Hannover . 11. September. (Eigener Drahtbericht.) Die Typhus» epidemie hat wieder erhebliche Fortschritte gemacht. Ilm Sonnabend mittag waren bereits über 400 Fälle in den Kranken- Häusern bekannt, einschließlich derjenigen, die der Einlieferung harrten. Ständig fahren die Automobile der Feuerwehr vor den Gebäuden der Krankenhäuser vor. Die Betten der städtischen Kronkenhäuser waren wiederholt ausnahmslos belegt. Maßnahmen, die in aller Eile von der Stadtverwaltung zur Unterbringung der Kranken getroffen wurden, zeigten sich immer wieder als unge- ntigend. Zuletzt war man gezwungen, die in der Genesung besind- llchen andersartigen Kranken rigoros aus dem Krankenhaus zu ent- lassen und sie zur endgültigen Besserung in ihre Wohnungen zurück- zutransportieren. Diese Halbgeheilten bedürfen teilweise der Krankenhauspflege noch dringend und mußten nur der Not ge» horchend zurückgeführt werden. Um dem Andrang von Kranken- transporten zu genügen, hat die Stadt nunmehr eine Schule in der halleahorstflraße unmittelbar gegenüber dem krankenhau» 1 räumen lassen. Die Schule wird sofort mit 200 Betten belegt. Die amtliche Bekämpfung der Seuche beschränkt sich zunächst auf die Zmpsung der Angehärigen der kranken. Von hannoverschen Aerzten wird un» verschiedentlich versichert, daß die den Krankenkassen und Aerzten gemeldeten Fälle fast alle aus Linden und aus de�S ü d st a d t stammen, also au» dem Versorgungsgebiet der berüchliglen Bicklinger Wasserwerke. Da» Ricklinger Ueberschwemmungsgebiet und die Verseuchung der Wasierbrunnen rücken mit dieser Tatsach« wieder in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. In einigen Straßen de» Stadtteils Linden sind teilweise noch keine Kanalisationsanschlüsi« vorhanden. In jener Gegend steht das Grundwasier oftmals höher als die Gruben für die Sbwäsier. Sollten da Zusammenhäng« mit dem verdorbenen Wasser bestehen? Amiliche Darstellung der Ursachen. Nach einer telegraphischen Meldung der Regierung in Hannover betrug, wie dem Amtlichen Preußischen Pressedienst aus dem Volks- wohlfahrtsministerium mitgeteilt wird, am Sonnabend mittag die Zahl der Typhuserkrankungen 270, von denen bisher 3 tödlich ver-
laufen sind. Als Ursache der Erkrankung ist wahrscheinlich die Infektion eines der drei Hannover mit Wasser versorgenden Wasserwerke anzusehen. Bereits vor mehreren Wochen wurde anläßlich zahlreicher plötzlich auftretender Magendarmerkrantungen festgestellt, daß da» Wasser dieses Werks eine Zeitlang eine hohe Keimzahl aufwies. Aus Anlaß dieser Erkrankungen wurde eine Reihe verdächtiger Brunnen aus der Förderleitung ausgeschaltet und für einwandfreie Funktion der bereits bestehenden Chlorierungsanlage Sorge getragen. Seitdem ist das Wasser der betreffenden Walserleitung wieder einwandfrei. Das preußische Wohlfahrtsmini st erium hat im An- schluß an diese Vorkommnisse die Landesanstall für Wasser-, Boden- und Lufthygiene mit einer Nachprüfung der Verhältnisse an Ort und Stelle beauftragt, die bereits vor einiger Zeit erfolgt ist. Die Landesanstalt hat die von der Regierung in Hannooer getroffenen Maßnahmen in vollem Umfange gebilligt. Offenbar ist aber vor mehreren Wochen gleichzeittg mit dem Eindringen von Keimen, welche die Magendarmerscheinungen bedingten, auch ein Ein- bruch von Typhusbakterien in die Leitung erfolgt. Das Inkubattonsstadiuni, d. h. die Zeit von der Aufnahme der Jnfektions- erreger ab, dauert bei Typbus 1— 3 Wochen. Infolgedessen kommt die vor mehreren Wochen erfolgte Infektion erst