Ruffisch- litauischer Vertrag.
Friedenspolitik und diplomatische Intrigen. Das Beispiel von Locarno macht nunmehr in Osteuropa Schule.
Die Aufklärung des Juwelenraubes.
Sonja, die Geheimnisvolle.
Entschließung angenommen, in der gegen die Kündigung der Klein gärtner protestiert und betont wird, daß Ersagland im Bezirk nicht mehr vorhanden ist.
Nach monatelangen Berhandlungen der Sowjetunion mit den Tauenzienstraße sind noch gestern abend die Kriminalkommisfare Nachspiel zum Prozeß der Gräfin Bothmer.
baltischen Staaten wurde gestern in Moskau ein russisch - litauischer Bertrag geschlossen. Er ist der Form nach ein Nichtangriffs paft ähnlich wie der Rheinpakt, enihält also die Berpflichtung, feinerlei aggressive Handlungen gegeneinander verzunehmen. Er ist zugleich ein Neutralitätsvertrag, ähnlich wie der „ Berliner Vertrag" Deutschlands mit der Sowjetunion , mit der Verpflichtung, einen Angreifer gegen einen der beiden Bertragsstaaten nicht zu unterstützen. Aehnlich wie bei dem Berliner Vertrag enthält ein hinzugefügtes Schreiben die Feststellung, daß Litauens Pflichten als Bundesvolt gegenüber dem Völkerbund nicht aufgehoben würden. Wie bei dem Berliner Bertrag ist eine Schiedsklausel in den Vertrag aufgenommen, die die friedliche Schlichtung der Streitfragen vorsieht, die diplomatisch nicht erledigt werden können. Seiner Ideologie nach gehört dieser Vertrag also in die ständig wachsende Zahl der modernen gegenseitigen Sicherungsverträge. Sein Inhalt ist denkbar entgegengesetzt der militaristischen Siche rungsweise durch Bündnisabkommen und Militärfonventionen, wie sie in der Borkriegszeit fast ausschließlich üblich waren. In diesem Sinne ist der Vertrag ein neuer Beweis dafür, wie völlig die russische Außenpolitif, im Gegensatz zur Komintern, ihre ursprünglichen revolutionären Ziele aufgegeben und sich mit der Existenz der bestehenden Staaten abgefunden hat. Das im Berliner Vertrag schüchtern angekündigte Bekenntnis zum Schiedsgedanken wird widerholt. Die These, daß das kommunistische Rußland keine Schiedsverträge mit fapitalistischen Staaten abschließen könne, weil es feine Schiedsrichter zwischen Himmel und Hölle" gäbe, wird anscheinend völlig verlassen.
Dennoch enthält der Vertrag eine Bestimmung, die zwar durch aus in seiner pazifistischen Gesamtlinie liegt, dabei eine Spize gegen einen dritten Staat enthält. Ein endgültiges Urteil wird sich zwar erst fällen lassen, wenn der Wortlaut des Vertrages bekannt ist. Aber auch die bisher schon bekannt gegebenen Einzelheiten besagen, daß die Sowjetunion das litauische Gebiet nicht in dem heutigen Umfange garantiert hat, sondern daß die„ Sowjetunion an ihrer bisherigen Auffassung in der Wilnafrage" festhält. Damit hat Moskau zwar nicht militärisch, aber diplomatisch politisch gegen Bolen Stellung genommen. So wird die polnisch- russische Spannung verschärft. Jedoch bemüht sich die Moskauer offiziöfe Presse, die Erregung, die sie in Warschau voraussieht, im voraus zu dämpfen.
Im Augenblick herrscht in Moskau über den„ Erfolg" Tschitscherins eitel Jubel und Freude. Nachdem die Politit, Deutsch land aus dem Völkerbunde fernzuhalten, gescheitert ist, braucht Tschitscherin Erfolge. Aber es ist die Frage, ob nicht die Freude durch die Rüdwirtung auf Warschau vergällt wird. Jedoch scheint der Wortlaut des Vertrages zweideutig genug zu sein, um es der Sowjetdiplomatie zu erlauben, Polen zu versichern, daß der Bertrag ihrer Auffassung nach, nicht das erstrebte, was die Litauer nihn hineindeuten eine Garantie Wilnas für Litauen . Das fließt nicht aus, daß sie den Litauern das Gegenteil versichert ind die Litauer dies glauben.
