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Hc. 476 4. 45. Jahrgang

2. Seilage öes vorwärts

Sonnabenü, 9. Oktober 2S

Die neue Jirma Stinnes. 25 Millionen Dollaranleihe. Holdinggesellschaften in New Dort.

Es sind knappe eineinviertel Jahre her, daß unter den schwersten Folgen für die deutsche Gesamtwirtschaft und als Sensation für die ganze Welt die Riesenschöpfung des alten chugo Stinnes zu- sammenkrachte. Unter den scharfen Griffen der ebenso b e- stürzten wie bedrohten deutschen Großbanken wurden in wenigen Monaten die wertvollsten Teile der Stinnesschen Aktiven in vollem Sinn des Wortes verschleudert. Die Gläubiger machten sich, getrieben von ihrer durch die Wucht der ausbrechen- den Wirtschaftskrise verschärften Panikstimmung, als Liquida- toren des Stinnes-Konzern « bezahlt wie sie tonnten. Der junge Hugo Stinnes , zusammen mit seiner Familie, beugte sich offiziell dem Bankendiktat. Edmund , der ältere Bruder, ließ es durch seine Rebellion gegen Banken und Familie zu einem Kampf kommen, zu dem Duell mit dem Herrscher der Darmstädter Bank Jakob Gold- schmidt mit dem berühmten A t t i« n g e s ch e n t an dieAga"beleg- schast und zu den Prozessen mit seiner Familie, von der er schließlich in einer mehrmonatigen Amerikareis« Erholung suchte. Inzwischen schaffte dieBörsenhaussedenBankenLust, und mit dem Frühjahr versandete die Stinnes-Sensation in der immer wieder angekündigten Gründung der Stinnesschen Ruhrtohle A.-T., in der die Zechen- und Kohlenhandelsinteressen des Hauses Stinnes als Rudiment des ernst so mächtigen Stinnes-Konzerns mit einem Ka­pital von 25 Millionen zum Unterhalt der Familie Stinnes konsoli- diert werden sollten. Der Widerstand gegen die weitere Liquidation. So konnte man annehmen, daß eines Tages der einst mehrere Milliarden starke Stinnes -Konzern als Zechen- und Kohlenhandels- firma sich bescheiden in das deutsche Wirtschaftsleben wieder offiziell einschalten werde und daß die im Frühjahr noch mit etwa 74 Mil- lionen hängenden Stillhalte- und Garantiekonsortien sich aus dem übrigen Vermögen des Konzerns allmählich bezahlt machen würd«n. Daraus deuteten der Verkauf der K o h o l y t a k ti e n an die eng- lische Jnveresk Payer Co., der 10 Millionen brachte, ebenso der Verkauf der Stinnes-Linien an Austral-Kosmos hin, der netto sechs Millionen brachte. Aber schon im März verlautete, daß die Familie Stinnes der weiteren Liquidation der Konzernmasse zugunsten der Banken und auch der Gründung der Kohlengesellschaft Wider- stand entgegensetze und unter Führung von dem jungen Hugo Stinnes selbständig an der Reorganisation der Firma und ihrer selbständigen Weiterführung arbeite. Seitdem verlautete außer Mel- düngen über England- und Amerikabesuche des jungen Stinnes von dem weiteren Schicksal der Stinnes-Erbmasse fast nichts, bis endlich Ende September die Meldung kam, daß das Haus Stinnes vor dem Abschluß einer 2S-Millionen-Dollaranleihe mit New Porter Banken stehe. Die kaum ernst genommene Ankündigung ist Wahrheit ge- worden. Die Familie Stinnes hat die deutsche Oeffentlichteit vor den überraschenden Erfolg gestellt, daß erste amerikanische Banken ihr die große Summe von 100 Millionen Mark zur Ver- fügung stellen, um durch Abtragung d«r Vankenschuld der Firma Stinnes die Unabhängigkeit von den Gläubigern zu erkaufen und die Firma Stinnes wieder auf eigene Füße zu stellen. Der Umfang der neuen Firma. Noch sind nähere Einzelheiten über den Umfang und die zu- künftige Gestalt der Firma nicht bekannt. Aber d«r Umfang läßt sich einigermaßen abschätzen. Seit den letzten großen Verkäufen durch das Stillhaltekonsortium(Riebeckmontanpaket und Gasolin A.-G. an Chemietrust, Koholytakien nach England und Stinnes -Linien an Austral-Kosmos) sind folgende Transaktionen und Vorgänge zu verzeichnen, die allerdings mehr Reorganisationsakte als Substanz- Verkäufe sind: Verkauf der H. Stinnes A.-G. für S ü d o st h a n d e l und Jndustrie-Wien (Kohlen-, Oel-, Roheisen- und landwirtschaflliche Maschineninteresten), Verkauf der Beteiligung an der H o ch t i e f A.-G. Essen(Käufer auch Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk), Abweisung der Ansprüche von Edmund Stinnes hinsichtlich der Aga durch Gerichtsurteil(Agaforderung über eine halbe Million und Dividendengarantie für die Aga), Abwicklung der Hugo Stinnes A.-G. für Seeschiffahrt, Hamburg , durch die Firma Arn. Otto Mayer, Hamburg , Rückverlegung der Stinnes A.-G. für O st h a n d e l und Industrie nach Mülheim a. d. Ruhr, Liquidation der Stinnes Eisen A.-G. Die beiden letzten Gesellschaften werden liquidiert. Aus der Stinnes Eisen A.-G. bleiben aber folgende wertvolle Werke und Firmen dem Hause Stinnes erhalten: das gut rentierend« Eisen- werke Reisholz , die Eisenhandels A.-G. Weil-Reinhardt- Mannheim, die E i s e n l a g e r G. m. b. H. Essen und die Rhein - Lenne G. m. b. H. Anrath. Diese stellen die Eiseninteressen des Hauses Stinnes dar. Dazu kommen die Glaswerke Ruhr A.-G., die unseres Wissens noch immer nicht vertauft ist, der Erlös au» der Liquidation der Hamburger A.- G. für Seeschiff- fahrt und die Hotelinteressen in Berlin und Hamburg . Diese Werte stellen den einen Teil des Vermögens der Firma Stinnes dar, der nach dem veröffentlichten Kommunique in der einen der beiden zu grundenden Holdinggesellschaften zusammengefaßt werden soll. Dieser Teil soll allmählich abgestoßen werden.

