5rettag 8. Oktober 1928
Äntechalwng unö ÄNissen
Sekloge Ües vorwärts
Ver einsame Vinter. Wir mScht-n dem nachstehenden feinen Stimmung«b!st> mit ein paar Borten den richtigen Rahmen geben: Eine tapfere Frau per- bringt mutterseelenallein einen Winter auf einsamer ffarm in den amerikanischen Bergen. Ihr« einzige Gesellschaft ist eine Herde Ehetland-Ponps, vier Pferde,«in« Kuh, ihr Hund und ihr ltater. Kür die muh ste Tag für Tag sorgen, auch als ste krank ist. Und zur Erholung schreibt sie ihr Tagebuch, schreibt«S mit herzerfrischen- dem Humor. Diesem Tagebuch, dos ganz Wirklichkeit, nicht Erfindung ist, ist die nachstehende Prob« entnommen. Das Buch er- scheint in diesen Tagen im Berlag von Dr. Werner Klink- Hardt« Leipzig , und kostet geheftet S M., gebunden 6 M. 1. November. Also gestern war ein Tag voll körperlicher Anstrengungen. Kindneß, unsere schwarze Ponystute aus Wales , brach aus. Nach langem Suchen, nach einem Dutzend Richtungen hin, fand ich sie endlich bei- D.s. eine Meile weit fort. Kindneß' lange Bcinchen können schon etwas schaffen, wenn sie wollen. Winkie war mit— die gute, folgsame Winkie, die von gleicher Farbe, aber nur halb so groß ist. Kindneß ist lang und schlank. Winkie kurz und dick. Ein zu drolliges Paar, wie sie so schuldbewußt durch die Waldwege jagten. Es war schon eine grobe Unart— so weit weg zu rennen — und beide wurden daraufhin ein paar Tage angepflockt. Tiere am Tüderstrick sind eine Last. Wenn sie sich nicht auf- wickeln oder verheddern in den Sträuchlein oder Stubben im Boden, so winzig, daß man sie nicht sieht und darum ganz sicher ist, dies- mal aus einem wirklich freien Fleck angepflockt zu haben(wir haben Ponys, die noch mit Erfolg ihr Seil an einem Grashälmchen auf- wickeln), nun dann sind sie hungrig oder durstig, und man muß sie an den Trog führen oder weiter pflöcken. Ein tüchtiges Pony frißt im Handumdrehen einen Umkreis von 20 Fuß ratzekahl. Vor allem lieben sie Wurzeln. Wenn sie auch noch so reichlich Gras zur Hand haben, so sah ich sie doch schon andauernd auf einem Fleck stehen und scharren—, bloß um mal ein bißchen was Neues zu haben, ein bißchen interessanter als nur Gras. Denn der kleine, lebhaste Geist eines Shetlands will auch Nahrung haben, so gut wie alles übrige. Im Winter langweilt sich die ganze Herde ent- schlich im Auslauf. Sie sind Haft und Beschränkung so satt, daß sie aus lauter Seelenmüdigkeit daraus verfallen, sich gegenseitig zu boxen. Ich dachte schon daran, ihnen mal einen Fußball zu schenken oder irgendein Spielzeug, um zu sehen, was sie wohl damit anfangen würden. Vermutlich fräßen sie's auf, aber vorher würden sie alle seine Möglichkeiten erschöpfen, geistig, moralisch und körperlich!... Angepflockt geraten Ponys bald in Verzweiflung, besonders wenn sie in einer abseits gelegenen Wiese sein müssen, ohne jede Gesellschaft, und es höchstens mal ein Vögelchen, das über sie hin- wegfliegt, zu beobachten gibt. Denn ich sah schon mal ein gelang- weiltes Pony einen Vogel betrachten. Es drehte den Kopf und rollte die Augen ganz tragisch, ihm sehnsüchtig nachschauend, wie er dahin flog, wo er nur wollte!