Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 423 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 209

Forw

Anzeigenpreife

angegeben

Lindenstraße 3 292-297

Berlin Berliner

Dolksblatt

10 Pfennig

Mittwoch

8. September 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszett bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Deutschland Völkerbundsmitglied.

Einstimmig angenommen.

V. Sch. Genf , 8. September. ( Eigener Drahtbericht.) Seif| heute mittag, 11 Uhr 46 min. ift die deutsche Republik Mitglied des Bölkerbundes. Genau um diese Zeit wurde vom Präsidenten Nintschitsch das Resultat der unter atemlofen Stillschweigen voll­30genen namentlichen Abstimmung verkündet:

mit den 3a- Stimmen aller 48 vertretenen Staaten ist Deutschland einstimmig als Mitglied aufgenommen worden. Aber noch ehe dieses Resultat verkündet wurde, und zwar als das Ja des zuletzt aufgerufenen Staates Benezuela ertönte, braufte in dem vollgefüllten Saal, unter den Delegierten, auf den Galerien des Publikums und der Preffe, ein spontaner lang­andauernder Orkan des Beifalls. Dasselbe Schauspiel wiederholte sich nach der Verkündung des Resultats sowie noch ein­mal, als Nintschiffch in einigen ausdrucksvollen Worten dieses Ereig­nis begrüßte und die Hoffnung aussprach, daß die Delegierten Deutschlands fobald wie möglich ihren Plah im Bölferbund ein­nehmen möchten. Elf Minuten später, um 11 Uhr 57 min., war

Deutschland Mitglied des Bölferbundsrates.

Um diese Zeit war nämlich die namentliche Abstimmung über die Gewährung eines ständigen Ratssiges für Deutschland und über die Erhöhung der Zahl der nichtständigen Ratssitze auf neun beendet und verkündet worden. Aufs neue ertönte donnernder Bei­fall, an dem sich aber diesmal die Vertreter einiger neutraler Staaten, die im übrigen zu den besten Freunden Deutschlands zählen, nicht beteiligen konnten, weil sie in diesem Falle wider Willen gezwungen waren, ihr Oui" und" Yes" für zwei verschiedene Talfachen auf einmal auszusprechen, von der sie die erfte entschieden begrüßten und die zweite entschieden bedauerten. Diesen beiden Ab­ftimmungen war nämlich eine recht lebhafte Debatte voraus­gegangen, bei der der hier angekündigte Borstoß der fleinen Staaten gegen die Diffatur der Großmächte"

erfolgte. Moffa hatte sich seiner Arbeit als Berichterstatter des

-

Opposition gegen die Diktatur der Großmächte.

fich. Am schärfffen war Laudens Sah, den er aus feiner eigenen| von 120-150 Röpfen. Sie bedarf einer Geschäftsordnung, Rede vor der Vollversammlung im März wiederholte, daß der eines Vorstandes und einer Anzahl Ausschüsse, um Arbeiten Geist des Bölkerbundes verletzt werde, der leider nicht immer vor- zu erledigen. handen sei, jener Geist, der darin bestände, die Interessen der All­gemeinheit höher zu stellen als den Ehrgeiz einzelner Mitglieder. Laudens Rede fand bei einem großen Teil der Versammlung demonftrativen Beifall. Ob aber auch alle die, die ihm applaudierten, ihm Gefolgschaft geleistet hätten, wenn er ernst ge­macht haben würde, ist zweifelhaft.

Die Sigung geht weiter.

Die amtliche Mitteilung.

Genf , 8. September. ( BTB.) Der Generalsekretär des Bölferbundes hat sofort nach Schluß, der heutigen Sitzung der Völker bundsversammlung folgendes Telegramm an den Reichsaußen­minister Dr. Stresemann gerichtet: Auf Anweisung des Präfi denten der Völkerbundsversammlung habe ich die Ehre, Ihnen mit zuteilen, daß die Bölferbundsversammlung in ihrer Sigung vom 8. September Deutschland als unter die Mitglieder des Völkerbundes aufgenommen erklärt und die Entschließung des Rates vom 4. September gebilligt hat, durch die Deutschland eine ständige Bertretung im Völkerbundsrat zuerkannt wird."

Genf doch im Rundfunk!

Die Deutsche Rundfunkgesellschaft teilte uns gestern auf unsere Anfrage mit, daß es aus technischen Gründen nicht möglich sei, den Att der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund nach Deutschland zu übertragen. Heute morgen berichtet sie uns, daß diese Ueber tragung am Freitagvormittag doch stattfinden wird.

