flm der gewerksihastslosen Zeit. Es ist in diesen Tagen mehrfach daraus hingewiesen worden, wie die Gewerkschaftsbewegung und die politische Zusammenfassung der deutschen Arbeiterschaft in der Sozialdemokratischen Partei chand in Hand gingen. Wenn man also sich ein Bild von dem Zustand machen will, in dem sich das Leben des Arbeiters vor Errichtung der Gewerkschaften befand, braucht man nur die Erinnerungen jener Männer aufzuschlagen, die, meist selber aus dem Arbeiter- oder Handwerkerstande hervorgegangen, sich um die politische Hebung des Proletariats verdient gemacht haben. In' den Auszeichnungen Vahlteichs z. B. finden sich solche Schilderungen der Arbeiterverhält- nisse, wie sie heute dort, wo die Gewerkschaften sich betätigen konnten, nicht mehr möglich sind. Es heißt dort: „In den Fabriken wurde in der Regel von früh K bis abends i 8 Uhr gearbeitet, und es gab ein« Mittagspause von einer Stunde und halbstündige Pausen für Frühstück und Vesper. Die Hand- werter arbeiteten, soweit es anging, auf Stück, dann wurde die Arbeitszeit wesentlich verlängert und die Arbeitspausen verkürzt, auch Sonntags bis Mittag wurde gearbeitet... Der Lohn reichte auch für den bestbezohltesten und geschicktesten Arbeiter nicht aus, um, sofern er unverheiratet war, ein eigenes Zimmer zu mieten: die Gesellen schliefen in Bodenkammern, unmittelbar unter dem Dache, wo im Winter eine eisige Kälte, im Sommer eine entsell- liche Hitze herrschte. Verheiratete Handwerksgesellen gab es sehr wenige, und es haftete an solcher Ehe ein gewisser Makel: es sollte nach dem herrschenden Vorurteil niemand heiraten, der sich nicht selbständig machen tonnte. Die Lage der Verheirateten war natürlich noch schlechter als die der Ledigen... Männliche „ Fabrikarbeiter waren wenig geachtet, weibliche unterlagen einer vorurteilsvollcn Verachtung, womit nicht gesagt sein soll, daß sich die Handwerksgesellen einer besonderen Wertschätzung erfreut hätten. Ihr gesellschafiliches Verhältnis zu den Meistern war allerdings in vielen Fällen ein freundschaftliches, und es war z. B. Ehrensache für den Meister, den Gesellen über schlechte Zeiten hinwegzuhelfen, dagegen behandelte ihn die Gesetzgebung, und infolgedessen Gerichte, Polizei und die Verwaltungen von Krankenhäusern, als«in notwendiges Uebel, einen Gemeinschaden, ein Versuchsobjekt, kurzum als ein Geschöpf ohne Rechte, das man nach Belieben hudeln konnte. Die Arbeiter befanden sich, wie noch heute die Dienstboten, durchaus unker einer Ausnahmegesetz- gcbung. Die Pflege des Körpers wurde genau so vernachlässigt, wie die des Geistes. Die Nahrung war schlecht: der Genuß von sehr vielem trockenen Brot verursachte, außer anderen Uebel- ständen, besonders Sodbrennen, das man durch Kreidcessen bekämpfte... Es war vielfach Gebrauch, zu zweien in einem ' Bette zu schlafen." Wohlmeinende Leute in bürgerlichen Kreisen bemühten sich damals— Ansang der. 6ver Jahre— um die Besserung der Lag« der Arbeiter dur�b Bildung. So wurde 18K1 in Leipzig aus Be- treiben des Drofessors Roßmäßler«in Arbeiterbichungsverein be- gründet, in dem sich nun bald eine mehr bürgerliche