Sonntag 22. August 192S
Unterhaltung unö ANissen
öeilage öes vorwärts
KI diablo. Eine Tragikomödie im Urwald. Von Fritz Strauß. Hoch oben im oördlichen Zipfel Boliviens liegt die..Stadt Ribealta. Der letzte, leise oerwehende Gruß der Kultur, die sanft verklingende Erinnerung an die Zivilisation. Ein« halbe Stunde davon entfernt beginnt der Urwald, das geheimnisvoll« Reich der großen Flüsse, die schauerschwere Einsamkeit des unerforschten Ge- bietes, wo man nichts mehr braucht, als zwei scharfe Augen und ein« gute Büchse. Ich war vor kurzem von einem mehrtägigen Jagdausflug in der Umgebung heimgekehrt und rüstet« mich zu einem Abenteuerzug ins Innere. Mein Gastgeber war ein Bolivianer, der an den Ufern des Beni ausgedehnte Gmnmiwülder besaß, in denen feine Lohnsklaven für ihn arbeiteten. Eines Tages um die Mittagszeit erscheint«in Gummipicker und will den Patron sprechen. „Was willst du?' „O, Senjorl— El tigr«* Der Bolivianer bezeichnet mit diesem Ausdruck den Jaguar. Den eigentlichen Tiger gibt es in Bolivien nicht. „Was ist's mit dem Tiger?" „Er hat mir alle' Schwein« gestohlen und alle Hühner. Ich möchte«inen anderen Platz im Wald." „Unsinn! Schieß den Tiger totl Du hast ja ein ausgezeichnetes Gewehr." „Er kormnt immer, wenn ich fort bin." „Dann bleib zu Haufe und warte auf ihn." „Si, st Senjor.— Aber mein« Munition ist alt." Der Patron oerschwindet hinter einem Borhang und kehrt mit «in paar Schachteln zurück.„2>a hast du Pulver und Blei. Berwahr sie mir gut und verlier« sie nicht!" Don Angela zieht einen Baststrick aus der Tasche seines einzigen Bekleidungsstückes, das vor Iahren unstreitig einmal eine Hos« ge- wesen ist, bindet die Schachteln zusammen und bricht unverzüglich auf. Der Weg nach seiner Hütt« ist ziemlich weit. Zwei ganze Tagereisen. Nach fünf Minuten denkt kein Mensch mehr an den Aorgang, und eine Biertelstunde später ist er vergessen. Bis am Abend des fünften Tages der Gummipicker urplötzlich wieder, wie aus der Pistole geschossen, in unser« beschauliche Unterhaltung hinein» platzt. Betrübliches hat sich ereignet. Der Jaguar holte sich am hellichten Tag« Don Angelos Sprößling aus der Hängematte heraus. Kurz vor dessen Rückkehr aus Riberalta . Der geschädigt« Bater ergeht sich in einer Flut von Schimpfworten über diesen Teufel von einem Tiger, der in gröblichster Weis« fein Familienleben stört und fordert die Anweisung eines anderen Abschnittes. Er rvill auf die gegenüberliegend« Seite des Flusses. Da sei ohnedies«in« Hütte frei geworden, weil Don Pantfcho eben an einem Schlangenbiß ge- starben wäre. Der Patron erklärt sich mit dem Borschlag einverstanden und entläßt unter wohlwollendem Kopfnicken den Btttsteller, wobei er es nicht versäumt, dem tüchtigen Don Angela die Ergänzung des Aus- falles ans Herz zu legen. Der oersichert, sein Möglichstes zu tun und zieht befriedigt ab. Der Europäer steht solchen Verhältnissen fassungslos gegenüber und hält st« für eine Ins Groteske gesteigerte Uebertreibung. Es handelt sich indes hier um zahm« Indianer, sogenannte Indios, um Menschen, die in ihrer Urwaldheimat aufgestöbert, allmählich die neu entstandenen Ansiedlungen und ihre Bewohner kennen lernten und schließlich notdürfttg von diesen in die unerläßlichen