Gestern angeblich unüberwindbare technische Schwierigkeiten sind heute überwunden. Die Rundfunkgesellschaft macht es schwer, die Argumente der Techniker für bare Münze zu nehmen.

Die von der ersten Bundesversammlung im Jahre 1920 ausgearbeitete Geschäftsordnung wird, mit ganz unwesentlichen Aenderungen, auch bei dieser 7. Tagung wie­der angewandt. Als die erste Aufgabe legt sie die sogenannte Konstituierung der Versammlung fest. Das ist das, was jetzt in den deutschen Parlamenten nur mehr nach einer Neuwahl geschieht: Wahl des Präsidiums und Einsegung der Ausschüsse, und früher alljährlich, bei Beginn jeder neuen Sizungsperiode, zu geschehen pflegte. Die Genfer Bölfervertretung ist fein Parlament, das durch all­gemeine Wahlen von Zeit zu Zeit schubweise erneuert wird, sondern ein dauerndes, sich ständig erneuerndes Parlament, das regelmäßig jährlich einmal am ersten Montag im September zusammentritt. So wird alljährlich die Bundesversammlung neu fonſtituiert.

-

Mit Bedacht ist vermieden, etwa einen Altersprä­ sidenten die Eröffnungsrede halten und die erste Sizung leiten zu lassen: allzuleicht hätten die Staaten darin rivalisiert, wer den Aeltesten nach Genf delegiere. Das wäre ein tragikomischer Wettbewerb gewesen. Deshalb eröffnet der gerade die Geschäfte führende Präsident des Völker bundsrates die Versammlung- diesmal war es Benesch. Gleich nach seiner Ansprache erfolgt unter seinem Vorsitz die Wahl des Bersammlungspräsidenten, oft genug ein demonstrativer Aft mit politischer Bedeutung. Es wird stets vermieden, einer Großmacht die Leitung der Ver­jammlung anzuvertrauen. Die Rivalität würde dazu führen, daß die Großmächte den Vorsiz unter sich abwechseln ließen. Ihr natürliches Uebergewicht würde dann allzuschwer auf der Gesamtheit lasten. Ohne daß die Geschäftsordnung das aus= drücklich vorsieht, leitet also alljährlich ein Vertreter eines Diesmal wurde der Außenminister Jugoslawiens , Mint­schitsch, gewählt, man einigte sich auf ihn, um eine politische Schwierigkeit aus der Welt zu schaffen. Von der Kleinen Entente soll nicht Jugoslawien , sondern Rumänien für den Bölkerbundsrat kandidieren; Nintschitschs Wahl zum Versammlungspräsidenten statt in den Rat war also eine Art diplomatischer Trost. Ist der Präsident, in geheimer Ab­Stimmung, gewählt, dann folgt gewöhnlich durch Zuruf, die Wahl der Mandatsprüfungskommission. Die Konstituierung des ersten Tages ist erledigt.

Präfidiums durch eine längere Rede entledigt, in der er zunächst das Die Genfer Parlamentsmaschine. mittleren ober fleinen Staates die Versammlung.

Präsident Bureaus- Ausschüsse.

abgekürzte Berfahren zur Aufnahme Deutschlands ohne Zurücver­weisung an die juristische Kommiffion begründet und empfohlen hatte, doch merkte man es ihm an, daß ihm bei der Begründung Kein Parlament ist einfach eine Bersammlung", eine des zweiten Teiles feiner Rede, die gemeinsame Abstimmung über Anhäufung, ein Haufe mehr oder minder erleuchteter und den deutschen Ratefik und über die Erhöhung der nichtständigen wohlmeinender Männer und Frauen. In feiner Volfsver­Size, nicht sonderlich wohl zumute war, zumal er felbft einen der tretung vollzieht sich das gemeine Beste in dem einfachen fleinen Staaten vertritt, die sonst am eifersüchtigsten über die dialektischen Prozeß von Rede und Gegenrede über der Rechte der Vollversammlung wachen. Gewiß, meinte er, Menschheit große und fleine Gegenstände. Dazu sind die fei die Bollversammlung die Berkörperung des Gewiffens der Welt, sozialen Verhältnisse zu vielfältig, die Interessen zu zersplittert aber man müsse auf die politischen Notwendigkeiten des Augenblids und zu scharf zugespitzt. Ein modernes Parlament ist ein Rücksicht nehmen, die Krise durch Opfer lösen und die Einmütigkeit entwickelter Organismus, ein sorgfältig ausgedachter und sei jedenfalls die beste Lösung. Dann feierte er das Werk von erprobter technischer Apparat. Das Genfer inter­Locarno und schließlich wurde er ganz feierlich, als er den lateini- nationale Parlament macht davon keine Ausnahme. Dort fchen Dichter Lufrez zitierte und den Eintritt Deutschlands als ein gibt es so wenig, oder vielleicht noch weniger, als anderwärts Ereignis feierte, welches das Licht des Friedens und der Gerechtig- individuelle Freiheit und Ungebundenheit für die Delegierten. feit ausstrahlen" würde. Als nun bekannt wurde, daß die Ver- Jeder von ihnen ist nur ein Rad oder ein Rädchen in einer treter Hollands , Norwegens und Schwedens fich zum Wort gemeldet Maschine. hätten, entstand zunächst eine gewiffe Nervosität, weil man nicht genau wußte, ob diese Schilderhebung einen plafonisch grundsäh­lichen oder einen praktisch ernsthaften Charakter haben würde. Da die Abstimmung über einen solchen Entwurf ohne

