Nr. 47443. Jaheg.
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Ausgabe A nr. 242
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands
Freitag, den 8. Oktober 1926
Noch keine Entscheidung des Reichspräsidenten .
Im Fall Seedt war für gestern abend die Entscheidung| glaubt. Er hat darüber dem General v. Seedt unverblumt des Reichspräsidenten angekündigt worden. Herr v. Hinden- seine Meinung gesagt, und dieser hat daraufhin sein Rüdburg wollte, so hieß es, nur die Rückkehr des Reichskanzlers trittsgesuch gegeben. abwarten, um nach einer Beratung mit diesem den Fall zur amtlichen Erledigung zu bringen.
Der Donnerstag ist vergangen, der Reichstanzler ist zurückgekehrt, die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Eine tiefe Beunruhigung aller politisch wachen Bolts
freise ist die Folge.
Die Frage Seedt- Geßler ist eine Frage des Prinzips und des Systems. Es handelt sich ganz einfach darum, ob in Deutschland das Barlamentoder das Militär der ausschlaggebende Faktor sein soll. Es geht um Demokratie oder Militarismus.
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Wird dieses Gesuch nicht angenommen, bleibt Herr v. Seedt im Dienst, dann hat der Militarismus diesmal in der Republikeinen neuen entscheidenden Sieg davon getragen. Die Wirkungen eines solchen Vorgangs nach außen und innen wären ganz unübersehbar.
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Jeder objektiv Denkende wird begreifen, daß dem Reichs präsidenten v. Hindenburg die Entscheidung nicht leicht fällt. Er ist ein General, der in den Traditionen der Treue zum Hohenzollernhause aufgewachsen ist, und der General v. Seedt ist ihm ,, ein Kriegskamerad" aus vergangener Zeit. Aber In der Demokratie ist die Armee ein Werkzeug in der es ist nun einmal und dafür sollten auch politische Gegner Hand der dem Bolke verantwortlichen Regierung. Sie in hier Verständnis aufbringen nicht die eigentliche Aufgabe des fein Staat im Staate, keine von der übrigen Bevölkerung ab- Präsidenten der deutschen Republit, monarchische Traditionen geschlossene Kaste, sondern ein Instrument der Bolts- und militärische Kameradschaft zu pflegen. Darüber steht die herrschaft. Die Stellung des verantwortlichen Reichspolitische Aufgabe, steht vor allem die Pflicht, die geltende wehrministers kann darum nicht die eines bloßen ,, Har- Berfassung und ihren Geist zu wahren. Diese Verlefins" fein. Seine Stimme muß in den Angelegenheiten der faffung aber und ihr Geist vertragen sich mit irgendeiner Art Armee entscheidend sein, denn er ist es ja, der alles, was in von Militarismus in feiner Weise. der Armee vorgeht, vor dem Volk und seiner Vertretung zu verantworten hat.
Jahrelang haben wir in der deutschen Republit einen unflaren Zwischenzustand ertragen müssen, der teils auf die Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse, teils auf die perfönliche Eigenart des Reichswehrministers Dr. Geßler zurückzuführen ist. In allen republikanisch gesinnten Kreisen hatte man den sicheren Eindruck, daß Herr Geßler vieles deckte, was schlechterdings nicht zu verantworten war. Die Mitte des Reichstags aber zeigte allem Militärischen gegen über jenen schon aus der Vorkriegszeit übernommenen Schwächezustand, der nur gelegentlich, wenn es allzu did fam wie in der Baberner Affäre – durch Anfälle von Energie durch Anfälle von Energie unterbrochen wurde.
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Im Fall Zabern hatte der Reichstag dem verantwort fichen Reichskanzler seine Mißbilligung offen zu erkennen gegeben, der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg aber blieb. In feinem anderen Kulturlande der Welt wäre etwas Aehnliches möglich gewesen. Deutschland deklarierte sich dadurch als ein von den anderen völlig verschiedenes Staatswesen. Die Offiziere hatten gegenüber dem Reichstag recht behalten. Das war der Sieg des Militarismus.
Jetzt hat sich ein Fall ereignet, der so fraß liegt, daß ihn felbst der langmütige Herr Dr. Geßler nicht decken zu können
Poincaré gegen Rheinlandräumung? Behauptungen eines Pariser Nationalistenblattes. Paris , 7. Oktober. ( Eigener Drahtbericht.) Der nationalifiifche Infranfigeant" teilt mit, daß Poincarés Umfall hinsichtlich der Rafifizierung des Washingtoner Schuldenablommens ausschließlich auf seine Gegnerschaft gegen die Politit von Thoiry zurückzuführen sei. Als Briand von Genf zurüdgekommen sei, habe Poincaré mit Rücksicht auf die Existenz des Kabinetts nicht anders zu handeln gewußt, als seine prinzipielle Zustimmung zu der Politik der deutschfranzösischen Berständigung seines Außenministers zu geben. Nach dem aber inzwischen über die geradezu fläglichen Kompenfationen, die Deuffchland für die Räumung des Rheinlandes und des Saargebietes zu bieten geneigt sei,& larheit geschaffen worden fei, habe Poincaré die Hände wieder frei bekommen. Da er nicht daran denke, die geringen Borrechte, die Frankreich noch aus dem Friedensvertrage befihe, gegen ein Linfengericht zu verlaufen, habe er es vorgezogen, fich direkt an Amerika zu wenden, das ja auch nach den Plänen von Thoiry die Gelder für die Mobilifierung der Dawes- Obligationen aufbringen solle. Frankreich gewinne auf diese Weise für die Verhandlungen mit Deutschland feine volle Berhandlungsfreiheit zurüd und Deutschland werde, wenn es franzöfifche Zugeständnisse wünsche, sich entschließen müssen, einen vollwertigen Kaufpreis dafür zu bezahlen.