„Oh! hätt' ich Flügel, die Flügel einer Taube—!" war sein deutlich sichtbarer Gedanke. Ein tiefer Seufzer entfloh seinen runden Flanken, nachdem das Vöglein ver- schwunden war... Und Mitleid— die störende Beigabe bei der Landwirtschaft— gewinnt die Ueberhand, und man verbringt seine Zeit damit, über die Felder zu staken, um die kleinen Gefangenen zu trösten. Arme Kerlchen! Wie leben sie auf, wenn man naht. Eifrig plaudernd pickt man ihnen eine Klette, oft einen ganzen Ball davon, aus Mähne und Schwanz und reibt die schnuppernde Gumminase mit der Innenfläche der Hand. Das scheint ein Pony ganz besonders zu amüsieren. Dann durchforscht man mal das Haar den Rücken entlang nach Lebewesen, flicht eine zerzauste Mähne, drückt einen Kuß auf das strahlend erhobene Köpfchen— und geht zum nächsten. Kim ist immer angetüdert, doch an einer Kette, denn Stricke frißt er auf. Er ist's gewohnt und oerlangt keine Besuche. Unter- Haltung verschafft ex sich durch Wiehern, denn wenn sich nur 9n der Ferne ein Pferdeohr blicken läßt, begrüßt er es mit einem Radau, wie zwanzig Kanonen gleichzeitig. So kommt's einem manchmal vor, wenn man übers Feld reitet. Doch richtig legt er erst los, wenn etwas in Ponygröße erscheint. Wenn ich einen Trupp Ponys an ihm vorbeitreibe, brüllt Kim nicht nur, sondern nimmt solch ernsthasten Anlauf zum Mitrennen, daß er ganz vergißt, daß die Kette auch mal ein Ende hat. Und wenn das erreicht ist, schlägt er einen Purzelbaum, von dem er sich jedesmal mit trockenen Gras- hälmchen in den Stirnhaaren und ganz verblüfftem Ausdruck wieder aufkrabbelt. Als ich Winkie und Kindneß nun hübsch untergebracht hatte, schellte am Nachmittag das Telephon.„Brau B. sagt, einige meiner kleinen Ponys wären auf ihrem frischgesäeten Feld, und ich möchte sie doch bitte wegholen. Ich gehorche. Polly und ich kommen atemlos um die Ecke! Fünfzehn zähle ich! alle eifrigst beschäftigt, das zarte, junge Gras herauszukratzen...„Hurra—!.Wu-wuuuu!" ... Goliath jagt sie um die Gebäude, während Polly und ich im vorderen Hof lauern, und Frau B. strahlend über unsere Anstren- gungen zur Türe hinausschaut. Ein wilder Strom ergießt sich auf den Weg.— und mit Wu-wuuuu! geht's ab nach Hause. Polly streckt sich vollständig flach, um ihnen folgen zu können. .. �cean Wave erschien heute wieder auf dem Hos. nach mehr- tagiger Abwesenheit Schon eine ganze Weile hatte ich mit einem kleinen Gedächtnisruck gesagt:„Ohl jetzt muß ich aber wirklich mal sehen, wo Ocean ist!" und so war ich entzückt, als ich um die Scheunenecke kam und sie freundlich lächelnd über den Zaun schauen sah. Ocean war mindestens ebenso glücklich, sie griente sicher zehn Minuten lang! Seit unserer Reittour diesen Herbst, wo sie unser Gepäckpony war, ist sie unsere ergebene Sklavin und kommt immer zur Begrüßung herangelaufen... Ich gab ihr Pfefferminz, sie schluckte gehorsam— und tauchte tief in den Wassertrogl Worauf sie sich ganz kläglich nach mit umsah.„Was in aller Welt— war denn das?� Einen entruftetnen Ausdruck sah ich kaum je. Meine Polly würde für ein PseffeNninzplätzchen sogar Treppen hinaus- klettern!
