Abendausgabe
Nr. 441 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 218
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10 Pfennig
Sonnabend
18. September 1926
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Das Geheimnis von Thoiry.
V. Sch. Genf , 18. September. ( Eigener Drahtbericht.) Mit der gestrigen Unterredung der beiden Außenminister Frankreichs und Deutschlands in Thoiry haben die Genfer Tage ihren für Deutschland wichtigsten Punft überschritten. Das ergibt sich schon aus der Tatsache, daß Briand inzwischen zurückgereist ist, wie es vor ihm bereits Chamberlain und Vandervelde getan hatten. Die nächsten Tage wer den nur noch durch die Erledigung der reinen Völkerbundsarbeiten in Anspruch genommen werden, während die eigentliche deutsch französische Aussprache vorläufig be endet ist. Der optimistische Ton des gemeinsamen offiziellen Kommuniqués über die Aussprache StresemannBriand wird naturgemäß in Deutschland starke Hoff nungen auslösen. Diese Hoffnungen sind berechtigt, und es soll hier nichts geschrieben werden, was als ein Dämpfer auf die zuversichtlichen Aeußerungen Briands und Stresemanns betrachtet werden könnte. Allerdings ist es nötig, daß man einen fühlen Kopf und realpolitischen Blick behält und nicht etwa die Räumung des gesamten besetzten Gebietes und die Rückgabe des Saargebietes noch im Laufe dieses Jahres erwartet.
Dieser, so wird versichert, hat in den letzten Jahren etwas umgelernt, oder wenigstens ist er bemüht, umzulernen. Im Gegensatz zur Konferenz von Genua , während der er von Paris aus den ersten französischen Delegierten Barthou mit befehlshaberischen Telegrammen geradezu bombardierte, hat Poincaré , wie versichert wird, dieses Mal in die Genfer Verhandlungen Briands nicht störend eingegriffen. Immerhin muß Briand mit der Tatsache der gegenwärtigen Regierungskonstellation rechnen, ebenso wie mit der noch immer start nationalistischen Einstellung großer Blätter wie ,, Temps " und Journal".
Unter diesen Umständen dürfte Briand das klare Ber sprechen einer Räumung der besetzten Gebiete bis zu einem bestimmten Termin nicht abgegeben haben. Er wird ledig lich in seiner Unterredung mit Stresemann seine grundsä y- liche Bereitwilligkeit zu erkennen gegeben haben, das Problem einer früheren Räumung vorurteilslos zu prüfen und durch Verhandlungen mit Deutschland und ben sonstigen Rheinpaktmächten von Locarno zu einem die deutschen Wünsche befriedigenden Abschluß zu gelangen.
Am Dienstag berichtet Briand über seine Unterredung.
Paris, 18. September .( Eigener Drahtbericht.) Da das Geheimnis über die Zusammenkunft zwischen Briand und Stresemann ſtreng gewahrt worden ist, weiß die Pariser Morgenpresse nichts über die Besprechung mitzuteilen, was über das offizielle Komüber die Besprechung mitzuteilen, was über das offizielle RomSie ist deshalb lediglich auf Kombimuniqué hinausgeht. Sie ist deshalb lediglich auf Kombinationen angewiesen, die in diesem Falle nicht sehr schwer sind.
Gewerkschaften und Wirtschaft.
Ueber Wirtschaftsdemokratie zur Gemeinwirtschaft. Von W. Eggert.
Als die Veteranen der Arbeiterbewegung das Saatgut der politischen und gewerkschaftlichen Selbsthilfe unter die Arbeiter aller Länder trugen und sie zur internatio nalen Solidarität und Vereinigung aufriefen, da erklärte die bürgerliche Welt in voller Empörung diese Vorfämpfer des Gedankens der Arbeiterbewegung als ,, Berräter an der Nation". Die Gewerkschaften als nur nationale Gebilde hätte sie zur Not hingenommen. Mußten doch die unvermeidlichen Auseinandersetzungen zwischen Arbeit und Rapital ausgetragen werden. Aber daß die Arbeiter und die Gewerkschaften sich zur Internationale vereinigten und damit zum Ausdruck brachten, daß sie im Kampfe gegen den Privatkapitalismus um den Anteil am Produktions ertrag eine einheitliche Front bilden, das erschien den herrschenden Gewalten über alle Maßen gefährlich.
Die junge internationale Gewerkschaftsbewegung mußte por 25 Jahren noch ihre ganze Kraft der Organisierung
ber Massen, dem Kampfe um günstigere Lohn- und Arbeitsbedingungen, dem Tarifvertrag, der fortschreitenden Sozialpolitik widmen. Aber mit ihrem Erstarken sind ihr neue und größere Aufgaben erwachsen. Denn indem die Gewerkschaften als Anwälte des Pro= duktionsfaktors Arbeit wirkten, wurden sie zugleich vor die großen Probleme der Volks- und Weltwirtschaft gestellt.