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Die Bedeutung dieser Meldung darf nicht unterschäßt werden, denn der Intransigeant" ist ein gut informiertes Blatt, das den führenden Kreisen des Nationalen Blocs sehr nahe steht. Es ist allerdings unerfindlich, wie man heute schon, wo die finanzielle Seite des Verhandlungskomplexes noch gar nicht eingehend und offiziell aufgeworfen worden ist, behaupten
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Bleibt Seedt und geht Geßler, so bedeutet das nicht nur eine Regierungstrife, sondern eine Krife der Republit. Das weiß fo ziemlich jedermann, und darum find Kräfte am Werke, die auf ein Kompromiß. hinarbeiten: Sie sollen sich wieder vertragen; Seedt foll bleiben und Geßler auch!
Kompromiß nicht noch schlimmer wäre als der offene Man fann sehr im 3weifel darüber sein, ob ein solches Konflikt. Denn Herr Geßler bliebe dann nur als Gefangener und parlamentarischer Prügelfnabe des militärischen Systems. Er wäre dann wirklich der Harlekin, der er nicht sein will- und ließe sich der Reichstag einen solchen Reichswehrminifter samt seinen übrigen Regierungsfollegen noch länger gefallen, dann wäre auch der ganze deutsche Parlamentarismus mur noch eine einzige große Harlekinade.
Herr Geßler und Herr Marx müssen wissen, was sie iezt zu tun haben. Sie können durch Festigkeit alles gut machen, fie fönnen durch Schwäche viel verlieren und zerstören, mehr vielleicht, als sie heute noch ahnen!
Wir sprechen im Sinne der Verfassung und einer er drückenden Boltsmehrheit, wenn wir erklären: Wir wollen die parlamentarische Demokratie! Wir wollen feine Militär dittatur!
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fann, die von Deutschland zu erwartenden Rompensationen feien fläglich". Daß über den Wert dieser Kompensationen zwischen Deutschland und Frankreich Meinungsverschieden heisen auftauchen werden, ist selbstverständlich. Denn die Politik von Thoiry trägt nun einmal alle Merkmale eines Geschäftes". Aber diese Bewertungsunterschiede werden sich mit beiderseitigem guten Willen schon überbrüden lassen. Nur ist es gefährlich, schon jetzt in zugespitzter Form diese Gegenfäße als unüberbrückbar hinzustellen. Das ist aber die Tendenz bei den Nationalisten in beiden Ländern. Und die Frage ist, inwieweit steht Poincaré auch heute noch hinter dem französischen Nationalismus?
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Baldwin spricht.
Locarno ein Triumph Chamberlains. Schulden abkommen. Aenderung des Gewerkschaftsgesetzes? London , 7. Oftober.( WTB.) Baldwin hielt in einer Berfammlung in Scarborough eine Rede, in der er sagte:„ Der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund und die Ratifizierung des Battes von Locarno stellen einen bedeutenden Triumph der britischen Diplomatie und die Krönung des großen Werkes des britischen Ministers des Aeußeren dar. Für die Bezahlung der italienischen und der französischen Schuld find Abkommen ge troffen worden, deren Bedingungen ich für gerecht halte."
Baldwin ließ ferner die Absicht der Regierung durchblicken, einen Abänderungsantrag zum Geses über die GemertIchaften einzubringen. Er erflärte:„ Die jüngsten Ereigniffe machen es notwendig, das Gefeß über die Gewerkschaften einer Nadprüfung zu unterziehen. Die Schwierigkeit besteht darin, die Frage der Kollektiorechte und der individuellen Rechte der Arbeiter zu lösen."
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Boftichedtonto: Berlin 37 536 Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Wallstr. 65; Diskonto- Gesellschaft, Depofitenkaffe Lindenstr. 3.
Kulissenspiele.
Gonzagas Rücktritt.- Warum Rocca geopfert wird. Duminis Kostenrechnung.