jetzt zum Ausbruch. Die eigentliche Infektionsquelle ist aber durch die be- reit» vor mehreren Wochen getroffenen Maßnahmen beseitigt, und es ist nicht anzunehmen, daß sich zurzeit noch Keime in der Wasserleitung befinden. Immerhin muß mit weiteren Erkrankungen gerechnet werden, da es möglich und in gewissem Grade sogar wahr- scheinlich ist, daß die Krantheitskeime vor einigen Wochen von zahl- reichen Personen aufgenommen worden sind. Insbesondere muß auch mit Kontaktfälllen gerechnet werden, d. h. mit solchen Erkrankungen, die durch Berührung mit den setzt Erkrankten ver- ursocht sind. Es ist von den Behörden alle» geschehen, um das Auf- treten derartiger Kontakttnfektionen zu vermelden. Soweit die Isolierungsstationen in den einzelnen Krankenhäusern nichi aus- reichen, wird für Bereitstellung geeigneter Absonderungsräum« in Schulen usw. Sorge getragen. Das Wohlfahrtsministerium hat zur Unterstützung der örtlichen Medizinalbeamten einen weiteren Me- dizinalrat und zur Unterstützung des Bakteriologischen Untersuchunas- amt» einen weiteren Bakteriologen sofort nach Hannover entsandt.
haben, bi» sie es zu dauernd kekstung»Mlgen Schöpfungen beucht«, bis sie völlig festen Boden unter den Füßen erhielt. Wechselfälle aller Art standen ihr bevor. Aber sie war jetzt da, und, obwohl noch ein« junge Pflanz«, sollte sie bald die polittsche Bewegung auf ein« bisher noch zu keiner Zeit erreichte Höhe emportragen helfen." Wenn heute der Gesamtzahl der Mitglieder der zur Richtung Amsterdam zählen- den Gewerkschaften, etwa 17?l. Millionen, die kommunistische Rich- hing 7K Millionen gegenüberstellen zu können erklärt, so hat sie davon über 6)4 Millionen allein in Rußland durch die Gewatt zur Gefolgschaft gezwungen. Die freiwilligen Mitglieder in den öst- lichen Ländern machen also nur einen verschwindenden Bruchteil aus. Der Spaltpilz ist dem Siechtum verfallen. Allen aber, den Freien wie den Unterdrückten, leuchtet die Idee der Selbsthilfe als das Symbol des werktätigen Leben» vorau »: „Alle für einen und emer für alle!"
Großfeuer auf Staötgut Laute. «ine Scheune eingeäschert.— Brandstiftung? Ein Großfeuer entstand gestern nachmittag auf dem städttschen Gut Lank« bei Bernau , und legte in kurzer Zeit eine etwa 70 Meter lange massive Scheune in Asche. Die Scheune, In der erhebliche Mengen Getreide und Stroh lo- aerten, liegt inmitten der Wirtschaftsgebäude und Stallungen des Gutes. Gegen 1 Uhr nachmittags sahen Gutsangestellte aus der Scheune Rauchschwaden aufsteigen. In einem Teil der Scheune war aus bis- der noch unbekannter Ursache Feuer ansgebroclien. Die freiwil- ligen Feuerwehren von Lank«, Bernau , Biesenthal und Lade- bürg wurden alarmiert, die aber nicht rechtzeitig zur Brandstelle gelangen konnten, da ein Teil der Wehren mit den Mannschaften gleichfalls mit der Ablöschung eines großen Scheunenbrandes auf dem Gut Kellmühle bei Biesenthal beschäftigt waren. Au» diesem Grunde mußt« die Berliner Feuerwehr um Hilfeleistung er- sucht werden. Zwei Ueberlandmotorspritzen in Begleitung von Brand- direktor Hammer begaben sich unverzüglich nach Lanke. Das Vach- � gcbälk der Scheune brannte bereit» lichterloh und die freiwilligen Feuerwehren schienen der Macht des entfesselten Elementes gegen- über machtlos. Da es von vornherein ausgeschlossen erschien, von der brennenden Scheune etwas zu retten, muhte alles Augenmerk auf die Wirtschaftsgebäude und Ställe gerichtet werden. Durch In- tcnsives Wassergeben aus vier Rohren größten Kali- bers der Berliner