verhöhnten ihren König Und seine Regierung auf das blutigste. So deklamierte der konservative Graf Limburg-Stirum : «Wenn bei einer Erörterung die Frage der Landesoertei- d i g u n g berührt wird, so ist das ein« so ernsteSache, daß man nicht leichthin darüber hinweggehen kann. Ich will nun anerkennen, daß ich selten in so geschickter und hübscher Weise eine Sache habe verteidigen hören, wie die Vertreter derKöniglichenMilitär- Verwaltung dies in der Kommission getan haben. Aber das Reste hat ihnen gefehlt: sie haben nicht überzeugt." Um ihren Triumph vollkommen auszukosten, leisteten sich die Dreiklassenjunker den Spaß, die von ihnen verworfene Vorlage auch noch zur dritten Lesung zu bringen. Was aber in der dritten Lesung noch zur Beratung stand, hatte dieses Aussehen: „Wir Wilhelm von Gottes Gnaden, König von Preußen etc., verordnen, unter Zustimmung beider Häuser des Landtages der Monarchie, was folgt:§ 1: Fällt weg.§ 2: Fällt weg.§ 3: Fällt weg. Z 4: Fällt weg. Z 5; Fällt weg.§ 7: Fällt weg." Die übriggebliebenen Paragraphen 6 und 8 der Re- gierungsvorlage bildeten einen zusammenhanglosen Torso von nebensächlichen Ausführungsbestimmungen. Wilhelm, der in seinem Stolz oerletzt war, ließ die schärfsten Minen springen, um doch noch einen Erfolg zu haben. D i e Iunkeraberlachtendazu und lehnten auch in dritter Lesung den Mittellandkanal ab. M i n i st e r R e ck e, der die politischen Beamten, soweit sie Mitglieder des Abgeord» netenhauses waren, auf ihre Beamtenpflicht aufmerksam gemacht hatte, die Regierungsinteressen zu vertreten, wurde von den Junkern boykottiert, als ob erSevering hieße. Es half auch nichts, daß die Staatsregiening in einem besonderen Erlasie die höheren politischen Beamten und be- sonders die Landräte darauf hinwies, daß sie sowohl in ihrer amtlichen wie in ihrer außeramtlichen Tätigkeit die Politik der Regierung Seiner Majestät zu vertreten hätten. Der Mittellandkanal war und blieb verschüttet. Einige land- rätliche Abgeordnete wurden gemaßregelt. Aber die„Kanal» rebellen" fielen die Treppe hinauf. * Zwei Jahr« später machte noch einmal der Graf Bülow den Versuch, mit Hilfe von Kompensationsvvrlagen den Mit- tellandkanal doch noch zu retten. Aber auch sein Beginnen blieb erfolglos, so daß er am 3. Mai 1901 vor dem Abgeord- netenhause die B o r l a g e zurückzog mit der Erklärung, daß die Regierung sich„von der Fortsetzung einer zweck- losen Beratung keinen Erfolg oerspreche und daher zu einer solchen die Hand nicht bieten könne. In jener Zeit fiel aus Ministermunde das stolze Wort:„Gebaut wirderdochl" Aber, der es sprach, ist längst verschollen. In Erinnerung blieb nur der Stoßseufzer des„dicken Pod", des Landwirtschaftsministers P o d b i e l s k i:„Ick werde mir doch mit dem Lausekanal nicht vor den Bauch stoßen lassen!" Der„Lausekanal"— das war die Bezeichnung für ein Kulturwerk, das für die deutsche Wirtschaft von unendlichem Werte hätte sein können und noch in Zukunft sein wird. Der „Lausekanal", das war die Antwort auf Wilhelms: „D aji ü r werde ich stehen!" Wilhelm hat auch damals nicht„gestanden". Die Äunker, abgesagte Feinde des Parlamentarismus, machten von den Rechten des Parlaments. in einer Weise Gebrauch, daß man den heutigen bürgerlichen Republikanern nur wün- schen möchte, dieselbe Energie in positiver Richtung auf- zubringen. Die Mönarchisten pfiffen auf den König und seine Wünsche! Heute hat die R e p u b l i k die Aufgabe zu erfüllen, was des Kaisers Minister vor 25 Iahren ankündigte:„Gebaut wird er doch!" Es ist in diesem Zusammenhang nicht nutzlos, daran zu erinnern, daß schon die Verfassunggebende vreu» ßische Landesversammlung im Jahre 192V einmütig die Zustimmung zum Bau des Mittellandkanals gab.