Als der letzte Geschützdonner des Weltkrieges verhallt war, da Haß und Verblendung noch die Oberhand hatten und der Wiederaufbau der verwüsteten Gebiete erfolgen sollte, da griff der internationale Gewerkschaftsbund mit Umsicht in die schwebenden Probleme ein. Er sagte dem Völkerbund:
erkannt. Nicht als Strafe, nicht als Bergeltungs ,, Die Rechtmäßigkeit der Wiedergutmachung wird allseitig anmaßregel. Die Zerstörung des Krieges muß Plaß machen einer bauernden Organisation des Friedens."
Der Vorsitzende des IGB., der französische Gewerkschaftsführer Jouhaug, erklärte in einer Rede auf dem Kongreß der Confédération Genérale du Travail:
Richtig ist, daß die französischen Delegierten sich vollständig dessen bewußt sind, daß die militärische Be segung deutschen Bodens durch fremde Truppen seit dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund widersinnig ist und sogar gegen den Geist des Bölkerbundes verstößt. Sie haben sich darüber mit einzelnen deutschen Delegierten und deutschen Pressevertretern in privaten Gesprächen ganz freimütig ausgesprochen. Insbesondere geben sie offen zu, daß nach der Friedensrede Briands, die in Deutsch steht nach sämtlichen Blättern außer Zweifel, daß die Frage land starke und berechtigte Hoffnungen erwecken mußte, es ein Widerspruch in sich wäre, wenn feine entsprechenden der Rheinland- Besehung im Vordergrund der Unterhaltung Taten folgten. Die maßgebenden französischen Delegations- gestanden hat, ebenso das Saarproblem. Man nimmt aber darüber mitglieder sehen auch durchaus ein, daß ein solcher Wider- hinaus an, daß die Besprechung einer beginnenden großen Liquispruch gefährliche Folgen haben fönnte, weil die Ent- bation sämtlicher Deutschland und Frankreich noch trennenden täuschung, die in Deutschland über das Ausbleiben von Taten Fragen gleichkommt und einer neuen Etappe auf dem Wege deutschDas Reparationsproblem ist ein internationales in den breitesten Schichten der Bevölkerung entstehen würde, französischer Annäherung. Von den nationalistischen Rechtsblättern abgesehen, die nach wie vor die deutsche Gefahr" an die Wand Problem, und seine Lösung muß daher auch auf interfür die Idee des Bölkerbundes verhängnisvoll wäre. Das Problem ist nun: Wie erfüllt man jene berechtigten malen, begrüßen alle Blätter diese Aussicht auf eine umfassende nationalem Wege gefunden werden. Bleibt diese Lösung Erwartungen im Einklang mit dem praktisch Durchführbaren? deutsch- französische Zusammenarbeit lebhaft und versprechen sich für gewissermaßen den beteiligten Ländern selbst überlassen, so würde Wie liefert man dem deutschen Volke unmittelbar im Anschluß beide Völker und für den Weltfrieden großen Erfolg von dieser daraus nur neue Gefahr für kriegerische Verwicklungen entstehen." an Genf den sofortigen Beweis des guten Willens ersten Aussprache zwischen Briand und Stresemann in dem fleinen Später, als die Länder Europas durch eine unheilvolle Frankreichs, ohne aus dem Rahmen des Möglichen heraus- Dorfwirtshaus in Thoiry, der er st en offiziellen Aussprache zwischen Schutzzollpolitif ihre Wirtschaft vor den Erzeugnissen jedes einFrankreichs, ohne aus dem Rahmen des Möglichen heraus- einem deutschen und einem französischen Staatsmann auf franzelnen Landes zu schützen begannen, erließ der IGB. eine zufallen? Rundgebung, in der es hieß, daß in fast allen europäischen 3ösischem Boden seit 1871. Ländern eine protektionistische Handelspolitik getrieben werde, die alle europäischen Länder gegeneinander abschließt, statt sie zu einen. Er erhob gegen diesen Zustand seine warnende Stimme und rief die gewerkschaftlichen Landeszentralen seines Bundes auf, in allen Ländern die Schutzolla politik zu bekämpfen, deren Folgen Verteuerung der ein allgemeiner Abbau der 3ölle eingeleitet werLebenshaltung und Arbeitslosigkeit sein würden. Es müßte den, mit dem Ziel, einen einheitlichen Wirtschaftsverband zu schaffen, der die Aufgabe habe, der internationalen Rohstoffverteilung und dem freien Zugang zu allen Märkten der Welt die Wege zu ebnen.
Dies Problem ist nicht leicht zu lösen, denn was Frank reich uns sofort bieten fann, ist nicht übermäßig viel; und das, was es uns für eine absehbare Zeit in Aussicht stellen kann, bedarf noch gründlicher Berhandlungen politischer und militärtechnischer Art. Als sofortiges Zugeständnis tommt eigentlich nur die defintive Abberufung der Militärtontrollfommission in Frage. Ueber diesen Bunkt ist schon in den Tagen vor der großen Unterredung zwischen Briand und Stresemann, zwischen einzelnen deutschen Delegationsmitgliedern und Briand verhandelt worden. Diese Besprechungen galten der Bereinigung der letzten noch bestehenden Differenzpunkte bezüglich der Schutzpolizei und sonstiger Kleinigkeiten. Man darf wohl hoffen, daß innerhalb weniger Tage eine Einigung erzielt sein wird, die die endgültige Abberufung der Militärkontrolltommission in den nächsten Wochen ermöglicht.