Neigung gefaßt hat. Seit unserer Tour bevorzugt sie die Gesell� schaft großer Pferde—, ihre eigene Sippe verachtet sie richtig. Donlinna macht sich jetzt sehr nett. Sie läßt sich gut führen— wo sie hin will! Und die anderen Male zwinge ich sie durch Schmeicheln. Wie Kiplings Babu, ist sie eine„sehr schreckhafte Person", ist bange vor dem schmalen Weg an der Scheune(wo sie damals in den Rhabarber sprang), vor neuen Toren und Gattern und besonders vor allem, was über ihrem Kopf droht. Doch von Tag zu Tag wird sie zärtlicher, in einer scheuen, wilden Weise, die rührend ist. Gestern knibbelte sie an meinem Ohr. Ich stand mäuschenstill... Es gehören freilicb Nerven dazu, sich von einem Tier anknabbern zu lassen, doch in dieser Beziehung ist Donlinna absolut-------------- unter Mit T........._....W> Spaß ist jetzt/ zu Kim hinzuspazieren, der draußen angepflöckt ist, höchst zärtlich seine Nase zu beschnüffeln, sich dann umzudrehen und ihm einen mächtigen Hufschlag vor die Brust zu versetzen. Er sieht schon ganz unglücklich drein, wenn sie auf ihn zukommt. Die kleine Errands, eine hübsche dreijährige Braune— halb so groß wie Kim, ist augenblicklich dessen Sklavin. Fortwährend ist sie um ihn iinb heute fand ich sie vollständig in sein Tau verwickest. Ein Hinterfuß war ganz umdreht und umwirrt vom Strick, knapp zwei Fuß von seiner Nase. Kim, mit leicht verärgertem Ausdruck,
graste friedlich. Errands ist ein scheues kleines Ding—, die einzigste in der ganzen Herde, die damit behaftet ist, höchstens hat's mal eins der Babys. So brauchte ich eine ganze Weile, bis ich sie los halle. Sie zappelte so, daß ich dachte, sie würde plötzlich ihr Bein zurücklassen, während sie Kims Kopf tiefer und tiefer zog. Ich be- wunderte seine Geduld... Er hat wirklich ein rührendes Tem- perament. Als ich Errands endlich befreit halle , umarmte ich ihn behutsam und flocht ihm seine silbernen Stirnhaare ein. Die liebe ich nämlich, auch seine flatternde, glänzende Mähne. Wenn ich im Dämmern den Weg zu ihm hinaufgehe— er bleibt über Nacht nie draußen—, so kann ich ihn oft kaum sehen. Aber an seinem Schopf finde ich ihn immer. Der leuchtet ordentlich aus dem Dunkel... Er steht dann stockstill am äußersten Ende seiner Fessel und guckt mich gespannt an. Aber dann geht er so schnell wie möglich mit mir ab, quirll in seine Box und rammt die Nase ins Futter! Das
Die rujpsihe Opposition.
�IßiOW.)� "rotzKi Wenn das Gejäh von Schlägen brennt, Ist keinem wohl zu ZNute; Doch doppelt schmerzt das Instrument, Das der Geschlagene erkennt Als selbstgevund'ne Rute!
wartet schon aus ihn, denn ein paarmal schlug er mir in seinem Enthusiasmus das Hafermaß aus der Hand, so daß die Körner durch den ganzen Stall flogen. Gestern fuhr ich mit ihm im Ponywagen zum Dorf. Auf unserem schmalen Weldweg trafen wir die üblichen fünfzehn Ponys, ganz artig allein wieder nach Hause trottelnd, und in seiner Be- geisterung warf er mich beinahe um. Er sprang, wieherte, setzte mit dem Wagen zurück in den Busch. Doch schließlich zwang ich ihn vorbei— war selbst aber arg lahm hinterher. Zuguterletzt trafen wir noch einen Mann, der uns entsetzlich lange aufhielt mit seinem Gerede und dabei den einen Fuß aufs Rad stellte. Kim fuhr schließ. lich höchst taktvoll über Herrn M.'s dicken Zeh. Ich. hatte einen Mordsspaß innerlich! Der Wagen ist leicht. Aber Stiefel auf meinen Wagenrädern kann ich nicht ausstehen. 9. November. Mir scheint, ich vernachlässige mein Tagebuch! Es war aber auch solch vielseitige Woche! Daher bleibt mir nur noch Zeit für ein paar Hauptpunkte... Donnerstag fuhr ich zwanzig Meilen mit Dolly im Wagen(natürlich um nach einem Pony zu sehen!...). Freitag brachte Polly mit mir Duchcß ins Winterquartier, zwei- undzwanzig Meilen weit fort, über einen Gebirgspfad. Was für Berge! Und Ducheß ließ sich fast den ganzen Weg ziehen. Ein herrlicher Ritt— wildromantisch. In den verstecktesten Eckchen leuchteten noch die Farben, überall Immergrün, Felsen und Bäche... Ducheß bekam einen netten, geräumigen Stand