Lilp Sraun zum Heöachtnis. Von Clara Vohm-Schuch. Wer war diese Frau, die heute vor zehn Jahren den letzten Herz- schlag tat? Soviel sie in ihren„Memoiren einer Sozialistin" über sich, über ihre Entwicklung, über alle inneren und äußeren Umstände ihres Lebens gesagt hat, ihr letztes Menschentum ist verhüllt ge- blieben. Vielleicht deshalb im tiefsten verhüllt, weil sie ihr Leben so entschleierte.— Sie hat die Wahrheit gesucht. Hochgemut und unerschütterlich in ihrem Glauben an das Gute und Schöne in der Welt ist sie ihren schweren Weg gegangen. So kam sie zum Sozialis- mus, so kam sie zur Partei: ihre lodernde, suchende Seele, ihr klarer, willensstarker Geist führten sie.— Nicht überall wurde die Generals- tochter mit offenen Annen empsangen. Die meisten unserer damals führenden Genossinnen In Berlin hatten die bösen Jahre des Sozialistengesetzes erlebt; hatten unter schwerstem wirtschaftlichen und politischen Druck für die Partei, gegen die Rechtlosigkeit der Arbeiterklasse gekämpst. Ein tiefes und verständliches Mißtrauen gegen die Angehörige einer hohen Gesellschaftsklasse erfüllte sie. Diese tapseron, unermüdlichen Proletarierfrauen schätzten den über- ragenden Geist in Lily Braun , erkannten dankbar an, was sie der Partei, insbesondere der sozialistischen Frauenbewegung wegweisend und führend gab, aber sie mißtrauten der Dame, der eleganten Frau. So erwuchs mancher Irrtum, manche Bitterkeit aus beiden Seiten. Hinzu kamen die Kämpfe mit den geistigen Größen, denen viel persönliche Ungerechtigkeit anhastete. Wenn wir heute, aus einer neuen Zeitepoche zurückblicken, dann sehen wir mit Stolz und Dank, in welch unermüdlicher, treuer Zusammenarbeit geistiger Führung und praktischer Organisation der Weg bereitet wurde, der zu unserer politischen Gleichberechtigung, zu unserer praktischen Betätigung in der Gesetzgebung der deutschen Republik führte. Und eine der hervorragendsten Wegberelterinnen war Lily Braun . Wenn sie erlebt hätte, wie viele ihrer Ideen langsam der Verwirklichung entgegenreisen, es wäre ihr stolze Freude gewesen und Antrieb zu neuem Schassen, denn rasten konnte sie auch im Erfolge nicht. Wer so zum Menschentum strebt, wie Lily Braun , muß alle Höhen der Freude und alle Tiefen des Leides durchmessen. Und beides war beschlossen in ihrer Ehe mit Heinrich Braun und in ihrem Kind. Kein reineres und schöneres Bild Lily Brauns gibt es, als es in den Briefen ihres Sohnes Otto(herausgegeben von Julie Vogelstein unter dem Titel: Briefe eines Frühoollendeten) lebt. Die Mutter eines solchen Kindes zu sein, ist das höchste Erdenglückl- Ilnd dann zog dieser Sohn in den Krieg. Freiwillig, mit Zustim- mung der Eltern: aber war darum Trennung, Sehnsucht, Sorge, Zagen, Hassen, Ungewißheit schmerzloser und kleiner? Nein! Diese Frau ist dtn Weg gen Golgatha durch Blut und Tränen gegangen wie Millionen Mütter. Und sie blieb auf diesem Weg.— Sehnsucht und Sorge um ihren Jungen trieb die Leidende zum Postamt, um
