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Abendausgabe

Nr. 437 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 216

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

10 Pfennig

Donnerstag

16. September 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszett bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Deutschland stimmt für Polen .

Der Völkerbundsrat nengewählt.

Genf , 16. September. ( Eigener Drahtbericht.) In der heuti­gen Sigung der Böllerbundsversammlung wurden im ersten Wahlgange als nichtständige Mitglieder des Bölferbundsrats ge­wählt: Kolumbien mit 46 Stimmen; Polen mit 45 Stimmen; Chile mit 43 Slimmen; Salvadore mit 42 Stimmen; Bel gien mit 41 Stimmen; Rumänien mit 41 Stimmen; Holland mit 37 Stimmen und China mit 29 Stimmen, von 49 abgegebenen

Stimmen.

Im zweiten Wahlgange wurde als neuntes nichtständiges Ratsmitglied die Tschechoslowakei mit 27 Stimmen gewählt. Daneben wurden für Finnland 11 Stimmen, Portugal 7 und für

Irland 4 Stimmen abgegeben.

Die Wahlhandlung vollzieht sich in drei Abschnitten. Genf , 16. September. ( WTB.) Die Vollsitzung der Bölferbunds versammlung für die Wahlen der nichtständigen Böikerbundsrats mitglieder, die durch die vollzählige Anwesenheit der

Bolens Wahi erfolgte mit der zweitgrößten Stimmenzahl. Deutschland hatte seine Absicht, für Polens Ratssitz zu stimmen, befanntgegeben und hat entsprechend gehandelt.

Bei der Frage der Wiederwählbarkeit gab Deutschland einen weißen Stimmzettel ab. Hätte noch ein anderer Staat, z. B. Bel­gien, sich um die Wiederwählbarkeit beworben, dann hätte die deutsche Delegation auch für Bolen stimmen fönnen. Aber unter deutsche Delegation auch für Polen stimmen können. Aber unter diesen Umständen bekam die Wieder wählbarkeit allzusehr den Charakter einer ausdrücklichen Vertrauenstund gebung für Polen und dazu hatte Deutschland keine Veranlassung. Gegen eine Wiederwählbarkeit Belgiens , die u. a. von Deutschland angeregt worden war, hatte England Bedenken geäußert, um evtl. Spanien und Brafilien im nächsten Jahr die Möglichkeit der Wieder. wählbarkeit freizuhalten, falls diese Länder in den Bölkerbund bis dahin zurückkehren sollten.

Das Ausscheiden Uruguays und seine Ersetzung durch San

Delegationen und die zahlreichen Gäste sowie durch die strenge Salvadore ist auf einen gestern gefaßten Beschluß der latein. Einzelkontrolle den Charakter eines großen Tages zeigt, wurde amerikanischen Staaten zurückzuführen, gegen dessen zufälligen etwas später als vorgesehen um 10,30 Uhr durch Mintschitsch eröffnet. Charakter der Bertreter Uruguays , Guani, in einer geharnisch. Dieser erörterte zunächst das Wahlverfahren, das in breiten Erflärung protestierte, die nach der Verkündung des Abschnitte zerlegt wird. Der erste bezieht sich auf die Wahl Wahlergebnisses verlesen wurde. Ueberhaupt hat es zwischen den von neun nichtständigen Mitgliedern in den Rat, der zweite auf südamerikanischen Staaten mehrfach Kampf gegeben, doch die euro­die Wahl von drei der so Gewählten für dreijährige Man päischen Staaten mischen sich glüdlicherweise grundsäßlich in diese datsdauer, und der dritte auf drei weitere für zwei Angelegenheiten nicht ein. Das Schwergewicht der süd- und jährige Mandatsdauer. Die drei Verbleibenden sind dann zentralamerikanischen Staaten, die über fast ein Drittel der Gesamt­ohne weiteres für ein Jahr gewählt. Dann erfolgt die Ab. zahl der Völkerbundstimmen verfügen, trat bei dieser Wahl wieder timmung über Anträge, einzelnen Staaten die Wiederwählbarkeit deutlich in die Erscheinung. Rolumbien marschierte stolz an der zu verleihen. Spize aller neugewählten Staaten, Chile und San Salvadore nahmen den dritten und vierten Siz ein.

Die Wahlhandlung, die sich geheim durch Niederlegung von Stimmzetteln mit je neun Namen in die Urne vollzieht, begann um 10,40 Uhr, um 11,25 Uhr verkündete der Präsident Nintschitsch das Ergebnis des ersten Wahlganges.

