Ae. 474 ♦ 43. Jahrgang7. Seilage öes vorwärts5rettag, S. Oktober 7 924Notstandsmaßnahmen und Nachtragshaushalt.Ein kommunistischer Faustheld in der Stadtverordnetenversammlung.Die Berliner Stadtverordnetenversammlung nahm gestern denEntwurf des nötig gewordenen Nachtragshaushalts ent-gegen, den der demnächst aus seinem Amt scheidende Kämmerer vor-legte. Bittere Borwürfe richtete der Kämmerer gegen die Reichs-regierung, die mit ihrer Steuerpolitik den Großstädten und besondersder Stadt Berlin die Regelung der Gemeindefinanzen erschwert.Der Entwurf wurde dem Haushaltsausschuß überwiesen. DasHauptstück der Sitzung war die Fortsetzung der in der vorigenSitzung abgebrochenen zweiten Beratung der kommunistischen N o t-standsanträge, die der' Ausschuß mit Aenderungen zur An-nähme empfahl. Den Kommunisten schien es unbequem zu fein,daß der sozialdemokratische Redner, Genosse M aderholz, sichsehr entschieden für durchgreifende Maßnahmen zu-nun st«n der Erwerbslosen aussprach. Das verdarb ihnendas Konzept, so daß es ihnen weniger leicht wurde, ihre vorbereite-ten Schimpfereien gegen die Sozialdemokratie vorzubringen.Unseres Redners Feststellung, daß die Forderungen ihrer Anträgezum Teil alte Forderungen der Gewerkschaften sind,wurde von den Kommunisten mit Lärm beantwortet. Später kames zu einer groben Ausschreitung, wie sie in der Stadtverordneten-sitzung scis, langem nicht mehr dagewesen ist. Der KommunistHolzfäller attackierte mit einem F a u st h i e b unseren Genossen� Urich, und die notwendige Abwehr führte dann zu einem Hand-gemenge, so daß die Sitzung für einige Zeit unterbrochen werdenmußte. Im weiteren Verlauf der Beratung nahm auch GenosseUrich das Wort, um nochmals für die Anträge in der jetzt vor-liegenden Fassung einzutreten. Er betonte die Notwendigkeit, fürArbeitsbeschaffung zu sorgen. Die Anträge wurden imwesentlichen nach den Vorschlägen des Ausschusses angenommen.*In der gestrigen Stadtverordnetensitzung brachte der Dorsteher,Genosse Haß, zunächst den Alttrag unserer Fraktion, den V e r-kauf des Hotels Kaiserhof und die Entschädigungder Angestellten des Hotels bei einem etwaigen Verkaufbetreffend, zur Verlesung. Der Antrag wird in der am Dienstagstattfindenden außerordentlichen Sitzung behandett werden. Aufeine Anfrage, ob angesichts der Typhusfälle in Hannoverfür Berlin eine ähnliche Gefahr bestehe, antwortete der Stadt-medizinalrat, Prof. Dr. v. Drigalski mit beruhigendenErklärungen. Um 6 Uhr nahm der Kämmerer Dr. Kardingdas Wort zurBegründung des Nachlragshaushallplanes,dessen Einbringung sich wegen der außerordentlich gestiegenen Aus-gaben für Notstandsarbeiten und die Wohlfahrtspslege nötig ge-macht hat.Der Kämmerer betonte zunächst, daß, abgesehen von der Wohl-fahrt-pflege, die Haushaltswirtschaft im ersten Halbjahr 1926 sichim großen und ganzen im Rahmen des Etats gehalten habe.Aber gerade die vermehrten Ansprüche, die infolge der dauerndenErwerbslosigkeit an die Wohlfahrtspflege gestellt werden,sind es, die die Einbringung des Nachtragsetats erforderlich machenund die die hohen Summen begründen, die gefordert werden. Be-sonders in den Wintermonaten stehen, wie mit Sicherheit nnzu-nehmen ist, weitere starke Steigerungen der Ausgaben für die Unter-stützung der Erwerbslosen bevor, und es ergeben sich für allgemeineWohlfahrt, Winterbeihilfen