Um Litauen zu dem Vertragsabschluß zu verleiten", veranMaltele Moskau vor zwei Monaten einen ungeheuren Lärm über termeintliche polnische Angriffsabfichten. Im offenen Gegensatz zu en diplomatischen Intriguen ältesten Stils, die ihm vorangegangen find, steht Inhalt und Ideologie des neuen Bertragswertes.
Begegnung Chamberlain- Mussolini.
„ Ein Höflichkeitsbesuch."
Condon, 30. September. ( Eigener Drahtbericht.) Die angekündigte Begegnung zwischen Mussolini und Chamberlain wird voraussichtlich im Laufe des Donnerstags in Civita Bechia, dem Kriegshafen Roms, auf der Jacht Chamberlains stattfinden. dem Kriegshafen Roms, auf der Jacht Chamberlains stattfinden. Die Unterredung ist von Muffolini angeregt worden.
Condon, 30. September. ( Tul.) Der diplomatische Korrespondent Des Daily Telegraph " bezeichnet die heutige Zufammenfunft wischen Muffolini und Chamberlain als einen Höflichte its besuch. Es sei für den britischen Außenminister unmöglich, sich mit irgendwelchen Problemen zu befassen, ohne vorher das eng lifche Rabinett befragt zu haben. Auf der anderen Seite sei damit zu rechnen, daß Mussolini gewiffe gemeinsame Intereffen
Im Mittelländischen Meere und besonders die Tangerfrage anchneiden werde. Es sei sicherlich kein Grund vorhanden, weshalb Chamberlain nicht versichern sollte, daß Großbritannien dem italieni chen Wunsche auf angemessene Vertretung in der Tangerzone y dmpathisch gegenüberstehe. Frankreich und Spanien feien chießlich nicht die einzigen Mächte, die an der strategischen Schlüsselstellung am westlichen Eingang zum Mittelmeer ein Interesse hätten.
Herriot will den Parteivorsitz niederlegen.
Der Kampf um seinen Bürgermeisterposten. Baris, 30. September. ( Eigener Drahtbericht.) Die Ere Nou velle" bringt am Donnerstagmorgen die sensationelle Nachricht, daß Herriot fest entschlossen sei, die Leitung der Radikalen Partei nieberzulegen. Herriot habe bereits seine Freunde und den Parteivorstand von feiner unwiderruflichen Absicht in Kenntnis gesetzt, auf dem Radikalen Parteitag, der vom 14. bis 17. Oftober in Bordeaux stattfindet, eine Berlängerung seines Amtes oder eine Wiederwahl rundweg abzulehnen. In der Eröffnungsfizung des Parteitages werde er seine Gründe öffentlich darlegen. Eine Kandidatur für die Nachfolgerschaft Herriots in der Partei leitung ist noch nicht aufgestellt. Caillaug, an den man herangetreten sei, habe verzichtet, um eine Spaltung der Partei zu ver
hüten. Im übrigen werden für den Bosten genannt: Malvn.
Dalladier, Renoult und Chautemps.
Paris , 30. September. ( Eigener Drahtbericht.) In der Stadtverordnetenverfammlung von Lyon wurde Herriot von der fozia listischen Fraktion aufgefordert, sich darüber zu äußern, wie er fein Amt als Bürgermeister einer Stadt mit sozialistischer Mehrheit und seine Teilnahme an der Regierung Poincaré rechtfertigen wolle. Herriot lehnte es ab, in öffentlicher Sigung zu antworten. Es wurde darauf eine neue Sigung unter Ausschluß der Deffentlichkeit abgehalten. Der sozialistische Stadtverordnete Abg. Rognon erklärte, daß Herriot gegen den Billen einer offenfundigen Mehrheit sich hinter gefeßlichen Bestimmungen verschanze, um im Amte zu bleiben. Das sei ein antidemokratisches Verhalten. Herriot führte die von ihm bereits mehrfach geltend gemachten Gründe dafür an. Ein Beschluß wurde auch diesmal nicht gefaßt. Eine zabreiche Menge erwartete draußen das Ergebnis der geheimen Sizung. Es tam zu Demonstrationen, so daß die Polizei genötigt war, die Manifestanten zu zerstreuen.
Zur weiteren Aufklärung des großen Juwelenraubes in der Trettin und Werneburg nach Breslau gefahren. Es besteht immer noch der Verdacht, daß Spruch ben verwegenen Streich nicht mit der geheimnisvollen Schauspielerin Sonja Igniatew, fendern mit dem Matrosen hermann und dem Schmiede. Paul, wahrscheinlich einem 21 Jahre alten aus Niederhof bci Breslau gebürtigen Paul Gerlach ausgeführt hat.
