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Nr. 418 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 214

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Der Borwärts" mit der iñustrier­ten Sonntagsbeilage Bolt und Zeit" towie den Beilagen Unterhaltung uno Wissen". Aus der Filmwelt" Frauenstimme", Der Rinder­freund", Jugend- Borwärts" und Blick in die Bücherwelt" erscheint wochentäglich zweimal, Sonntags und Montags einmal.

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

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Sonntag, den 5. September 1926

Rußland und der ,, Vorwärts".

Nichtzulassung unseres Berichterstatters.

Unser volkswirtschaftlicher Mitarbeiter, Genosse Kurt Heinig , hatte den Plan gefaßt, eine längere Reise durch Rußland zu unternehmen und dem Vorwärts" sowie der übrigen Partei- und Gewerkschaftspresse über seine Eindrücke zu berichten. Es war zwischen ihm und uns vereinbart worden, daß er unbeeinflußt und streng sachlich über das Gesehene berichten sollte, und daß seine Berichte unverändert Aufnahme finden würden.

Genoffe Heinig stellte einen ordnungsmäßigen Antrag bei der Berliner Paßstelle der russischen Botschaft auf Einreife­erlaubnis. Ende Juli wurde er vom Bureau des Botschafters Krestinski telephonisch unterrichtet, daß seine Einreise genehmigt sei und er sich die notwendigen Papiere in der Paßstelle abholen fönne. Er holte sich dann noch in der Paßstelle der russischen Botschaft die ausdrückliche mündliche Be­stätigung der Einreiseerlaubnis, gab seinen Paß ab und ver= einbarte dessen Abholung.

Am 11. Auguft erhielt er das folgende Schreiben: Botschaft

der Union der Sozialistischen Sowjet­republiken in Deutschland .

Berlin , den 10. August 1926.

Die Botschaft der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in Deutschland nimmt höflichst Bezug auf das fürzliche Telephongespräch mit Ihnen und beehrt sich, Ihnen ergebenst mitzuteilen, daß die damalige Mitteilung auf einem Mißverständnis beruhte. Eine Ant wort auf Ihren Einreiseantrag in die Union der SSR. liegt noch

nicht vor.

Die deutsche Abordnung nach Genf .

Kabinettsfitung vor der Abreise.

Das Reichstabinett wird sich vor der Abreise der deutschen Delegation nach Genf nochmals mit der Haltung seiner Ver­treter auf der tommenden Völkerbundstagung befaffen. Es handelt sich vor allem um die Stellungnahme zu den Bera­tungsgegenständen der sechs Kommissionen.

Man erwartet in Berlin die offizielle Mitteilung des Völkerbundes, daß die Voraussetzungen für den Eintritt Deutschlands gemäß den Wünschen der Reichsregierung erfüllt find, am Dienstag bzw. Mittwoch, so daß noch am Mittwoch abend nach einer Kabinettssitzung die deutsche Delegation ab­

reifen kann.

Die Delegierten benußen drei fahrplanmäßige Nachtzüge. Bon Olten( Schweiz ) aus feßen sie dann die Reise gemeinsam nach Genf fort. Auf einen Sonderzug wurde wegen der Kosten verzichtet.

Faschismus in Holland ?

Die Rückkehr Colyins zur Macht wird betrieben. Amfterdam, 4. September. ( Eigener Drahtbericht.) Das im

März, nach 113 Krisentagen, gebildete Ministerium de Geer beginnt zu wackeln. Die Rechtsparteien sind mit ihm nie zufrieden gewesen und sie scheinen jetzt zum entscheidenden Schlage ausholen gewesen und sie scheinen jetzt zum entscheidenden Schlage ausholen zu wollen. Ihre Bestrebungen gelten einer Rückkehr des früheren Ministerpräsidenten Colpin unter Fortseßung seiner Politik in verschärftem Maße. Colnin, den nicht nur die sozialdemokratische Presse Hollands als den niederländischen Mussolini bezeichnet, hat sich amals feineswegs zufällig von der zweiten Rammer zurüdgezogen. Er glaubt seine Stunde für gekommen, fobald die Regierung de Beer, die durch thren Chef bereits bei ihrem ersten Auftreten als Regierung des Zwischenspiels ihrem ersten Auftreten als Regierung des Zwischenspiels gekennzeichnet wurde, abgewirtschaftet hat. Es steht jedenfalls außer allem Zweifel, daß ein Rücktritt der jetzigen Regierung zur inner­politischen Schicksalsstunde Hollands wird, weil es fich dann um eine flare Entscheidung zwischen einer demokratischen Neu­orientierung und einem wenn auch verschleierten faschistischen Regiment handelt.