und«in« mehr sozialistische Richtung befehdeten. Die Anhänger der letzteren schieden aus und begründeten den Verein„Vorwärts". Hier wurden die ersten Propagandaschristen Lassalles vorgelesen:„Der Eindruck— berichtet Bahlieich— war«in überwältigender. So etwas war eben noch nie gehört worden und kontrastierte zu vorteilhaft mit den Wasser- flippen, die bisher den Arbeitern geboten worden waren, als daß die Wahl darüber, wohin man sich mit seinen Sympathien wenden sollte, schwer gewesen wäre." Politisch führten die verschiedenen Strömungen, die in den kver Fahren die deutsche Arbeiterbewegung durchsetzten, zu dem fchließlichen Einigungswerk in der Sozialdemokratischen Partei, und gleichzeitig stiegen die Gewerkschaften empor, die den Rahmen der politischen Gesetzgebung mit sozialem Inhalt füllten. Auch die heutige Zeit, die unter dem Zeichen der Verarmung des Volkes und der Wirtschaft- lichen Depression steht, lehrt die Notwendigkeit des festen Zusammen- schlusses in Partei und Gewerkschaft. Mit berechtigtem Stolz kann die deutsche Arbeiterschaft sagen, daß alle erzielten Dorteil« und Ver- bcsserungen sowohl der sozialdemokratischen Agitation wie dem Ein- wirken der Gewerkschaften auf die sozialpolitische Gesetzgebung zu verdanken seien. Je stärker der Faktor auf der Seite des Arbeit- nehmers— desto geneigter wird der Gesetzgeber sein, auf den Arbeit- geber einzuwirken. „Ach, ich fahre doch so gern." Eine unangenehme Ueberraschung hatte der wegen Diebstahls vor dem Schöffengericht Charlottenburg angeklagte Autoschlosser Wilhelm Thiele einem Zechgenosien bereitet, in dessen Gesell- schaft er etwas zu viel dem Alkohol zugesprochen hatte. Plötzlich war Thiele vom Kneiptisch verschwunden und mit ihm die Auto- droschke seines Zechkumpans, eines Chauffeurs, die draußen vor dem Lokal auf der Straße stand. Als Autoschlosier war er mit einem Motor wohl vertraut. So hatte er den Wagen angekurbelt und war mit ihm davongefahren. Die Fahrt nahm jedoch ein vorzeitiges Ende. Unter dem Einfluß des Alkohols konnte der Angeklagte das Steuer nicht recht meistern, und so fuhr der Wagen im Zickzack- fürs die Earmerstraße entlang. Ein älterer, den Damm kreuzen- der Herr konnte gerade noch zur Seite springen, als der Wagen gegen einen Zaun prallte und stehen blieb. Als der Herr den leichtsinnigen Fahrer wütend anfuhr, antwortete dieser treuherzig: „Ach, ich fahre doch so gern!" Der inzwischen herbeigeeilte Besitzer verabreichte dann dem ungetreuen Zechgenossen zunächst eine gehörige Tracht Prügel und brachte ihn hierauf wegen Dieb- st a h l s zur Anzeige. Angesichts der geistigen und körperlichen Ver- fasiung des Angeklagten schien es zunächst zweifelhaft, ob überhaupt ein Diebstahl vorliege und die ganze Sache nicht nur eine eigen- mächtige Vergnügungsfahrt sein sollte. Da jedoch der Angeklagte kurz vorher ein Motorrad mittels Einbruchs gestohlen und weiter auch ein Fahrrad entwendet hatte, kam das Gericht zu der Ueberzeugung, daß ein Diebstahl von Thiele beabsichtigt worden wäre. Das Urteil lautete unter Einberecknung anderer Strafen auf neun Monate Gefängnis. Als der