Spruch blieb aber auch gestern abend in einem langen Berhör dabei, daß diese beiden an der Tat felbft nicht beteiligt feien. Wohl hätten sie seinen Plan und auch den Laden, dem er nach den letzten Entschlüssen galt, gefannt. Sie hätten sich auch beteiligen wollen, im letzten Augenblick aber den Mut ver. loren. Die Sonja bezeichnet er als ein Mädchen, das einen großen Eindruck auf ihn gemacht habe. Er sei oft mit ihr zufammen gewesen, habe nie ihre Wohnung erfahren können, so sehr er sich auch darum bemüht habe, sei es ihm nie geglückt. Sonja habe ihre Wohnung nicht verraten. Er habe sich mit ihr stets nur in der Gegend bes Oranienburger Tores aetroffen. Die Kriminal polizei hat nun die ganze vergangene Nacht hindurch nach ihr gesucht, auch in den Lokalen der Halbwelt, in denen fie verkehrt gestellt wurde, daß eine Schauspielerin Sonja haben soll. Auch jezt sind wieder die Streifen unterwegs. Fest gnia tem nirgends gemeldet ist. Sie ist auch sonst mit der Polizei noch nicht in Berührung gekommen. Es hat sich auch bisher niemand gefunden, der sie fennt. Die Kriminalpolizei versucht weiter, das noch völlige Dunkel, das fie umgibt, zu lichten. Sie foll, wie früher schon gesagt, im April 1905 in Warschau geboren, etwa 1,50 Meter groß, also nur flein und von Gestalt unter leht sein. Ihr Haar fann Spruch der Farbe nach nicht genau bezeichnen. Die Sonja soll es im Herrenschnitt tragen, der die Ohren freiläßt. Diese pflegt sie mit großen unechten Perlen zu schmüden. Bulegt trug Sonja ein schwarzes Kostüm und einen schwarzen Samthut. Wer über dieses Mädchen, insbesondere auch über die Berliner Wohnung, etwas weiß. wird ersucht, sich bei Kriminal tommiffar Bapfe im Polizeipräsidium zu melden. Nach Gelingen des Raubes hielten fich Spruch und Sonja noch mehrere Stunden im Kademe auf, bis es ihnen gelang, nach der Gie begaben sich nach der Wohnung Sonjas, einem Pensionat, Bassauer Straße zu, nicht durch den Neubau, hinauszufommen. dessen Lage fich Spruch, wie er fagt, nicht mehr erinnern fann. Hier begann das Mädchen sofort mit der Sondierung der Beute, von ber es den größten Teil an fich nahm. Weil Spruch an barem Gelde nur die lekte Arbeitslosenunterstützung befaß, so bestand der Bwang, von der Beute wenigstens einige Kleinigkeiten zu ver laufen. Wo das geschehen ist, weiß man noch nicht. In Berlin trauten fie fich nicht, größere Stücke anzubieten, weil alle schon öffentlich beschrieben waren. Hier fühlten sich die Räuber auch sehr unsicher. Deshalb fuhren sie am Montag abend um 8 Uhr mit dem D- Bug nach Breslau , wo sie in der Nacht um 2 Uhr ein trafen. Spruch fehrte in einem Hotel ein, während Sonja na ch Warschau weiter fuhr. Sie sollte ihm die Wege über die Grenze ebnen. Für den Uebergang war eine Stelle ver. abredet worden. Wenn der schwarze Grenzüberschritt Spruch dort nicht gelingen sollte, so wollte Sonja, durch sein Ausbleiben an der verabredeten Stelle unterrichtet, nach Kattowiz tommen, um von hier aus eine geeignete Stelle zu suchen. Spruch war jedoch gezwungen, auch in Breslau etwas von seiner Beute zu Geld zu machen. Dazu wählte er einen schönen Brillantring, den er einem fleinen Juwelier anbot. Dieser benachrichtigte heimlich die Kriminalpolizei. So faßte man den Räuber und vereitelte alle Reisepläne. Bei ihm und in seinem Hotelzimmer fand man weitere Beuteſtücke.
Salzsäure statt Kochsalzlösung? Folgenschwere Berwechselung in einem Krankenhaus.