Motorspritzen und fünf Rohren der freiwilligen Feuerwehren gelang es wenig- st en s, dieGefahrdesUebergreifenszu verhindern. Mit großein Getöse stürzte schließlich die Scheune ein. Rur die Um- kassungsmauern, schwarz verräuchert und durch die gewaltige Hitze stark brüchig geworden, ragen noch hervor. Aeusterst schwierig ge- staltete sich die Wasferbeschaffung. Da s Wasser mußt« aus einem ziemlich entfernt liegenden Bach entnommen werden, so daß lange Schlauchleitungen nötig waren. Die Hauptgefahr war gegen 6 Uhr abends beseitigt, die Aufräumungsarbeiten dagegen zogen sich noch bis in die späten Abendstunden hin. Die glimmenden Korn- und Strohvorräte mußten von den Mannschaften ausein. andergerissen werden, um«in neues Auflodern zu verhindern. Es liegt der Verdacht nahe, daß Brandstifter am Werte waren. Die Landgendarmeri« ist mit den nötigen Ermittlungen betraut worden und hat bereits Untersuchungen nach verschiedenen Rich- wngen hin angestellt. * Borken , 11. September. In der Gemeinde Gemenwirthe (Regierungsbezirk Münster ) ereignete sich«Ine schwere Brand- katvstrophe. Aus bisher noch unbekannter Ursache entstand in dem Anwesen eines Landwirt» ein Brand, der in kurzer Zeit Wohn- hastÄ, Scheune und Stallungen vernichtete. Die im Schlafe liegenden Bewohner mußten erst durch Rufe der herbei- gceilten Nachbarn geweckt und auf die Gefahr aufmerksam gemacht werden. Während es dem Ehepaar und sechs Kindern gelang, sich zu retten, kamen drei Kinder im Alter von 6. 7 und 12 Jahren in den Flammen um. Ein Knecht konnte sich nur durch einen Sprung au» einem Fenster des zweiten Stockes retten; ein z w e i t e r K n e ch t, der in der abgebrannten Scheune geschlafen haben soll, w i r d n o ch v e r m i ß t. Die drei Kinder fand man am Morgen vollkommenoerkohlt auf. Don den Nachbarn konnte das meiste Vieh und ein Teil des Mobiliar» gerettet werden, während sämtliche Ackergeräte ein Raub der Flammen wurden.
8-, Die Figurantin. Roman eines Dienstmädchen» von Leon Frapie. Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen von Kunde-Grazia. Als ich nicht sogleich antwortete, umarmte sie mich unter heißen Tränen, und es übte auf mich eine ganz eigene Mr- kung aus: das war gut, mütterlich; ich fühlte wie einen Schutz. Da sagte ich zu... Und ich fand ein Hau», das jedem andern gleich— außer, daß der Herr in meine Kammer in der Sechsten jede zweite Nacht beinahe kam. Und wenn wir allein waren, die Frau und ich, dann warf sie sich plötzlich an meinen Hals und umarmte mich weinend, ihr ganzer Körper wurde wie von Krämpfen durchschüttert.* Die Normannin richtete, nur vom Hemd bekleidet, vor dem Spiegelschrank Ihr Haar, goldschimmernd fiel es über did Schultern, die erhobenen Arme zeigten einen rosigen Hauch. j Ahr üppiger Körper war von so großer Schönheit, daß Su- lette sich aufrichtete und auf den Rand des Bettes setzte. „Ziehen Sie sich doch aus/ sagte das schön« Mädchen, „was kann das Ihnen hin, wenn man zusieht I Man hat Sie zur Unterhaltung hierher gebrocht, für den komischen Teil des Schauspiels/ In Wirklichkeit hätte Sulette nicht gewagt, neben dem . weißen und üppigen Leib ihrer Gefährtin den armseligen, j bräunlichen und leidenden Körper unter der gleichen Decke auszustrecken. „Sind Sie lange in dem Hause, von dem Sie sprachen, geblieben?" fragte sie. „Achtzehn Monate— dann ist die Frau in«in Sana« wrium der Provinz, wider ihren Willen, glaube ich. gebracht worden. Der Herr bot mir sofort an, meine Kammer in der Sechsten zu verlassen und