Abendausgabe Nr. 475 ❖ 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 235
B-zussbedingungen und Anz-Igenpriis« lind in der Morgenauszabe ongeaeben Nedattioa: Sw. SS, cindenstrnjje 3 Zernsprecher: Dönhoff 2S2— 2gr TeU-Adresse: Sozioldemokra« Serif»
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Zcntvalorgan der Sozialdemokrattfchen Partei Deutfchlands
Generaloberst von Geeckt entlasten. Der Reichspräsident genehmigt das Abschiedsgesuch.
Amtlich wird mitgeteilt: Der Herr Reichspräsident hat das Abschiedsgesuch des Generalobersten von S e e ck t unter wärmster Anerkennung der von dem General in Krieg und Frieden dem Dalerlonde und dem Heere geleisteten hervorragenden Dienste genehmigt. Der Herr Reichspräsident hat General - oberst von Seeckt heule erneut empfangen und ihm diese Anerkennung und seinen Dank persönlich zum Ausdruck gebracht. * Reichskanzler Dr. Marx halte heute vormittag 9 Vi Uhr eine Besprechung mit dem Reichspräsidenten , die sich bis nach 10 Uhr ausdehnte und die mit dem Rücklriltsgesuch des Generalobersien von Seeckt zusammenhängenden Angelegenheiten zum Gegenstand halte. Der Reichspräsident hat sich seine endgültige Entscheidung zu der Frage vorbehal ten: jedoch haben sich aus der Besprechung mit dem Reichskanzler dem Vernehmen nach keine neuen Momente ergeben. Räch einer Reihe von diplomatischen Empfängen empfing der Reichspräsident den Reichswehrminister Dr. Geßler. Räch dieser Besprechung hat der Herr Reichspräsident von hindenburg das Abschiedsgesuch des Generalobersten v. Seeckt genehmigt. Gegen öeutsthnationale Irreführung. Eine Erklärung der Zentrumsfraktion. Der Vorstand der Zentrumsfraktion des Deutschen Reichstags erläßt folgende Erklärung: Im Anschluß an die Sitzung des Auswärtigen Ausschusses vom 7. Oktober fand in Berlin , nachmittags 4 Uhr, eine schon vor über einer Woche anberaumte Sitzung des Vorstandes der Zen- trumsfraktion des Deutschen Reichstags— nicht des Reichs» Parteivorstandes— statt. Die Tagesordnung dieser Sitzung be- handelte die Verhandlungen von Genf und Thoiry und die Beschaffung eines neuen Fraktionszimmers. Andere Dinge find in der Fraktionsvorstandssitzung nicht besprochen worden. Insbesondere ist auch die Meldung einer Reihe Berliner rechts- gerichteter Blätter, daß diese Sitzung stch mit der Frage des Aus- scheidens des Generalobersten v. Seeckt befaßt habe, völlig frei
erfunden. Dieser Frage ist in der Sitzung mit keinem Worte Erwähnung getan worden. Damit fallen auch alle Behaup- tungen, die diese Blätter über die Stellung der Zentrumsfraktion zu dieser Frag« aufftellen, in sich zusammen. « In der Rechtspresse war behauptet worden, der Reichs- parteioorstand des Zentrums habe sich mit dem Fall Seeckt beschäftigt. Es seien starke katholische Sympathien für den katholischen Generalobersten von Seeckt geltend ge- macht worden. Oer Prinzenleutnant. Hat er den Eid auf die Republik geschworen? Die„Frankfurter Zeitung " verösfentlicht folgende Zuschrift: „Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die beiliegende Nr. 70 des„Ober st dorfer Heimat- und Fremden- b l a t t e s" vom 1. September d. I. folgende Notiz enthält: „M ilitärischer Besuch.. Am Samstag, Sonntag weilte die zweite Kompagnie des preußischen I n f.- R e g t. 9, die sich zurzeit auf Wanderpatrouillen befindet, in unserem Kurort. Mit Leichtigkeit hat die Reichswehrtruppe die geplante Nebelhorntour in der vorgesehenen Zeit ausgeführt. Am Montag abend traf die 1. Kompagnie gleichen Regiments, bei der Prinz Wilhelm, der älteste Sohn des deutschen Kronprinzen, a l s Leutnant dient, zu gleichen Zwecken hier ein. Prinz Wilhelm hatte im Hotel Hirsch Quartier genommen." Es wäre interessant festzustellen, ob der Hohenzollernprinz von vornherein als Leutnant eingestellt worden ist, oder wie lange er zur Erreichung dieses Dienstgrades gebraucht hat. Bei der schwarzweißroten Gegendemonstration gegen die Ver- sassungsfeier des Reichsbanners hat in Nürnberg Prinz Oskar von Preußen in einer Ansprache den Angehörigen des alten Heeres zugerufen:„Ich bringe Ihnen die Grütze der kleinen R e- k r u t e n unserer Familie, die hoffen, in einer wiedererstan- denen deutschen Armee Dienst zu tun."— Lag in dieser Formu- lierung des Prinzen Oskar ein gewisses Bedauern mit dem Neffen Wilhelm, der in einer Armee der Republik dienen muh, die in manchen alten Offizierskreissn eben doch als minderwertig gilt? Und noch eine neugierige Frage: hat der Kronprinzensohn bei seinem Dienstantritt den Eid auf die Verfassung der Republik ablegen müssen?"
