Str. 40843. Jahrg. Ausgabe A Nr. 209
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Dienstag, den 31. August 1926
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Deutsch- französisch- englische Front.
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Eine neue Epoche der tschechischen Politik. Bon Josef Hofbauer , Prag .
Mit dem Beschluß des Vollzugsausschusses der tschechischen und die Zusammenarbeit mit den deutschen Genossen anzustreben, wird tatsächlich eine neue Epoche der prole= tarischen Politit in diesem Staate eingeleitet, ja mehr noch: dieser Beschluß ist Ergebnis und Ausdruck einer gewaltigen Wandlung der tschechoslowakischen Innenpolitik überhaupt.
V. Sch. Genf , 30. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) War die von der Studientommission abermals abgeschlagen werden wird. Sozialdemokraten, an teiner Mehrheitsbildung teilzunehmen Studienkommission am Vormittag in einer Atmosphäre der Kon- Cs wird sogar fusion und Unnachgiebigkeit auseinandergegangen, so steigerte sich dieser Eindrud in der Nachmittagssigung noch ganz erheblich. Zunächst brachte Guani- Uruguay Verwirrung in die Debatte, indem er seinen Antrag aus dem Monat Mai wiederholte, Es ist zwar niemandem wohl bei diesem Gedanken und Deutsch wonach Südamerika durch ausdrücklichen Beschluß drei land würde einen solchen Entschluß Spaniens sehr bedauern, Batsfige zugesichert werden sollten. Darauf entspann sich eine aber es erscheint ausgeschlossen, daß die Mächte in diesem Punft fehr lebhafte Debatte zwischen Scialoja Italien und Fronachgeben und damit die ganzen Vorschläge der Studienkommission mage ot Frankreich, indem der Italiener erklärte, den Sinn der umwerfen. Abänderungsanträge Fromageots, insbesondere den darin enthaltenen Begriff der Wiederwählbarkeit, nicht begreifen zu fönnen. Wiederholt versuchte der Franzose, Sinn und Mechanismus feiner Arträge begreiflich zu machen. Scialoja jedoch schien harthörig und So entspann sich eine längere Auseinanderseßung, an der sich außer diesen beiden noch de Broudère Belgien , Präfident Motta
und Cecil England beteiligten. Sie endete mit dem Beschluß, das
nete Projekt an die Unterkommiffion zurückzuweisen, die am Dienstag nichtöffentlich tagen wird. Infolge dieses Beschlusses fonnte Botschafter v. Hoesch, der fich zum Bort gemeldet hatte, um Fromageot zu unterstützen, nicht mehr sprechen. Es ergab sich eine eigen
artige Ronstruktion: Frankreich , Deutschland und Eng. land find über einen gemeinsamen Tegt einig, ben aber Italien , Belgien , die Schweiz und Schweden , wenn auch aus verschiedenen Gründen, bemängeln. Bielleicht wird morgen die Aussprache im engeren Kreise und hinter verschlossenen Türen die Klärung und Einigung bringen, die man am heutigen Tag in der öffentlichen Sizung nicht erreicht hat. Richtig ist, daß der Antrag Fromageot, den man beffer als deutsch franzöfifeng fifchen Borschlag bezeichnen kann, nicht ohne weiteres verständlich ist, daß ihn verschiedene Delegierte tatsächlich nicht verstanden und daß er einer näheren Erläuterung bedarf.
Darüber sei in Kürze folgendes gesagt: Der. Antrag entspricht allgemein dem Projekt vom vorigen Mai, nur mit dem Unterschied, daß die Wiederwählbarkeit von drei ständigen Ratsmitgliedern schon jett, also im September 1926 und nicht erst nach drei Jahren beschlossen werden soll; aber ein solcher Beschluß ist nicht unwiderruflich, er läßt die Möglichkeit einer späteren Rorreftur zugunsten eines anderen Staates offen, und damit wird das Prinzip gewahrt, an dem u. a. Deutschland unbedingt fefthält, daß die Bollversammlung souverän bleiben muß. Immerhin ist das neue Projekt ein wichtiges Zuge ständnis an Polen , da höchstwahrscheinlich die drei Staaten schon jetzt für wiederwählbar erklärt werden. Mehr wird Polen nicht verlangen und mehr wird es nicht erhalten. Eine unbedingte Garantie, daß Wiedermählbarkeit mit Wiederwahl gleichgestellt sein wird, kann und wird man ihm nicht geben.
