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Nr. 372 43.Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Dienstag, 10. August 1926

Auf Wasserwegen Berlin  

Ein Bild, das wohl den meisten Berlinern unbekannt sein dürfte, bot fürzlich eine vom Fremdenverkehrsbureau der Stadt Berlin  veranstaltete Fahrt durch den Binnenhafen Berlin  . Mit einem städtischen Motorboot ging es morgens vom Bootshaus Treptow   los. Im strahlenden Sonnenschein lagen die Treptower Ausflugsstationen, die Abtei, die Eierhäuschen und wie sie alle heißen. Die prächtigen alten Bäume des Treptower Partes umfäumen das Ufer. Paddel­und Ruderboote tummeln sich. Als erstes ist die Besichtigung des Kraftwerkes Rummelsburg   vorgesehen, das mit großen Schritten feiner Vollendung entgegengeht.

Der Neubau des Großkraftwerks.

Der Neubau wurde im Oktober vorigen Jahres begonnen. In 200 Tagen wurden 200,000 Rubitmeter Erde ausgeschachtet, welches Gewicht einen Eisenbahnzug in der Länge Berlin  - Leipzig  , movon jeder Waggon 15 Tonnen aufnimmt, füllen würde. An Eisen­material wurden bisher 18 000 Tonnen eingebaut. Das Turbinen­haus wurde innerhalb 14 Tagen fertiggestellt. Zurzeit beschäftigt das Werf 2000 Arbeiter in drei Schichten zu je 650 Mann Tag und Nacht. Die Nachtschicht umfaßt hauptsächlich Aufräumungs- und sonstige leichtere Arbeiten. Pro Tag werden 35-40 Baggon Kohle entladen. Das Schalthaus liegt vollständig getrennt von den maschinellen Anlagen. Die Fundamente erheben sich 8 Meter über den Boden und 14-16 Meter in die Erde hinein. Das Kesselhaus hat eine Heizfläche von 1750 Quadratmeter, eine Ueberleitung von 400 Grad und der Feuerraum könnte ein dreistöckiges Haus fassen. Das elfstöckige Hochhaus enthält Bureau- und Wohlfahrtsräume, Badeanlagen, einen Vorführraum für technische Lichtbilder usw. Der Wasserkonsum des Werkes beträgt 14 Rubifmeter in der Sekunde, das ist zweieinhalbmal mehr, als die ganze Stadt Berlin   in derselben Zeit an Wasser verbraucht.

Osthafen.

Auf der Weiterfahrt wird zunächst der Osthafen passiert. Die Geschichte der Berliner   Hafenanlagen liegt bekanntlich noch nicht allzuweit zurück. Bis in die jüngste Zeit besaß Berlin   tatsächlich feine der Entwicklung seines Güterverkehrs auch nur einigermaßen entsprechende Hafenanlage, im Gegensatz zu anderen, viel unbedeuten­deren Städten. Der gesamte Lösch- und Ladeverkehr spielte sich an den Ufern der Spree   und den im Stadtgebiet angelegten Kanälen ( Landwehr und Luisenstädtischer Kanal  , Spandauer Schiffahrts­und Charlottenburger Verbindungskanal) ab. Mitte der 90er Jahre beschäftigte man sich stärker mit den Ausbauplänen moderner Hafen­anlagen. Nach vielen Schwierigkeiten fam endlich der Bau des Westhafens zustande, der im Oktober 1913 dem Berkehr übergeben werden konnte. Der Hafen liegt am rechten Spreeufer auf dem zwischen der Treptower Ringbahnbrüde und der Oberbaumbrüde gelegenen früheren Stralauer Anger". Der Ausbau des Hafens in seiner jezigen Form verursachte einen Kostenaufwand von über 17 Millionen Mart.

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Die Figurantin.

Roman eines Dienstmädchens von Léon Frapié  . Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen von Kunde- Grazia. Man gab auch Abendgesellschaften, wo gelehrte Mufit gemacht und zarte Gedichtchen aufgesagt wurden. Gegen Mitternacht suchte Sulette, den infolge Magerteit länger erscheinenden Hals vorstreckend, durch die Türspalte zu blinzeln, ob die Teller voll Backwerk sehr verschwänden, und während der erhabenen Melodie zu überschlagen, wieviel von ihrem eigenen Fleisch die vor edler Sentimentalität ohnmächtigen Besucher weggeknappert hätten. nähte die Knöpfe fest; seine Frau, die das Mädchen in Im geheimen flickte der Kapitän seine Kleider, stopfte, Beschlag nahm, sowie er die geringsten Ausbesserungen beanspruchte, verstand sich schlecht auf diese Kleinigkeiten und war außerdem zu sehr große Dame, um sich mit einer Nadel in die Finger zu stechen. Nach ihrer Ansicht war es mehr wert, in Wasser gekochte Kartoffeln von Silbergeschirr zu essen, als Rindslende aus Neusilber  .