und die Mehrkosten des städtischen An-teils an dee Erwerbslasenunterstützung rund 39 Millionen MarkMehrausgaben. Dazu kommen noch die Mittel, die nötig sind, umdie in der Feriensitzung im Juni dieses Jahres beschlossenen Not-standsarbeiten zu finanzieren. Im ganzen ergibt sich eine Mehrausgabe von etwa 76 Millionen Mark, für die nur bis zu einer* Höhe von 45 Millionen Mark Deckung vorhanden ist. Der Kämmererwandte sich dann mit Entschiedenheitgegen die Finanzpolitik des Reiches,die den Gemeinden immer größere finanzielle Lasten bringe. Beson-ders beschästigte sich der Kämmerer mit der Rede des Reichsfinanz-Ministers Reinhold auf der Dresdener Tagung der Industriellen-verbände, wo der Minister mit dem Steuerabbau des Reiches ge-prahlt habe und die Gemeinden ausforderte, nun ihrerseits auch zurEntlastung der Wirtschaft dadurch beizutragen, daß sie ebenfalls aneinen Steuerabbau gingen. An der Hand einer ganzen Reihe von Bei-spielen wies der Kämmerer nach, daß sich das Reich bei dem Abbauder direkten Steuern direkt bereichert habe, und daß dieAusfülle bei dem Abbau der indirekten Steuern durch die Erhöhungder Zölle und anderer indirekter Steuern mehr als wett-gemacht worden find. Minister Reinhold hat erklärt, daß es Un-sinn sei, wenn das Reich Steuern abbaue und gleichzeitig die Ge-mcinden Steuern erhöhen müßten. Aber gerade dieser Unsinn seieingetreten, und das Reich hat ihn durch seine Finanzpolitik ver-schuldet. Das Reich hat zwar die Steuern abgebaut, aber nicht ausfeiner Tasche. Von der Einkommensteuer behielt beispielsweise dasReich vor dem Abbau der Steuern im ersten Halbjahr 1924139 Millionen Mark, es behält jetzt nach dem Abbau 279 MillionenMark, also mehr als das Doppelte! Es hat sich nämlichinzwischen seinen eigenen Teil von 19 auf 25 Proz. erhöht.Tatsächlich hat also nicht das Reich seine Steuerbeträge abgebaut,sondern die der Länder und Gemeinden. Es ist mehrals blutiger Hohn, unter diesen Umständen noch von den Gemeindenzu verlangen, dem guten Beispiel zu folgen und ihre kommunalenSteuern abzubauen. Die K r a f t w a g e n st e u e r hat in Berlinein Aufkommen von rund 8 Millionen Mark. Davon erhält Berlinzur Instandsetzung und zum Ausbau seiner Straßen ganze zweiProzent, während beispielsweise das Reich 4 Proz. allein für dttUeranlagungsarbest behalten darf. Berlin finanziert mit der vonihm aufgebrachten Kraftwagensteuer die Wegeunterhaltung in vierbis fünf preußischen Provinzen. Mit erhobener Stimme bezeichneteder Kämmerer das nicht als einen Ausgleich, sondern alsWillkür und Unrecht. Der Reichsfinanzminister hat inDresden auch die G r u n d st ü ck s k ä u s e kritisiert, die die Ge-meinden seit der Stabilisierung vorgenommen haben. Die gesamtenGrundstücksankäufe, die die Stadt Berlin seit 214 Iahren vor-genommen hat und die einen Zuwachs an Grund und Boden vonrund 17 999 Hektar brachten, haben der Stadt cms lausenden Etat-Nutteln nur die geringe Summe von 5 MillionettMark gekostet. Das ist jedenfalls nur die Hälfte von dem,was das Reich für den Ankauf des Hotels„K a i s e r h o f*bezahlen soll. Berlins Bodenpolitik ist auch sonst bedeutend ge-sünder als die des Reiches. Den Betrag, den Berlin aus dem Auf-kommen der Hauszins st euer weitergibt, entspricht den Kostenfür ein Drittel aller Wohnungsbauten, die