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Sonnabend

21. August 1926

Unterhaltung und Wissen

Die Magd.

Stizze von Grete Massé.

Durch viele Häuser und Wohnungen ist sie gegangen, in allen fremden und wechselnden Räumen immer die gleiche. Weiße Türen varen um sie und dunkle, hohe Wände und niedrige, der bürgerliche veschränkte Wohlstand des Gewerbetreibenden und der Lugus des Kriegsgewinnlers fie aber blieb dieselbe, eine stille, magere Gestalt, glattes Haar straff zurückgestrichen aus dem ehrlichen Gesicht, im Waschkleid und Schürze, immer und immer die Magd.

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Wieviele Jahre hat die Magd schon gedient? Ach, sie weiß es nicht mehr! Jahr hat sie gelegt auf Jahr. Ihr scheint es, alle die aufeinandergelegten Jahre müssen schon hoch sein wie ein Turm. War fie einmal jung gewesen, die Magd? Ein Kind, das über die Straßensteine hüpfte oder, ein Käßchen im Arm, auf besonnter Haus­schwelle saß und das Näschen krauste, wenn die Sonne so heiß darauf schien, daß es juckte?

War sie einmal eine Jungfrau, die am Gartenzaun stand, wenn der Holunder so betäubend duftete und den Liebenden nachfah, die an ihr vorüberschritten, Arm in Arm, Schulter an Schulter, den fernen Straßen zu, auf die die Nacht sich senkte? Hatte sie sich einst in ihrer Kammer im Spiegel beschaut und gesehen, daß auch ihr Leib zart und blühend leuchtete im Mondenlicht? Hatte sie einmal rach Küssen verlangt und zärtlichem Wort? Hatte sie auch einmal gehofft, ein Kind zu haben, das so weich anzufühlen war wie Sammet und krähte und strampelte, wenn man es mit beiden Händen emporhob über sich?

Sie weiß das eine nicht mehr und nicht das andere. Sie weiß nur, daß sie gedient hat, vorgestern und gestern und dienen wird, morgen und übermorgen, bis der Sensenmann für sie die Sense schleift. Daß sie Tausende von Stiefeln gewichst hat, daß Staub aus Teppichen um sie gewirbelt und Abwaschwasser ihre Hände rot und heiß gemacht, daß sie Gästen, die kamen, die Mäntel von den Schultern genommen und den Tafelnden die Schüsseln gereicht, daß fic Wein eingeschenkt für die anderen, Biumen geholt für die anderen und die Treppen gereinigt, über die sie geschritten.

Im kühnsten Traum nicht war es ihr in den Sinn gekommen, daß sie je einmal etwas anderes sein könnte als eine Magd. Da riß das Schicksal plötzlich ihr ganzes Leben um und verkehrte seinen Sinn. Sie ward Herrin, Befizerin eines großen Hauses, Erbin cines erheblichen Vermögens. Sie hatte bei einem betagten Witwer gedient, der in seinem sechzigften Jahr eine leidenschaftliche Liebe zu einer jungen Schauspielerin gefaßt hatte und sie heiraten wollte. Seine Verwandten, die sich bereits seit Jahren als seine Erben betrachtet, hintertrieben diese Heirat auf jede Weise. Ob sie das Mädchen mit viel Geld bestochen, ob die Künstlerin Angst vor der gehäffigen Verwandtschaft und eine Abneigung gegen den ältlichen Bewerber bekommen, flärte sich nie auf. Die junge Lily Damerau aber verschwand aus der Stadt und alle Nachforschungen nach ihr blieben ergebnislos. Der trostlose Bräutigam erlitt einen Schlag­anfall, nach einigen Wochen einen zweiten, an dem er starb. Aber der Tod hatte ihm in der Zwischenzeit doch noch soviel Kraft gegönnt, cinen Trumpf auszuspielen. Aus Rache vermachte er sein ganzes Bermögen feiner stillen Magd, die ihn sorgsam gepflegt.

Die ging umher in dem großen Haus, in dem sie nun Herrin rar und begriff nicht die Wahrheit. Neffen und Nichten stellten fich bei ihr ein, die sich nie um sie gefümmert. Die brachten ihr schließlich bei, daß Haus und Garten, Möbel und Gerät wirklich ihr gehörte und daß ihr ein Bantguthaben zur Verfügung stände, das ihr jede Summe gewährte, die sie forderte. Man überredete sie, sich prunfvoll zu kleiden, zu reisen, Theater zu besuchen. Sie ließ sich mitschleifen, hierhin und dorthin, saß mit leeren Augen da, die roten Arbeitshände eingezwängt in Handschuhe von feinem Leder, auf dem spärlichen Haar einen Hut mit wippender Feder.