neben der Kuh. Als ich ihr Lebewohl sagte, hatte sie es schon fertig gebracht, ihre Nase in deren Futtertrog zu stecken, und kaute mit vollen Backen. Schlanker wird Ducheß sicher nicht diesen Winter, sie ist jetzt schon eine kleine Butterkugel. Die Leute bestanden darauf, daß ich mitaß und waren riesig freundlich. Langsam zogen wir nach Hause. Als wir gerade zur Abendbrotzeit durchs Dorf kamen, hörten wir, daß die„Maschine" am nächsten Tag zu uns käme, um den Hafer aus- zudreschen, und daß ich diesmal selbst für Hilfskräfte sorgen müsse. Sechs Mann wären dazu nötig. Bisher brachten sie immer ihre eigenen Leute mit. Mit schwarzen Ahnungen und etwas beleidigtem Gefühl(beides ge- mischt) jagte ich nach Hause. Wir waren beide müde. Ich aß einen Happen,'wechselte das Pferd und ritt über die dunkelnden Hügel. Ich ritt und ritt. Am nächsten Morgen stand ich beim ersten Morgengrauen aus und ritt wieder herum, ohne Frühstück, bis ich schließlich fünf ziemlich widerwillige Männer beisammen hatte. Dreschen hassen sie— kein Wunder, solch schmutzige, stickige, blind machende Angelegenheit. Der sechste war nicht zu haben. Kein Telephon, keine Pferdebeine konnten ihn auftreiben, aber die ge- treuen fünf tauchten auf und bewälligten irgendwie doch den Aus- drufch. Wie sie flogen! Der Bursche an den Säcken, in die fort» während der Körnerstrom hineinschoß, der Eigentümer der Maschine über ihm, der die Garben in ihr hungriges Maul stopfte und sie wie verrückt stundenlang' in einer dicken Staubwolke fütterte und fütterte. Ein anderer reichte Ihm die Garben zu, zwischen Maschine und Haufen hin und her springend, während die beiden übrigen Helfer, Nachbarn, die nur aus Freundlichkeit herüber gekommen waren, verzweifelt das ausgedroschene Stroh wegrafften, das unauf- hörlich auf sie niederströmte, um es im Kuhstall zu verstauen. Wir waren alle herzlich froh, als wir fertig waren(schrecklichen Lärm machen doch so Dreschmaschinen!), der Staub sich gelegt hatte und der schöne dicke Hafer auf dem. Schüttboden geborgen war. Man kommt sich dann so reich vor! Liegt der Boden gut voll, so meint man, nun brauche man kaum noch etwas, um gut durch den Winter zu kommen. Doch etwas kläglich besah ich mir meinen Kuhstall, der bis zur Decke hinauf mit gelbem Stroh vollgestopft war. So hatten wir's noch nie gemacht! Aber in den Bansen ist kein Zoll Raum mehr, die Heuernte war dies Jahr über Erwarten fjut... Na, wenn's nicht anders ist, muß Crejsy später in den Pferdestall. �Das gibt aber ein Durcheinander. Ich hasse es, eine Kuh in einen Stand zu stellen! Und etliche Wochen wird's sicher dauern, bis ich einen Mann bekomme, der das Stroh unterbringt, nachdem das Heu herausgeschleppt ist, um Platz zu machen! Bloß ein Glück, daß das
Dreschen geschafft ist. Ich würde deswegen sogar eine Kuh in meine Sommerküche stellen. Nachdem das große Ereignis vorüber und alle abends zu Bett waren, schlief ich in meinem Sessel ein, gerade lang genug, um halberstickt aufzuwachen mit der Entdeckung, daß die Lampe blakte und der ganze Raum verqualmt war, während dicke Rußflocken herniedersanken! So mußte ich mich am nächsten Morgen(natür- lich war's Sonntag), statt tüchtig auszuruhen, bequemen, den ganzen angeschwärzten Raum in Stücke zu zerlegen und alles wieder frisch und neu zusammenzusetzen... Dann, nach Stunden harter Arbeit, als ich mich gerade mit einem Seufzer der Erleichterung in meinem tadellosen Zimmer zum Essen niederließ, entdeckte ich draußen lang- sam fallende Schneeflocken. Was blieb mir übrig, als das ganze Essen wieder in den Ofen zu stopfen und zur Rettung des großen Haufens von gelbem Kaff hinauszurennen, der vor der Heuscheune lag und durchaus nicht naß werden sollte. Kaff ist ein kostbares Material. Dolly hereinzuholen und in den großen Wagen zu spannen, sie war irgendwo draußen, würde viel zu lange dauern. So ergriff ich die Schiebkarre und karrte Ladung für Ladung das ganze Zeugs unter Dach. Den Abend schlief wieder ein, fogar über dem Essen! und taumelte fast ins Bett....