Ein mysteriöser Fall, dem ein acht Jahre alter Knabe namens Kurt Raffter aus der Blumenftr. 4 im Spandauer Krankenhaus zum Opfer fiel, beschäftigt augenblicklich zwei Berliner Gerichtsärzte. Das Ergebnis der Sezierung des Kindes, das wahrscheinlich durch eine Verwechslung einer Injet tionslösung den Tod sand, ist bisher noch nicht bekannt ge
worden.
Kurt R., der auf einem Laubengelände spielte, sah einem Laubenkolonisten beim Teeren seines Daches zu. Das Kind stolperte fe unglücklich, daß es in den Kessel mit kochendem Teer stürzte und lebensgefährliche Brandwunden erlitt. Es wurde in das Spandauer Krankenhaus eingeliefert, wo es eine Injektion erhielt, aber furz nach der Einlieferung starb. Das schnelle Hinscheiden des verunglückten Knaben ließ den Verdacht einer Berwechselung der Injek. tionsflüssigkeit auftauchen. Die Staatsanwaltschaft wurde benach. richtigt, die den Fall untersuchte. Die Leiche wurde obduziert, doch ist bisher ein einwandfreies Ergebnis der Obduktion noch nicht be. fannt. Es besteht die Vermutung, daß dem Kinde zur Erneuerung des Blutes cine och fa 13 lösung eingespritzt werden sollte; aus irgendeinem Bersehen wurde aber die Injektion mit Salzsäure vorgenommen, die tödlich wirkte. Wer an dieser tragischen Ver. wechslung Schuld trägt, fonnte gleichfalls noch nicht geflärt werden; angeblich soll eine Pflegefchwester das Mißgefchid gehabt haben. Ungeheizte Schulstuben.
an.
Man schreibt uns: Wer bei der gegenwärtigen Uebergangszeit zum fühlen Herbst gezwungen ist, fich längere Zeit stillsizend in ungeheizten Räumen aufzuhalten, ist der größten Gefahr einer schlimmen Erkältung ausgefeßt. Trogdem läßt der Berliner Magistrat in den Volksschulen noch nicht heizen; er denkt wohl, da jezt Ferien eintreten, tommt es auf die paar Tage nicht Db er in den höheren Schulen dieselbe Sparsamkeit übt, ist uns nicht bekannt. Wir fönnen nur allen Eltern, deren Kinder sich nachweislich in diesen Tagen eine Erfältung wegen der ungeheizten Schulräume zugezogen haben, und ebenjo den betroffenen Lehr. fräften raten, den Magistrat wegen der Arztfesten in Anspruch zu nehmen und ihn zur strafrechtlichen Berfolgung wegen fahrlässiger Körperverlegung bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige zu bringen. Wenn er auch nur einmal zur Tragung der Arztkosten verurteilt sein wird, wird es ihm zum Bewußtsein tommen, daß das nicht heizen der Schulräume eine übel angebrachte Sparsamkeit ift. Kleingärtner und Volkspark Rehberge.
Am Mittwoch abend veranstaltete der Kleingarten Be zirtsverband Wedding eine Protestkundgebung in den Bharusfälen, Müllerstraße, mit der Tagesordnung: Wastut der Magistrat für die zu räumenden Kleingärten Groß- Berlins?" Der Referent des Abends, der erste Borfizende des Provinzialverbandes der Kleingärtner, Reinhold, führte u. a. aus, daß der Anlaß zu dieser Versammlung die Kün digung der Kleingärtner in den Kolonien an den Rehbergen ist. Das Bezirksamt Wedding hat 40 Kleingärtnern, die an der Windhuter Straße ihre Laube haben, die Kündigung zugeschickt. Als Grund dafür ist angegeben, daß das Gelände zum Boltspart Rehberge gebraucht wird. Auf eine Eingabe an das Bezirksamt ist die Antwort eingegangen, daß an dem Beschluß, der auch von der Bezirksverordnetenversammlung gutgeheißen wor den ist. nichts geändert werden fann; für die gekündigten Kleingärtner wird in Reinickendorf Gelände be. reitgestellt. Weiter teilte Reinheld mit, daß die Kündigung pon weiteren 350 Kleingärtnern in Aussicht genommen ist; auch für diese wird, wie das Bezirksamt mitteilt, Gelände bereitgestellt. Nach einer lebhaft geführten Diskussion wurde eine
Der meineidige Zeuge Stange.