Angeklagte gefragt wurde, ob er sich hierbei beruhigen wollte, antwortete er wieder treuherzig:„Das Ist doch ein bißchen hoch, ich bin doch nur eine kurze Strecke gefahren!" Ende der Gerichtsferien. Die Gerichtsferien find mit dem gestrigen Tage zu Ende ge- gangen. Von heute ab wird also wieder der ordnungsmäßige Geschäftsplan Platz greifen, was für die Zioilgerichte von besonderer Bedeutung ist, da im Verlauf der Ferien nur sogenannte „geriensachen" zur Verhandlung gelangten und in anderen Klagen keine Termine stattfanden. Im Moabiter Kriminalgericht wird der Betrieb gleich voll einsetzen, wie überhaupt in den kommenden Monaten den dortigen Strasgerichten reichliche Arbeit bevor- steht.— Bereit» morgen beginnt vor dem Schöfsenaericht Berlin- Mitte unter Vorsitz des Landgerichtsdirettor» Schulze der große Bestechungsprozeß Ziffer und Genossen, der sich gegen 13 Angeklagte richtet. Sechs davon sind Zollbeamte, darunter der Oberzollinspektor v. Tilly, die übrigen Drogisten und Kaufleuke. Es handelt sich hier mn die bekannten vorgange beim
Hauptzollamt Berlin Norden: dessen Angeklagte planten, Monopol- sprit gegen Entgelt unrichtig oder gar nicht vergällt zu haben. Der Prozeß dürfte etwa zwei Wochen dauern.— Am Sonnabend findet dann die Berufungsvcrhandlung wegen Urkundenfälschung gegen den Tierarzt Dr. Graul statt, der aus der Rüders- dorfer Fleischvergiftungsaffäre bekannt geworden ist, und am Montag nimmt am Landgericht I eine Schwurgerichtsperiode ihren Anfang. Ende Oktober bzw. November wird der andere große Spritprozeß vor dem Schöffengericht Tempelhof beginnen, in den wieder Hermann Weber oerwickelt ist. Er betrifft Branntwein- Monopolhinterziehung und sogenannte Branntweinmonopolhehlerei. Seine Dauer wird auf drei Monate berechnet.
Koffer, Koffer, du mußt wandern... Das Scheckbuch als Verräter. Ein unangenehmes Erlebnis hatte im Juli d. I. eine Dame, die eines abends um 6 Uhr vom Potsdamer Bahnhof mit einer Auto- droschke nach Berlin-Lichterfelde fuhr. Am Ziel angelangt, ver- langte der Chauffeur nicht nur den Preis für die Hin-, sondern auch den für die Rückfahrt. Als sie sich weigerte, diesen auch noch zu zahlen, warf er seinen Wagen herum, fuhr wieder ab und nahm die beiden Lederkosfer der Dame mit. Diese war so bestürzt, daß sie zunächst nicht wußte, was sie beginnen sollte und sich auch nicht die Nummer des Autos merkte. Die beiden Koffer blieben verschwunden. Das war der Dame um so unangenehmer, als der eine ihr Scheckbuch und einen Barscheck über 30000 Mark, der zweite ein wertvolles silbernes Reise- Necessaire enthielt. Beide waren außerdem mit Kleidungsstücken gefüllt. Vor einigen Tagen nyn erschien ein biederer Schlächtermeister auf einer hiesigen Bank, iSn aus einen Scheck 1300 M. zu erheben. Der Scheck, der aus dem Buch der Dame stammte, wurde als gefälscht erkannt, sein Aorzeiger angehalten und der Kriminal- polizei übergeben. Dieser konnte aber bald nachweisen, daß er mit der Fälschung nichts zu tun hatte. Cr hatte den Scheck von einem 18 Jahre alten Siegfried R. für an diesen verkaufte Schweine in Zahlung erhalten. Jetzt wurde