,, Das ist sehr hübsch," sagte Sulette für sich ,,, so zu denken, wenn man einen Teil des Tages sich auf der Chaiselongue herumwälzt; aber Leute, die harte Arbeit verrichten, haben einen Appetit ohne alle Umstände."

Oft trippelte der fleine Hauptmann wie ein Spürhund, in Verzweiflung, dabei sehr höflich, leise sprechend, hinter dem Mädchen her, um sie mit der sparsamen Abnügung des Besens, der berechnenden Handhabung des Wischlappens vertraut zu machen.

Schon in verschiedenen Häusern hatte Sulette Kedheiten der Gäfte zurückweisen müssen, die sich des Kniffs bedienten, unter einem diskreten Vorwand, beutesuchend, in die Küche zu gehen. Auch der Kapitän hatte einen alten, ledig gebliebenen, als Büstling bekannten Kameraden, der trotz Abwehr das Gebiet der Taille überschritt und die Ursache wurde, daß Sulette fortgeschickt wurde. Einmal, als ihm ein Griff zu gut geglückt war, warf fie ihm eine Kasserolle mit heißem Waffer ins Gesicht.

Die Fehler Sulettes nahmen mit der Dauer ihrer Dienstzeit zu. Ueberall wollten die Gebieter, daß das Hausmädchen einzig eine belebte Kraft, fast eine Materie sei, die aufgebraucht werden fönne; fie gestatteten ihr nicht, eigene Atemzüge zu tun, erkannten teine Gefahr darin, diesen

Durch Alt- Berlin.

Bom Osthafen ging die Fahrt stromabwärts unter die Jannowitz­brücke hindurch durch Alt- Berlin. Vorbei an der Waisenbrüde, wo noch die alten Fischkästen stehen, die in früheren Zeiten zur Auf­bewahrung der gefangenen Fische dienten. Vorbei an den beiden ältesten Straßen Berlins  , der Fischer- und der Petristraße, mit ihren fleinen verhuzelten Giebelhäuschen, dem holperigen Pflaster, das sich in dem kleinen Spalt zwischen beiden Häuserreihen ängstlich I durchzwängt. Ungemein romantisch, ja fremdartig wirkt die ganze Szenerie. Wie oft schon hat man im Film Venedigs   eigenartiges Straßengepräge bewundert, das ein geschickter Regisseur hier im alten Berlin   erstehen ließ. Während dieser Teil ausgesprochen italienischen Charakter zeigt, erinnert wiederum die Friedrichsgracht, anlagen. Kleine, blizblanke Häuschen wie aus dem Puppenkasten, an der jetzt das Wasser verbeiführt, stark an die holländischen Hafen mit heller Fassade vervollständigen den Eindruck der typischen holländischen Szenerie. Alle diese Bauten stammen noch aus dem 18. Jahrhundert. Sogar ein Garten aus der Rokokozeit ist hier erhalten geblieben. Weiter geht's unter der Gertraudtenbrüde hin­durch, vorbei am Standbild der hl. Gertrud, einer Aebtissin, die die Schutzpatronin der Wanderburschen war, vorbei an der Jungfern. brüde, so benannt nach all den netten Spizenverkäuferinnen, die Dann einst hier alle zusammenkamen und ihre Ware feilboten. Zeughaus, der Museums- Insel, den Nordhafen, nach der größten geht's durch die 1862 erbaute Schleuse, vorbei am Schloß, dem Hafenanlage Berlins  , dem

Westhafen.

Hier gibt es die größten Lagerhallen, Zollspeicher mit eigenem Zoll­amt, ein Getreidespeicher von 115 Meter Länge und über 27 Meter Breite, ein Kohlenlagerplatz von rund 20 000 Quadratmeter Fläche, mit einem Wort die größten bisherigen Hafenbauten Berlins  , die der Reichshauptstadt ihre Bedeutung als Binnenhafen sichern.