Seitdem sind mehr als fünf Jahre ins Land gegangen. Das Reich hat die Wasserstrahenregelung übernommen. Doch es bedurfte erst der ungeheuren Arbeitskrifis dieses Jahres, um die Frage wieder ins Rollen zu bringen. Und wenn auch jetzt wieder Kompensationen und Nebenprojekte an- gemeldet werden, die geeignet sind, die klare Linie zu ver� wischen, so hoffen wir doch, daß endlich mit dem Bau des Werkes begonnen und damit die Schande ausgelöscht wird, die dreitlasiiger Junkereigennutz vor einem Vierteljahr- hundert dem Lande angetan hat. Die Not der Zeit ist so groß, daß Ungeheures geleistet werden muß, um die Wirt- schaft zu beleben. Man mache den Anfang und baue den— „Lausekanal"!_ Zlaggenfabotage. Gegen die Flaggcnverordnung des preußischen Kultusministeriums. Der preußische Kultusminister Dr. Becker hat in einem anerkennenswerten Erlaß den Schulen die Anschaffung schwarzrotgoldener Fahnen und die Beflaggung der Schul- gebäude am 11. August, aufgegeben. Gegen diesen Erlaß zieht die„Tägliche Rundschau" zu Felde. Sie stellt sich, als ob es einen„Burgfrieden in der Flaggenfrage gebe, nachdem die Republik auf das Zeigen und Verbreiten der schwarzrotgoldenen Farben verzichten werde. Ein solcher Burgfrieden besteht nicht. Schwarzrot- gold ist und bleibt die Farbe der Republik . Weiter schreibt die„Tägliche Uundschau": „Es ist auch kaum zu erwarten, daß durch die HissUng der gegenwärtigen Reichsfarben auf den Schulgebäuden der W i.l l e zur Staatsbcjahung in der Schulgemeinde, der Lehrerschaft oder bei den Schulkindern irgendwie gekräftigt werden wird. Vielmehr wird so, wie diese Ding« zurzeit liegen, solch« Be- flaggung in sehr vielen Dörfern als ein unfreundlicher Akt gegen die Anhänger von Schwarzweihrot angesehen werden.... Und wird nicht der Lehrer, der als notgedrungener Voll- strecker des unterrichtsministeriellen Willens diese Fahne aufziehen muß(auf dem Lande wenigstens wird in den meisten Fällen er es tun müffen), dadurch unter Umständen in eine peinliche Lage gebracht? Wird der Minister in der Lage sein(die Frage stellen. heißt sie verneinen), ihn gegen die persönliche Animosität und die wirtschaftlichen Nachtelle, die ihm durch solches Handeln gegen die Anschauungen und Gefühle der überwiegenden Dorfmehrheit erwachsen können, zu schützen?" In diesen Worten liegt nicht mehr und nicht weiger als ein« oer st eckte Billigung des Boykotts gegen Beamte, die die Farben des Reiches ehren, und ihrer Dienst- pflicht nachkommen. Angesichts dieses Widerstands gegen die Farben der Republik müssen am Verfassungstag alle Republikaner nun erst recht die schwarrzotgoldenen Farben zeigen.
Ehrharüt ln Sachsen. Ultimatum des Stahlhelms a» die Deutsche Volkspartei . Die„Vaterländischen Verbände" Sachsens , in erster Linie der Stahlhelm, haben der Deutschen Volkspartei ein Ultimatum gestellt. Die Volksvartei soll sich für Gegenwart und Zukunft mit den D e u t i ckna t i o n a l e n zusa mm«n s chl i e- ß e n. Sie soll ein Zusammengehen mit der Sozialdemokratie von Fäll zu Fall g r u n d s ä tz- lich ablehnen und Sicherheiten dafür geben, daß der zu bildende schwarzweißrote Block im Sinne der Wehrverbände arbeite. Sonst— Kampfansage der Wehrverbände. Hinter diesem Ultimatum der Wehrverbände steht Kapi- tän Ehrhardt und Oberputschist H u g e n b e r g. Die Deutschnationalen in Sachsen begrüßen das Ultimatum des Stahlhelms, die deusschnationalen Reichstagsabgeordneten Treviranus und Graf Westarp treiben— wie das zu fragen, ob immer noch kein Brief von ihm gekommen fei. Unter- wegs brach sie zusammen: nach Stunden erlöste sie der Tod. So ging sie ihrem Sohne voran und das letzte große Leid: fein früher Tod, blixb der Mutter erspart. Das Vermächtnis der beiden wird in unserer Jugend treue Hüter finden. In Dankbarkeit und Wehmut grüßen wir heute, nach zehn Jahren, die tote Genossin und Führerin. * Die gesammelten Werte Lily Brauns sind mit einem wunder- schönen Lebensbild von Julie Vogelstein bei der Lerlagsanstalt Hermann Klemm, Grunewald erschienen.