Primos Herrlichkeit wackelt.

Ein Volksabstimmungsschwindel soll ihn retten. Paris , 4. September. ( Eigener Drahtbericht.) Der Temps" meldet aus Madrid , daß die neue von Brimo de Rivera begründete Partei der Patriotischen Union" den Dittator um die Erlaubnis erfucht habe, am 11., 12. und 13. September eine Boltsabftimmung veranstalten zu dürfen. Es soll dadurch dem Lande Gelegenheit ge­geben werden, dem Direttorium sein Vertrauen aussprechen zu tönnen und die Einberufung einer gefeßgebenden Rationalversamm lung zu verlangen.

Die Botschaft hat wegen einer Beschleunigung der Angelegenheit Schritte unternommen und wird nicht verfehlen, Sie bei Eintreffen einer Entscheidung in Kenntnis zu setzen. J. A.: Unterschrift unleserlich.

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Nach weiterem Warten erhielt er dieser Tage ohne Be­gründung den endgültigen Bescheid, daß sein Gesuch Einreisegenehmigung Boltstommiffariat für auswärtige Ange Dom legenheiten in Mostau abgelehnt wurde. Man kann also wohl sagen, daß alle Behauptungen, man laffe Sozialdemokraten und freie Gewerkschafter nach Rußland hinein, wenn sie nur kommen wollen, unwahrheit sind. Ein­gelassen werden gemeinhin nur Leute, von denen man vor­ausfeßen fann, sie würden von den Festreisen, die man für sie veranstaltet, in entsprechender Stimmung berichten. Eine derartig regulierte und arrangierte Berichterstattung" fann aber ein Vertrauen beanspruchen.

Berkennen läßt sich allerdings nicht, daß eine gewisse Konsequenz darin lingt, wenn ein Land, das seiner eigenen Bresse feine Spur von Freiheit läßt, auch für die ausländische Presse teine Freiheit der Berichterstattung gelten läßt.

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Bemerkenswert bleibt dabei aber doch, daß die Hugen berg Preffe in Mostau längst eine natürlich von der Regierung zugelassene Bertretung befizt, während einem Berichterstatter der sozialdemokratisch en Arbeiter­presse und der Gewerkschaftspresse Deutschlands der Zutritt vermehrt bleibt. Die russische Regierung beweist auf diese Weise noch einmal, daß sie sich zur deutschen Bourgeoisie beffer zu stellen weiß als zum deutschen Proletariat.

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Der Baris Soir" meldet, daß sich in Spanien , wichtige Er. eignisse vorbereiten. Eine schwere Krise des Diretto riums stehe bevor. Zwischen Primo de Rivera und dem König sei es zu einem schweren Konflift gekommen. Die Ernennung des Generals Berenguer, des erbittertsten Gegners Primos, zum Chef des Militärkabinetts werde als Zeichen dafür angesehen, daß der König sich für den Fall einer Bewegung gegen den Diktator den

Rücken decken wolle.

Vorwärts- Verlag G.m.b. H., Berlin SW. 68; Lindenstr.3

Boftichedkonto: Berlin 37 536

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Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angeftelten und Beamten, Wallstr. 65; Diskonto- Gesellschaft, Devoktenkaffe Lindenstr. 3.

Kampf oder Gemeinschaft.

Zur Rede Silverbergs.

