Nr. 402 ♦ 4Z.Iahrgaag
3. Beilage öes vorwärts
5rettag, 27. August
Die Krise in öer kpd. deutsche Arbeiter, oder russische Staatspolitik? Von Reinhold Schönlant. Senoffc 3t« Infiotb Cdiünlanf renkst uns folgenden intet. «(Tanten Ärtikel, Ken wir wiedetaeben. odwobl vir in der Beurtei- lung der gegenwürtigen innerrusfilchen Politik in manchen Punkten nicht mit ihm tibereinstimmen. Di« Komm-unistische Partei wird schon jahrelang von Fieber. schauern geschüttelt. Aber niemals ist ihr Zustand bedenklicher ge- wesen al» setzt. Di« gesamt« Partei befindet sich in Unruh«. Eine Richtung kämpft gegen die andere. Niemond weiß, wie das Ende fein wird. Eines jedoch ist jetzt schon sicher: Di« KPD. muß, wenn st« die Interessen derer wahrnehmen will, die sie zu vertreten vorgibt, nämlich der deutschen Arbeiterklasse, sich unverzüglich von dem Ein» slusse Moskaus befreien. Tut sie das nicht, wird sie sich spalten. Tefrcit sie sich vom moskowitischen Imperialismus, dann ist in Deutsch - land kein Platz mehr für eine Arbeiterpartei außer- halb der deutschen Sozialdemokratie. Wie sich die Dinze auch gestalten werden,«ine» ist sicher, die deutschen Kommu- nisten stehen an einem Scheideweg«, der sie ins Nichts oder zu- rück in die Sozialdemokratie führen muß. Wie kam es zu den Spannungen in der KPD. ? Demjenigen, der die inneren Strömungen in der KPD . nicht kennt, der sie nur aus ihren hochtrabenden Aufrufen und Erklärungen beurteilt, muß viele» anders erscheinen, als es In.Wirklichkeit ist. Tatsächlich ist der Werdegang der KPD . die Geschichte jener Schichten der deutschen Arbeiterklasse, die von den revolutionären Ereignissen der Jahr« 1317—1918 erschüttert, dem Laus« der Geschichte vorauseilen wollten. Allzu langsam schien ihnen der Gang der Geschehnisse. Sie wollten im kühnen Ansturm erobern, was nur Frucht jahrelangen, harten Ringen» einer geeinten Arbeitertiasse im revolutionären Kampf« fein konnte. Geht es doch wohl fast einem jeden von uns so, daß dem heißen Herzen das Tempo des Fortschrittes ungenügend erscheint. Würde uns nicht die nüchtern« Erkenntnis der Triebkräfte der Ge- fellschaft leiten, dann würden auch wir In dieselben Fehler verfallen wie die KPD . So erstand aus der Stimmung des Vorwärts- stürmen-Wollens die Richtung in der KPD., die die Welt- reoolution erzwingen wollt«. Warnend hatte kurz vor ihrem Tode Rosa Luxemburg in der„Roten Fahne* geschrieben: .Kürzer treten!—* Di« klugen und abwögenden Elemente wurden nach der Vereinigung mit der USPD . im Jahr« 1020 aus der Leitung gedrängt. Jene Führerschichten bekamen die Oberhand, die«in« neue Revolutionstheori«, der man den lltamen Offensivtheori« gab, aufgestellt hatten. L e v i und Klara Zetkin mußten gehen. B r a n d l e r erhielt die Führung. Er ließ sich in die unselig« März. aktion des Jahres 1921 treiben, die gestützt auf«in« Analyse der Weltlage, in dem Satz« gipfelte:„Der Krieg zwischen Amerika und England steht vor der Tür. Di« Weltrevolutichn muh siegen: schlagen wir darum in Deutschland los.* Wie war er zu dieser Anschauung gekommen? Wenn wir diese Frag« beantworten wollen, kommen wir aus da» Zentral- Problem der KPD. — ihr Verhältni» zu Rußland . E� darf hier als bekannt vorausgesetzt werden, daß Rosa Luxemburg nnd ihr Kreis«in« ablehnende Haltung gegenüber den Prinzipien der russischen Bottchewiki nach deren Machtergreifung«innahmen. Ihre meisterhaft« Kritik ist inzwischen in allen wesentlichen Punkten bestätigt worden. Aus dieser Haltung herau» wollte dieser Kreis, bekannt unter dem Nomen„Spartakusbun d", sein« Politik unabhängig von den russisch-bolschewistischen Einflüssen halten. Auch nach dem Tode von