R. herangeholt, um Aufklärung zu geben. Er behauptet, daß er vor einiger Zeit an der Ecke der Berliner und Prinzregentenstraße in Wilmersdorf einen Koffer und darin u. a. den großen Barscheck und das Scheckbuch gesunden habe. Den Barscheck zu präsentieren, habe er gar nicht erst versucht, weil er vorausgesehen habe, daß er ihm doch nicht ausgezahlt werden werde. Dagegen habe er ein Blatt aus dem Buche benutzt, um den Schlächtermeister zu bezahlen. Bei einer Durchsuchung fanden die Kriminatbea'mten den Koffer unter allerlei Gerllmpel aus dem Boden der elterlichen Wohnung des jungen Mannes. Die Kleidungsstücke lagen noch darin, ebenso das Scheckbuch mit dem Rest der Blätter. Es war der eine Kosfer der Dame. Von dem zweiten wollte R. nichts wissen. Er leugnete, ihn zu besessen zu haben. Die weiteren Ermittelungen ergaben jedoch, daß er ihn nach Treptow auf ein Tanzsest mitgenommen und dort an einen Freund oerkaust hatte. Dieser besah ihn auch jetzt noch mit dem ganzen Inhalt. den Silbersachen und den Kleidern, mußte ihn aber zur Beschlag- nähme herausgeben. Nunmehr gab R. zu, daß er b e i d e K o f f e r gefunden habe. Ob es aber mit dem„Finden" seine Richtigkeit hat, ist noch sehr zweifelhaft. Darüber kann nur der Chauffeur Auskunft geben, und er wird deshalb ersucht, sich bei der Dienst- stelle 8 im Zimmer 6 im Polizeidienstgebäude in der Georgen- kirchstraße 30a zu melden. Bcrmutlich hat R. hie Droschke irgendwo unbeaufsichtigt stehen sehen und die Koffer heimlich herausge- nommen. Der Zoo hat Nachwuchs. Die Berliner Presse hat sich gestern den Tiernachwuchs i m Z o o angesehen. Es hatte aber fast den Anschein, als wenn sich die Tiere die Pressevertreter ansahen, so interessiert zeigten sich die jungen Bären und die kleinen Löwen und ihre Pflege- »lütter den Presseleuten gegenüber. Es sind aber auch zu reizende Dinger, diese kugelrunden Freunde Petz, die sich in den Zeiten einer mütterlichen Säugepause gegenseitig an den Ohren lutschen.
Sie haben das Betteln von den Alten sehr schnell gelernt und machen reizende Männchen am Gitter. Elf junge Löwen haben die Löwen- mütter dem Zoo geschenkt, worüber die Direktion und das Publikum mehr erfreut scheint als die Löwenalten. Jedenfalls haben die meisten Jungen Ammen in Gestalt von Schäferhündinnen bekommen, die die untergeschobenen Kinder wie eigene behandeln. Die jüngsten Löwen sind erst fünf Wochen alt, allerliebste Kerlchen, die schon jetzt für 1500 Mark des Stück käuflich zu erwerben sind. Direktorial- assistent Dr. Lutz meinte, sie wären gar nicht so gefährlich! Die interesiantesten Tiere sind die Ameisenbären, die seit langer Zeit wieder einmal im Zoo zu sehen sind. Der Wärter führte so ein spitzschnäuziges Tier, dessen fächerartiger Schwanz länger ist als der ganze Körper, direkt unter die Gäste: ein Jahr später soll es mit dieser intimen Gesellschaft vorbei sein— wenn die Tiere erst die Menschen richtig kennen gelernt haben. Die aus Abessinien importierten Erdferkel bekommen die wenigsten Besucher zu sehen. Sie sind Nachttiere und empfangen daher am Tage keinen Besuch. Bei den Vögeln sind es besonders die