das Schlafzimmer zu beziehen. Aber, ich weiß nicht, das flößte mir eine abergläubische Furcht >«in, die Wohnung beängstigte mich, wie wenn ein Gespenst j darin umginge. So oft ich allein war. hatte ich Furcht. Furcht ! wie«in Kind,«in Bangen, hinter die Türen, hinter die Schränke zu blicken. Einmal, da war ich überzeugt, die Frau müßte sich in einem dunklen Raum, ganz hinten in der Wohnung erhängt haben, ich bin mit einem Licht nachsehen gegangen... Schließlich konnte ich das nicht mehr ertragen: ich hatte meinen Lohn bekommen, da ließ ich in Abwesenheit de» Herrn meinen Koffer fortschaffen und bin weggelaufen/ Die Normannin verlöschte das Gas. und sich neben Su- lette unter die Decke legend, sagte sie noch: „Ist da» drollig! Bon dem Tage an, wo die Frau mich nicht mehr umarmte, machte ich mir Vorwürfe und es vider- strebte mir ganz und gar. den Herrn zu zerstreuen/
Die Banpolizei wartet. Man sagt, daß die Baupolizei nicht mit sich spaßen läßt, sondern unerbittlich auf die Durchführung Ihrer Anordnungen besteht. Doch auch auf sie läßt sich der Satz anwenden, daß nicht alles so heiß ge- gessen wird, wie es gekocht wird. In Berlin -Südost liegen Bewohner des Hauses Lausitzer Str. 83 im Kampf mit dem Eigentümer des Grundstücks Lausltzer Str. 22, der einen Pferdestall durch offene Fenster nach Lausitzer Str. 23 entlüftet. Die Düste, die dem Stall entweichen, und die Fliegen, die von ihm ausschwärmen, sind begreiflicherweise ein« arge Belästigung für Nachbarn. Be- wohner von Lausitzer Str. 23. die unter dieser Plage leiden, haben die Baupolizei angerufen und haben erwidert, daß diese Behörde den Eigentümer von Lausitzer Str. 22 zur Beseitigung der in der Brandmauer angebrachten gensteröff- nungen aufforderte. Mitte Juli teilte die Baupolizei das Wh Beschwerdeführern mit, aber auf«Ine erneut« Eingab« ungeduldi- ger Mieter antwortete sie, die dem Eigentümer gestellte Frist zur Beseitigung der Fensteröffnungen müsse zunächst ab g e w a r t e t werden, bevor weiteres veranlaßt werden könne. Im Hause wird erzählt, daß die Frist mit Mitte August abgelaufen sei. Obwohl seit sener ersten Mitteilung setzt schon zwei Monate vergangen sind, hat ssch noch Immer nicht, geändert— und noch immer wartet die Baupolizei. Mit ihr warten die geplagten Be- wohner von Lausltzer Straße 23, nämlich darauf, wann endlich die Baupolizei lange genug gemattet haben wird. Anscheinend ist der Eigentümer entschlossen, Mieter und Baupolizei noch recht lange warten zu lassen und Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen. um die Durchführung der baupolizeilichen Anordnung abwenden zu können._ Konzert des Könistsberqer VolkschorS. Der gemischte C�or de» Vo l k« ch o r» Königsberg gab gestern abend im großen Saal der»Reuen Welt", Hasenheide, ein
82. Sulette unternahm die Reise an einem Sonntag. Ihr gelber Teint, die seltsam leuchtenden Augen, die dunkle Fülle der von flatternden Löckchen umrahmten Haare gaben ihr das Aussehen einer Zigeunerin. Sie trug anstatt der Frisur ein Tuch auf dem Kopf; das ausgebesserte, geflickte, von der Abnutzung entfärbte schwarze Kleid war vorn lächerlich kurz und schleppte hinten nach. Sie fürchtete sehr, daß die zerrissenen, absatzlosen Schuhe sich nicht von Paris trennen wollen. Sie lief ohne Unterbrechung bis zur Avenue de la Grand-Armee, wo sie sich auf eine Bank zur Seite des Fahrdamms setzte, weil so wenigstens die spöttische Heiterkeit der Radfahrer ein Weilchen jene der Fuß- gänger ablöste. Der Frühling brachte im Bannkreis