Dieses Leben lebte sie einige Monate, bis aus Sommer ein falter Herbst geworden. Die Rosen in dem großen Garten, der jetzt thr gehörte, entblätterten so rasch, daß alle Rosenstöcke plötzlich wie cerupft erschienen. Auf den Wegen häuften sich die gelben Ahorn­blätter, der wilde Wein am Haus wurde rot und braun. Nachts heulte der Sturm um die Fenster wie ein Wolf.

Da trat an der Magd, die Herrin geworden war, ein so selt james Wesen zutage, daß die Verwandten es für nötig hielten, cinen berühmten Arzt zu Rate zu ziehen. Die reiche Erbin nämlich begann, ihre eigene Dienerschaft zu bedienen, hinter ihnen herzu­räumen, die Schüsseln, aus denen sie gegessen, abzuwaschen und ihre Schuhe zu puzen. Der Arzt schüttelte den Kopf und nannte einen lateinischen Namen, den niemand verstand. Die Leute aber fagten. gerade heraus: Die Erbschaft hat sie verrüdt gemacht!" Die Bahrheit aber war, daß die arme Seele, die ein Leben lang gewohnt cewesen zu dienen, zu stäuben, zu putzen, zu räumen, gar nicht mehr enders fonnte als dienen, stäuben, puzen, räumen. geriebenen Advokaten gelang es nach Jahren auf Antrag der Ver­wandten, die Halbirre zu entmündigen. Neffen und Nichten zogen cin in das Haus und führten ein luftiges Leben in behaglichem und gesichertem Wohlstand. Sie aber blieb darin Magd, wie sie es gewesen. Staub aus Teppichen und Polstermöbeln umwehte fie, ihre Hände liefen rot an vom heißen Abwaschwasser und wieder öffnete fie die Türen für die Gäste, die famen, und reinigte nach ihnen die Treppen, über die sie geschritten.

Tänze auf Bali.

Einem

Die Insel Bali, eine der kleinen Sunda- Inseln, ist inmitten der fortschreitenden Zivilisierung ein Paradies, auf dem sich ursprüng­liches Menschentum in seiner Schönheit und Unschuld noch ziemlich unberührt erhalten hat. Eine große Literatur hat sich in letzter Zeit mit dieser Insel beschäftigt, und es gibt in Amsterdam   ein Bali Institut, das alles Wissen über die primitiven, jetzt allmählich ver­schwindenden Zustände aufbewahrt. Bei uns haben Balis Herrlich teiten einen begeisterten Schilderer in dem Arzt Gregor Krause foeben in neuer Auflage erscheint. Die harmonische Schönheit der gefunden, dessen bei Georg Müller in München   verlegtes Bali- Wert Menschen von Bali, die sich in ihren Körpern wie in ihrem Gang und ihrer Kleidung darstellt, offenbart sich am wunderbarsten in ihren Tänzen, die bei den Tempelfesten eine große Rolle spielen.

Wie die Bewohner den Göttern das Beste darbringen, was die Erde an Früchten und Blumen hervorbringt, so weihen sie auch die edelste Jugend und Blüte des menschlichen Körpers den über­irdischen Mächten im Tanz. Die Nacht bricht herein. Geräuschlos füllen sich die Tempelhöfe mit den festlich gekleideten Menschen. Die Musikinstrumente loden voller und leidenschaftlicher. Plötzlich bei einem mächtigen Afford steht in der schmalen Eingangsöffnung in ftarrer Unbeweglichkeit der Tänzer, ein junger Fürstensohn. Fadeln ilammen auf und werfen ein magisches Licht auf die große goldene Blumentrone, die er auf dem Kopfe trägt, auf die vorn und hinten lang herabwallenden seidenen Tücher, die goldenen, mit funkelnden

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Ein politisches Debut.

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Beilage des Vorwärts

( Ehrhardt hat die Abficht, die Puffchverbände ja einer parlamentarischen Partei zusammenzuschließen.)

, Garantiert herrlichen Zeiten werde ich euch entgegenführen! Das beschwöre ich mit den heiligsten nanu...?"

Chor der Flüchtenden: Um Gottes willen, Ehrhardt schwört...!"

