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Nr. 446 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 228

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Sozialdemokrat Berlin  "

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Redaktion und Verlag: Berlin   SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292–297.

Mittwoch, den 22. September 1926

Vorwärts- Verlag G.m.b. H., Berlin   SW. 68, Lindenstr.3

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Richard Fischer  

ihn nur die Aelteren noch gesehen, im Reichstag, im zweiten Berliner   Kreis in der Bockbrauerei, Fidicinstraße, bei den großen Demonstrationen der Parteien neben Jean Jaurès  

Im Hause der Partei ist tiefe Trauer eingezogen. Unser| samkeit auf der Rednertribüne seinen Mann stand. So hatten Richard Fischer ist nicht mehr. Seit längerer Zeit hatte ihm sein Herz zu schaffen gemacht. In den letzten Tagen schien es besser zu werden. Dann hat gestern abend 9 Uhr eine plöglich eintretende Herzschwäche diesem Kämpferleben ein Ende bereitet.

Von wenigen der noch Lebenden kann gesagt werden, daß sich die Geschichte der Partei so in ihnen verkörpert wie in unserem heimgegangenen Freund. Er hat den ganzen Kampf unter dem Sozialistengesetz und gegen es mitgefochten. Mit den Großen der Partei, vor allem mit August Bebel   und Ignaz Auer  , verband ihn engste Freundschaft. 1893 vom zweiten Wahlkreis in den Reichstag   entsandt, blieb er drei­unddreißig Jahre lang fast ununterbrochen einer der Vertreter Berlins  . Schon drei Jahre zuvor war er in den Parteivor­stand gewählt worden, dem er mit einer Unterbrechung bis zu feinem Tode angehörte. Seit 1893 mar er, erst als Leiter der Buchhandlung, dann seit 1902 als Leiter der ,, Borwärts". Druckerei an hervorragender Stelle in den Betrieben der Partei tätig.

Schon als Einundzwanzigjähriger hatte er 1876 den Weg vom Segerkasten zum Redaktionstisch gefunden. Nach zwei­jähriger Tätigkeit in seiner schwäbischen Heimat, am Augs­ burger   ,, Volkswillen", ruft ihn die Partei an die ,, Berliner Freie Presse", den Borgänger des ,, Borwärts". Im Jahre darauf ist die Parteiorganisation und ihre Presse durch das Sozialistengeset vernichtet. Schon aber ist der Dreiund­zwanzigjährige erprobter Helfer der älteren Führer; als folcher geht er nach der Schweiz  , um als Gehilfe Julius Mottelers, des ,, Roten Postmeisters", den Versand der illegalen Literatur nach Deutschland   zu organisieren. Dann nach London  . Er bewährt sich als einer der jugendlich Mutigen, den die Gefahr nur reizt.

Nach dieser Sturm- und Drangperiode, nach dem Fall des Sozialistengesetzes beginnt seine ruhigere, organisatorisch aufbauende Tätigkeit. Es ist diesem stürmischen Temperament, das sich am liebsten in Kampf und Fehde auslebte, nicht leicht gefallen, sich hinter Geschäftsbücher zu setzen und den Rechen­stift zu handhaben. Aber die Partei brauchte an der Spige ihrer Betriebe nicht nur einen tüchtigen Geschäftsmann, son­dern vor allem auch einen Vertrauensmann, auf den fie sich unter allen Umständen verlassen konnte. Noch wirkte die Erinnerung an das Sozialistengesetz nach, noch war keine Sicherheit gegen seine Wiederkehr gegeben. Höchste Vorsicht war am Plaze, um das Eigentum der Arbeiterbewegung, die Schmiede der Partei vor Zugriffen einer reaktionären Staats­gewalt zu sichern. Noch wurden in den Büchern des Vor­wärts" die Mitarbeiter unter falschen Namen geführt, um sie vor Berfolgungen im Falle einer Haussuchung zu sichern. Wem konnte unter solchen Umständen die Leitung des Be­triebes anvertraut werden? Nur dem Treuesten der Treuen, nur dem Zuverlässigsten der Zuverlässigen, und der war eben Richard Fischer.