Pspchoanalpfe unö Dichtung. Von Dr. Willy Blumenthal. Die psychoanalytische Methode, eine Entdeckung des Wiener Professors Sigmund Freud , diente zunächst nur zur Hei- lung gewisser seelischer und nervöser Erkrankungen. Sie bqsteht in einer Aufdeckung des Unbewußten, in der Wrederauffrischung ver- drängter, meist aus der Kindheit stammender Eindrücke, Wünsche und Begierden, die im Unterbewußtsein sich festsetzen und Seele und Geist des Patienten zu zerstören geeignet sind. Um die neue Lehre zu stützen, wurde bald das eigentliche Gebiet der Medizin erweitert und von Freud und seinen Schülern andere Kulturzweige heran- zezogen. Das Traumleben wurde durchforscht, geheimnisvolle Zu- ammenhänge im Seelenleben des Nervöjen mit Mythos und Mär- chen, ja, mit der Urgeschichte der Menschheit wurden aufgedeckt. Einen brellen Rauni nehmen in der neuen Wissenschaft auch di« Verknüpfungen zwischen Psychoanalyse und Dichtung ein, da man aus der tiefen Quelle der Literatur das reichhaltigste Material zui Auffindung und Deutung unbewußter seelischer Regungen schöpfen konnte. Da zeigte es sich, daß die Phantasie der Dichter schon immer in poetisch verklärter Darstellung die verdrängten Trieb« und seelischen Konflikte der Menschheit ans Licht zu ziehen verstand und daß in dieser geheimnisvollen Gabe der Poeten ein guter Teil des unvergänglichen Reizes der Dichtkunst auf alle Völker und Zeiten seine Erklärung findet. Dies soll an einigen Beispielen ge- zeigt werden. In der Psychoanalyse spielt der Begriff des„Oedipus- Kam- plexes" eine wichtige Rolle. Sophokles , der große griechisch« Tragiker, schildert bekanntlich in seinem„König Oedipus ", wi> der Königssohn vom Schicksal dazu verdammt ist, seinen Vater zu ermorden und seine eigene Mutter zu heiraten, ohne daß er selbst eine Ahnung von den furchtbaren Zusammenhängen hat. Di« Psychoanalyse hat nun festgestellt, daß hier ein seelischer Konflikt vom Dichter behandelt wird, der bis zum heutigen Tage in vielen jungen Menschen schlummert: eine unbewußte Hinneigung des Sohnes zur Mutter, die sich in Hahgefühlen gegen den Vater als den erfolgreichen Nebenbuhler äußert. Gerade weil hier ein so all- gemeines Schicksal vom Dichter in unverhüllter Form gezeichnet wird, erklärt sich, so sagen die Psychoanalytiker, die ungeheurg jahrtausendelange Wirkung dieses Dramas auf die Zuschauer, di« in dem furchtbaren Geschehen ein« Ahnung ihres eigenen Geschickes erhaschen, das noch heute ihre Seele beunruhigt. Die Werke Shake- speares, die ungebändigten Dichtungen eines Bürger, Lenz und G r a b b e mit ihren oft blutrünstigen, schauerlichen Themen sind nach der Meinung der Psychoanalytiker Abreagicrungen, d. h. Be- freiungsversuche von den eigenen verborgenen und verbotenen Nei- gungen und Wünschen, die den Gestalten ihrer Dichtungen über- tragen werden, so daß es gelingt, sich selbst durch diese Dichtung zu reinigen und zu erheben. Bekannt ist auch der Ausspruch Goethes, es gäbe kein Verbrechen, das er im Geiste nicht einmal begangen Hab« oder begehen könnte. Auch der Briefwechsel und die Tagebücher großer Dichter mit der anschaulichen, ungeschminkten Darstellung ihres reichen Seelenlebens bieten