Steinen besetzten Zierraten on Hals, Schulter, Armen und Knöcheln und auf den kostbaren Kris hinten im Gürtel. In beiden Händen trägt er eine goldene Schale, mit stark riechenden Blumen gefüllt. Seine Augen glühen in ekstatischer Berzückung. Seltjame Harmonien klingen auf. Mit ihnen beginnen sich langsam Finger und Zehen des Tänzers zu bewegen. Die Bewegung pflanzt sich fort längs des ganzen Körpers. Plötzlich bei einem neuen Akkord ist seine Haltung eine andere. Leidenschaftlicher werden die Töne, kürzer die Zwischenräume zwischen den wechselnden Haltungen, für unser Auge fast nicht mehr zu fassen. Nach vielleicht einer Stunde find plöglich, wie es scheint, Tänzer und Fackellicht verschwunden. Ein eigenartiger Weihrauch erfüllt die Nacht. Kleine Del­,, Auf einem niedrigen Tisch stehen die lämpchen werden angezündet. Gefäße, aus denen der Rauch aufsteigt. Darüber gebeugt fieht man hinter dem Tisch vier Mädchen knien, kaum 8 Jahre alt, in phan­tastisch reicher Kleidung, mit geschlossenen Augen. Die Köpfe der Mädchen beginnen langsam über den Weihrauchgefäßen Kreise zu beschreiben, mit dem Taft der Musik schneller werdend. Der Ober­förper fängt an, an dieser Bewegung teilzunehmen. Sie richten sich auf, und man sieht die vier jungen Körper, straff von dem langen seidenen Kleid umschlossen, voll des seltsamsten rhythmischen Lebens. Ihre Augen bleiben zu. ihre Schritte tanzen und harmonieren. Sie fingen leise. Der Weihrauch beginnt den ganzen Raum zu erfüllen, und auf scheinbar stets größer werdenden Abstand für die Augen der Zuschauer werden die Bewegungen lebhafter, leidenschaftlicher. Nach Stunden sieht man sie plötzlich wieder hinter dem Weihrauch tischchen niedergehodt. Eine von ihnen ist übermüdet in Krämpfeit niedergefallen; einige Tropfen Medizin helfen schnell."

Am Nachmittag des zweiten Festtages findet eine seltsame Prozession statt; voraus schreitet ein farbenprächtig gekleideter Riefe, in der Mitte ein Schamanentänzer, der in der rechten Hand ein Seine Muskeln fangen zu langes und breites Schwert trägt. zucken an, er springt auf und tanzt, während alle in einem Kreise um ihn niederhocken. Das haarscharfe Schwert wirbelt um seinen Kopf und Körper, kaum einige Millimeter von der Haut entfernt, mit einer lebendigen Kraft, die stets droht, in einem Augenblicke dem Leben des Tänzers ein Ende zu machen. Jedoch niemand denkt an diese Möglichkeit. Wer so von dem Geist erfüllt ist, den kann fein Unglück treffen, noch fann er Unglück bringen."

Eine große Rolle spielt der Tanz auch bei den Schauspielen der Balier. An den Fürstenhöfen sieht man darauf, gute Tänzerinnen unter den Palastdamen zu haben; in den Dörfern gibt es Tanzver­einigungen, und die einzigen Schulen, die die balische Kultur kennt, find Tanzschulen. Es ist für europäische Augen," sagt Krause, das feine Spiel der Muskeln des ganzen Körpers beim balischen Tanze vollständig zu erfassen, die Harmonie und Schönheit im Rhythmus genügend zu bewundern. Es ist der göttliche Rhythmus der Seele plastisch verwirklicht, die die Liebe einer gewaltigen und milden dieser Menschen, die durch das Mittel des Körpers jene Träume Natur unbewußt erblühen läßt."

Gemeinschaftsgefühl bei Tieren.

Von Erna Büsing.

Infolge der ganzen politischen und wirtschaftlichen Entwicklung wird gerade in heutiger Zeit das Gemeinschaftsgefühl sehr oft er­örtert. Ebensowenig wie an unsere Zeit ist es an die Menschheit als folche gebunden, sondern es fomumt als Schuh- und Truzbündnis, fowie in der Form eines geselligen Zusammenlebens auch bei Tieren vor.