Formen für«in Zusammenleben gepreßt wurden. Aber in ihrem Blut«, gleichsam als letztes Erbstück ihres versunkenen Stammes, liegt unauslöschlich jene beispiellos« Erhabenheit über unabänderliches Geschehen, wie sie nur den freien Söhnen der Wildnis eigen ist. Tagtäglich umdroht von ek- barmungslosen Gewalten einer ungebändigten Natur, sind sie aufs innigste vertraut mit dem Geheimnis von Leben und Tod und beugen sich der unbewußten Erkenntnis mtt«wer Größe, die wir niemals begreifen. Ich habe während meine» Aufenthaltes in Bolivien unter zahmen und wilden Indianern und schließlich drei Monate unter bisher unentdeckten Kannibalen gelebt— aber ich habe nie ein« Aeußerung des Schmerzes gehört, nie eine Frau weinen gesehen. Zu diesem Schlage gehörte Don Angela. Nach acht Tagen kommt er wieder als Nachspeis« zu unserem Abendessen angepilgert. Erstaunt mustert ihn der Patron:„Caracho, was willst du schon wieder?� „0, Senjor!— El diablo. Er ist mitgezogen." „Du bist verrückt. Hast du ihn denn gesehen?" „No Senjor.— Aber er hat mein« Frau gefressen." .Lein« Foau?— Earambal" Und nach einer Weil«:„Du bekommst«in« neu«. Ein« ganz junge. Aber nun schieß den Tiger endlich tot. Wenn du ihn hast, kannst du wieder kommen und dein« neu« Frau abholen." Auf seinem Heimmarsch hatte Don Angela diesmal Begleitung, nämlich mich und mein« kurze englische Jagdflinte, die Rifl«, und war selig darüber. Tief im Urwald, unweit dem Beni, liegt Don Angelos Hütt«. Ein« elend«, in landesüblichem Stil verfertigte Baracke aus dünnen Bambusstäben mit einem Dach von gedrehten Palmblättern. Unter dem hochlicgenden, rostartigen Fußboden schwelen glühende Stämme, deren beizender Rauch in langen Schwaden den einzigen Raum der Behausung durchwogt. Ein« Schutzmaßnahme gegen die fürchterlichen Peiniger, die Moskitos. Ein kleiner Platz um die Hütt« ist gerodet und festgetrampelt und da» hängende Schlingwert teilweise von den Bäumen entfernt. Di« Aussicht nach allen Seiten ist durch Lianen, Gestrüpp, Stauden, Blätter und hochragend« Riefenfarren gesperrt. Im Morgengrauen hat Don Angela vor dem Hütteneingang ein junges Wildschwein angebunden. Seit dieser Stund« liegen wir im Gebüsch versteckt mit zehn Schritt Abstand von einander auf der Lauer. Mein Iagdgefährt« hat mir die Rifl« abgebettelt, weil er ebdn zu gern« persönlich« Abrechnung mit dem„Teufel" halten möchte und mir sein eigenes„ausgezeichnetes" Gewehr in die Hand ge- drückt. Leider ist e» jedoch noch viel gefährlicher, als der Jaguar selbst und ich werde nur in höchster Not, in selbstmörderischer Absicht von ihm Gebrauch machen. Immerhin hat es einen Wert als Museumsstück. Der blechdünnt Lauf dieses Vorderladers weist Löcher m der Größe eines Fingernagels auf. die der Rost hinein- gefressen hat und ist an seinem Ende ausgezackt. Die Ladung besteht au» Blei. Nägeln und ähnlichen harten Gegenständen. Wie gesagt: Nur in höchster Not. Ein« gläsern-grüne Dämmerung hält mich umfangen, die etwas jeltjam Starre, au sich hat und einem das Gefühl aufzwingt, daß
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Eine Surleske. 2. �kt
3. M
,Zu Hilfe! Roth Mischer will öle Einheit sprengen!�
hier die Zeit still steht in ihrem Lauf. Aber die Sonne muß schon in den Mittag hineingewandert sein. Der Urwald brütet ein« fürchter- liche Hitze aus, die einem den Schweiß aus allen Poren treibt und den Atem benimmt. Nichts regt sich, kein Laut wird wach. Nur manchmal flattert der ferne Ruf eines Arara auf und macht die Stille noch schwerer. Ich sänge leise zu dämpfen an, wie das Fleisch im Tigel. Jetzt könnte wahrhaftig der„Teufel" endlich mal kommen. Cr denkt nicht daran. Immer schwerer werden meine Lider, immer häufiger stnkt mein Kopf vornüber, verschwommene Bilder blühen im Hirn auf— und dann bin ich wohl eingenickt. Das Knacken eines Astes läßt mich erschreckt ausfahren. Mit allen Anzeichen der Angst rennt das angebundene Wildschwein planlos hin und her. Don An- gelo schleicht hinter mir vorbei. Ich richte mich auf, ihm zu folgen. aber er bedeutete mir durch eine Handbewegung, zu bleiben, kriecht aus. dem Gebüsch und schiebt sich wie eine Schlange über den Boden an einen dicken Baum heran. Sekunden verstreichen. Atemlos spähe ich nach allen Seiten, suche den Rand des Urwalds vor mir ab, bohre meinen Blick in Strauchwerk und Lianengewölk— nichts!— Da!— Seitlich de« Hauses zuckt eine Bewegung auf— ein Ast zittert— die langen Wedel der Farren schwanken. Und jetzt teilt sich die wirr« Blätterwand, schwarzgelbe Flecken vermischen sich mit dem Grün— der Jaguar tritt auf den Plan. Lautlos, lässig den Schweif nach- schleisend, schreitet er bis in die Höhe der Hütte. Dann Hütt er inne, hebt langsam den mächtigen Schädel und steht wie aus Stein gemeißelt. Hinreißend In seiner Pracht. Der Schrecken aller Tiere, der König des Urwalds. Ein wunderbares Ziel für Don Angela, von dem ihn keine zehn Schritte mehr trennen. Aber der Mensch schießt nicht. Ich sehe ihn auch nicht mehr, er hat seinen Platz verlassen. Ist ausgerissen oder plötzlich verrückt geworden, ich weiß es nicht. Ich kann unmöglich auf diese Entfernung mit meiner Donnerbüchse schießen, das wäre Wahnsinn. Eiskalt läuft es mir über den Rücken. Mit einem Male duckt sich der Jaguar, blitz- schnell straffen sich seine Muskeln, wie ein Pfeil fliegt er durch die Luft. Kein Zweifel, er springt Don Angela an. Um aller Heiligen willen, wo steckt der Kerl bloß! Polternd schlägt die große Katze auf den Boden, spannt die Muskeln zum zweiten und letzten Sprung gegen ihr Opfer— da zerreißt ein wilder Schrei die Stille:„Diablo! Diablo!" Mit hochgeschwungener Risle stürzt Don Angela wie ein Be- sessener auf den Jaguar los und läßt den Kolben auf seinen Schädel niedersausen, baß es nur so kracht. Ich bin selber wie vor den Kopf geschlagen und lause schnell an die Bestie heran, um ihr aus nächster Nähe im Bedarfssall den Todesschuß zu geben. Es ist nicht mehr nötig. � Don Angela hält den Lauf der Riste in der Hand— der Kolben hat dran glauben müssen— und macht ein verdutztes, schuldebewußtes Gesicht.„O. Senjorl— Verzeih! Di« schöne Flinte." „Ja, warum hast du denn nicht geschossen, du Gürteltier?" „Geschossen? Earamba, ich habe es mir überlegt. Die Flinte war viel zu klein für den großen Teufel, er wäre mir davongelaufen, er wäre ganz sicher wiöder davongelaufen. Da habe ich ihn lieber erschlagen. Aber jetzt ist er ganz gewiß tot. Und ich kann mir meine neue Frau holen. Earacho, Senjor, er war ein Teufel."