1500 Berliner Künstler in der Erwerbslosensürsorge. Ueber 1500 Berliner Künstlern— bildenden Künstlern. Schriftstellern. Schauspielern und Tonkünstlern— steht das Wasser bis an den Hals. Das Organ des Reichswirtschnftsverbandes bildender Künstler nennt diese Zahl für diejenigen, hie in äußerster Bedrängnis die Unterstützung der Stadt angerufen haben. Der Magistrat hat seine Hilfe nicht ver- saat. Die Organisation und Verwaltung dieses Teils der Erwerbs- losenhilfe liegt in den Händen der„Werkhilfe", Berlin-Schöneberg, Neues Rathaus , deren Borsitzender, Malerarchitett Willy O. Dreßler, sich auf diesem Gebiete den Dank setner Berufskollegen erworben hat. Für den Fortgang der Unterstützung auf Studienreisen sind besonder« Anträge notwendig, die der Magistrat wohlwollend zu behandeln verspricht. Auch Studierende der Kunsthochschulen erhalten Unter- stützung, wenn sie und ihre unterstützungsverpslichteten Angehörigen mittellos sind. Hypnose bei Nervenleiden. In der englischen medizinischen Zeit- schrist„The Lancet" teilt Charles S. Mycrs mit, daß, nachdem man in London eine Fülle von durch Explosionen verursachten Nerven- chocken auf hypnotischem Wege geheilt hatte, nun auch andere Formen von Neroenstörungen systematisch durch fortdauernde Hypnose be- handelt werden. Von den bis jetzt behandelten Soldaten, die an krankhafter Furcht, nervösen Reflexbewegungen, Verlust von Sprache oder Gehör litten, sind 26 Prozent durch Hypnose vollkommen ge- heilt: bei 25 Proz. wurde Besserung festgestellt, während 35 Pröz. unempfänglich für hypnotischen Einfluß zu sein schienen, und 13 Proz. darauf reagierten, ohne daß jedoch ihr Leiden sich verringerte. Die englischen Aerzte sind der Meinung, daß Hypnose in allen»ällen das beste Mittel sei, um die Genesirng zu beschleunigen, wenigstens dann, wenn die Patienten für hypnotischen Einfluß empfänglich sind. Das Grab der Coa. Das Grab der Eva existiert nicht mehr, schreibt die„Comoedia". Die uralle- Reliquie erhob sich in Djeddah , ein einfaches Denkmal zwischen zwei Steinmauern, und alle Pilger, die nach Mekka gingen, machten vor den altehrwürdigen Steinen halt, die die Stätte bezeichnen sollten, wo die Urmutter des Menschen- geschlechts ihren ewigen Schlaf schlief. Diese fromme Verehrung hat den Zorn des Wahabiten-Sultans Ibu Seud erregt: denn die Waha- biten sind die Puritaner des Islams und sie hallen jede Verehrung, die einem anderen Grabe als dem Mohammeds dargebracht wird, für eine Gotteslästerung. Ibu Seud gab also den Befehl, das Grab der Eva dem Erdboden gleich zu machen, und er ließ sich auch nicht durch die inständigen Bitten der Einwohner der Stadt von seinem Tun abhalten.