außerhalb Berlins inganz Preußen ausgeführt werden. So sieht die Benachteiligung derStädte und Gemeiiiden durch das Reich aus.Bei den gewaltigen Mehrausgaben eines Teiles der städtischenVerwaltung müssen natürlich die übrigen Verwaltungen Opferbringen. Magistrat und Bezirksbürgermeister halten es für möglich,durch rücksichtslose Einschränkungen auf anderen Gebieten etwa8 Millionen einzusparen. Dazu wird den Bezirken dieMöglichkeit der Uebertrag barkeit der Ausgaben gegebenwerden. Dr. Karding bezeichnete dies als den Schlußstein auf demWege der größlmöglichen finanziellen veweglichkeik der Bezirke. Eineneue Steigerung der Steuern hat der Magistrat in der gegenwärtigenSituation nicht für durchführbar gehalten. Dann aber bleiben derStadt zur Aufbringung der neuen Mittel nur die Werke übrig.Di« Stadt Berlin wird es sich nicht mehr leisten können, die Werkeausnahmsweise zu behandeln, sondern sie wird bei der rapiden Stei-gerung der Ausgaben auf eine angemessene Verzinsung des in dieWerke hineingesteckten Kapitals sehen müssen. Das wird bei denWasserwerken, bei den Gas- und Elektrizitätswerken ohne eine Er-höhung der Tarife möglich sein. Die Finanzoerwaltung der Stadtgedenkt aus diesen drei Werksgattungen zusammen die Summ« von18 Millionen Mark zu entnehmen. Darüber hinaus wird sich�abereine stärkere Heranziehung der Straßenbahn nur möglichmachen, wenn gleichzeitig auch die Tarife erhöht werden. Die Straßen-bahn fährt in Berlin für den geringsten Tarif in ganz Deutschland:«in A u s s p i e l e n der verschiedenen Verkehrsunternehmungen gegen-einander ist jetzt, wo sich alle Verkehrsbetriebe in der Hand der Stadtbefinden, nichtmehrangängig. Soweit es sich im Nachtrags-Haushalt um neue einmalig« Ausgaben Handell, sollen sie auf denAnleihehaushalt übernommen werden.In der fortgesetzten Beratung der aus dem Ausschuß zurück-gekommenenErwerbslosenanlrägespricht zunächst Stadtverordneter Sommer(Dem.). Er spricht sichfür die Ananhme der Anträge aus. Genosse Maderholz betonteeingangs seiner Ausführungen, daß wir Sozialdemokraten die Erwerbslosenfragen nicht als Objekte der Agitation betrachten, w i ees die Kommuni st en tun. Wir können uns in die Lage derErwerbslosen umso mehr hineindenken, als der größte Teil von unsdas Elend der Erwerbslosigkeit am eigenen Leibe kennen gelernt hat.Die sozialdemokratische Fraktion fordert"jetzt mehrdenn je die H e r b e i s ch a s f u n g von N o t st a n d s a r'b e i t e nin jeder Form. Wir verlangen, daß die städtischen Körperschaftensich bei Reich und Staat um Arbeitsbeschaffung be-mühen. Es genügt nicht, daß tne Reichsregierung ein pompösesArbeitsbeschaffungsprogramm ausstellt. Wenn ihm nicht bald dieTat folgt, werden die Erwerbslosen in immer größeres Elendkommen. Den Erwerbslosen ist nur mit wirklicher Arbeit gedient,alles andere ist Stückwerk. Es genügt ferner auch nicht, daß wirden Achtstundentag fordern oder aufrechterhalten. Vielleichtist es an der Zeit, daß wir uns mit einer weitgehenden Ar-beitsftreckung befassen und daß auch die Arbeitszeitverkürzt wird, um auf diese Weise die Erwerbslosen wieder indie Betriebe zu bekommen. Durch das Riesenheer der Arbeitslosenwerden gerade diegroßenStädtein ganz außerordentlichem Maße b e l a st e t. Deshalb ist auch Berlin an einer Be-schäftigung der Erwerbslosen besonders