eine unerschöpfliche Fundgrube für psychoanalytische Entdeckungen, die bereits das Cha- rakterbild und die Biographie mancher Dichter umgestaltet haben. Besonders sind hier die Tagebücher H e b b el s und P l a t e n s zu nennen, deren Triebleben erst seit der Kenntnis der psychoanaly- tischen Zusammenhänge recht gedeutet werden kann. Naturgemäß bieten di« Dichter der Gegenwart in ihrer schonungslosen Aufdeckung des Unbewußten in ihren Werken der Pfychoanlyse ein reiches Mo- terial, wie auch andererseits die Dichter sich bei der Zeichnung ihrer Charaktere die Entdeckungen der Psychoanalyse zunutze machen und in seelische Bezirke hinabsteigen können, die früheren Dichtern noch verschlossen waren. Werke wie etwa Strindbergs„Traumspiel" Wedekinds„Erdgeist" oder Thomas Manns „Der Tod in Be- nedig" und„Zauberberg " und viele andere sind ohne die Kenntnis der Psychoanalyse nicht zu verstehen, sei es, daß die Dichter sich ihrer bedienen oder daß wir erst durch unsere psychoanalytische Schulung den Gehalt der Dichtung richtig zu würdigen wissen. Es ist auch kein Zufall, daß in der Dichtung der Gegenwart so oft das Problem des Trieblebens, das Verhältnis der Generationen zu- einander(Hascncleversi„Sohn", Bronnens„Vatermord") in mannigfaltigster Gestalt dargestellt werden. Auch die vielen Werke, die sich mit dem Seelenleben des jugendlichen Menschen be- fassen, sind zum Teil auf Rechnung des psychoanalytischen Interesses zu setzen. So vermag die neue Lehre, deren Ergebnisse noch oft angefochten werden, deren Wirkung aber noch nicht abzusehen ist, auf jeden Fall die Dichtung außerordentlich zu befruchten, der Literatur- geschicht« neue Wege zu zeigen und damit zweifellos zu einer Be. reicherung und Vertiefung unseres Wissens um dichterische Vor- gänge beizutragen._ Hungerkünsller im Tierreich. Während fast alle Tiere ebenso wie der Mensch ihr ganzes Leben hindurch Nahrung zu sich nehnien, ibt es auch Tiere, die nur einmal im Leben satt werden oder über- aupt niemals fressen. Diese bescheidensten aller Lebewesen finden sich hauptsächlich im Reich der Insekten, unter denen es Formen gibt, die im ausgebildeten Zustande, wie z. B. manche Schmeiter- linge, überhaupt nichts verzehren, ferner blutsaugende Arten, die nur dann ihren Hunger stillen können, wenn sie gerade die eine Tierart antreffen, deren Blut sie als Nahrung brauchen. Da kommt es denn natürlich oft genug vor, daß sie in ihrem kurzen Dasein diesem Tiere nur einmal begegnen und somit nur cinnial im Leben satt werden können. Rückgang der amerikanischen Bücherproduklion. Der amerika - nische Verlegerbund teilt mit, daß nach seiner Statistik die Produktion neuer Bücher in den Vereinigten Staaten im Rückgang begriffen sei. Die Zahl der Neuerscheinungen im Jahre 192S betrug 6680, während im Jahre 1905 7514 neue Bücher erschienen. Am stärksten ist die Roinanliteratur an dem Rückgang beteiligt. Biographien sind die einzige Gruppe, die eine Zunahme zu verzeichnen hat. Die Anzahl der Exemplars ist allerdings gestiegen, und zwar in den legten zehn Iahren schätzungsweise um 50 Proz., während in der gleichen Zeit
die Anzahl der neuen Bücher um etwa 20 Proz. zurückgegangen ist.