„Berliner Tageblatt" mitteilt, Reisepropaganda für den fchwarzweißroten Block unter dem Kommando Ehrhardts. Die Deutsche Volkspartei gibt auf das Ultimatum eine unwirsch ablehnende Antwort. Man liest in der„National- liberalen Correspondenz: -„3)k sächsischen Wehrverbände haben mit ihrem Schreiben an bürgerliche Parteien den Arbeitskreis verlassen, den sie sich gestellt hoben. Sie werfen sich zu einer den Parteien über» geordneten Instanz auf und nehmen gleichzeitig in ein- seitiger Weise Partei. Sie werden sich also nicht wundern dürfen. wenn ihre Forderungen ab sch lägig beschieden werden. Eine Partei, die praktische politische Arbeit leisten will und sich nicht auf leer« Agitation beschränkt, kann gar nicht anders handeln. Ehrlicherweis« können auch die Deutschnatio- nale Volkspartei und die V ö l lisch e n den Wehrverbänden nicht die Zusage geben, immer nach deren Direktive zu handeln. Andernfalls würden sie mit einer solchen Zusage sich ihrer Selbständigkeit begeben. Wo sollte übrigens die Stell« sein, an die sich eine politische Partei gegebenenfalls wenden könnt«, um zu erfahren, was die Wehrverbände positiv wollen? Bisher war die Uneinigkeit unter den Vaterländischen Verbänden zweifellos nicht kleiner als unter den bürgerlichen Parteien. Wenn also die sächsischen Wehroerbände etwas einigen wollen, dann mögen sie in ihren eigenen Reihen und bei den be- freundeten Organisationen im Reiche ansangen. Da finden sie Arbeit genug...... Das Verlangen der sächsischen Wehrverbände an die bürgerlichen Parteien, niemals und auch nicht von Fall zu Fall mit der Sozialdemokratie zusammenzugehen, ist zunächst auch nur eine Forderung negativer Natur. Soll diese Forde- rung bejaht werden auf die Gefahr hin, dem Radikalismus in d:r sächsischen Sozialdemokratie zu einem großen Sieg« zu verHelsen? Soll sie bejaht werden, auch wenn die natürliche Folg« ein« weilere Annäherung der kommunistischen und sozlalsstifchen Parteien ist? Soll sie von der Deutschen Voltspartei und den Deusschnationalen bejaht werden, wenn Demokraten, Wirsschaftspartei und Zentrum sie restlos ablehnen und sich aus dieser Ablehnung nicht ein« Isolierung der Sozialdemokratie, sondern der Deutschen Volkspartei und der Deutschnationalen ergäbe? Es hat in der Deusschnationalen Volkspartei eine Zeit gegeben, und das ist noch nicht lang« her, wo sich selbst Westarp und Hergt unter Umständen, für«in tattssches Zusammengehen mit der Sozialdemokratie, also für«in Zusammengehen von Fall zu Fall ausgesprochen haben. Die Deutsche Volkspartei wird sich niemals dazu bewegen lassen, eine groß« Partei wie die Sozial- demotrati« grundsätzlich von der praktsschen politischen Arbeit auszuschließen.". Diese ablehnende Antwort zeigt die Absicht, die Eristenz der Volkspartei als selbständige Partei gegenüber der Deutsch - nationalen aufrechtzuerhalten. Es wird jedoch behauptet, daß die Meinungen darüber in der Volkspartei selbst geteilt seien. Die Absicht der Deutschnationalen ist es. mit Hilfe des Stahlhelms die Volkspartei zu sprengen, die Absicht des Stahlhelms, aus Sachsen ein Stahlhelmparadiee nach dem Muster von Braunschweig zu machen: Stahlhelmregie- rung, Stahlhelmverwaltung, Stahlhelmjustiz, und— Stahl- Helmkorruption. In Braunschweig geht die Stahlhelmherr- schast, die dem Lande schweren Schaden zugefügt hat. ihrem Ende entgegen. Die kommenden Wahlen werden sie hinweg- fegen» und der Stahlhelm versinkt in einem Sumpf der Korruption. ... Nun soll Sächsen das nächste Versuchsobjekt werden. Mit der Stahlhelmmehrheit wird es zwar nichts werden— aber die Korruption ist schon da. Denn die Verbände, die das Ultimatum an die Voltspartei gestellt haben: Ivngdeutschcr Orden, Stahlhelm, Wiking, Werwoif und Reichsslagge, das sind genau und gerade d i e Organisationen, die mit den von dem verurteilten Meißner dem Voltsopser u n t e r s ch l a- genen Geldern finanziert worden sind. Ein sauberer Plan: Stahlhelmblock, Diktator Ehrhardt, finanzielle Basis: unterschlagene Gelder.