Zurüdverweisung an die Kommiffion verfassungsändernd ist, hätte es genügt, wenn die Opposition ein Drittel der Stimmen der Versammlung auf sich vereinigt hätte, um die Kommissionsberatung zu erzwingen, wodurch eine vielleicht ernsthafte Verzögerung der Aufnahme Deutschland entstanden wäre, und sogar das Projekt der Studienkommission froß seiner Empfeh­lung an den Rat hätte umgestoßen werden können. Aber es blieb

bei dem platonisch

grundsätzlichen Protest.

Als erster Diskussionsredner sprach der Gesandte Hollands in Paris Lauden. Seine Rede war inhaltlich außerordentlich scharf. Er profeffierte gegen die Bertoppelung des ständigen Ratssikes an Deutschland , über den Einstimmigkeit herrsche, mit der Erhöhung der Zahl der nichtständigen Ratssige, über die Meinungs­verschiedenheiten beſtünden. Die Bersammlung werde dadurch überrumpelt. Auch wenn das ausnahmsweise und wegen der großen Schwierigkeiten des Augenblic's geschehe, müffe er es auf das fieffte bedauern. Er erinnerte daran, daß Holland im Jahre 1922 als einziger Staat durch den Mund des inzwischen verstorbenen Profeffors S freunden gegen eine damals vorgesehene Erhöhung der nichtständigen Ratssige um nur zwei protestiert hätte. Lauden zitierte die damaligen Worte Streundens, die in der Tat prophetisch waren: Wenn man in diesem Jahr einer Veränderung des Haupt­organs des Völkerbundes wegen der Asprirationen politischer Gruppen zustimmt, welche Garantien hat man dann dafür, daß man nicht später die 3usammenfehung des Rates je nach dem jeweiligen und veränderten Stand der Dinge wird wechseln wollen. Man habe, so fuhr Lauden fort, die Zahl der Ratsmitglieder von 8 auf insgesamt 14 erhöht. Das sei eine Gefahr für den Völkerbund

ungeheure

und bringe ernste Schwierigkeiten für den Fall einer plötzlich not­wendigen Einberufung des Rates in einer trifischen Situation mit