Der Fall der Gräfin Bothmer sputt noch immer in der Dessent lichkeit herum. So hatte sich heute vor dem Landgericht I der berüchtigte Stange zu verantworten, der sich erboten hitte, gegen Bezahlung die Schuld der Gräfin Bothmer auf sich zu nehmen. Der Fall selbst dürfte noch teilweise in der Erinnerung sein. erschien bei ihr eines Tages, furz vor der Hauptverhandlung, Stange, Die Gräfin war wegen eines Diebstahls in Polzin angeflagt. Da der unter einem Hauptmann v. Bothmer gedient hatte, in der Hoffnung, bei feinem früheren Hauptmann Unterstügung zu erhalten. Die Gräfin Bothmer, Schwägerin des verstorbenen Hauptmanns, ließ sich mit dem Manne in ein Gespräch ein, während dessen Ver daß ihr gerade ein Diebstahl in Polzin zur Last gelegt werde. So laufes Stange Polzin erwähnt haben will. Die Gräfin warf ein, wurde das Geschäft perfekt. Stange erhielt außer Likören und Sigaretten nach und nach 80 Mart und außerdem des Bersprechen, nach günstiger Erledigung der heiflen Angelegenheit noch mit einer größeren Summe entschädigt zu werden. Auf Antrag des Staatsanwalts wurde Stange von dem Richter Berlin- Mitte der Er befundete unter seinem Eide, mit der Gräfin über Bolzin etbigt: Seine Selbstbezichtigung schien den Behörden verdächtig. nicht gesprochen und von ihr fein Gelb empfangen zu haben. Am ersten Tage der Hauptverhandlung wiederholte er seine Selbstbezichtigung. In die Belle zurückgeführt, tamen ihm jedoch Bedenken, er ließ sich am nächsten Tage dem Staatsanwalt vorführen und widerrief hier seine Aussagen. Darauf wurde gegen ihn das Verfahren wegen Meineids eingeleitet.
Stange, mit aufgezwirbeltem Schnurrbart à la Wilhelm II. frisiert, war geständig und erklärte, seine Tat zu bereuen. Der Staatsanwalt plädierte selbst für Milde und bat, ben§ 158 StGB. anzu wenden, der bei zeitigem Widerruf einer meineidigen Aussage die Strafe bis zur Hälfte oder bis zu einem Viertel zu verringern gestattet. Hervorzuheben ist, daß der Staatsanwalt durchblicken ließ, daß er die Bereidigung des Stange durch den Richter wie auch den entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft für unzulässig halte. Stange jei damals unter allen Umständen der Begünstigung auf neun Monate Gefängnis. Das Gericht verurteilte den Angeklagten bringend verdächtig gewefen. Der Antrag des Staatsanwalts lautete nach längerer Beratung zu einem Jahre Gefängnis.
Der Weg zur Freien Schulgemeinde.
Am Montag abend hielt die Freie Schulgemeinde Prenzlauer Berg im Lebigenheim, Pappelallee, eine Berbe. versammlung für die weltliche Schule ab, die sehr gut besucht war. Genosse Rektor Schulz, der das Referat hielt, wies in seiner Rede auf das starte Anwachsen der Bewegung für die weltliche Schule hin und betonte, daß es jetzt hoffentlich auch bald gelingen wird, in dem Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg die weltliche Schule zu errichten. Wir brauchen die weltliche Schule, und wir Sozialisten fämpfen für sie und werden sie, des find wir uns gewiß, noch erringen, denn allein sie bietet uns die Gewähr. daß die Kinder frei von jedem 3wang erzogen werden. Wir täuschen uns nicht über die Macht der Gegner, wir übersehen auch nicht, daß icht mehr denn je die religiösen Kreise darauf hinarbeiten, die Schule wieder ganz der geistlichen Oberaufsicht auszuliefern. Die schulpolitische Reaktion zieht ihre Kreise, sie ist überall am Wert, das Errungene wieder abzubauen. Uns genügen auch nicht die Forderungen der bürgerlichen Schulreformer, die es den oder nicht. Wir fordern die Herausnahme der Religion Eltern freistellen, ob das Kind am Religionsunterricht teilnimmt aus der Schule und ferner die Reform des gesamten Unterrichtswesens. Es genügt nicht, die Religions, unde fallenzulassen, sondern in sämtlichen Fächern, besonders aber in den geschichtlichen und n. turkundlichen, ist nach den errungenen wissenschaftlichen Erfenntnissen zu unterrichten. Die weltliche Schule führt uns zur Einheitsschule, und ohne die Einheitsschule fein gleiches Recht. In der darauffolgenden lebhaften Diskussion wurde das Problem der weltlichen Schule eingehend erörtert und zum Ausdruck gebracht, daß hoffentlich bis zum nächsten Ostern der Bezirk Prenzlauer Berg feine weltliche Schule hat. Ein Gegner, der sich eingefunden hatte, erntete mit feinen Ausführungen, daß es ohne Religion nicht geht", fpöttisches Gelächter.