Rosa Luxemburg wurde dies« Politik fortgesetzt. Paul Leoi und seine Anhänger schufen sich im sogenannten West- europäischen Sekretariat«in« Plattform, die ihre Gegen- sähe zu den rufsisch-bolschewistischen Handlungen aufdeckte. Di« Haupt- punkte, in denen sie sich van den Russen unterschieden, waren die Maßnahmen, die in Moskau getroffen wurden, um sich ein« getreue Schutzgarde von Anhängern in den verschiedenen außerrussischen Ländern zu sichern. Die» Ziel glaubte die russisch « Politik am besten zu erreichen, Indem sie die geschlossene europäische Arbeiterbewegung nicht nur politisch, sondern auch gewerkschaftlich zerschlug. Dies war um so verhängnisvoller, als im wesentlichen die größten Parteien de» westeuropäischen Sozialismus der russischen Revolution sympathisch gegenüberstanden. Rußland würde«inen viel sesteren Stützpunkt zur Weiierführung seiner Revolution in der Gesamtarbeiterklass« der Welt gehabt haben, wenn es diefen verhängnisvollsten aller Fehler. die gewaltsam« Zertrümmerung der Arbeiterbewegung Westeuropa», nicht begangen haben würde. Der andere Gesichtspunkt, in dem sich die Spartakusgruppe von Rußland trennte, war die Beurteilung der revolutionären Situation. Sie faßt« die revolutionäre Bewegung als ein« Massenbewegung auf, die man nicht künstlich machen, sondern nur beeinflussen könnte. Di« russischen Bolschewiki glaubten an die Möglichkeit der Organisierung einer Revolution. In Rußland wartet« man aus die Weltreoolution. Daß dies« nicht kam, war nicht Schuld der Bolschewiki. Sie mochten in ihrem Kamps«, den sie gegen die ganze Welt zu führen genötigt waren, auf die international« revolutionär« Unterstützung der Ar- beiterkloss« hoffen. Da sie aber ihre ganz« Politik nur aus ein« Kart«. auf die Weltreoolution, die nicht kam, gesetzt hatten, wurde ihr« inter- national« Politik so verhängnisvoll für die westeuropäische, in»b«. sonder« deutsche Arbeiterklasse. Brandler wurde zum Hauptoertreter der russischen Anschauungs- weise. Daraus erklärt sich die Tätigkeit Brandler », der sonst ein abwägender Kopf war. während der Märzaktion 1921 und im Oktober 1923. Der Zwiespalt in der Politik der KPD. unter Brondlcrs Führung drückt sich in dem Versuch aus. auf der einen Seil« Anschluß an die sozialdemokratischen Arbeiter zu finden. auf der anderen Seite deren Partei zu zertrümmern, um die„Welt- reoolution* durchzuführen, indem man den Gegner„provoziert*. Brandler mußte, um die linken Elemente seiner Partei bei der
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Stange zu halten, sich und seine Partei über die wahren Trieb- kräfte der Arbeiterbewegung täuschen. Die Einheitsfront- taktik wurde als ein Manöver durchgeführt, um den sozialdemokratischen Gegner zu täuschen und zu verwirren. Daß diese Politik an ihren inneren Widersprüchen im Lande, wo man eine wirkliche Einheitsfront wollte, scheitern mußte, war leicht vorauszusehen. Dazu kam noch, daß in Rußland immer stärker die „Neue ökonomische Politik "(Nep) sich durchsetzte, die die russischen Bolschewiki zwang, ihre Machtposition immer mehr in der Bauern- schaft zu verankern. Damit geriet die bolschewistische Diktatur immer mehr in Widerspruch mit den Interessen nicht nur der russischen Arbeiterklasse, sondern der der ganzen Welt. Moskau stellte seine Außenpolitik um. Aus der Losung„Weltrevolution*, die durch putschistischc Abenteuer der angeschlossenen Sektionen er- zwungen werden sollte, wurde die Losung„Befreiung der unterdrückten und armen Nation« n*. Würden die am Marxismus geschulten westeuropäischen Kommunisten ihre Ersah- rungen aus dem Weltkriege nicht vergesse» gehabt haben, so hätten sie erkennen