Polen als eingiger Staat wiederwählbar erklärt. den Wahlgängen verlas der Präsident den schriftlichen Antrag V. Sch. Genf , 16. September. ( Eigener Drahtbericht.) Nach Polens auf Verleihung der Wiederwählbarkeit. Weitere An­träge waren nicht eingebracht..

Die Wiederwählbarkeit Bolens wurde mit 36 von 48 Stim men angenommen. Bier Staaten gaben weiße Stimmzettel ab, Ergebnis wurde von einem Teil der Bundesversammlung beifällig a cht stimmten mit ein, Südafrika enthielt sich der Wahl. Das

begrüßt.

3u zweijährigen Ratsmitgliedern wurden ge­wählt: Kolumbien mit 47 Stimmen, Holland mit 47 Stim­men, China mit 34 Stimmen. Daher werden die drei übrigen Staaten Belgien , Tschechoslowakei und Salvador zunächst für die Dauer eines Jahres im Rat fizzen.

Polen , Rumänien und Chile für drei Jahre gewählt. Genf , 16. September. ( Eigener Drahtbericht.) Als Ergebnis

des zweiten Wahlganges verkündete Präsident Nintschitsch um 12,25 Uhr, daß Polen , Chile und Rumänien für die Dauer

Chinas größter Wunsch ist endlich in Erfüllung gegangen, sogar im ersten Wahlgang, aber nur mit einer relativ geringen

Stimmenzahl.

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Der neue Bölferbundsrat unterscheidet sich vom alten genommen war. und von der Zusammensetzung. die ursprünglich in Aussicht Seine Gesamtzahl hat sich von 10 auf 14 erhöht. Zu den bisherigen vier ständigen Sitzen der Großmächte ist der fünfte für Deutschland hinzugetreten. Die Zahl der nichtständigen hat sich von sechs auf neun erhöht. Ausgeschieden sind nicht nur Schweden und Ungarn , sind nur Belgien , das dem Rate seit Anbeginn angehört, sondern auch Spanien und Brasilien . Wiedergewählt und die Tschechoslowakei . Dagegen sind neu hin­eingekommen nicht weniger als sieben Staaten. also die Hälfte des ganzen Rates. Und zwar: Polen , Ru­ mänien und Holland für Europa , Chile , Columbien und Salvador für Amerita, China für Asien .

Untersucht man den neuen Rat nach seiner geogra phischen Gliederung. so ergibt sich: Europa ist durch vier ständige und fünf nichtſtändige, zusammen neun Staaten vertreten. In den Rest von fünf teilen fich fien mit zwei, nämlich je einem ständigen( Japan ) und un­digen Sigen.

Internationale Sozialpolitik.

Ihr Wesen und ihr Ziel.

Die Vierteljahrhundertfeier der Gewerkschafts­Internationale lenkt den Blick auch auf die Bedeutung der internationalen Sozialpolitik. Ist doch neben der Sozialistischen Arbeiterinternationale die Gewerkschafts- Inter­nationale ihr wichtigster Träger.

Man streitet sich in der ganzen Welt über Wesen und Biel der Sozialpolitit, stellt ,, tiefgründige" Betrachtungen von bürgerlicher Seite darüber an, ohne doch zu klaren Ergeb nissen zu kommen. Diese Untlarheit ist das notwendige Re­fultat des Nichterkennens, daß alle Sozialpolitik Ergebnis des Machtverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit ist und daß ihr legtes Ziel die soziale Produktion sein muß.

Sozialpolitik ist also ihrem Wesen nach Neuordnung der gesellschaftlichen Produktion, die in ihren Mittelpunkt den Menschen mit seinen gesellschaftlichen Bedürf nissen stellt. Solange jedoch das Privateigentum an Pro duktionsmitteln besteht, fann nur durch den sozialpolitischen Schutz der Arbeiterklasse dieser Gedanke Wirklich­feit werden.

Auf diesen Zusammenhang hat bereits Karl Marg in der Inauguraladresse sehr deutlich hingewiesen. Als im eng­lischen Fabrikatt vom 8. Juni 1847 das Zehnstundengesetz durchgefegt wurde, schrieb Marr über diesen Sieg der eng­lischen Arbeiterklasse in der Inauguraladresse:

" Dieser Kampf um die gesetzliche Arbeitszeit wütete um so heftiger, je mehr er, abgesehen von der aufgeschreckten Habgier, tatsächlich sich um den großen Gegensatz dreht zwischen der blinden Herrschaft der Geseze von Nachfrage und Angebot, die die politische Dekonomie der Bourgeoisie bilden, und zwischen der durch soziale Voraussicht und Einheit beherrschten sozialen Pro. duktion, die die politische Defonomie der Arbeiterklasse bildet. Und darum war das Zehnstundengesetzt nicht nur ein großer praf­tischer Erfolg; es war der Sieg eines Prinzips. Zum erstenmal unterlag im hellen Licht des Tages die politische Dekonomie der Bourgeoisie der politischen Dekonomie der Arbeiterklasse."