Hausfriedensbruch im Ostausfchuß*. Eine grobe Verletzung von Abgeordnetenrechten. Unter der fetten Ueberschrift„Hausfriedensbruch im Ostaus- schütz" erhitzt sich Hilgenbergs Leibblatt nationalistisch. Es berichtet die unerhörte Geschichte, daß gestern nach der Plenarsitzung des Landtages der O st a u s s ch u tz unter Vorsitz des demokratischen Ab- geordneten Riedel zusammengetreten sei, um eine vertrauliche Mit- teilung der Regierung entgegenzunehmen. Auf Antrag des Volks- parteilers Dr. Kriege, der sein Völkerrecht besser als die Geschäfts- ordnung des Landtages zu kennen scheint, forderte der Ausschuß die dem Ausschuß nicht angehörenden Abgeordneten auf, sich zu ent- fernen. Der polnische Abgeordnete B a c z e w s k i jedoch blieb im Saale, worauf der Vorsitzende die Sitzung schloß. Der Vorfall beweist aber genau das Gegenteil von dem, was der„Lokal-Zlnzeiger" beweisen möchte. Es handelt sich nicht um einen Hausfriedensbruch des polnischen Abgeordneten, sondern um einen unberechtigten Uebergriff des Ausschusses. Wie im Reichs- tag hat nämlich auch im Landtag jeder Abgeordnete das Recht, als Zuhörer an allen Ausschußsitzungen teilzunehmen. Abg. Baczewski wahrte also nur sein gutes Recht als Volksvertreter, als er der Aufforderung des Ausschußvorsitzenden nicht folgte und durch sein Verhalten den Ausschuß zwang, die Sitzung aufzuheben. Aber neben dieser Parlament r e ch r li ch e n hat der Borfall auch eine politische Seite. Der betroffene Abgeordnete ist der einzige Vertreter einer Minderheit in Preußen. So muß der Eindruck entstehen, daß der Ostausschuß mit seinem Uebergriff die polnische Minderheit treffen und ihre wohlbegründeten Mindcrheitsrechte be- einträchtigen wollte. Dies ist um so bedenklicher, als Deutschland , aus internationlen und nationalen Gründen, um seiner eigenen Minderheiten im Auslande willen, das stärkste Interesse daran hat, daß die Rechte der Minderheiten in Deutschland peinlich gewahrt werden. * Die Sozialdemokratie gegen die Rechtsverletzung. Die sozialdemokratische Fraktion des Landtags steht auf dem Standpunkt, datz ein Ausschutzvorsitzender nicht das Recht hat. Abge- ordnete von der Teilnahme an irgendwelchen Verhandlungen aus- zuschließen. Sie wird deshalb auch an einer Sitzung im Mini- fterium des Innern, in der Ministerialrat Rathenau die gestern nicht abgegebenen Mitteilungen machen wollte und zu der der Ausschußvorsitzende die Mitglieder des Ausschusses persönlich eingeladen hat, nicht teilzunehmen. preußischer Nichtertag. Grosimanns Berufung abgesetzt? Kastel , 8. Oktober. (Eigener Drahtbericht.) Am Freitag vor- mittag stand Kassel wieder im Zeichen der preußischen Richter, nachdem am Donnerstag der Bund Preußischer Assessoren mit einer Entschließung für Republik und Weimarer Verfassung sein« Tagung
beendet hatte. Zunächst trat heute im Hotel„Nordischer Hof" der weitere Vor st and des Preußischen Nichtervereins zusammen. Aber hier ist im Gegensatz zu den jüngeren Juristen der Kreis schon enger. Hier herrschen die Amtsgerichtsräte und Land- gerichtsdirektoren. Typisch ist schon die erste Erscheinung, daß eine Mitteilung über dies« Sitzung an andere Pressevertreter abgelehnt wird, da wie vom Vorstand erklärt wurde, diese Berichte nur dem eigens b« st eilten Vertreter der Telunion ge- geben werden. Die Ausbeute dieser Vorstandssitzung wird, wie wir jetzt schon feststellen können, nur noch gering sind. Man hat nämlich, wie jetzt schon verlautet, den interessantesten Punkt der Tagesordnung, das B« r u f u ng s ve r fa h r« n des Se n a t s p r ä s i d e n te n Großmann abgesetzt. Tagung des Bundes Preußischer Gerichtsassesforen. Kassel . 