verschiedenen Fasanenarten, die reichlichen Nachwuchs haben. Schade nur, daß die Besucher unseres Zoo nicht alle in den Genuß so eingehender Belehrungen kommen, wie sie den Presse- Vertretern zuteil wurden. Das Interesse würde dann noch größer sein. Der Geisteskranke auf dem Dach. Erhebliches Aussehen erregte gestern nachmittag ein Mann in den mittleren Iahren, der frisch und fröhlich ein vor Dem Grundstück Alexanderstraße 45 errichtetes Gerüst erklomm und bald das Dach erreichte. Hier vollführte er einige K u n st st ü ck e und oerübte allerlei Unfug. Polizeibeamte wurden benachrichtigt, die den Unbekannten zum Abstieg zu bewegen suchten. Gleichzeitig wurde die Feuerwehr herbeigerufen. Eine Leiter wurde in die Höhe ge- wunden und der Mann, der allerlei wirre Reden„Auto Ins Wasser gefallen"—„beinahe ertrunken" usw. führte, wurde nach kurzem Widerstand überwältigt und nach dem Virchow-Kranrenhaus geschafft. Bei der Aufnahme seiner Personalien stellte sich über- raschenderweise heraus, daß der Geisteskranke der Autodroschken- führer K. ist, der, wie wir berichteten, am Montag morgen gegen 4 Uhr mit seiner Kraftdroschke am Lützowufer, Ecke Genthiner Straße infolge Steuerdefektes in den Kanal fuhr, von Bor- übergehenden aber gerettet werden konnte. Durch den ausgestandenen Schreck hat der Kraftwagenführer wahrscheinlich einen Gehirndesekt erlitten. Auch der Norden hatte in den Nachmittagsstunden seine Sen- sation. Am Geländer der P a n k e in der G r o p i u s st r ä ß e im Norden Berlins sammelte sich eine größere Menschenmenge an, die einen im Wasser herumwatenden völlig bekleideten Mann beobachteten. Auch er führte wirre Reden. Die Feuer- wehr wurde herbeigerufen, die den Geisteskranken zur nächsten Rettungsstelle brachte. Ein schwerer Slraßenunsall mit tödlichem Ausgang ereignete sich gestern nachmittag an der Straßenkreuzung T e u p i tz e r und Schudomastraße. Der vierjährige Knabe Hör st Gärtner aus der Schudomastr. 11/12 hatte sich an ein Pferdegespann angehängt. Er löste sich los und lief in eine aus entgegen-,, gesetzter Richtung kommende Autodroschte hinein. Die Räder de» Kraftwagens gingen über das Kind hinweg, das auf der Stelle, getötet wurde. Die Leiche wurde nach der Buckower Friedhofs- halle geschafft.— Ein weiterer schwerer Unfall trug sich in den gestrigen Nachmittagsstunden in unmittelbarer Nähe des Bahn- Hofes Baumschulenweg zu. Der 50jährige Türschließer Karl Schmidt aus der B e h r i n g st r a ß e 2 zu Baumschulenweg wollte die Bahngleise überschreiten. Er übersah«ine in schneller Fahrt herannahende Lokomotive, wurde von dieser erfaßt und überfahren. Bereits auf dem Transport zum Buckower Krankenhaus trat derT o d infolg« schwerenSchädel- b r u ch e s und innerer Verletzungen ein. Die Schuldfrage ist noch nicht geklärt. Feuermelder mit Fingerabdruck. Ein Mechaniker Hans Schwaiger hat einen neuen, sinnreichen Feuermelder zur B e- kämpfung böswilliger Feueralarme konstruiert. Der Apparat kann nur iu Tätigkeit gesetzt werden, wenn der Meldende zuvor an einer drehbaren Kugel seinen Fingerabdruck als späteres Erkennungszeichen abgegeben hat.