Gehört heute die Sozialpolitik dem Grundsage nach zu den Selbstverständlichkeiten, die auch von den Unternehmern anerkannt werden, so ist ihr Ausmaß doch hart umstritten. Die Unternehmer wollen, mie es Borsig auf der Industrie­tagung 1924 ausdrückte, an einer gefunden" Sozial­politit positiv mitarbeiten. Darunter versteht man im Unter­nehmerlager die eigene Gesundheit, d. h. die Rücksichtnahme auf den Unternehmerprofit, der durch keinerlei sozialpolitische Maßnahmen gefährdet werden darf. Maßnahmen gefährdet werden darf.

Es

der entscheidendsten Bedeutung, ob die gewerkschaftliche und Für den Fortschritt der Sozialpolitik ist es deshalb von politische Arbeiterbewegung start genug ist, erfolgreiche Kämpfe zu führen. Dabei fällt den gewerkschaftlichen Or­ganisationen die besondere Aufgabe zu, durch Tarifverträge die sozialpolitische Schuhgesetzgebung vorzubereiten und zu wird ihnen die Erfüllung dieser Aufgabe gelingen. verbessern. Je mehr Macht sie repräsentieren, um so besser kommt deshalb alles darauf an, daß die Arbeiter und Ange­stellten durch Zusammenschluß und Solidarität die freien Ge­werkschaften zu einer solchen überragenden Macht ausbauen. Wird das Ausmaß der nationalen Sozialpolitik von internationalen Sozialpolitik. Schon früh begriff die klassen­Handelns. Sie wurde durch Vorgänge auf sozialpolitischem Gebiet förmlich demonstriert. In einer Schrift über Inter­nationalen Arbeiterschuß weist Fehlinger beispielsweise darauf hin, daß im Jahre 1848, nach kurzem Bestand, das französische Zehnstundengesetz aufgehoben und durch eines über den wölfftundentag ersetzt wurde, mit der Begründung, daß die fürzere Arbeitszeit ohne internationales Zusammengehen nicht aufrechterhalten werden könne.

von drei Jahren dem Völkerbundsrat angehören. Bei diesem ständigen Siz( China ) und Amerika mit drei unstän diesen Faktoren bestimmt, so gilt das gleiche auch von der

zweiten Wahlgang erhielten Polen 44, Chile 41 und Rumänien 30 Stimmen von den abgegebenen 49 Stimmen. V. Sch. Genf , 16. September. ( Eigener Drahtbericht.) Das Ergebnis der Wahl zeigt folgende bemerkenswerte Ergebnisse: Per­ sien ist vollständig unter den Tisch gefallen. Der Block der kleinen Staaten hatte wieder zusammengehalten; die Tschechoslowa. tei ist mit Hilfe der Südamerikaner wiedergewählt worden. Diese Wiederwahl galt vor allem der Person von Benesch, der im Völkerbund großes Ansehen genießt und besonders in den Abrüstungsfragen sehr tätig gewesen ist. Nichtsdestoweniger wäre es wohl besser gewesen, wenn man es vermieden hätte, daß zwei von den Staaten der fleinen Entente, und sei es auch nur auf ein Jahr, im Rat zusammenfißen.

Völkische Radaubrüder. Unfug im befreiten Rheinland .

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Seit der Räumung der Kölner Zone haben sich die rechts. radikalen Bünde vor allem das unbesetzte Rheinland zu ihrem Tummelplaß ausgesucht. So veranstalteten fie am ver gangenen Sonntag in Brühl , dem Städtchen im linsrheinischen Brauntohlengebiet, einen sogenannten" Deutschen Tag " Hierbei fam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den Nationalisten und den Anhängern der Republif. Die nationalistischen Radauhelden überfielen Angehörige des Reichs banners und rissen ihnen ihre Abzeichen ab. Im Laufe des Nachmittags versuchte eine Rotte, das Bertehslokal der freien Gewertschaften zu stürmen, da die Nationalisten dort die Vertreter der englischen Bergarbeiter vorzufinden ver­muteten, die im Kölner Bezirk für die Unterstützung der englischen Bergarbeiterschaft warben. Auch Anhänger ces Windthorst Bundes und Mitglieder des Katholischen Gesellenvereins wurden von den nationalistischen Jünglingen beläftigt. Eigenartig berührte es, daß die Polizei bei diesen Ausschreitungen wenig oder gar nicht eingriff. Während bei Rundgebungen der verfassungstreuen Berbände wiederholt die Kölner Schutzpolizei aufgeboten wurde, hatte sie bei diesem Deutschen Tag " feinerlei Schußmaßnahmen ge­troffen.