Die geplante Passage des Landwehrkanals war wegen seiner augenblicklichen Schließung leider nicht möglich und so ging's über Moabit  , Mühlendammschleuse zurück zum Ausgangspunkt Treptow. Ein seiten schöner, sonniger Tag begünstigte alle die interessanten Eindrücke. Fröhliches Treiben fand man allerwärts. Die Ufer die Kinder planschten nach Herzenslust. Die schwimmenden maren dicht bevölkert. Man schwamm oder lagerte in der Sonne, Jugendherbergen, vollgepadt mit fröhlichem Bolt grüßten lachend herüber und man sieht, auch in unmittelbarster Nähe der Millionenstadt finden sich Plätze der Erholung und des Ausruhens und mit ein bißchen Phantasie fann man sich sogar in ferne Länder versetzen.

Er liegt nördlich der Ringbahn zwischen den Bahnhöfen Beussel­und Buttligstraße. Hier treffen 3 Kanäle, der Großschiffahrtskanal für den Verkehr mit Stettin   und der unteren Oder, der Charlotten­burger Verbindungskanal für den Verkehr mit Hamburg   und der Spandauer   kanal für den Verkehr mit Oberschlesien   zusammen. Spandauer   Kanal für den Verkehr mit Oberschlesien   zusammen. Eröffnung der neuen Fleisch- Großmarkthalle.

Der Neubau des Großkraftwerks.

Organismus in die Familie zu verpflanzen, ohne ihm Licht und persönliche Freiheit zu lassen.

Nach dem Weggang aus dem Hause des Hauptmanns begann Sulette die Gier ihren Herren mit einer ent­sprechenden zu vergelten. Sie erledigte die Arbeit ohne Sorgfalt, wurde schmutzig und unaufrichtig. Um sich über ihren Drang nach da draußen" hinwegzutäuschen, machte fie Feuilletons ausfindig, die die Nächte mit Leben erfüllten, und tagsüber schlief sie während der Arbeit, zerbrach das Geschirr, versengte die Wäsche, verdarb die Soßen.

Es gab Zeiten, da glich fie einem kleinen, schlecht gefämmten, liederlich angezogenen Aschenbrödel, schleifte alte, gefämmten, liederlich angezogenen Aschenbrödel, schleifte alte, ausgetretene Schuhe nach, vergaß ihre Lappen und Fleder­brachte sie auf den krankhaften und verderbten Zustand jener wische in allen Ecken. Ihr unbefriedigtes Sehnen nach Liebe Geschöpfe, welche niemand trösten und schüßen will: sie stahl vom 3uder, vom Wein, vom Dessert. Die Gaunereien der Kaufleute, welche ihr den Sou vom Franken ,,, und noch etwas zu" gaben, waren feine verlorenen Lektionen für fie. unsaubere Gewinn ging im Ankauf von auffallenden Seiden­tüchern und billigen Parfümen auf.

Der

Besonders bemühten sich die bedeutenden Persönlichkeiten der Geflügel-, Fisch- und Gemüsehändlerinnen, bei denen die Dienstmädchen die Haupteinfäufe machen, sie zu wikigen. ,, Da, meine Kleine, ist ein Huhn, das ich Ihnen für vier Franken lassen, aber seien Sie nicht so föricht es Ihrer Gnädigen unter hundert Sous anzurechnen, ist für Sie, diese Ermäßigung.... Drei Franken die Forelle, ich gebe Ihnen eine Note über drei Franken fünfzig."

Bon den reiferen Köchinnen, die darauf lüstern waren, nette Männer zu erheiraten, Polizisten oder Aufseher in Paris  , belehrt, legte Sulette ein Sparkassenbuch an, brachte es in ihrer Matrage unter und träumte, darauf liegend, von Liebe. Am Morgen hatte sie bisweilen beim Ankleiden der Kinder eine Schwächegefühl in den Händen, wenn sie die Hemd­zipfel in den Höschen ordnete.

Ein komisches Vorurteil war es, daß sie sich immer um Stellen bemühte, wo es Kinder gab. Ueberall begegnete sie einer speziell kleinen Mädchen eigenen Bosheit, die noch raffinierter als die der Knaben war und aus Geschlechtseifer fucht hervorging.

