es wahrhaft eine Freude war. Woltersdorf , fuhren das Boot um die Schleuse herum und strebten aber fündigten sich wieder dunkle Wolken an. Wir eilten nach wenigstens noch einmal baden, um uns zu erfrischen. Das Boot dann über den Flakensee. Wir waren sehr müde und wollten lag am Strande. Wir tummelten uns im Wasser. Da klang aus der Ferne seltsam hohles Donnern. Die ganze Atmosphäre erschien 2m Ufer lagen junge Leute. merkwürdig gespannt. Wir beschlossen, schleunigst heimzukehren. Sie lachten uns aus ob unserer Angstmeierei". Wir ließen sie lachen, fuhren mit aller Kraft zum Bootshaus am Dämeritsee. Das Boot war faum im Schuppen, Fast drei Stunden sahen wir dem wundervollen Schauspiel zu, da brach ein Unwetter los, das alles bisher Dagewesene übertraf. sahen, wie Ferne Nähe und Nähe Ferne wurde, wie der Wind bald aus Norden oder Osten, Süden oder Westen über das Wasser brauste, wie die Wolken jagten, wie alles in Bewegung war. Gee trat über die Ufer. Natur war in Aufregung und das Wasser stieg und stieg.
Die ganze
Der
Nach drei Stunden konnten wir zum Bahnhof Erkner eilen. Die Straße unter der Eisenbahnbrücke war fast mannshoch überschwemmt, die Schalter des Bahnhofs überflutet. Leute kamen im Badeanzug. Herren und Damen hatten Schuhe und Strümpfe ausgezogen und wateten durch das Wasser. Alle hatten viel erlebt. Der Zug fuhr lange Zeit nicht ab. Man trug Leute auf Bahren heran. Aber erst am Abend erfuhren wir durch den Rundfunk, daß Woltersdorf zwei Stunden, nachdem wir es passiert hatten, der Ort einer entsetzlichen Katastrophe gewesen war: Blitzschlag und Regen hatten blühende Menschenleben vernichtet. Es war ein trüber Sonntag gewesen, wie ihn die Berliner Lokalchronik nur selten zu ver= zeichnen hatte.
Glück und die Hoffnung auf Erfolg. Leichten Sinnes und unternehmend sah sie mit Freude elegant aussehende Frauen in kostbaren Mänteln promenieren, ebenso Männer, die gütige und freigebige Herren sein mußten, mit Spazierftod in der Hand oder auch wohl der Advokatenmappe unterm Arm, Blumen oder Ordenszeichen im Knopfloch. Neue, monumentale Häufer zeigten etagenweise Wohnungen mit hohen, breiten Fenstern, in die hineinzusehen verteufelt interessant sein müßte.
Paris bot einen harmlosen und gastlichen Anblick. Man belorgnettierte Sulette: besonders die Herren ließen von ihrer Neugier nicht ab, als wären sie der Ansicht, dieses junge Dienstmädchen könnte den Glanz ihres Haushaltes vollkommen machen.
Sie kam auf den Boulevard, mitten ins Marktgewühl. Die Lichter flammten in Läden, an Droschken, in Laternen
vor Einbruch der Dunkelheit auf. Obgleich es Dezember war, entwickelte sich doch aus dem Getrippel, dem Lärm, dem steten Gedränge eine drückende Schwüle. Die nämliche, zugleich geheime und verabredete Sache schien jedermann zu beschäftigen und an den Stellen, wo der Verkehr sich am meisten staute, stieg Moschusduft aus dem Wirrwarr empor. Längs der hellerleuchteten Terrasse eines Cafés fühlte Sulette aller Blicke sich auf ihre Person, wie auf ein vorgezeigtes Versteigerungsobjekt, wenden.
Eine Gegenströmung der Menge drängte sich mit in die Rue Montmartre , gerade vor ein großes Schild: Dienstnachweisbureau, täglich Nachfragen. Etwa zwanzig viereckige Zettel mit der Ankündigung, daß man Dienstmädchen, Kutscher und Kammerdiener verlange, flebten da.
Das Bureau befand sich in der ersten Etage. Auf der einen Tür las man: ,, Eingang für Arbeitgeber" und auf der anderen Eingang für Dienstboten".
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In einem Zimmer, das durch einen mit Gitter versehenen Verschlag halbiert war, sprachen die Stellungsuchenden über einen Schalter weg. Den Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, erwartete eine beleibte Matrone die Kundschaft. Man entrichtete zwei Franken Einschreibegebühr und gab den ersten Monat fünfzehn Franken vom Lohne ab.
Die Bermittlerin reihte Sulette sogleich unter die jungen, duldsamen und unerfahrenen Hausmädchen, die ihre geschäftliche Klugheit in faule Stellen" schickte, wo sie sich nicht einzuleben vermochten. Nach Ablauf einiger Wochen, fragten sie wieder am Schalter nach". Das war die ununterbrochen herumgestoßene Ware, an der man am meisten verdiente. ( Fortsetzung folgt.)