Erheblich schwieriger wird es sein, Spanien zu befriedigen. Es scheint sich mit der Erklärung Balacios auf die Forderung eines ständigen Ratssitzes vollständig festgelegt zu haben, und niemand weiß genau, was es tun wird, wenn ihm dieser Wunsch
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Spanien versucht noch immer, das Geschäft Tanger Ratssig in den nächsten Tagen zu machen; es wollte noch vor der Tagung des Böllerbundsrats eine Tanger ! onferenz auf die Beine bringen. Bis heute steht zwar noch nicht endgültig fest, wie fich Frankreich und England zu diesem Anfinnen stellen, aber es wird allgemein angenommen, daß sie diese spanische Anregung, die von Mussolini unterstützt wird, zurückweisen und jede Verquidung des Tanger problems mit dem des Ratssitzproblems ab Tangerproblems b. lehnen werden. Aehnlich wie im Fall Brasilien ist auch im Fall Spanien
das faschistische Italien die freibende kraft.
Trotzdem hält man es nach wie vor für ausgeschlossen, daß Spanien dem Beispiel Brasiliens folgen und die Aufnahme Deutsch lands verhindern wird. Denn die spanischen Staatsmänner haben in den legten Monaten mehrfach versichert, daß Spanien sein Wort gegenüber Deutschland halten und aus der Ablehnung seiner Forde zurückzuziehen. Natürlich find neue Auseinandersegungen nicht völlig rung nur die eine Konsequenz ziehen werde, sich aus dem Rat ausgeschlossen, und gerade auf franzöfifchr Seite find in letzter Zeit harte Borte über die Gefahr eines italienisch spanischen Angriffes auf den Bölkerbund gefallen. Nur steht der Mussolini zurückweichen dürfte. diesmal eine geschlossene deutsch - franzöftsch- englische Front da, vor
Eine spanische Erklärung.
Der spanische Außenminister Yanguas veröffentlicht eine Begründung der spanischen Forderung, daß Tanger ( unter Berbot seiner Befestigung) der spanischen Maroffozone einverleibt werde; die Erklärung fagt dann, daß eine Mandatserteilung durch den Völkerbund nicht in Frage komme und fährt fort: Die auf der falschen Vorausfegung, daß Spanien um dieses Mandat ersucht habe, gegründeten Schlußfolgerungen find infolgedeffen durchaus unzutreffend. Der Susammenhang, der nach spanischer Meinung zwischen der Tanger frage und Spaniens Stellung im Volterbund existiert, beruht nicht auf dem Gedanken eines vom Bölferbund erteilten Mandats, er ist vielmehr durch den Umstand bedingt worden, daß eine neue Prüfung des Tangerproblems in dem Augenblick vorgenommen wurde, wo Spanien um das Opfer gebeten wurde, trotz der nichterfüllung seiner rechtmäßigen Forderung eines ständigen Ratssitzes im Völkerbund zu bleiben.
Neue Verfolgungen.
Chiaffo, 30. August.( Eigener Drahtbericht.) Kaum sind die 600 Verhafteten von Verona und Umgebung freigelassen und schon hat man wieder in der ganzen Provinz zahlreiche neue Verhaftun ge vorgenommen.