bund. In ihr sind alle Bundesvöller vertreten. Jedes hat Die Bundesversammlung verkörpert den gesamten Bölfer­eine Stimme, aber es fann ein, zwei oder drei Haupt­delegierte ernennen. Drei Stühle stehen für jeden Staat bereit. Alle größeren oder mittleren Staaten pflegen alle drei Pläge zu besetzen. Nur die kleinsten begnügen sich, einen Vertreter zu ernennen. Wie es seine Bertreter ernennt, das bestimmt jedes Volk durch seine Regierung souverän. Die Mandatsprüfung erstreckt sich niemals auf die persönliche Eignung eines Delegierten, sie stellt nur fest, ob er von den verfassungsmäßigen Instanzen des Landes ordnungsmäßig ernannt worden ist. Wie diese Ernennung aber erfolgt, ist international gleichgültig. Theoretisch wäre es möglich, die Völkerbundsdelegierten durch allgemeine Wahlen bestimmen zu lassen. In der Praris gliedert sich ihre Ernennung in das politische System des Landes ein. Eine Dittatur wählt ihre Delegierten unpar­lamentarisch, aus der Zahl ihrer Anhänger oder nahestehender Persönlichkeiten, wobei auch sie nicht selten ihr internationales Ansehen berücksichtigt: Italiens erster Delegierter rechnet sich nicht zu den Faschisten. In demokratischen Staaten, wo das Parlament die Regierung bestimmt, tommen die parlamentarischen Verhältnisse zum Ausdrud. Wo eine Barter ausschließlich regiert, wird sie die Delegierten allein stellen, z. B. in England. Wo Koalitionen herrschen, wird auch die Delegation foalitionsmäßig zusammengestellt( 3. B. Deutschland , Frankreich , Belgien ). In einzelnen Fällen ( Dänemark ) ist es die streng befolgte Regel, die Parlaments­parteien in der Reihenfolge ihrer Größe zu berücksichtigen. Defter spielen persönliche Leistungen eine so überragende Rolle, daß innerstaatliche Parteigegenfäße in der internationalen Vertretung völlig zurüdgestellt werden. Deshalb findet man häufig genug Sozialisten als Bertreter bürgerlicher", ja fonservativer Regierungen. Es braucht nur an die Namen Branting, undén, Paul Boncour erinnert zu werden.

Der Bölkerbund zählt 55 Staaten als Mitglieder. Rechnet man nur die Hauptdelegierten, ergibt das eine Versammlung

Das, was man wohlmeinend den Gedanken der demokra­tischen Gleichheit oder das, was man bissig die Prestigepolitik und die Rivalität der Staaten nennen könnte, führt nun aber dazu, daß dem Präsidenten der Versammlung, und damit dem Staat, den er vertritt, fein überragender Einfluß ein­geräumt wird. Dem Präsidenten steht das sogenannte ,, Bureau" zur Seite, das die Geschäfte eigentlich leitet. im deutschen Reichstag dem Aeltestenrat zufommt. Es Es spielt im internationalen Barlament etwa die Rolle, die ist die Körperschaft, die gestern in Genf beschloß, die Ab­ſtimmung über den neuen ständigen Ratssig für Deutschland mit der Abstimmung über die drei neuen unſtändigen Rats­fige zu verkoppeln; um zu verhindern, daß das Kompromiß der Studienkommission etwa scheitert, und damit völlig unabsehbare diplomatische Konsequenzen entstehen.

Dieser Genfer Aeltestenrat" also hat wichtige inter­nationale Funktionen. Deshalb wird auch er nach politischen Gesichtspunkten zusammengesetzt. Er besteht, abgesehen von dem Präsidenten, erstens aus den Bizepräsidenten". Es ist der Brauch, sechs zu wählen. Um den Großmächten den gebührenden Einfluß auf die Geschäftsführung zu ge­währen, pflegt man sie, wie im Reichstag die großen Frat­tionen, vorzugsweise zu berücksichtigen. Deshalb wurden dies­mal Chamberlain( mit 44), Briand ( mit 43), Graf Ishii( Japan , mit 43), Scialoja( Stalien, mit 42 Stim­men) in das Bureau als Bizepräsident gewählt; dazu famen als Vertreter fleinster Staaten Guatemala ( mit 29) und Liberia ( mit 24). 3weitens gehören in das Bureau die Vorsitzenden der sechs Ausschüsse. Diesmal sind es: Motta ( Schweiz ), Fizgerald( Irland ), Villegas( Uruguay ), Titulescu ( Rumänien ), Graf Mensdorff( Oesterreich ), de Broudère( Belgien ). Auch den Vorsiz in den Aus­schüffen pflegen Großmächte nicht zu erhalten.

Rechts wegen einen Vertreter. Die fleinsten Staaten müssen Die Ausschüsse sind umfangreich. Jeder Staat hat von darauf verzichten, sich stets in allen Ausschüssen vertreten zu lassen, da ihre Delegationen nicht groß genug sind. Gewohn heitsgemäß werden sechs Ausschüsse gewählt: 1. juristische Fragen; 2. technische Fragen; 3. Abrüftung; 4. Budget; 5. soziale Fragen; 6. politische Fragen. Jeder Ausschuß stellt einen fleinen Völkerbund dar. Die parlamentarischen Kämpfe werden auch in Genf zum großen Teil in den Ausschüssen durchgefochten. Aber dort haben sie eine besonders wichtige Aufgabe. Es gelangt fein Vorschlag und feine An­regung an die Bollversammlung, die nicht in