interessiert. Zu fordern istauch die Mitwirkung der Gewerkschaften bei derStillegung der Betriebe, die nur den wirtschaftlichen Not-wendigkeiten folgend, stattfinden dürften. Wir fordern ferner eineAusdehnung der U n t e r stü tz u ng s d a u x r für die ganzeZeit der Erwerbslosigkeit und wir Sozialdemokraten sind auch gegendie sogenannte Bedürftigkeitsklausel.Als Genosse Maderholz energisch gegen die Ausführungendes Kommunisten Roth in der vorigen Sitzung protestierte, wares wiederum Roth, der sich in einfach unverantwortlicher Weisegegen unsere Genossen, besonders den Genossen llrich, wandte.Was dieser Herr an Spitzfindigkeiten und Großschnäuzigkeiten auf-zubringen vermag, ist fabelhast, und weder die Glocke des Vor-stehers, noch die Zureden seiner Freunde können Eindruck agf ihnmachen. Er schimpfte immer wieder zu unseren Genossen hinüber,drohte, ereiferte sich und verursachte einen Krach, der den tNdneroft am Weitersprechen hinderte. Genosse Maderholz- mußteschließlichdas Verhallen des Roth als pathologisch bezeichnen,eine Charakterisierung, die allseitigen Beifall fand. Maderholz sagteden Kommunisten, daß ihr unverantwortliches Verhalten in derletzten Sitzung offenbar dem Zweck diente,die Aufmerksamkeit der Erwerbslosen von dem kommunistischen'jParleischerbenhaufen abzulenken. jOb mit einer solchen Taktik etwas für die Erwerbslosen erreichtwird, ist allerdings fraglich. Wir Sozialdemokraten können denErwerbslosen nur den Rat geben, ein wenig mehr als bisher auf denRat der Gewerkschaften zu achten. Die weiteren Ausführungen desGenossen Maderholz gehen in dem Lärm, der sich bezeichnender-weise gerade bei diesen wohlgemeinten Ratschlägen, deren Inhalteigentlich selbstverständlich sein sollte, erhob, unter. Die Kommunistenbrüllten in maßloser Weise durcheinander, man hörte die Zurufe„5zamburg"(!) und allerlei Schmährufe gegen die Gewerkschaften,'die auch auf der Tribüne laut wurden. Schließlich kann Vor»lsteherstellvertreter Meyer(Dem.) die Ruhe soweit wiederherstellen,daß der Kommunist peschke das Wort nehmen kann. Während seinerRede fetzte sein Parteigenosse Roth die Angriffe auf den Genossen.'Urich fort, und weder.der Versammlungsleiter, noch einsichtige kom-munistische Stadtverordnete konnten Herrn Roth zur Beachtung derparlamentarischen und persönlichen Anstandsregeln peranlassen.!Plötzlich springt der Kommunist Holzfäller aus den Genossen)llrich zu und attackiert ihn.'Im Nu entsteht in dem Gang zwischen den Sitzreihen und den Ma-gistratsbänken ein ohrenbetäubender Lärm: die Stadt-verordnete� unserer Fraktion springen selbstverständlich Urich bei,der sich, zwischen d«n Sitzbänken stehend, gegen Holzfällerwehrt. Holzfäller, der aus seiner Gewerkschaft, dem Sleinarbeiter-verband, wegen schwerster gcwerkschasklicher vergehen ausgeschlossenDer Weg des blinden Bruno.