Der deutsche Außenminister hätte auch, um ein weiteres fofortiges Zugeständnis heimzubringen, mit Briand über eine weitere Herabsehung der Besagungstruppen um ein paar tausend Mann verhandeln fönnen, und zweifellos würde er dabei etwas herausgeholt haben. Mit Recht aber hat er darauf verzichtet, solche Detailfragen anzuschneiden, die den Blick von dem Gesamtproblem der Besagung ab gelenkt haben würden. Sein Bestreben war daher auf die Frage gerichtet: Wie erreicht man am schnellsten nicht die Herabsehung der Truppenstärke, sondern die zurückziehung der gesamten Besatzungstruppen?
An Dienstag wird hier ein Ministerrat zusammentreten, der ausschließlich ein Erposé Briands über die Berhandlungen von Genf und die Besprechung mit Stresemann behandeln
Genfer Kommissionsarbeiten. Kommiffionsberatungen über die Abrüftungskonferenz. Der 3. Ausschuß nahm einen zusammenfassenden Bericht des Holländers Loudon, des Vorsitzenden des Vorbereitungsausschusses, über den gegenwärtigen Stand der Kommissionsarbeiten entgegen. Loudon enthält sich bei aller Anerkennung für seine mitarbeiter einer Bewertung der bisherigen Ergebnisse volltommen und bezeichnet andererseits die technischen Schwierigkeiten als eine Spiegelung der politischen Gegensähe. Er erachtet die Arbeiten der Unter ausschüsse als in einem Stadium befindlich, das die Abhaltung einer zweiten Tagung des Abrüstungs ausschusses im Dezember oder Februar gestattet, ohne daß dabei der Termin für die Abrüstungskonferenz selbst auch nur in Aussicht genommen wird. Der dänische und der norwegische Bertreter beanstandeten den bekannten Fragebogen und wünschten ein ent. schlosseneres Borgehen in der Vorbereitung der Abrüftungstonferenz.
Die Vorbereitung der Wirtschaftskonferenz. Genf, 18. September .( Eigener Drahtbericht.) In Anbetracht der großen politischen Besprechung fanden die Kommissionsberatun. Man darf sich nicht verhehlen, daß weite Kreise der gen am Freitag nur geringes Interesse, obwohl eine ganze Reihe französischen öffentlichen Meinung noch nicht darauf vorbe- wichtiger Fragen behandelt wurde. Die zweite Kommission sette reitet sind, daß Frankreich auf sein vertragliches Recht ver- die Diskussion über die einzuberufende internationale Wirt. zichtet, die Besatzungsfristen voll auszunüßen. In dieser Hin- fchaftskonferenz und den ersten Programmentwurf der vorficht ist sogar in den letzten Monaten insofern ein kleiner bereitenden Sachverständigenkommission fort. Der französische GeRückschlag eingetreten, als Briand nicht mehr vollständig noffe und Gewerkschaftsführer Jouhaug vertrat bei dieser GeHerr seiner Entschlüsse ist. Im März war er noch Minister- legenheit die Meinung, daß eine internationale Wirtschaftskonferenz präsident, jetzt ist er lediglich Außenminister eines Kabinetts, gegen die öffentliche Meinung nichts ausrichten fönne und man dessen Leiter Poincaré ist und in dem Männer wie Louis infolgedessen versuchen müsse, die Oeffentlichkeit für die BeMarin fizen, die fast noch schlimmer find als Poincaré. raiungen zu gewinnen.
Inzwischen ist die Vereinigungsbestrebung der privatfapitalistischen Wirtschaft in allen Ländern selbst weit über ihre nationalen Grenzen hinaus gewachsen. Die Unternehmer, die einst mit allen Machtmitteln, die ihnen Staat und Gesellschaft verliehen, den internationalen Bestrebungen der Gewerkschaften entgegengetreten sind, stehen heute selbst an der Schwelle internationaler Berflechtungen. Das geplante Großeisenkartell und die Vorbereitungen zur Weltwirtschaftskonferenz in Genf sind hierfür Zeuge.
Zur Beobachtung dieser neueren Entwicklungsphase nach internationaler Bertruſtung der Wirtschaft hat der IGB. schon vor Jahren einen Ausschuß in Amsterdam eingesetzt, um die Interessen der Gewerkschaften gegebenenfalls zu wahren. Und im vorbereitenden Ausschuß zur Weltwirtschaftskonferenz sitzt der Sekretär des JGB. und eine Anzahl Vertreter der Landeszentralen.
Auch in Deutschland sind die Berbände des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in alle amtlichen Wirtfchaftsorgane eingedrungen. Sie haben sich dort eine Pofition geschaffen, die von den Behörden und gegne rischen Wirtschaftskreisen nicht unbeachtet gelaffen werden fann. So im Vorläufigen Reichswirtschaftsrat, ferner in den Landes- und Reichseisenbahnräten, in den Bezirks- und Reichswasserstraßenbeiräten, im Verwaltungsrat der Reichs=