8. Oktober. (Eigener Drahtbericht.) Der Bund preu- bischer Gerichtsassessoren trat gestern im Hotel Schirmer zu Kassel zu seiner Jahresversammlung zusammen. Diese Assessoien- tagung gilt als Einleitung des Preußischen Richter- t a g e s, der neben der Tagung der preußischen Staatsanwälte, die am Freitag in Kassel stattfindet, am Sonnabend und Sonntag eben- falls hier stattfindet. Die preußischen Gerichtsassessorcn beschäftigten sich auf ihrer Tagung vor allem mit der Vertrauenskrise in der deutschen Rechtsprechung. Zur Frage der Stellung der Richterschaft zur Republik nahmen sie nach ausgedehnter De- batte einstimmig folgende Entschließung an: 1. Die Mitgliederversammlung des Bundes Preußischer Ge- rjchtsassessoren bekennt sich offen und uneingeschränkt zur h e u t I- gen Staatsform und ihrer Verfassung, die das oberste Gesetz jedes Richters ist. 2. Der Bund verwirft das Hineintragen von Po- l i t i k, welcher Richtung sie auch sei, in die Rechtsprechung. Positive politische Mitarbeit außerhalb der richterlichen Tätigkeit ist durchaus zu begrüßen. In seinen weiteren Debatten wandt« sich der Bundestag der Assessoren wiederum gegen den zurzeit herrschenden Brauch, richter- liche Posten von Hilfsrichtern besetzen zu lassen. Bei diesen Debatten kam man allgemein zu der Auffassung, daß der heutige Brauch, fast ein Drittel der richterlichen Posten von abhängigen Hilfsrich- tern ausüben zu lassen, eine Gefährdung der Unabhängigkeit der Rechtspflege bedeute. Zu dieser Frage wurden ebenfalls in einer Entschließung an das Justizministerium volle Besetzung der Etats- stellen bei der preußischen Justizverwaltung gefordert.
Der Auswärilge Ausschuß des Reichstags trat heute um 12 Uhr mittags zusammen, um den Bericht des Ministers der besetzten Ge- biete Dr. Bell über die Zwischenfälle von Germers- heim entgegenzunehmen. Keine Abberufung de Rlargerles. In Paris werden die Mel- düngen dementiert, daß der Berliner Botschafter de Margeriä durch den Botschafter in Tokio Bendel ersetzt werden soll.
Doppewerdiener. Ein Beitrag zur Sozialpolitik des Reichöarbeits- Ministeriums. Der Reichsarbeitsminister hat vor einigen Tagen einen Brief an die Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände gerichtet. Die Schlußfolgerung gipfelt in der Forderung, daß— soweit nicht im Einzelfalle dadurch besondere Härten entstehen— bei notwendig werdenden Entlassungen in erster Linie die sogenannten Doppelverdiener ausscheiden, und daß für die Dauer der gegenwärtigen Depression des Arbeits- Marktes keine Doppelverdiener neu einge- stellt werden, solange unter den zahlreichen Erwerbslosen geeignete Kräfte zur Verfügung stehen. Ein erstaunlicher Appell an die soziale Einsicht der deut- schen Unternehmer. Vielleicht aber auch nicht erstaunlich. Denn das Schreiben des Reichsarbeitsministers enthält auch diesen Hinweis: „Wiederholt und von den verschiedensten Seiten ist in letzter Zeit der Wunsch an mich herangetragen worden, durch gesetzliche Maßnahmen diesem Zustand ein Ende zu bereiten. Vor diese Frage schon im Jahre 1923 gestellt, bin ich im Einvernehmen mit den beteiligten Verbänden zu der Auffassung gekommen, daß ge- setzliche Maßnahmen kaum tunlich seien. Doch habe ich in einem Schreiben vom 18. November 1923— X 7807/23— Sie und alle sonst in Frage kommenden Stellen dringend gebeten, der Frage der Doppelverdiener Ihre Aufmerksamkeit zu widmen, um mich dadurch der Notwendigkeit gesetzlicher Maßnahmen, deren Erfolg ich heute noch als zweifelhaft ansehe, zu entheben." So läuft die Aktion des Reichsarbeitsministeriums auf die berühmte 2lufforderung hinaus: Hannemann, geh du