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Nr. 446 43.Jahrgang

2. Beilage des Vorwärts

Vorbildliche Blindenfürsorge.

Das englische Beispiel.

Von Betty Hirsch  .

Bereist man ein fremdes Land mit der Absicht, Land und Leute, Sitten und Gebräuche und Sehenswürdigkeiten kennenzulernen, dann nimmt man wohl eines der bekannten Reisehandbücher und studiert sie gründlich. Es gibt da aber doch noch Einrichtungen in den meisten Ländern, die in dem Reisehandbuch nicht verzeichnet sind, teils weil sie zu sehr auf Spezialgebiete führen, teils weil sie den landläufigen Reisenden nicht interessieren, aus denen man aber oft schneller und gründlicher den Charakter eines Volkes erkennen fann, als aus all den oben genannten Angelegenheiten. Die Wohl­fahrtseinrichtungen sind es, ganz gleich, ob sie vom Staat oder vom Bolte selbst gehandhabt werden, die einen tiefen Blick in das Herz und Gemüt eines Volkes tun lassen.

Es ist fraglos der höchste Patriotismus, alles Gute und Große auch anderer Länder mit dem des eigenen zu ver­binden, um es zum Wohle der Allgemeinheit zu verwenden. Ein gegenseitiger Austausch von Ideen und Erfahrungen fann nur zum Segen für alle Teile geraten. Traurig steht es um die, die in starrem Fanatismus die Augen schließen vor jedem fremden Einfluß und in Ueberhebung ihrer selbst nicht an eigene Fehler glauben und dadurch jeden Fortschritt für sich und andere hemmen.

Gerade von England, wo die Extreme der Klaffen so scharf hervortreten wie taum in einem anderen Lande, wird der ober­flächliche Beobachter berichten: Die Blinden   in England betteln auf den Straßen"; denn er hat hier und da einen blinden Bettler gesehen, wie man ihm auch hier ab und zu begegnet, aber die folgenden Tatsachen beweisen, wie weit die Blindenfürsorge dort musterhaft der so mancher anderen zivilifierten Länder voranschreitet. Die Kriegsblindenfürsorge ist völlig getrennt von der Fürsorge der Zivilblinden; von letterer soll vorerst hier berichtet werden.

Man geht in England von dem Standpunkt aus, daß ein Blinder am besten weiß, was einem Blinden nottut. Der Beweis für die Richtigkeit dieser Anschauung sind die glänzenden Erfolge, die man dort in beruflicher Beziehung erreicht hat. Infolgedessen findet man an allen Anstalten, Werkstätten und Schulen für Blinde überall blinde Lehrer und Lehrerinnen angestellt, die ein regelrechtes Eramen zu diesem Zwecke ablegen müssen. Ja, man geht so weit, daß man, wenn irgend möglich, auch blinde Meister anstellt. Die Hauptfürsorge, die Zweigstellen in allen Teilen des Landes hat und ihre Tätigkeit auch bis in die Kolonien und eng­lischen Dominien hin erstreckt, ist das National Institute for the Blind in London   W. 1, 224 Great Portland Street, das ich fürzlich gelegentlich einer Reise nach England besuchte. Dieses Institut ist fein Internat wie eine allgemeine Blindenanstalt. Seine Ein­richtungen und Aufgaben seien hier in Kürze dargestellt.

Es hat die größte Blindendruckerei Englands, ja, wohl die größte der Welt. In früheren Jahren benutzte man dort die deutschen   Hinze- Blindendrucmaschinen, aber schon lange vor dem Kriege hat man eigene Maschinen gebaut, die mit den prat­tischsten Einrichtungen versehen und dadurch imstande sind, einen Druck herzustellen, der anerkannt der beste ist, der bisher existiert. Das Papier für die Bücher und Zeitschriften wird eigens zu diesem 3mede in einer Fabrik hergestellt, und ein Ingenieur arbeitet in dem Institut, um an allen Apparaten Neuerungen und Verbesserungen anzubringen, wo es denkbar ist, dabei stets die Wünsche und Vor­schläge der erfahrenen Blinden zu Rate ziehend. Die Druckpressen werden elektrisch getrieben, und nur dort und beim Dittat der