Die Neuwahl der Hälfte des Rates spiegelt die Schwere der Verfassungskrise, in der sich der Bölkerbund befindet. Es ist die Frage, ob die Aktionsfähigkeit des Rates nicht zunächst dadurch gemindert wird, daß so viel unerfahrene Staaten neu in den Rat eintreten; nur China hat von ihnen Rats­erfahrung. Auf jeden Fall wird zunächst der Einfluß der alten, erfahrenen Ratsmächte gesteigert.

Das politisch wichtigste Ergebnis ist der Eintritt Polens in den Rat. Die deutsche Delegation hat dafür ge­stimmt. Das mag nur als eine Geste scheinen. Aber diese Geste soll die freund nachbarliche Zusammen arbeit mit Deutschlands größtem östlichen Nachbar einleiten.

Pariser Entrüstung gegen Kemal. Der französische Schiffsoffizier zu Gefängnis verurteilt. Paris , 16. September. ( Eigener Drahtbericht.) Aus Konstanti nopel wird gemeldet, daß das Gericht von Angora, ohne die Entscheidung des Haager Schiedsgerichts abzuwarten, den franzö­fischen Schiffsleutnant in der Angelegenheit des Dampfers Lotos" zu 80 Tagen Gefängnis verurteilt hat. Diese Nachricht hat in der ganzen Pariser Morgenpresse einen Sturm der Ent­rüstung ausgelöst. Die Blätter der Linken und der Rechten sind einstimmig der Ueberzeugung, daß es sich dabei um eine beab. fichtigte Herausforderung Frankreichs durch Kemal Bascha handelt, und fordern die Regierunug auf, zu allen Mitteln zu greifen, um das Prestige Frankreichs im Orient vor unberech­tigten Angriffen der Türkei zu schützen. Die Blätter der Rechten führen sogar eine außerordentlich friegerische Sprache. Aber auch in der Linkspresse ist der Ton ungewöhnlich scharf. Das Deuvre" überschreibt seinen Artikel Was wollen diese Leute von uns?" Die Türkei verurteile einen französischen Schiffsleutnant zu 80 Tagen Gefängnis, die Italiener werfen Steine in unsere Kon­fulate und schießen uns in die Fenster. Gleichzeig erginge fich die italienische Presse, obwohl sie unter scharfer Zensur steht, in den ungeheuerlichsten Angriffen gegen Frankreich . Wenn die Leutue Krieg von uns wollen, sollen sie es sagen.

Die kraftvollste Förderung erfuhr der Gedanke des inter­nationalen Arbeiterschutzes durch die Beschlüsse der Sozialisti­fchen Internationale in Paris 1889. Seit dieser Zeit de­monstrieren die Arbeiter der Welt am 1. Mai für den A cht= stundentag und für den internationalen Arbeiterschutz.

Am Ende des Weltkrieges erhalten die Fragen der inter­nationalen Sozialpolitik erhöhte Bedeutung. Die B.rner Konferenz im Jahre 1919 beschäftigte sich eingehend mit internationalen Arbeiterschutzpro­einem gramm, in dem die Forderungen der Gewerkschaften für die Friedenskonferenz aufgestellt werden sollten. Der Inter­nationale Gewerkschaftstongreß in Wien 1924 beschloß ein umfassendes Programm für die internationale Arbeitsgesetz­gebung.

Der Versailler Friedensvertrag schuf durch seinen Teil XIII die Internationale Arbeitsorganisation , deren Auf­gabe es ist, den Weltfrieden zu fördern, der nur auf dem Boden der sozialen Gerechtigkeit aufgebaut werden kann, wie es treffend in der Vorrede heißt.

Damit ist eine, wenn auch noch unzureichende, organi­satorische Grundlage für die Förderung und Verwirklichung internationaler Arbeiterschußgefezgebung geschaffen. In zahl= reichen Uebereinkommen und Vorschlägen hat das Internetio­nale Arbeitsamt auf vielen Gebieten der sozialpolitischen Schutzgesetzgebung Bedeutsames geleistet.

Aber auch hier zeigt sich, wie die Ratifizierung der Ueber. einkommen, d. h. ihre Umsetzung in die Wirklichkeit, abhängt der politischen und und gewerkschaftlichen von Macht der Arbeiterklasse. Angesichts der starken Wider­