,, Die jetzige Lage stellt den Arbeitgeber vor die Not­wendigkeit, sich trotz aller aus erbärmlichen kleinen Motiven herbeigeführten Spaltungen der Industrie fest zusammen­zuschließen, um mit unerschütterlichem Willen die Gewerkschaften zu vernichten und niederzu= schlagen, oder aber er muß sich unter die Aufsicht der und unter die Kontrolle der gewerkschaftlichen Vertrauensleute stellen. Wenn das erreicht ist, dann hat die Sozialdemo sozialdemokratischen Hezer und Aufrührer ihren Zielen." fratie ihre erste bedeutende Etappe erreicht zu

Diese Worte fielen auf der Delegiertentagung des Zen­tralverbandes Deutscher Industrieller am 9. Dezember 1910. Es waren die Abschiedsworte des Generalsekretärs des Ver­bandes Bued , desselben Verbandes, aus dem der heutige Reichsverband der Deutschen Industrie hervorgegangen ist.

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Gestern hat auf der Dresdener Tagung des Reichs­verbandes der Deutschen Industrie einer der prominentesten Unternehmervertreter, Generaldirektor Silverberg, die Arbeiterschaft zur Teilnahme an der Regierung aufgerufen, und zwar im Namen des Verbandes, ohne wesentlichen Wider­spruch zu finden.

In diesen sechzehn Jahren ist die Arbeiterbewegung sieg­haft vorangeschritten. Nicht zum erstenmal suchen die maß­gebenden Vertreter der Industrie ihre Mitarbeit. Noch vor dem Friedensschluß hatten sie in der Zentral: arbeitsgemeinschaft die Plattform des Zusammen­mirtens geschaffen; wenige Jahre darauf aber sehte der neue Kampf ein und seit 1922 war es das Bestreben der Industrie, die Arbeiterschaft von den Staatsgeschäften aus­zuschließen. Was in dieser Zeit, bis in die letzten Monate hinein, an schmähender Heze gegen Partei und Gewerk­schaften in der Unternehmerpreffe geleistet wurde, blieb feineswegs hinter den schönsten Höchstleistungen der So zialistenabwehr früherer Jahrzehnte zurüd.

Wie anders flangen gestern die Töne. Die Schwächung und Beseitigung der Gewerkschaften, die noch vor kurzem als Vorbedingung für eine Zusammenarbeit zwischen Arbeitern und Unternehmern hingestellt worden war, wurde mit keinem Wort erwähnt. Das Unternehmertum erkennt die Macht Tder organisierten Arbeiterschaft, die selbst aus der vernich tenden Krise der letzten Monate mit neuer Kraft hervorging. Es stellt sich auf den Boden der Tatsachen, deren rechtzeitige Erkenntnis manchen nicht immer sachlichen Streit hätte ver meiden können. Die organisierte Arbeiterschaft ist das müssen die Industriellen jetzt selbst zugeben eine Macht, die man weder hinwegdiskutieren, noch mit diktatorischen Maßnahmen zerstören kann. An dem Damm der Men ichen, die sich zur Wahrung ihres sozialen Rechtes zusam­menschlossen, bricht sich der Herrscherwille des Industriekapitals.

Der spanische Außenminister hat vor seiner Abreise von San Sebastian nach Madrid Journalisten erklärt, daß die bevor. stehenden Beschlüsse der Regierung mindestens eben solche Sensation erregen werden, wie seinerzeit die Ausrufung der Diktatur durch Primo de Rivera . Journal des Débats " be­hauptet, die spanische Regierung beabsichtige im Einverständnis mit der italienischen Regierung das Tanger - Statut zu fün digen, ebenso den französisch- spanischen Bertrag

von 1912.

Polnische Polizeistatistik.