Manuskripte sind sehende Hilfen hinzugezogen. Dreißig blinde Druderinnen find beim Schlagen der Platten beschäftigt. Der Berdienst bewegt sich zwischen 2 und 3 Pfund Sterling pro Woche, bie Notendrucker fommen auf 4,5 Pfund Sterling. Als Vorlese rinnen dienen eben entlassene Schulkinder, die im Institut selbst angelernt werden und während der Lehrzeit 15 Schilling pro Woche, später bis 1,12% Pfund Sterling verdienen. Das Sortieren der Blätter, sowie das Heften wird ebenfalls von Blinden   und praktisch Blinden   ausgeführt. Der Verdienst ist derselbe wie bei den Drucke­rinnen. Eine fleine Stanzmaschine zur Anfertigung von Papier  : blumen für die dort sehr häufigen Blumentage wird von schwächeren blinden Mädchen bedient; sie verdienen auch 2 Pfund Sterling pro Woche. Zeitschriften werden allmonatlich von hier aus in alle Erd­teile verschickt. Sie sind ganz besonders beliebt bei den Blinden aller Nationen wegen ihres vorzüglichen Druckes und interessanten und belehrenden Inhalts. Parteilos und ohne bestimmte Tendenz haben sie für jeden Leser etwas, das auch ihn besonders interessiert, und man ist bei der Redaktion eifrig bemüht, den Wünschen der Blinden bei der Auswahl der Artikel entgegenzukommen. Die Blinden selbst arbeiten dort mit Begeisterung und können stolz sein auf ihre Erfolge.

Einen Glanzpunkt im englischen Blindenwesen bildet entschieden die im National Institute for the Blind befindliche Schule für Masseure und Masseusen. Die Dame, die diese Schule ein gerichtet hat, führt auch den geschäftlichen Teil mit zwei sehenden Mädchen weiter, aber der Leiter des Unterrichts und die übrigen Lehrkräfte sind Blinde. Das zur Verfügung stehende Lehrmaterial ist erstklassig. Galvanische Meßinstrumente, Tropfenflaschen und sonstige ärztliche Hilfsmittel sind mit fleinen, von Blinden   selbst erfundenen Hilfszeichen versehen, die es ihnen ermöglichen, alle Ver­richtungen der Sehenden auszuführen. Eine aus 191 Werken, von denen viele mehr als sechs Bände ausmachen, bestehende Bunftschrift bibliothek über Massage und medizinische Heilverfahren steht den Studenten jederzeit zur Verfügung. Studenten jederzeit zur Verfügung. Sie umfaßt. nicht nur die Massagelehre, sondern enthält auch größte Werte der ersten Mediziner der Welt.

Die Ausbildung dauert achtzehn Monate. Der Masseur hat drei Examen zu bestehen: in Massage, schwedischer Heilgymnastit und Elektrotherapie. Die Prüfungen werden gemeinsam mit den Sehen­den vor dem Landes- Massage- Departement abgelegt. Hierbei haben bereits fünfmal blinde Masseure unter 200 sehenden Kandi­daten den ersten Preis erhalten.

Bei ihrer Entlassung erhalten die Schüler eine volle Massage­ausstattung, alle Apparate und ein Anfangskapital von 120 Pfund Sterling. Der Verdienst eines beschäftigten Masseurs beträgt 7 bis 8 Pfund Sterling die Woche. Sir Robert Johns, der berühmte englische   Arzt, hat sich dahin geäußert, daß der Blinde ganz besonders für diesen Beruf geeignet sei, ja, in vielen Fällen dem sehenden Masseur vorgezogen werden müsse, wo die Behandlung mancher Krankheiten ein ganz besonders fein ausgeprägtes Taftgefühl erfordert.

Maschinenschreiber und Stenotypisten, die eine gründliche Ausbildung erhalten, und vom N. I. f. t. B. in Stellungen vermittelt werden, verdienen 2 bis 3 Pfund Sterling die Woche, während sie bei Behörden 200 Pfund Sterling das Jahr erhalten.

In der Musitabteilung des N. I. f. t. B. finden allmonat­lich Orgel- und Gesangskonzerte von Blinden   statt, um ihnen Gelegenheit zu geben, bekannt zu werden. Die Kompofitionen blinder Mufifer leitet auch hier die Abteilung mit bestem Erfolge. Die Ausbildung der englischen blinden Musiker findet meistens in dem Royal Normal College for the Blind in Upper Normood bei London   statt, wo der Unterricht von Professoren der Londoner  

Mittwoch, 22. September 1926

Akademie für Musik und vollendeten blinden Musikern erteilt wird. Bei den Examen, die auch hier zusammen mit den Sehenden auf der Kgl. Akademie für Musik in London   abgehalten werden, tragen nicht selten Blinde die ersten Preise davon. Man hat so viel Vertrauen zu den blinden Musikern in den Kreisen der Sehenden, daß zwei Blinde an der Britischen   Radiogesellschaft angestellt sind, um die Auswahl für Programme zu kontrollieren.

Den Handwerkern hilft man vom N. J. f. t. B. aus dadurch, daß man im ganzen Lande Motorwagen herumschickt, die den Blinden   Rohmaterial zum Einkaufspreis in ihr Haus bringen, die fertigen Waren abholen, die gleich bezahlt und später in den ver­schiedenen Läden in London   verkauft werden.