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Indem Richard Fischer dem an ihn ergangenen Rufe folgte, brachte er ein Opfer. In der Redaktionsstube und auf der Rednertribüne fühlte er sich wohler als im Kontor. Aber Richard Fischer biß die Zähne zusammen und fand sich er war in die neue Aufgabe. Er fand sich nicht nur in fie nicht der Mann, irgend etwas halb zu tun. Mit ungeheurer Energie vollzog er die innere Umstellung, er stürzte fich in seine neue Arbeit, er verzehrte sich im Dienst. Denn alles, was er tat, tat er ja für das Wachstum und die Ehre der Partei, der er seit seinen frühen Jünglingsjahren ange­hörte, mit der er verwachsen war wie ein Kapitän mit seinem Schiff.

So tam es, daß die politische Führerphy fiognomie Richard Fischers der jüngeren Generation immer mehr verschwand. Sie kannte nur noch den aeschäftigen Alten, der im Hause Lindenstraße 3 mit sprunghafter Leben digkeit treppauf, treppab lief, sich für alles interessierte und sich um alles sorgte. Sie fannte nicht mehr den Kämpfer, der mit den Waffen einer sprudelnd temperamentvollen Bered­

und neben August Bebel  , an dessen 70. Geburtstag in der Neuen Welt.

Seine Bildung war von erstaunlicher Bielseitigkeit. Bis in das späte Alter hinein verbrachte er seine liebsten Stunden bei seinen Büchern. Hier war es die Geschichte, die ihn, den Politiker, vor allem fesselte. Denn ein durch und durch poli­tischer Mensch, und als solcher ein Sozialdemokrat durch und durch, blieb er bis zu seinem letzten Atemzug. Und das gewaltige Werk. das er als Geschäftsführer des Vor­wärts" und als Leiter der Parteidruckerei vollbrachte, be­trachtete er durchaus als eine politische Aufgabe.

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In den inneren Kämpfen der Partei hat er stets eine exponierte Stellung eingenommen. Das trug ihm gewiß manche Gegnerschaft ein. Weil er lebhaft und bis in die letzte Konsequenz hinein das vertrat und das tat, was das Wohl der Partei nach seiner Ueberzeugung forderte, fand er auch lebhaften Widerspruch. Es ihm an Kraft des Tempera­ments gleich zu tun, fiel feinem leicht. Und doch liebten ihn die Berliner   Arbeiter und vertrauten sie ihm, ihrem Ab­geordneten; denn sie wußten, daß er genau so war, wie er sich gab, und daß keine Falte in seinem Herzen war, in die sie nicht zu schauen vermochten.

Man kann heute bedauern, daß dem Mann, der weit vorausschauend und weit ausgreifend zum Führer bestimmt war, in der legten Zeit seines Lebens nur ein verhältnis­mäßig enger Kreis der Wirksamkeit beschieden war. Aber in diesem Kreis war das wirken um so intensiver, und wurden Freundschaften um so fefter. Das ist fein guter Genosse, der nicht auch ein guter Kamerad sein kann! Ein guter Kamerad ist Richard Fischer allezeit gewesen, wie einst den großen geschichtlichen Persönlichkeiten der Partei, so dann später denen, die in der Jegtzeit mit der Leitung der Partei beauftragt sind. Der Parteivorstand verliert einen seiner Besten.

Nun ist Richard Fischer in die Reihen derer eingetreten, mit denen er in seinen jungen Jahren Schulter an Schulter stand, in die Reihe derer, die der großen Bewegung des deutschen   und internationalen Proletariats als Führer voran­gingen. Ein leidenschaftliches Kämpferherz, das mit jeder Faser der Sozialdemokratischen Partei gehörte, hat aufgehört zu schlagen.

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Richard Fischer als Redner.

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Wenn er zu vielen sprach, befeuerte sein vulkanisches Tempera­ment die Worte. Man mußte ihn nicht nur hören, auch sehen denn ihn litt es beim Reden nicht, auf einer Stelle festgebannt zu stehen wenn er im Reichstag der kaiserlichen Vorkriegszeit zum Etat des Reichsamts des Innern sprach: Ob er bei der Sozial­politik die Scharfmacher und ihre Versuche geißelte, nicht nur jeden Fortschritt zu hindern, sondern auch das schon Erreichte rückwärts zu revidieren; ob er Streitpostenverbote und die sonstigen Miß­bräuche des§ 153 GO. brandmartte; ob er gar die heimliche Spitze lei oder offene Brutalität der wilhelminischen Polizei gegen die Arbeiterbewegung an den Pranger stellte immer beseelte ihn der Zorn der freien Rede, und immer schlugen Fischers Reden ebenso wie im Haufe, so draußen bei den Massen ein, denn auch gedruckt wirkten diese Säße aufpeitschend, entflammend, kampf­begeisternd.