Zudem gestattete man Mädchen wie Knaben, den Dienst­boten zu demütigen, zu quälen, um die Familienbande zu wahren. Aus schlauer Praris und trägem Hochmut übertrug

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Im Nordosten Berlins  , in der Landsberger Allee  , erhebt sich ein gewaltiger Riefenbau aus roten Ziegeln, der Vieh- und Schlacht­hof, der die Millionenstadt Berlin   mit Fleisch vom In- und Auslande beliefert. Auf eigenem, groß ausgebautem Eisenbahnanschluß, trifft hier das Vieh ein, auf der eigenen Zoll- und Untersuchungsstation wird es abgefertigt, geschlachtet und sodann den einzelnen Händlern in der Stadt zugeführt. Gestern wurde die neue Halle II mit einem Kühlhaus eröffnet. Die Bauten sind nach Ideen des derzeitigen Direktors vom Vieh- und Schlachthof, Caspar, durch die städtische Hochbaudeputation ausgeführt worden. Die Gesamtbau­Posten betragen rund 10 Millionen Mark. Trotz der hohen Baukosten war es der Stadt Berlin   demnach möglich, bei mäßigen Standmieten die Kühlhausgebühren unter den Säzen der Privatkühlhäuser zu halten und die Berkaufshallen ständig mit gefühlter und gereinigter Luft zu versehen. Die beiden ausgedehnten Verkaufshallen haben eine Größe von 12 000 und 7000 qm, dahinter befindet sich das Kühl- und Gefrierhaus mit seinen in 7 Geschoßwerken unter­gebrachten Arbeits- und Lagerräumen, sowie der ausgebaute Eisen­bahnanschluß. An Hauptmarkttagen werden die Hallen mit etma 1 500 000 kg Fleisch beschickt, die Besucherzahl beträgt dann etwa 6000 bis 7000 Händler, und etwa 1000 Fuhrwerke dienen dem An­und Abtransport der Ware. Die Anlagen tragen der immer stärker werdenden Entwicklung des Berliner   Fleischmarktes vollauf Rechnung und werden nach Möglichkeit späterhin noch vergrößert werden.

man Marien mütterliche Fürsorgen, ebenso wie die ganzen häuslichen Arbeiten, aber dank der den Kindern erlaubten Bosheiten hatten die Eltern feine Minderung der Liebe zu befürchten. Aus der Erkenntnis, daß gewisse Arbeit in Berruf stand, und man sie ausdrücklich dem Dienstmädchen zuwies, folgerten die Kinder, Marie sei ein niedriges und verächtliches Geschöpf; da sie die geringe Achtung fühlten, die man für deren bescheidene Person hegte, da sie ungeachtet der täglichen Berührung sie eine Fremde bleiben sahen, wurden sie gleichgültig, undankbar und verhärtet. Ihre Gemüter wurden für immer durch diesen familiären Kult der Maria" beeinflußt. Gleichwohl! Keine Grausamkeit heilte Sulette von ihrem Zärtlichkeitsdrange. Die nervöse Ueberreiztheit, Gesicht 30g sich schmerzlich beim Schreien der Säuglinge das Ungestüm ihres Temperaments, der vollerblühte Körper fuchten Genüge an den Wangen der Allerkleinsten. Ihr zusammen, sie lächelte, Tränen in den Augen, über deren zierliche Gebrechlichkeit. Die weibliche Reife veranlaßte, statt hysterischer Anfälle, Ausbrüche des Mutterschaftstriebes. Oft dachte sie:

Ich war entschieden dazu berufen, Kindchen. aufzuziehen. Ach, wenn meine Eltern nicht ihr Vermögen verloren hätten! Wenn ich eine Mitgift erhielte und heiraten könnte!" Leuten, die noch niemand zu ihrer Bedienung gehabt. Der Eine glücklichere Wendung trat ein: Sulette kam zu Mann, seit langem bei derselben Firma Arbeiter, war eben zum Werfführer ernannt worden. Die neuen Gebieter gaben sich einfach und familiär; sie erteilten nur lächelnd Befehle, unterhielten sich in herzlichem Tone mit dem Mädchen, halfen ihm sogar oder ersparten ihm Arbeit.

Das war eine Zeit der Gesundung; Sulette faßte wieder Mut, ohne verschlagen zu sein, Herrin und Dienerin sangen, jedes für sich in der Wohnung bei offenem Fenster sich tummelnd. Infolge des neuen Wohlstandes wechselte oder verbesserte man die ganze Einrichtung.

Aber der Verdienst des Werkführers reichte nur zu einer erträglichen Mittelmäßigkeit. Nach einiger Zeit entdeckte man mit Besorgnis, daß der Unterhalt des Dienstmädchens die vorgesehene Summe um vieles überſtieg. Dann wollte die Frau sich von der Magd unterscheiden, indem sie ihr die ganze Arbeit ließ: um sich abzusondern, verschwendete sie für Buz, erfand törichte und unnüße Ausgaben. Der Mann wurde gereizt, seine Gefährtin verändert zu finden und nicht zu wissen warum.

Fortsetzung folgt.)