Das Jubeljahr eines Sealers. Von Dr. Franz Rothenfelder. In ihrem Legendarium gewährt die Kirche allen menschliche» Schwächen Spielraum. Wir finden darin neben dem heiligen Schuster, der Leder stahl, um den Armen daraus Schuhe zu machen. euch die heilige Freudenhausbejitzerin, die einen Bischof«ine Nacht lang beherbergt und in dieser einen Nacht so stark an die neue Lehre glauben lernt, daß sie freudig dafür am anderen Tage den Feuertod erleidet. Immer aber handelt es sich bei den Heiligen mn längst Es- storbene, den Lebenden gegenüber bringt die Kirche nicht das Höchst- maß von Duldung auf, und sie denkt ja auch nicht daran, einer harten welllichen Justiz in die Arme zu fallen. Darum braucht es uns nicht so stark wundernehmen, wenn wir sie bei der Feier eines Iubcljahrbeginns einträchtig mit dem Staat am Grabe eines heiligen Bettlers sehen, und wir sind gefaßt, am 4. Oktober, dein Todestage Franz von Assisis, den höchsten weltlichen Glanz um die Gebeine des Mannes zu sehen, der sie von Herzen verachtete. In dieser Totenfeier liegt die Tragik des lebenden Franz von Assisi , und die siebenhundert Jahre, die uns von dein Tage seiner Geburt trennen, entschuldigen und erklären sie nicht. Schon zu Lebzeiten setzte sie ein und in absehbarer Zeit können wir auch den Tag begehen, an dem sich zum ersten Male die eigenen Jünger wider den Apostel der Besitzlosigkeit erhoben. Noch heute ist der Orden gespalten, denn nicht alle Mönche blieben der leiden- schaftlich verfochtenen heiligen Armut treu, und das Grab ist Eigen- tum der Nachfolger, die den Klosterbesitz wieder eingeführt und das Barfußgehen abgeschafft haben. Was die Jahrhunderte hindurch ge- schah, das wird sich in diesem Jubeljahre bis zur Grenze des' Er- träglichen steigern: schwarze und braune Franziskaner werden, ein- ander Feind mit dem ganzen gegenseitigen Haß italienischer Ordens- brüder, in der unterirdischen Grabkirche sich in die Totenwacht teilen. Aber warum soll nicht in der umbrischen Stadt im kleinen geschehen, was sich in Jerusalem tagtäglich in gewaltigem Maß- stabe um ein größeres Grab vollzieht, allerdings mit dem Unter- schiede, daß sich hier die ganzen christlichen Bekenntnisse als Grabhüter in den Haaren liegen? Es ist ein Trost: was unvergänglich an dem Großen von Assisi ist, das ist längst der engen kirchlichen Obhut entschlüpft und zum Gemeingut der Menschheit geworden, die nur zwei Heilige kennt, beides historische Persönlichkeiten von ähnlichem Fühlen und Schicksal: Buddha, den Vollendeten, und Franz, den Heiligen. Die haben es gemeinsam: Verachtung des ererbten Besitzreich. tums und Lossagung von ihm, Verherrlichung der Armut im Sinne einer Besitzergreifung aller kosmische� Freude und die unendliche Liebe zu allem Lebendigen, die kernen Unterschied zwischen Mensch und Tier duldete, und allem, was atmet, Seele zusprach. Wir kennen den Sonnensang des Heiligen, der Sonne, Mond. Sterne und selbst den Tod Brüder des Menschen nennt. Wir sehen ihn den„Bruder Wolf" freundlich ermahnen und bitten, er möge