�natole Irance über Herrn Kölling. Anatol« France , der französische Dichter, Sozialist und Sozial- ironiker, hat in seinen berühmten luristischen Geschichtchen auch den Fall K ö l l i n g vorausgeahnt und das Notwendige dazu gesagt. In seiner Novelle„Sancta Iustitia" schildert er das Wesen des Buchstabenrichters, der seine politische Gesinnung bei seinen amtlichen Untersuchungen nicht ausschaltet— auch nicht ausschalten kann, weil sie natürlich als Ausfluß seiner Weltanschauung trotz ollen vara- graphierten Bestimmungen in ihrer Auslegung zum Vorschein kommen muß. Dieser Richter nun hatte eines Tages ein« Unter- suchung gegen einen freigeistigen Lehrer zu führen, der den klerikalen Gesinnungsfreunden des Beamten unbequem geworden war und von ihnen einer angeblichen Schülcrmihhandlung denunziert wurde. Er sollte einen Knaben mit entblößtem Gesäß auf einen heißen Osen gesetzt haben! Der Untersuchungsrichter vernahm nun nicht etwa zuerst den beschuldigten Lehrer, sondern forschte bei den Schülern der Klasse, in der die Mißhandlung verübt sein sollte. Sämtliche dreißig Kinder wußten von nichts. Aber der tüchtige Untersuchungsrichter ließ nicht locker, vernahm sie wieder und wieder und das wochenlang. Nach einem Monate hatte er ein Resultat, das ihm behagte: sämtliche Schüler sagten im Sinne der Beschuldigung aus und erklärten in übereinstimmenden Wendungen, der Lehrer habe ihren Kameraden geheißen, sich mit nacktem Hintern auf den glühenden Ofen zu setzen! Nunmehr ging der Richter zur Vernehmung(noch immer n-cht etwa des beschuldigten Lehrers, sondern) des Schuldieners über. Der aber erNärte kurz und bündig und beweiskräftig, daß in dem ganzen Schulhause sich überhaupt— kein Osen befände! Damit siel die Beschuldigung in sich zusammen und wurde gegen- standslos. Aber das Ziel der Anzeige gegen den mißliebigen Lehre- war erreicht: die Kinder riefen ihm auf der Straße„Kinderbrater" nach, seine Autorität war erschüttert, und ihm blieb nichts übrig, als seine Stellung zu verlassen. Die klerikalen Ankläger hatten mit Hilfe der eigenartigen Untersuchungsmethoden des Richters einen ver- haßten Gegner zur Strecke gebracht. Sie konnten triumphieren, ihr Feind mußte gehen.... Der Richter selbst aber suchte den Irrtum oder die Schuld nach wie vor nicht in sich selbst und seiner Untersuchungsmethode, sondern erklärte olles mit den Lügen der— Kinder. Er sah nicht, daß erst seine Beharrlichkeit gegen den Lehrer den Kindern die Lüge in den Mund gelegt und sie zum Lügen ermutigt hatte. Und deshalb blieb er von sich und anderen unangefochten auf dem Dostamente der kühnen und durch die Einrichtung der Richterunabhängigteit aus- drücklich bekräftigten Behauptung stehen: „... Der juristische Irrtum ist eine Mythe... Eine Mythe bleibt aber nur die Zweckmäßigkeit der richterlichen Unabhängigkeit, die höchstens aus konfessionellem Gebiete eine Parallele in der Uniehlbarteit des Papstes in Glaubenssachen desitzt. Aber die /hat keine öfsentlich-rechtliche Bedeutung und leitet sich nicht aus irgendeiner idealen Forderung her. sondern einzig und allein aus göttlicher Gnade und Berufung. Gegen diese Argumente aber kann man nicht polemisieren, weil sie keine appellable Instanz haben!