Der Staatsanwalt ohne Interesse. Warschau , 4. September. ( Eigener Drahtbericht.) Im Rahmen der Enthüllungen über die unglaublichen Zustände in der Warschauer Kriminalpolizei wurde am Sonnabend eine Statistik veröffent­licht, aus der hervorgeht, daß nur ein geringer Teil sämtlicher in aufgedeckt worden ist. Es wird nachgewiesen, daß eine ganze Reihe den letzten Jahren in Warschau verübten Diebstähle und Einbrüche höherer Kriminalbeamter Warschaus aus der früheren russischen Ochrana( Geheimpolizei) stammt. Biele von ihnen waren als daß unzählige Personen nach Sibirien oder ins Zuchthaus tamen. Spigel und Propofateure tätig, denen es zuzuschreiben ist, Einer dieser aus der Zeit der Ochrana bekannten Kommissare war zu einer Gefängnisstrafe von mehreren Jahren verurteilt worden, weil er auf einen Kaufmann, der sich von ihm nicht erpreffen ließ, mehrere Schüsse abgegeben hatte. Tatsächlich wurde er jedoch auf einen der höchsten Bosten in der polnischen Kriminalpolizei be­rufen, den er immer noch bekleidet. Der Verfasser der aufsehen­erregenden Enthüllungen erklärt sich bereit, der Staatsanwaltschaft eingehendes Belastungsmaterial auszuhändigen, ohne daß bisher von diesem Angebot Gebrauch gemacht worden wäre.

Mexikos Kirchenstreit.

Neue Gesetze in Vorbereitung. Merito, 4. September. ( WTB.) Das Ministerium des Innern bereitet neue Rirchengesetze vor, die nach ihrer Annahme durch den Kongreß die neulich erlaffenen ersetzen werden. Einzel­heiten fehlen noch. Troßdem sagt man schon, daß die neuen Gefeße die 3 ahl der Priester in jedem Staat beschränken, daß sie aber gestatten werden, daß ein ausländischer Priester jeder sich im Besige einer ausländischen Rongregation befindenden Kirche amtiere. Der Senat ist noch nicht zusammengetreten, da die Ergebnisse der letzten Wahlen noch nicht endgültig festgestellt sind.

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Zum erstenmal seit dem Bestand der Republik fand das Unternehmertum den Mut, den Staat, so wie er ist, zu bejahen. Darin ist die Sozialdemokratische Partei und mit ihr die Gewerkschaftsbewegung von dem Tage an vor­angegangen, als mit der Aufrichtung des neuen Staates die demokratische Verfassung gesichert wurde. Niemals hat sich die Sozialdemokratie den Pflichten entzogen, die Staatswesen zu tragen hat. Dabei hat sie oft genug die die größte Partei Deutschlands in unserem republikanischen ökonomischen Zielsetzungen zurückstellen müssen, die der Wille zum Sozialismus bedingt. Sie hat das getan, weil sie in der freie Entfaltung des politischen Willens sieht, der allein auf Demokratie und in der Republik die Voraussetzung für die die Dauer der gerechten Sache zum Siege verhilft.

Die Stellung der Partei zum Rapitalismus und se i nen Sachwaltern war dabei klar vorgezeichnet. niemals hat die Sozialdemokratie mit bolschewistischen Experimenten gespielt, so oft ihr das auch von der Unter­nehmerpresse angedichtet wurde. Mit nüchternem Blick für die realen Tatsachen hat sie ihre ganze Kraft für die lle ber führung privatfapitalistischer Funktionen in gemeinwirtschaftliche Formen da eingesetzt, wo die Gemeinwirtschaft ihre natürlichen Vorausseßungen darin fand, daß der Kapitalismus sozusagen sich selbst über­lebt und die Borbedingungen für die Gemeinwirtschaft ge­schaffen hatte. Ueberall, wo das der Fall war, fand sie nicht nur die Unterstügung namhafter Wissenschaftler, son­dern auch führender Wirtschaftsprattifer. Man braucht nur an den Namen Walter Rathenau zu erinnern, um zu zeigen, daß Unternehmer, die in geistigem Streben ihrer Zeit vorauseilten, die Forderungen nach Sozialisierung des Rohlenbergbaus und anderer Industriemonopole teilten- höchstens über den Grad und das Tempo der Durchführung fonnte es einen Streit geben.

Mo die Vorbedingungen zur Gemeinwirtschaft nicht da waren, galt es, sie zu schaffen. Mit größter Teilnahme ver­