müssen, daß hinter dieser Losung der nach Machtcnt- faltung hungernde, neuaufkommende russische Imperialismus steckte. So kam es, daß nicht nur in Rußland , sondern auch in den west- europäischen Sektionen der Kommunistischen Internationale eine starke Spannung entstand, die durch die Opposition der mißtrauisch gewordenen Arbeiter gegenüber der russischen Staatspolitik hervor- gerufen wurde. S i n o w j e w war schon damals der letzte Ver- treter der auf Weltrevolution abgestimmten Kommunisten. Seine Kampfesmittel waren damals nicht nur falsch, sondern gefährlich. Er versuchte zum letzten Male in Deutschland im Oktober 1923 das Steuer herumzureißen und nahm gleichzeitig' in Rußland zum min- besten einen Scheinkampf gegen die Nep aus. Er wolltezurück zu den alten Methoden des russischen Kriegs- kommunismus und der deutschen Märzaktion. Er mußte an diesen Voraussetzungen scheitern, lieber sie war die Ge- schichte zur Tagesordnung übergegangen. Er stand damals gegen Tvo tz ki und Rad ei, die insgeheim mit dem Gedanken einer Wiedervereinigung der Arbeiterklasse durch L i- quidierung der Roten Gewerkschaftsinter natio- n a l e sowie der Moskauer Internationale zu spielen be- gannen. Weder Rußland noch Deutschland konnten sich in neue Abenteuer stürzen, ohne zugrunde zu gehen. So erblich Sinowjews Stern. Stalin , Rykow und T s ch i t s ch e r i n übernahmen es, die neuen Wege der russischen Politik zu gehen, die dem Bauerntum immer mehr Rechte gab, den Arbeitern aber immer mehr Pflichten auferlegte. Die Oktoberaktion 1923 war aber gleichzeitig der Schlußstrich unter die Politik der Brandlcr-Richtung, die nicht den Mut gehabt hatte, sich von der russischen Bevormundung zu trennen und die Interessen der deutschen Arbeiterklasse zu vertreten. Halbheit tötet. Nun folgte die Richtung Ruth Fischer -Scholem als Reaktion auf den Brandler -Kurs. Der Wortradikalismus übergipfelte sich. Di« Sozialdemokratie wurde zum Todfeind der Arbeiterklasse gestempelt. Ruth Fischer und ihre Mannen zogen einen solchen Trennungsstrich zwischen sich und der überwiegenden Mehrheit der Arbeiterschaft, die hinter der SPD . stand, daß sie, als sie eines Tages erwachten, sich nach den Worten Ruth Fischers im Loger der Reaktion befanden. Man denke nur an die Preußen- und Kommunalpolitik der KPD . Die Kommunisten verloren jeden Ein- fluß. ließen bei jeder Wahl gewaltig Haare. Da griff Rußland ein und fegt« die Fischer und Schalem durch den Ekkibrief davon. Im Grunde genommen war die Richtung Fischer-Scholem ein« unbewußte Absage an die immer deutlicher als kapitalistisch erkenn- bar werdende russische Politik. Es waren rein« Arbeiterschichten. die revolutionär aufgewühlt, die Politik der Fischer-Zentrale deckten. Wenngleich Ruth Fischer denen, die Rußland wahrheitsgemäß kenn- zeichneten, mit dem Ausschluß drohte, vollzog sie doch gleichzeitig ihre eigene Wandlung zur Abkehr von Rußland . Der von ihr unter- nommene Versuch, deutsche Arbeiterpolitik auf blan- quistischer Grundlage zu treiben, mußte die russischen aus-
wältigen Interessen stören. Rußland brauchte einen Handelsvertrag und einen Sicherheitspakt mit Deutschland . Beides konnte Rußland nur erlangen, wenn die deutschen Kommunisten sich manierlich bc- nahmen. Ruth Fischer versuchte diesen Dingen gerecht zu werden, indem sie eine neue Annäherung an die SPD. , wie sie es auffghts, propagierte. Auf der anderen Seite wollte sie sich von Moskau trennen und begann antirusstscheFraktionen. nicht nur in Deutschland , auszuziehen. Dieses brach ihr das Genick. An chre Stelle kam der„Transportorbeiter* T h ä l m a n n. Die Mittelgruppen um S t ö ck e r und K o c n e