Damit ist natürlich nach nicht gefagt, daß alle in Herben lebenden Tiere gegen einen gemeinsamen Feind geschloffen vorgehen, Im

Gegenteil treibt der Mensch, mit einem Gewehr bewaffnet, fast regelmäßig die Herde in die Flucht, wenn er sich ein Tier zum Opfer auserwählt. Das ist sogar bei den wilden Elefanten der Fall, ob­wohl doch sie, dank ihrer Kraft, leicht einem Menschen den Garaus Es ist fast immer, selbst bei den gefährlichsten machen könnten. Tieren, dasselbe Bild, das einzelne, verwundete Tier wird furchtbar und nimmt den Menschen an, die Herde treibt das Erschrecken in die Weite. Bei den ausgesprochenen Hehraubtieren, den Wölfen, fann freilich die Meute jedem Angegriffenen zur schweren Gefahr werden. Hinzu kommt, fo berichtet wenigstens A. E. Brehm, daß der Wolf auf seinen Jagd- und Wanderzügen sechs bis zehn Meilen in einer einzigen Nacht zurücklegt. Eine derartige Beweglichkeit er­fordert selbstverständlich einen bedeutenden Nahrungsverbrauch. Gerät aber der einzelne Wolf in seiner Freß- und Mordlust an Pferde- und Schweineherden, so wird er von diesen abgeschlagen. Herdenweise schreiten auch die Meerkatzen zur Verteidigung gegen einen tierischen Feind. Diese, bei den Menschen sehr beliebten Affen, leben in der Freiheit in Herden, die unter der Führung eines Männchens stehen. Da die Meerkazen reine Baumtiere sind, droht ihnen eigentlich nur von größeren Raubvögeln Gefahr. Die Meer fazenherde arbeitet jedoch zufammen, wenn es gilt, den Raubvogel zu vertreiben.

In Afrika  , mo zu gewissen Zeiten noch reine Vogelparadiese bestehen, flüchten fleinere Bögel, sobald ihnen irgend etwas nicht geheuer vorkommt, in der sie schützenden Wald von Kranichbeinen. Die Kraniche stehen nämlich gelassen am Ufer und bieten infolge ihrer Größe den kleineren Vögeln einen Unterschlupf. In Deutsch­ land   können wir es erleben, daß der Winter oder vielmehr der Hunger, die Meisen gesellig macht. Die verschiedensten Arten finden fich dann zufammen und gehen gemeinschaftlich auf Nahrungs­fuche aus.

Bekannt ist der erschreckend große Schaden, den ein mit Kindern gesegnetes Löwenehepaar anstiftet, wenn die Jungen das Jagen lernen. Ueberhaupt fommen Rudel jagender Löwen   vor, die ihre bestimmten Jagdlisten haben, denn sie teilen sich und treiben einander Das Wild zu. Doch gegen angreifende Menschen operieren sie offen­bar nie gemeinsam. Das erfährt man aus vielen Jagdberichten. zur Liebeszeit sind Löwen   gegeneinander sehr unleidlich. Gustav Jäger   behauptet, dieferhalb hätten die männlichen Löwen   von der Natur die Mähne als Baufhemd" bekommen, das die Kehle mit den Schlagadern vor Bissen schützt.

Zu einem Schußbündnis finden sich bekannterweise Strauße, 3ebus und Antilopenherden zusammen. Der Strauß hat, wie das Bogelart ist, feinen irgendwie ausgebildeten Geruchssinn. Doch haben Bebus und Antilopen eine feine Witterung. Der Strauß hingegen hat ein scharfes Auge, dem nichts entgeht. So leisten die Tiere einander gute Dienste.

Eine gemeinsame Arbeit, um ein Ganzes zu schaffen( vom Ameisen- und Bienenstaat sei hier nicht berichtet), sehen wir selbst

bei fleinen Tieren. So spinnen die Raupen des Schmetterlings Goldafter  , der ein Schädling unserer Obstgärten ist, gemeinsam ein Nest, in dem sie überwintern. Die Raupen des Ringelspinners haben die gleiche Gepflogenheit.

Die so vermehrungsfähigen Schellfische, die trotz der Fisch­dampferraubzüge mit Grundschleppnetzen usw. die Nordsee   noch immer dicht bevölkern, suchen, nach D. Schmeil, in ihrer Jugend Schuk unter dem Schirm von Wurzelquallen.

Das berühmteste Gemeinschaftsleben aber führen Einsiedler. frebs und Schmarozerseerofe. Er friecht, wie das so seine Ge­wohnheit ist, in ein Schnedenhaus, fie fiebelt sich darauf an. Ihre Nesselkapsel schützt ihn vor Feinden, er trägt sie in neue Beute­gebiete. Ferner bekommt sie, wenn er seine Nahrung zerkleinert, ihr Teilchen ab.