von Paris unauf» hörllch Kirmessen an den Sonntagen mit sich. Nachdem sie noch ein großes Wegstück zurückgelegt, dann auf einem Steinhaufen sich ausgeruht'hatte, wo sie den letzten, vorsorglich mitgenommenen Bissen Brot verzehrte, sah sich Sulette gegen zwei Uhr nachmittags mitten unter vergoldeten Masten, Fahnen, venezianischen Laternen und Rosengirlanden für Faschingsochsen. Ein Fest versperrte die Landstrahe... die Orgeln der Karusselle begleiteten all die Belusttgungen. Schon bewegte sich die Menge in Staubwolken und im Brodem von Ge- backenem; die Restaurationstische breiteten sich bis zur Fahr- straße aus. In der Nähe der Schießbuden, wo mit Pistolen geschossen wurde, gab es eine Atmosphäre von Tabak, Alkohol und Heldenmut. Sulette beeilte sich, aus dem Gewühl herauszukommen. aber plötzlich blieb sie beunruhigt stehen: ein pomphafter Auf» zug marschierte, den freien Raum völlig versperrend, ihr ent» gegen. Riesengroße Schilder in Fleischton setzten sie in Kenntnis: man feierte offiziell die Trauung eines Rosen» Mädchens, die am selbigen Abend vollzogen werden sollte. Da» Rosenmädchen hatte die Aussteuer empfangen, die dazu antrieb, die Keuschheit als Ersparnis anzulegen und Herzenssachen nach dem Tarif zu berechnen. Nach der Feier. lichkeit der Derabfolgung auf dem Rathaus und in der Kirche sollte das Rosenmädchen, von ihrem gesetzmäßigen Eigen- tümer geleitet, auf ollen Wegen der Gemeinde einer möglichst großen Anzahl von Menschen gezeigt werben. Dann würde ein Bankett, bei Essen, Trinken und Absingen anregender Lieder, die Stimmung des Paares erhöhen. Endlich sollten sich das Rosenmädchen und ihr Gatte zur behördlich festge» setzten Stunde nach Haule begeben, und wenn das Zubett» gehen der Braut bewerkstelligt wäre, im selben Lugenblick, in dem der Begattung, würde symbolisch ein Feuerwerk zu
Gastkonzett. Der Chor ist Mitglied des Deutschen «rbeiter-Sänger- blindes. Selten wohl hat ein Konzett von auswöttigen Arbeiter- sängern In Berlin «inen so großen Erfolg gehabt. Di« Königsberger können ssch nicht über den Empfang in Berlin bettogen, man nahm ihr« Votträge begeistett auf, vieles mußte wiederholt werden. Be- reit» vor Beginn de» Konzerte» waren die meisten Plätze besetzt. Und der Chor verdient da» Interesse, da» man ihm hier bei uns entgegenbrachte. Im Grunde bedeutet das Gastspiel eine« wenn auch noch so renommietten Chores au» der Provinz immer ein Wagnis, man ist hier an gute Leistungen gewöhnt. Die Chöre de» Arbeiter- Sängerbundes haben in Berlin durchaus Niveau, manch« können überhaupt jede Konkurrenz aufnehmen. Worin ssch die Königsberger auszeichnen, ist vor allem die Ausgeglichenhett der Stimmen und der ausdrucksvolle Vortrag. Der Dirigent Erwin F e u st e l legt auf ein zartes Piano den Hauptwert. Sehr schön und innig darum der Ansang des Haslerlchen Liedes„Feinslieb, du_ hast mich g'fangen". Und von diesem Piano aus weiß Feustel überzeugend zu steigern, es gibt bei ihm keine plötzlichen Uebr-rgänge. Er läßt allmählich die Stimmen wachsen: dadurch erreicht er den Eindruck, al» ob die Besetzung de» Chor» größer sei, al» sse tatsächlich ist. Die Technik und Virtuosstät des Chors zeigte ssch besonders in Or- lando di Lasso» Chor.Echo" in der Ruancleruna der Stimmen. Im ganzen ein Konzett, da» durchaus weltstädtischen Charakter. trug. Man kann den Königsbergern für da» Gastspiel dankbar sein. Im Anschluß an das Konzett fand ein festlicher Empfang der Königsberg«? Gäste durch die Berliner Bundesgenossen statt.