Weitere Ausbreitung 1212 Erkrankte, 30 Hannover , 15. September. (Eigener vrahlbericht.) Mi«. woch nachmittag 5 Uhr betrug die Zahl der in den Krankenhäusern der Stadl Hannover untergebrachten Typhuskranken 121 Z. Znsgesamt sind bisher 51? Männer. 514 Frauen und 17? Kinder vom Typhus befallen worden. Die in der vorigen Woche von Fachleuten ausgesprochene Erwartung, daß die Epidemie am Dienstag etwa Ihren Höhepunkt erreicht haben würde, scheint nicht in Erfüllung zu gehen: denn am Mittwochabend sind wieder zahlreiche neue Kranke eingeliefert worden. Der Polizeipräsident von hau- nover hat die hannoversche I e x t i l a u» st e l l u n g. die für den 2K. September in der Stodthalle angesetzt war. verboten, ebenso ist da» Abhalten des herb st j ahrmarkt» untersagt wor- den. Die össentlichcn Impfstellen, in denen die Schutzimpfung unentgeltlich vorgenommen wird, werden derartig bestürmt, daß die Bevölkerung anstehen muß. Die behördlichen Stellen haben selbst eine Vermehrung der össentlichen Zmps st eilen in Aussicht genommen. vie öettennot behoben. Glücklicherweise ist es den städtischen Körperschaften Hannovers nunmehr gelungen, der Unterbringungsschwierig- leiten und Bettennot Herr zu werden. Durch die Hilfsakttonen der anderen Städte und des Roren Kreuzes find die genügenden Betten nach Hannooer transportiert worden, so daß man wenigstens in dieser Beziehung vorläufig nichts mehr zu be- fürchten hat. Auch dem Mangel an Krankenwagen und sonstigen Beförderungsmitteln zum Abtransporr der Erkrankten in die Krankenhäuser und Hospitale in den Schulen ist abgeholfen worden. Die Stadt Hannover hat eine Anzahl von Krankenwagen zur Ver- fügung gestellt. Ferner sind verschiedene große Jndustriesirmen helfend eingesprungen und haben ihre Wagenparks der städtischen Verwaltung zum Krankentransport überlassen. Außerdem stehen auch in genügendem Maße Aerzte und geschultes Sanitätspersonal zur Verfügung. Vom preußischen Wohlsahrtsministerium weilt Ober- medizinalrat M a r m a n n seit Dienstag in Hannooer, um die An- ordnungen zur Bekämpfung der Epidemie nachzuprüfen. Vor ein!» gen Tagen war bereits eine Kommission des Wohlfahrtsministeriums m Hannover , die sich über die Wasserverhältnisse und besonders über
der Tpphusepidemie. odesfälle in Hannover . das Ricklinger Wasserwerk informierte. Die Stadt Hannover zögert, das Ricklinger Wasserwerk zu schließen, weil die Werke von Graßdors und Elze den täglichen Wasserbedarf der Stadt nicht decken können. Große Anfrage üer Spv. -Zraktion im Lanütag. Die sozialdemokra tische Fraktion im preußischen Landtag hat eine Große Anfrage eingebracht, die vom Staats- Ministerium energisches Eingreifen zur Bekämpfung der Typhus - e p i d e m i e oerlangt, vor allem Klärung der Ursach« der Epidemie und Errichtung einer dauernden Kontrolle der Wasserversorgung der Stadt Hannover . In der Anfrage wird darauf hingewiesen, daß trotz wiederholter Aufforderungen in der Oefsentlichkeit, das aus dem Rickfinger Quellgebiet kommende Wasser genau zu unter- suchen, die Stadtverwaltung die Bevölkerung bisher immer mit der Erklärung beruhigt habe, daß das Ricktinger Wasser nur in harmloser Weise verunreinigt sei. Wie harmlos die Verunreinigung ist, zeigt jetzt die Typhusepidemie. Auch der Abg. Blank- Hannover, Mitglied der Zentrumsfrak- tion des preußischen Landtags, ist beim Wohlsahrtsministerium vor- stellig geworden mit dem Ersuchen, angesichts der von Stunde zu Stund « wachsenden Anzahl der Typhuserkrankten abermals eine Koni- Mission der verschiedensten Sachverständigen nach Hannover zu ent- senden, die im Einvernehmen mit den örtlichen, staatlichen und städtischen Behörden Ermittlungen über die Ursachen der Epidemie anstellen, die serner aber auch eine Nachprüfung der vorgenommenen Anordnungen zur Bekämpfung der Epidemie vornehmen soll. ver Tpphus in Magdeburg . Zu den bisher gemeldeten 30 Typhusfällen In Magd«. bürg sind zwei neue Erkrankungen hinzugekommen. Diese beiden Fälle sollen jedoch nicht auf verseuchte Milch zurückzu- führen sein. Obwohl«ine der an Typhus erkrankten Personen inzwischen gestorben ist, liegt kein Anlaß zur Be- fürchtung vor. Der Typhus stellt sich in jedem Jahre sporadisch ein und hat auch in diesem Jahre noch keine ernstere Form angenom- men. Sämtliche Typhuskranke befinden sich, soweit festgestellt wird. außer Lebensgesahr.