Lugano , Anfang Oktober. Die Amtsniederlegung des Generalissimus der faschistischen Miliz, des Generals Gonzaga, und seine Ersetzung durch Mussolini wird als ein Sieg des Bandenfaschismus über den legalitären" Faschismus gedeutet und soll den Gegensatz zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Minister des Innern, Federzoni, weiter verschärft haben. Gonzaga hatte sich in Redeweise und Phrasenschatz ganz dem Hyperfaschismus angepaßt, aber es ist bekannt, daß er das Kom mando der Miliz seinerzeit überhaupt mir mit der Einschrän fung übernommen hatte, daß er sich als General des italienischen Heeres fühle und durch den dem Rönige geleisteten Treufchwur gebunden sei. Mit Gonzaga scheidet ein Mann aus dem Dienste des Faschismus, der diesem ein sehr dekoratives Werkzeug war, aber ihm nie und nimmer auf dem Wege des Staatsstreichs, dem Wege zu Mussolini Imperator gefolgt wäre.
lenken, der Versuch der sogenannten Normalisierung, ist eber Der Versuch, den Faschismus in legalitäre Bahnen zu völlig aufgegeben; es ist also natürlich, daß man eine Persönlichkeit abbaut, die gleichzeitig Ausdruck und Werkzeug dieser Legalisierung sein sollte. Als nächster Schritt müßte der Rücktritt Federzonis folgen, aber Mussolini ist trotz der äußeren Aufmachung fein Draufgänger, sondern wartet schlau und ruhig seine Gelegenheit ab; es liegt durchaus in seinem Interesse, die Nationalisten innerhalb des mäßig darf sich der Faschismus heute aus Rücksicht auf das Faschismus nicht vor den Kopf zu stoßen. Gar zu bandenAusland nicht gebärden. Wenn Italien durch seine Annäherung an England der deutsch - französischen Annäherung ein Gegengewicht bilden will, so darf es in seiner Innenpolitik nicht allzu balkanmäßig zugehen. Es mag ohnehin schon dem tam, gerade, als offizielle Kommuniqués ihre Verschiebung englischen Außenminister einen merkwürdigen Eindruck gemacht haben, daß die Zusammenkunft so heimlich zustande meldeten. Das Organ der faschistischen Syndikate will in der englisch - italienischen Annnäherung gar ein Gegengewicht fche Breffe das Ereignis reichlich aus als einen Beweis der gegen das Eisenfartell sehen. Jedenfalls schlachtet die faschistiSympathien der englischen Regierung für den Faschismus. Als ob wir nicht wüßten, wie immun von Sympathien und Idealen Großbritannien vorgeht, wo es die Intereffen feiner auswärtigen Politik zu wahren gilt! Wir haben längst die Illusion aufgegeben, daß das liberale und parlamentarische England der reaktionären faschistischen Diktatur gewiffe Grenzen vorzeichnen könnte. Aber der Kontakt mit der stärkeren Macht übt trotzdem eine gewisse Suggestion aus. Allzu bandenmäßig darf es also in Italien nicht werden, solange man noch Anschluß an europäische Mächte fucht. bürgerschaft und ihres Besizes entkleideten italienischen Die zweite Liste der ihrer italienischen StaatsBürger beleuchtet recht gut die Stellung des Faschismus, der sich ebenso sehr durch seine untreu gewordenen Freunde als durch seine Feinde bedroht fühlt. Unter 15 Opfern des neuen Gesezes befinden sich drei authentische Faschisten, Cesare Rossi , Fasciolo und Massimo Rocca, außerdem ein Faschistenfreund größten Kalibers, Carlo Bazzi. Man muß es als eine besondere Gemeinheit anſehen, daß Männer, wie Salvemini, Francesco Frola und der Volksparteiler Giuseppe Donati gemeinfam mit solchen Leuten ausgewiesen werden. Soweit in einem Lande wie Italien das Strafverfahren überhaupt noch Beachtung verdient, ist zu beachten, daß Rocca Mitglied des italienischen Parlaments ist, also durch die parlamentarische Immunität gedeckt sein sollte. Trotzdem ist gegen ihn porgegangen worden, ohne daß man vorher die Ermächtigung der Kammer eingeholt hätte. Man nimmt allgemein an, daß Dieser Verheft der Staatsbürgerschaft Rocca trifft, damit der gegen ihn schwebende Prozeß wegen Unterschleife und Rocca war der erste Vertrauensmann des Faschismus in der Bestechung im Amt nicht zur Verhandlung komme. Generaldirektion der staatlichen Lebensversicherung. solcher soll er große Summen von Konkurrenzgesell= fchaften eintassiert haben, um denen Geschäfte des staatlichen Instituts zuzuschieben! Wenn nicht sehr viel hochgestellte Persönlichkeiten dabei mit kompromittiert werden könnten, wäre man wohl taum mit so schwerem Geschüß vorgegangen.
Als
Uebrigens besteht in der faschistischen Presse eine Strömung, die das ganze Gefeß über die Emigrierten, die ,, Fuoruſciti" abschaffen und durch das neue Gesetz über die Todesftrafe ersehen will. Man sagt, die Handlungen, die zum Berlust der Staatsbürgerschaft führen, sind ganz dieselben, für die man die Todesstrafe wieder einführen will, nämlich Berbrechen gegen die Nation, will sagen: gegen den Faschismus. Bom juristischen Standpunkt den das neue Italien ( Gotf sei Dank!) ganz überwunden hat ist das eine recht groß