Sezltt»blrdung»av»schaß«roß-?ttNn. Nächste Theater» orstellunq am Sonntag, den Li. Ottoder, nachmittags 3 Uhr In der volksbiihn« am«ülowplatz. Zur AnWhrung gelangt dle Komödie.Shstltrata" von Leo Grelner lnach AristopbaneS). Preis der Karte einschließlich Kleiderablage und Ibeaterzettel l,L0 M. Karten sind in allen bekannten Ver« kausSstellen und im Bureau des BezirtSbildungSauSschusseS, Lindenstraße S, 2. Hos XI, Zimmer 8, zu haben.
Ehren der Jungfräulichkeit abgebrannt werden. Nach dem mehrfachen Ansturm bescheidener Feuerkörper sollte«ine riesige Siegesrakete am Himmel emporsteigen und den Funkensamen ausstreuen. Die leuchtende Märzsonne hatte etwas von der remen Freude des lachenden Kindes. Zur Rechten war dort die Mauer eines Kuhstalles, dessen Rückseite mit dem Straßen» rand abschloß, und zur Linken, ttefer liegend, ein mit dem Kot von Paris gedüngtes Feld, in dem tausend Scherben aus der dunklen Erde aufblitzten. Bon der Magerkeit Sulettes hob sich die natüttiche Last wie ein Aushängeschild ab, und diese schreiende Mutterschaft ließ den Jammer des Körpers, des Gesichts, der Kleidung noch mehr hervortreten. Der Zug kam näher. Sulette drängte sich dichter an die Mauer des Stalles, der Sonnenschein folgte, an ihrem Leibe hafteyd, dahin. Und plötzlich erhob sich aus der Menge, die die Feier der Moral in Aufregung versetzte, ein Geschrei roher Lustigkeit. Da gab es keine Täuschung: man hatte eine Land» streicherin vor sich, die ihre körperliche Unförmigkeii doppelt strafbar machte. Diese Bettlerin trug in ihrem schamlosen Schoß irgend etwas Ungeheuerliches, würde bald eine ent- setzliche, widernatürliche Handlung vollbringen: sie war schwanger, würde bald niederkommen! Jede einzelne Abteilung stellte die Tatsache von sich aus fest. Da war die stolze Verachtung des Rosenmädchens, das dem Herrn Bürgermeister den Arm gab, und die erstickte Wut dieser Magistratsperson. Dann brachen Personen mit Ehren- zeichen in spöttische Rufe aus: „Ah, das ist gut, wirklich! Bon wettem dachte ich, sie will die Trommel schlagen!"— ..Ein Faustschlag würde genügen, um das Kaninchen rauszubringen!" Aber die �Empörung herrscht« vor. „Hu! hu!" schrien rohe Stimmen,„wirst du machen, daß du weiterkommst!" Dle Patronatsdamen, die an diesem Abend, im Augen» blick, als die sieghafte Rakete aufftieg, schmachteten und die Augen verdrehten— denn der Ehemann war ein hübscher Bursche—, machten sich in entrüsteten Bewegungen Luft und einigten sich mit lauter Stimm« über folgende Punkte: es genüge nicht, die Tugend hervorragend zu ehren, man müsse auch das Laster durch große Veranstaltungen öffentlich brand- marken, um den Unterschied zu zeigen. Eine Schar Straßensungen schloß sich dem Zug« on. Ein großer, vergnügt dreinschauender Mann drehte sich um; et war ein Spender milder Gaben für die Mohltätigkeitskassen der Schulen.(Fortsetzung folgt.)