Wien , 30. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Unter dem Ein. druck des Sparkassentages, der sich zu einer gewaltigen Stundgebung gegen die Regierung gestaltete, und der für Dienstag vorgesehenen Barlamentsdebatte über den Antrag der Sozialdemokraten auf Erhebung der Anflage gegen die Regierung werden am Die Wut gegen Rabindranath Tagore . Montag Gerüchte verbreitet, daß die Regierung in den nächsten Lagen zurücktreten werde. Diese Gerüchte werden am Abend in der In Italien ist eine schmachvolle Pressekampagne gegen den inhürgerlichen Bresse zwar dementiert, aber in sehr vorsichtiger Form. dischen Dichter und Weisen Rabindranath Tagore eröffnet So erflärt die Reue Freie Presse", Bundeskanzler Ramet werde worden. Der Faschismus hatte der ganzen Welt vorgelogen, Ta jedenfalls noch zur Böllerbundstagung nach Genf fahren. Das gore sei ein Bewunderer des Duce. Durch die flaren und tate Schicksal der Regierung hängt also offenbar davon ab, wie ihre gorischen Erklärungen jedoch, die Tagore nunmehr abgegeben hat Forderungen von den maßgebenden Faktoren des Bölkerbundes,( auch unfre Leser kennen fie), ist die Wahrheit offenbar geworden. vor allem vom Finanzfomitee, aufgenommen werden. Diese Der„ Sera" in Mailand hat nun für den Dichter die schmückenden Forderungen bestehen vor allem darin, daß der Völkerbund Dester Titel: Ronkurrenz in der Volkstümlichkeit mit dem Tennis- Chamreich die reftitchen Bölkerbundskredite, die noch immer in einer pion Suzanne Lenglen ", Inrische Raritatur", Abbild Schweizer Bant liegen, für produktive Ausgaben freigibt und der eines Rupplers", pon hysterischen Beibern Berhimmelter", österreichischen Regierung geft a tt et, den Forderungen der Befleiner grotester Dichterling"," Histrione" aus dem Röcher geholt, Titel, die wir nicht weiter fortsetzen wollen, um aus amten entgegenzufommen. der Zeitung kein Schimpfwörterlerifon zu machen.
Der Kampf gegen den Faschismus. Die Popolari im Auslande organisieren sich. Paris , 30. August.( Eigener Drahtbericht.) In Paris lebende Angehörige der fatholischen Partei der Popolari haben den Ges Panfen aufgegriffen, einen Appell an die emigrierten politifchen Freunde zur Gründung eines allgemeinen Bundes der im Ausland lebenden italienischen Bopolari zu richten. In den europäischen Gast ländern der italienischen Emigration, insbesondere in Frankreich , gibt es mehrere Zehntausende Arbeiter, Bauern und An.
Jm Wilna- Gebiet fam es unweit der litauischen Grenze zu blutigen Zusammenstößen zwischen Bauern und polnischen Soldaten. Dabei wurde ein Soldat gelyncht, während bei Augustowo ein Einwohner von polnischen Soldaten getötet wurde. Die polnischen Behörden haben Massenverhaftungen vor. genommen.
Kommunistenprozeß in Polen . In den nächsten Tagen wird in uzt ein Prozeß gegen etwa 150 Kommunisten beginnen. Die Bahl der Zeugen beträgt rund 500. Den Angeklagten werden Räubereien und Gewalttaten vorgeworfen. sure this
Nicht das in diesem Augenblicke von entscheidender Bedeutung, ob der von den tschewoslowakischen Sozialdemokra ten für notwendig gehaltene Linksblock, der außer den beiden sozialdemokratischen Parteien auch die tschechischen Nationalisten, eine kleinbürgerlich- proletarische Mischpartei, und die im Parlamente nicht vertretene Arbeitspartei" umfassen soll, in dieser Form zustandekommt, ja ob er so überhaupt möglich ist, sondern baß die tschechischen Genossen, die Folgerungen aus der Entwicklung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse ziehend, den allnationalen Koalitionsgedanken verabschieden und die Zusammenarbeit mit den deutschen Sozialdemokraten als notwendig erkennen.