>81Roman von Oskar Baum.Bruno untersuchte, ob vielleicht eines der Fenster imErdgeschoß offen geblieben war. Sa, baute man auf KalksSchlamperei, verrechnete man sich nie! Er kletterte vorausund, einmal drin, zog«r, nicht leicht, den Freund an denhinaus gestreckten Händen nach.In den Tagen darauf schlich Alwin mit tonlos bewegtenLippen an den Wänden hin und stand in den Winkeln, alleGlieder wiegend in wechselnden Rhythmen. Lange Melodien-ketten, ganze Lieder und Satzstücke konnte er schon aneinander-reihen und unablässig weiter, weiter grub er in stinemGedächtnis nach verschütteten Stellen, jeder kleine Fundein Fest.,Bruno ließ anderes keine Ruhe: Es hatte nicht immerdieselbe Person gespielt. Verschiedene waren es, und zwarmeist Mädchen. Auch Alwin stimmte dem bei. Also einegroße Gesellschaft! Aber ganz intim, denn es gab nie Applaus.Die vielen eingestreuten Lieder sangen teils Stimmen vonblendender Bollendung und Freiheit, vielleicht große Kunst-lsrinnen, teils schöne, aber wohl nicht ausgebildete Stimmen,die sehr gegen jene abstachen. Und gerade von diesen hatteihn eine ganz besonders gepackt. Er hatte sie immer, gleichwenn sie begann, wiedererkannt. Sang sie rasch, war esVoqelzwitschem, langsam, eine Flöte, nur vielleicht nicht sosicher und gleichmäßig. Der Ton war niedlich, ganz kleinund rund, als läge es an der Mundform. Wie wobl ihrWesen sein mochte? Lustig und laut oder zart und schwer-mütia?— Ob man auf irgendeine Weise erfahren könnte,wer drüben wohnte? Die Stadt hatte sich in den Jahrenaedehnt, und die Anstalt lag längst mitten in einer langenBillenstraße. Im letzten Frühjahr wurde auch das Rüben-feld dem Hause gegenüber in eine Villa mit Garten ver-wandelt.Vielleicht ist ein Wirtshaus in der Nähe und es wareine"Bauernhochzeit, was euch so in Verzückung emporriß.sagt- Franzi, als Alwin ihr davon erzählte. Sie wollte'hnwohl nur wieder..auf die Erde stellen. wie sie sich ausdruckte.Er spielte ihr ja die langen ernsten Bruchstücke vor.„Das Eine bist du/ sagte er,„es geht auch in G-Dur.(Er behauptete, sie gehe in G-Dur.) Und drin kommt einGespräch zwischen uns beiden vor, aber daran gerade kannich mich nicht und nicht erinnern. Die ganze Nacht habe ichdarüber nachgedacht!" Und er beugte gequält den Kopf vor,lauschte, vor Spannung an allen Gliedern zitternd, als müsseer es doch noch von irgendwo herbeizwingen. Und diesmalstellte ihn Franzi nicht wieder„auf die Erde".„Das G-Dur-Stück war eine Sonate von Beethoven,"erkannte Alex, den sein unerbittlicher Vater auch zum Klavier-spiel zwang, weil so ein Hungerleider von Lehrer einmalbehauptet hatte, er habe ein ganz hübsches Talent.Franzi erfuhr auch von Alex, daß die Villa drüben einerehemals berühmten Opernsängerin, Frl. v. Kröß, gehöre,die nur mehr unterrichtete und ihre Schüler öfters in kleinenAbendgesellschaften bei sich versammle.„Warum lernen wir nicht solche Stücke?" fragte Alwintraurig, hoffnungslos, ohne an Anklage zu denken.(Siespielten immerfort Salonmusik: Thalberg, Smith. Für Opp>recht war nur die Orgel Musik. Klavier war etwas für dieLeute: Effekt, Weltlichkeit.)„Weil ihr so was nicht zustandebringtl" fuhr Alex ihn anund lachte aufgebracht, als gelte der Vorwurf ihm.Ra, ob du es zustandebringst? dachte Alwin, aber erschwieg.--Nach einigen, vergeblich nahe dem Vorgarten verwartetenAbenden holte einmal Alwin voll Aufregung Bruno herunter,da er allein den schwierigen Weg nicht wagte. Aber der Direktorüberraschte sie und jagte sie zurück. Nicht unmöglich, daß Alexzu Hause etwas angedeutet hatte, denn Kapetan ließ in seinDonnern über das dreitausendmal verbotene Betreten dieserWege einiges sonst nicht ganz Verständliche, vergnügt Er-bitterte einfließen über„kommende Vorschriften und Erlässeder Herren Zöglinge, den neuen Lehrplan, den sie hoffentlichbald