n, die mit Schuld gewesen waren am Auf- kommen der Fischer-Herrschaft und die rechten unter Meyer durften gnädigst wieder mitarbeiten, Inzwischen hatten sich die Gcgeysötzc in Rußland derart über- spitzt, daß sie zum Austrage drängten. S i n o w j c w wurde bc- scitigt, weil er weiterhin den Standpunkt vertrat. Arbeitcrpolitik zu treiben. Er nahm den Kamps auf und fand als Bundesgenossen nur die einst von ihm so arg befehdeten und aus den Positionen ge- drängten T r o tz k i und R a d e k. Ferner die bereits durch Lenin beseitigte Arbettcropposition unter S l a p n i k o w, sowie die Rich- tung Medwedjew vor. Er mußte seinen alten Standpunkt inso- fern preisgeben, al» er feine blanquistischen Anschauungen nicht mehr aufrecht erhalten konnte. Es darf angenommen werden, daß in der nicht einheitlichen russischen Opposition, getrieben durch die Logik der Geschichte, die Trotzkisten die Oberhand bekommen werden. Diese erst unter der Oberfläche sich abspielenden russischen Erz eignisse riefen die deutschen Kommunisten auf den Plan. Soweit sie in Opposition standen, gerieten sie in Gegensatz zur Stalin -Gruppe, die den Gegebenheiten des russischen Bauernstaate» nüchtern Rech- nung trägt. K a tz und K o r s ch wurden gegangen. Aber immer unaufhaltsamer rannten die Antimoskowiter in der KPD. gegen ihre Führung an. Es erwies sich als richtig, was früher oppositio- nelle Kommunisten gesagt hatten, daß jede Führung der KPD. ein- mal an einen Punkt käme, wo sie entweder deutsche Ar- beiterinteressen oder russische Staatspolitik ver- treten müsse. Dieser Zeitpunkt ist jetzt für die Führung der Kommu- nisten wieder einmal gekommen. Die kommunistischen Arbeiter in ihren wertvollsten Teilen haben es satt, Agenten russisch-imperia- listischer Außenpolitik zu werden. Ruth Fischer sagt jedem deutlich, was ist. Darüber täuschen noch so schön gefärbte Bericht« nach Ruß- land entsandter Arbeiterdelegationen nicht hinweg. Es erweist sich, daß solche Delegationen gerade einen Reisebericht geben können, niemals aber die Differenzierung der Klassen und die Ver- Hältnisse eines solchen Landes in kurzer Zeit, zumal sie als Dele- gationen kommen und entsprechend„aufgeklärt" werden, zu erkennen vermögen. Würden alle Arbeiter Deutschlands aufmerksam da» ver- folgen können, was die russischen Bolschewiki, stehen sie, wo auch immer, über die Umschichtung der Klassenkräfte zu sagen haben, dann würde ihnen klar werden, daß Rußland zu einem mächtigen kapitalistisch.imperialistischcn Staat wirh. Das einzige Gegengewicht würde die Befreiung der russischen Arbeiter von dem Zwange einer Diktatur sein, die unter dem Vorwande, sozialistisch zu sein, den Arbeitern die Luft zum Leben raubt. Nur eine von den jetzt herrschenden Schichten der Bolschewiki los- gelöste Arbeiterpartei kann die Voraussetzung zu einem neuen Ausstieg des russischen Proletariats sein. Wenn daher die Sinowjew , Kamenew , Krupskaja , Radek und T r o tz k i es durchsetzen sollten, eine solche legal« Partei zu schaffen, die unter dem Drucke der Verhältnisse sozialdemokratische Politik machen müßte, dann wäre viel erreicht. Die deutsche Arbeiterklasse muß daraus die Lehre ziehen, daß in Deutschland kein Raum ist für zwei Arbeiter- Parteien. Die Kommunisten haben da» Recht verwirkt, sich so zu nennen. Sie sind die getreuen Troßknechte arbeiterfeindlicher russischer Staatsinteressen geworden. Mögen daher die kommu- nistischen Arbeiter den einzig möglichen Schluß ziehen: Loslösung von Moskau , Wiedervereinigung mit den kampferprobten Massen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands .
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