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Welch scharfer Wiß ihm stets schlagfertig zu Gebote stand- mancher Zwischenrufer von der Junferrechten, aber auch mancher Widersacher auf unseren Parteitagen hat es schmerzlich erfahren, wenn ein einziger Zuruf Fischers das Objekt unfehlbar zum Gegen­stand allgemeiner Heiterkeit machte. Diese äzende Schärfe hatte Fischer mit Viktor Adler   gemein; sie waren auch zeitlebens herz­lich befreundet.

Alle Zeit auf Posten!

Vor wenigen Wochen noch saß Richard Fischer neben uns am Redaktionstisch. Sein Weg durchs Borwärtshaus ließ ihn selten vorübergehen, ohne einen Blick hineinzuwerfen und ein wenig über Altes und Neues zu plauschen. Bei seinem letzten Besuch war er der Erinnerungen voll. Denn er hatte eben in seinem Geschäfts­zimmer aufgeräu.nt", alte Briefschaften durchstöbert und-ver­nichtet. Briefe von sehr bekannten Sozialisten und Sozialistinnen, wie sie im Laufe der Jahre vielfach geschrieben zu werden pflegen. Unversehens waren wir bei alten Erinnerungen. Selbstver­ständlich auch beim Sozialistengefeß. Zweifellos hat jeder der Alten in dieser Periode des ungeheuerlichsten staatlichen Gewaltsystems das Seine erlebt. Richard Fischer aber, der als Verantwortlicher der " Berliner Freien Presse" eine lange Gefängnisstrafe in Plößensee abbrummte, als das Sozialistengeset in Kraft trat, war bald nach der Entlassung aus der Staatspension in die Schweiz   gegangen. Dort arbeitete er als Schriftseter in der Druckerei, die den Sozial­demokrat" druckte. Frisch und wagemutig, wie er war, hat er mit dem alten roten Feldpostmeister" Belli manches Husarenstückchen ausgeführt. Aber besonders gern erinnerte er sich der Ent­larvung der königlich- bismard- puttfamerschen Epigel, an denen er hervorragend beteiligt war. Besonders den als Spitzei tätigen Gießer Haupt fornte er der Schweizer   Polizei ausliefern, nicht zuletzt, weil der Züricher   Polizeihauptmann Fischer sich ohnehin ärgerte, daß die preußischen Lockspizel ihm in seinem Revier herum­pfuschten. So wurde die Verschwörung aufgedeckt, daß mit Hilfe preußischer Polizeigelder in der Schweiz   die halbanarchistische Most­kamer in Berlin   als Material gegen die entrechtete Sozialdemokratie sche Freiheit" gedruckt wurde, deren blutrünstige Phrasen dann Butt­vorzutragen liebte.

Die Aufdeckung des Spigelsumpfes war für die Buttkamerei der­artig niederschmetternd, daß der alte Romödiant ganz verdattert im Reichstag   erklärte, er müsse ja vor Scham in die Erde sinten, wenn von den in Zürich   aufgedeckten Ehrentaten auch nur einiges wahr sei.

Was Fischer damals auszeichnete, sein Kampfmut und Kampfes­geist, das hat er bis in die letzten Tage sich bewahrt. Wir denken an sein frisches Zugreifen auch in der Druckerei, wenn politische Not an Mann war. Denken daran, daß er in der Nacht, als Wilhelm vom schon verlassen lag, zornsprühend erklärte: Dem muß noch geant­Schloßbalkon seine Rede vom Niederreiten hielt und die Druckerei wortet werden. Ich will es selber setzen!" und daß er abermals fich schon verlassen lag, zornsprühend erklärte: Dem muß noch geant­bereit erklärte, zum Winkelhafen zu greifen, um das berühmte illegale" Extrablatt des Borwärts" gegen die Kappisten herauszu­bringen.

Alle Zeit onf Botten!