voran. Ein bequemer Ausweg, der für das Reichsarbeits- Ministerium den Vorzug hat, die Slufmerksamkeit von den entscheidenden Punkten abzulenken. Es ist richtig, daß diese Frage schon im Jahre 1923 eine Rolle spielte. Damals hatte der Deutsche Städtetag den Erlaß eines Notgesetzes zur Entlassung der sogenannten Doppelverdiener angeregt. Also eine Neuauslage der alten Demobilmachungoverordnung über die Freimachung von Arbeitsstellen. Dagegen hatten sich auch die Gewerkschaften auf Grund ihrer praktischen Erfahrungen mit dieser Ver- ordnung gewandt. F a l s ch ist es jedoch, wenn der Eindruck erweckt werden sollte, daß überhaupt auf alle gesetzlichen Schutz- maßnahmen zu verzichten ist. Die Forderungen der Gewerkschaften beweisen das Gegenteil. Sie gehen auf den Kern der Dings und verzichten darauf, durch ein inhalts- loses Schlagwort das eigentliche Problem zu verwirren. Alle Versuche, durch Beschäftigungs- und Ein- stellungsverbot den sogenannten Doppelverdienern die Er- werbsmöglichkeit zu nehmen, führen indic Irre. Man scheitert bereits bei dem Versuch, in einem Gesetz genau zu umschreiben, wer denn eigentlich Doppelver- d i e n e r i st. Wenn heute die Familienangehörigen in so großem Umfange erwerbstätig sind, dann zwingt sie die bitterste Not dazu. Nach der Denkschrift des Statistischen Reichsamtes von Anfang 1923, die dem Dawes-Komitee vor- gelegt wurde, waren in Deutschland insgesamt 5% Millionen neu in d i e Berufsarbeit gerückt. Wenn aus dieser Vermehnmg der Erwerbsfähigen ein Schluß zu ziehen wäre, dann doch nur der, daß eine Verkürzung der Arbeitszeit notwendig ist. Hier aber ver- sagt das Reichsarbeits mini st erium gesetz- gcberisch und tarifpolitisch vollständig. Die Folge davon ist die Verschärfung der Arbeitslosigkeit. Diesen Zusammenhang sieht das Reichsarbeitsministerium nicht oder will ihn nicht sehen: es klagt lieber wehleidig über die angeblich schlimmen Folgen des Doppelerwerbs. Und was versteht das Reichsarbeitsministerium unter„Doppelver- diener"? Es gibt folgende salomonische Erläuterung. „Als„Doppelverdiener" sind insbesondere Personen anzusehen, die sich im Genuß einer auskömmlichen Pension oder Rente be- finden und trotzdem einer bezahlten Beschäftigung nachgehen, sowie andere Personen, die an sich nicht auf Erwerb angewiesen sind." Was ist eine auskömmliche Pension oder Rente; wann ist man nicht auf Erwerb angewiesen? Das Reichsarbeits- Ministerium umgeht es geschickt, darauf einzugehen, obwohl doch eine genaue Auslassung darüber notwendig ist, wenn bei der praktischen Llnwendung etwas herauskommen soll. Und es wäre in dem Spezialfall der Belastung des Arbeits- Marktes durch pensionierte oder auf Wartegeld gesetzte Be- amte und Offiziere so einfach gewesen, wirklich etwas Konkretes zu sagen. Das Reichsarbeitsministerium hätte sich nur die Leitsätze des AfA-Bundes ansehen brauchen. Da- gegen ist es unmöglich, durch Gesetz oder sonstige Vorschriften zu bestimmen, wer nicht auf Erwerb angewiesen ist. Bei solchen Versuchen kommt der lächerliche Hinweis auf die Töchter der bessergestellten Eltern heraus, die arbeiten, um sich ein Taschengeld zu verdienen und dadurch einem Familienvater Brot und Lebenshosfnung nehmen. Worauf es ankommt, ist dieses: Dem Unter- n e h m e r muß die Freiheit genommen werden, nach seinem Ermessen die Auswahl der zur Entlassung kommenden Arbeitnehmer zu treffen. Dieser sozial zu- treffende Grundgedanke befindet sich bereits im Be- triebsräteaesetz. Es fehlen nur die ausreichenden Sicherungen, die Ausdehnung auf alle Betriebe und die Mitwirkung der Gewerkschaften. Also: gesetzlicher Ausbau des Entlassungsschutzes.