20 Jahre Rose- Theater.
Am gestrigen Mittwoch feierie Direttor Bernhard Rose bas Feft des 20jährigen Bestehens feines Theaters. Aus diefem Anlah fand eine Geftaufführung statt und zwar Ehrliche Arbeit", die bekannte Altberliner Bosse von H. Bilten mit der hübschen Musik von Richard Bial. Direktor Rofe spielte die Hauptrolle, deren Wahl an diesem Abend ein Symbol bedeutete. Denn die verflossenen 20 Jahre Rose- Theater waren für den Selfmademann, ehemals ein mittellofer Schriftfeher, der mit 13 Jahren zum erstenmal die Bretter betrat, ein steter Kampf und ehrliche ehrenhafte Arbeit. Das Rose- Theater, nicht ohne literarische Vergangenheit, ist heute eine Bühne des arbeitenden Voltes, dem Paul Rose , der Schn, für seine Anhänglichkeit dankte, nachdem der von Kapelimeister Mag Schmidt dem Jubilar zugeeignete Festmarsch vertlungen wor. Dann folgte die Feftaufführung, im Sinne des Wortes, die ein Glanzpunkt in der Geschichte des Rose- Theaters bleiben wird. Alle Darsteller gaben ihr Allerbestes, voran der herzerfrischende Billi Rose und die mit Beifall überschüttete holdselige Traute Rose, deren hingebendes Spiel das Publikum hinriß; sein Beifall flang wie jubelnder Dant. Es gab Blumen über Blumen, und jeder Besucher wünschte beim Nachhausegehen dem ehrlich arbeitenden Rofe Theater weitere glückliche 20 Jahre.
Jm Streit erstochen. In der vergangenen Nacht gegen 2 Uhr wurde der 45 Jahre alte Händler Adolf A. aus der Steinstraße von dem 21jährigen Kutscher P. an der Ecke der Dirdsen- und Rochstraße im Laufe eines Streites mit einem Taschenmesser erstochen. B. soll Beziehungen zu der Ehefrau des A. unterhalten haben. Er wurde darauf von A. zur Rede gestellt und nach einem heftigen Wortwechsel zog P. sein Messer und brachte dem A. fünf Stiche in den Kopf, Raden und in die linke Hand bei. Auf dem Transport zu einer Rettungsstelle ericg 2. den schweren Verletzungen. Die Beiche wurde beschlagnahmt und der Täter verhaftet und dem Polizeipräsidium zugeführt.
Aufruhr in einer Strafanstalt. Polizei zur Hilfe aufgeboten.
Wie aus Allenftein in Ostpreußen gemeldet wird, ist es am Dienstag in der Strafanstalt Wartenburg zu cinem schweren Aufruhr gekommen, der sich über mehrere Arbeitsfäle verbreitete. Die Gefangenen richteten schwere Beschädigungen an. Fenster, Schemel, Tische und Defen wurden zertrümmert, auch wertvolle Maschinen unbrauchbar gemacht. Da die gesamte Beamtenschaft des Aufruhrs nicht Herr werden konnte, wurde von Allenstein ein Schuhpolizeikommando herbeigerufen, das die Ruhe wiederherstellte. Am Mittwoch nachmittag drohte in einem anderen Saat ein neuer Aufstand auszubrechen. Die Aufrührer wurden gegen die Schuhpolizeibeamten tätlich und mußten mit Gummischläuchen niedergerungen werden. Der von den Aufrührern angerichtete Schaden wird auf 20 000 Mart geschätzt. Der Aufruhr soll dadurch entstanden sein, daß Insterburger Strafgefangene fich mit den Einrichtungen und Anordnungen des Wartenburger Zuchthauses nicht abfinden wollten. Auf Anordnung des Generalstaatsanwalts iff eine fltenge Unterfuchung eingeleitet.