Ein kleiner Stab erfahrener Leute ist nur damit beschäftigt, immer neue Arbeiten und Berufe für Blinde zu suchen. Eine Prüfungskommission entscheidet dann über den Wert und die praf­tische Anwendung der gefundenen Arbeiten.

Da man in England jedem Blinden, der es wünscht, auch Gelegenheit zu einer Ausbildung in seinem eigenen Heim geben will, so schickt man diesem auf ein oder zwei Jahre einen Hauslehrer oder eine Lehrerin, meistens Blinde, die ein ent­sprechendes Eramen abgelegt haben.

Das N. I. f. t. B. betreibt eine Unterſtüßungsfürsorge, die jährlich viele tausend Pfund verschlingt, für schwache und bedürftige Blinde, die nicht imftande sind, sich und ihre Familien zu ernähren. oder die erst längere Zeit ausgebildet werden müssen.

Sehr zu beachten ist noch das Lager von allen möglichen Apparaten für Blinde. Maschinen, Tafeln, Uhren, Lehrmittel, Spiele usw. find dort zu haben. Alles was im Bereiche der Blinden­arbeit an Apparaten oder Hilfsmitteln angefertigt wird, schafft das N. I. f. t. B. an, und auch die Ideen von Blinden   und Sehenden bezüglich neuer Erfindungen gelangen dort nach Prüfung zur Aus­führung.

Bemerkenswert ist, daß dieses enorme Wohlfahrtswerk nur durch Privatmittel erhalten wird.

Dieses ist nur der Bericht über das eine Institut, das den Mittel­punkt der englischen Blindenfürsorge bildet. Anstalten und Aus. bildungsstätten gibt es noch manche im Lande. Es sei nur furz auf folgende Einrichtungen hingewiesen:

Eine Anzahl Blindenanstalten, in denen blinde Kinder Schul­unterricht und Ausbildung in irgendeinem Handwerk erhalten, um dann in Werkstätten oder im eigenen Heim zu arbeiten.

Eine Hochschule für blinde Knaben, in der sie für das Studium auf einer Universität, Qrford, Cambridge   usw., vorbereitet werden. Viele blinde Pastoren, Rechtsanwälte, Lehrer und Gelehrte sind aus dieser Schule hervorgegangen und haben ihre Berufe erfolgreich ausgeübt.

Eine Hochschule für blinde Mädchen, die sich auf ein Studium vorbereiten.

Berschiedene Heime für fräntliche und alte Blinde, die sich gern vom Berufsleben zurückziehen wollen.

Werkstätten mit Verkaufsläden, die über das ganze Land ver­streut find.

In all diesen genannten Instituten wird der Blinde, gleichzeitig mit seiner Ausbildung zu einem Beruf, auch für das Gesellschafts­leben ertüchtigt. Er lernt Umgangsformen zum Verkehr mit Sehen­den, und es wird möglichst viel Sport getrieben, um ihn auch äußer­lich nicht allzu sehr von seinen sehenden Mitmenschen abstechen zu lassen. Turnen, Schwimmen, Tanzen, Rudern und Schlittschuhlaufen find allgemeine Lehrfächer in den Instituten.

Seelisch und körperlich soll die Blindheit jo meit mie möglich beffegt werden. Und sie fann es!

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OVERSTOLZ.um 30% verbessert

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EITDEM vor einem halben Jahr unsere letzten Ankündigungen über OVERSTOLZ erschienen sind, ist eine Zweite Overstolz- Fabrik entstanden.Sie hat

ringert. Auf diese Weise ist es uns möglich geworden, für unsere Tabak- Einkäufe noch höhere Beträge aufzuwenden.

es ermöglicht, die Produktion dieser Mar- Wir legen heute für unsere Overstolz ke über 300 Millionen im Monat zu stei gern. Mit dem Bau einer dritten Overstolz Fabrik ist bereits begonnen, die im Frühjahr 1927 ihren Dienst aufnehmen soll.

Die bedeutende Steigerung unseres Um­satzes und die Vervollkommnung der Betriebs- Einrichtungen, verbunden mit einer Umstellung des Arbeitsganges nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, haben die Kosten der Herstellung erheblich ver­

Mischung 30% mehr an als vor einem Jahr, das heisst also gegenüber der Quali­tät, die schon damals OVERSTOLZ zur meistgerauchten 5Pf- Zigarette Deutsch­ lands   gemacht hat.

Dieses vorläufige Ergebnis unseres Ent­wicklungsganges nehmen wir vorweg, um dem Raucher Gelegenheit zu geben, die zur Zeit vor sich gehende Qualitätsverbesse­rung zu beachten und mitzuverfolgen.

Haus Neuerburg

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