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Damit wird die erste Epoche der Innenpolitit der Tschechoslowakei abgeschlossen, die Epoche des Zusammens gehens und Zusammenwirtens aller tschechoslowakischen Barteien, eine Epoche, deren Ende sich schon in den 3ollfämpfen und in der Bildung einer tschechisch- deutschen Bürgermehrheit ankündigte. Während der Kämpfe um Rongrua und Bölle mochte die Erneuerung der allnationalen erscheinen. Aber da sich das Bürgerbündnis bewährt hat, da Koalition nach Abschluß dieser Kampagne noch als möglich sich zeigte, daß deutsche und tschechische Bourgeoisie allem nationalen Gegensatz zum Trog sehr wohl gemeinsame Geschäfte machen fönnen, wurde die Freundschaft auch nach dem Einbringen der Zollernte nicht gekündigt, sondern es jetzten sofort Bemühungen ein, sie auch für die Herbstsession, in der um die Steu erreform zu fämpfen sein wird, lebendig zu erhalten. Das Bürgertum beider Nationen läßt sich durch den Nationalismus feiner Macht nicht beirren. Die allnationale Roalition gehört damit der Bergangenheit an.
Daß die Entwicklung diesen Weg gehen müsse, davon waren die deutschen Sozialdemokraten stets überzeugt. Sie sahen die allnationale Bolitik als Ergebnis der allen Schichten des tschechischen Boltes gemeinsamen Unfreiheit im ehemaligen Desterreich und des gemeinsamen nationalen Befreiungstampfes, fie saben sie als Ergebnis der geringeren Klassendifferenzierung im tschechischen Bolte, eine Folge des später als im deutschen Volke einsehenden Prozesses der Industrialifierung, und sie waren davon überzeugt, daß im neuen Staate der Tschechen , daß nach der Erlangung der staatlichen Selbständigkeit die Entwicklung eines tschechischen Kapitalismus und damit die Klassenscheidung viel rascher vor sich gehen werde.
Zu langsam für unsere Ungeduld, die gerne viel früher die internationale proletarische Klassenfront hergestellt gesehen hätte, aber doch rascher, als man vor wenigen Jahren noch zu glauben magte, sind diese Erwartungen erfüllt worden. Zwar lebt noch die nationale Phrase, zwar erschallen noch in allen Gaffen nationalistische Schlagworte, aber sie sollen nur verhüllen, was geschieht: die politische Orientierung aller Parteien nach ihren Klasseninteressen.
Die tschechischen Bauern, die als revolutionäre Gruppe in den Kampf um die Schaffung und Gestaltung des Staates eintraten, find tonservativ geworden. Die Bodenreform hat, soweit dies überhaupt möglich war, ihren Landhunger befriedigt. Darum sind sie von der Seite der Arbeiter, mit denen fie nach den ersten Wahlen, unter der Ministerpräsidentenschaft des Genossen Tusar, die Regierung gebildet hatten, abgerückt und an die Seite der Bourgeoisie marschiert. Das Bürgertum ist gewaltig erstarkt. Aus bescheidenen Anfängen zur 3eit der Staatsgründung ist das tschechische Finanzkapital zu einer bedeutenden Macht empor gewachsen. Es übt heute, geführt von der Zivnostenska banka , großen Einfluß nicht nur auf die tschechische, sondern auch auf die deutsche Industrie aus.
Das tschechische Industriekapital ist, begünstigt vont Staate, der selbstverständlich die nationale Industrie nach Kräften förderte, heute ein ganz anderer Machtfaktor als in den Tagen der Staatsgründung. Was die tschechische Bourgeoisie durch die allnationale Roalition erreichen konnte: wirtschaftliche Ausdehnung im ganzen Staatsgebiete, Etablierung seiner Klassenwirtschaft, das ist erreicht. In der Zeit seiner Entwicklung konnte das tschechische Bürgertum den Arbeitern auch mancherlei fozialpolitische Zugeständnisse machen. Jezt aber fann es ver mehrte Profite nur auf Kosten der Arbeiter erzielen, durch Gestaltung der 3oll- und Steuerpolitit nach seinen Bedürf nissen, durch Abbau der Sozialpolitit, über deren Laften es von Tag zu Tag lauter flagt. Widersetzen sich die