ausgearbeitet haben würden, damit die Vorgesetzten sichvon nun an danach richten könnten."Und Professor Görnitz unterzog tags darauf Bruno einemstrengen Verhör: Wer ihm die hochmütigen Gedanken bei-gebracht habe? Ein Verbrechen gegen das Haus und sichselbst, nicht zu erkennen, daß man hier das Beste, Höchste ausihm heraushole, alles, was nur in Menschenmacht stand!Wollte er vielleicht Virtuose werden, Komponist? Ja, aufihn warte die Welt!Bruno wußte nichts zu sagen. Steif stand er zwischenden Bänken vor dem Mann, der auf einem der steifen Pultesaß. Mit jedem anderen hätte er aber reden können. Ja,aber war denn das nicht sein Vater? Er fühlte knirschend,daß er in seinem Alter schon Besseres wissen sollte, als wie-in der Schule aufgerufen, dastehen.Der Vater war ihm seit langem fremder als ein Un-bekannter, sprach bei seinen Besuchen im Hause meist gar nichtoder nur flüchtig mit ihm, aß zu Abend m der Direktorswoh-nung, Bruno unter seinen Kameraden im Speisesaal, alsgehörten sie nicht zusammen. Im Sommer klang VatersLachen oft dem fröhlichen Lärm der Abendgesellschaften anden Tischen im Vorgärtchen zu den offenen Fenstern de?Arbeits- und Schlafsäle herauf. Bruno begriff nicht, daß vieleZöglinge glaubten, er könne stolz darauf sein und sei es auch..„Ja, was hatte ich denn vor?" wollte Bruno erstauntfragen,„ich wußte gar nicht so genau, daß mir hier ein,Unrecht geschah. Jetzt erst wird es mir klar und sicher." Abe?er sagte nur:„Wir dachten nicht an Beruf und dergleichen,Es machte uns nur Vergnügen." Und bitter entschlossen�nahm er sich vor, daß Kapetan und der Vater mit Sorgen umseine Zukunft nie etwas zu tun haben sollten.Dies war das letzte richtige Gespräch zwischen ihn«?.obwohl sie noch lange in derselben Stadt lebten. Man merkt?es dem Gespräch so gar nicht an: es hatte nichts Feierliches,nicht einmal etwas Wichtiges an sich. Professor Görnitz warein richtiger Junggeselle geworden. Was irgendwie auf ihmlastete und nicht unmittelbar seine Person betraf, wurde ihmlästig.»•*Alwin hätte die Vereitelung des kaum entdeckten erstengroßen Glücks wohl bis ins Tiefste getroffey, wenn nicht ein?sonderbare Erkrankung Franzis die Veränderung ihres ganzenWesens, die sie mit sich brachte, immer mehr sein Denken,Wollen, alle seine Wünsche und Hoffnungen beansprucht hättenEinmal schleppte er Bruno, mit Tränen flüsternd, in dasam Tage vcrschwicgendste Plätzchen, den Schlafsaal:„Du, siespricht jetzt ganz anders mit mir! Du glaubst es nicht? Ichkann dir's beweisen! Gestern bat sie, ich möchte die G-Dur-Sonate aufschreiben, soweit ich sie im Kopf habe: du weißtja, welche? Sie will sie lernen. Nun, was sagst du dazu?!— Und den Alex fertigt sie jetzt ab, daß du dich wunderstwürdest! Sie hatten letzthin Streit, denke ich, denn, als ergegangen war, sagte st,» ganz erleichtert:„Nun wird er sich'svergehen lassen, immerfort da herauszukriechen."„Hast du sie gefragt, warum?"'„Bist du verrückt? So etwas werde ich mir doch nichlherausnehmen!">„Ich weiß nicht, aber—"„Natürlich, du weißt immer was nicht!" Alwin ärgertesich, pendelte sehr nach der Seite und ging gekränkt davon.„Nun, Krankheit verändert ja manche Menschen auchohne besondere Ursache." Bruno wollte qs wieder gustuachen-Aber Alwin kam nicht zurück, er fand das vielleicht nochbeleidigender- i(Fortsetzung folgtH j