Der Hauptteil des Vermögens wird in eine zweite Holdinggesellschaft eingebracht: er umfaßt den Kuxenbesitz der Stinnes -Zechen, die Beteiligungen am Mülheimer Bergwerks- verein und das Stinnessche Kohlenhandelsgeschäst mit den Erz- und Kohlendampfern und d«r Flußschisfahrtsflotte mit Hilfsfahrzeugen. Ueber die finanziellen Grundlagen der Firma ist nur«ine Schätzung vom März dieses Jahres bekannt: Damals standen der Restforderung des Stillhaltekonsortiums von 14 Millionen und der Forderung des Garantiekonsortiums von 60 Millionen Außenstände und sonst unbelastete Aktiven gegenüber von 99 bis 100 Millionen Mark. Inzwischen scheinen aus- gelaufene Zinsen die Bankforderungen auf 85 Millionen erhöht zu haben. Der Wert der Aktiven scheint von den a m e r i k a n, s ch e n Anleihebanken bedeutend höher eingeschätzt zu werden, worauf die Höhe der Anleihe ohne weiteres schließen läßt. Die Firma amerikanisch. Nur die Derwalkung in Mülheim . Ueber die zukünftig« Gestaltung der Firma Stinnes steht eines fest: obwohl die Betriebe in Deutschland liegen, wird die F i r m a Stinnes amerikanisch sein. Wie man aus dem Kommu- niqu« entnehmen kann, werden die beiden Holdinggesellschaften, für die auch die Anleihe aufgenommen wird, in New Pork gegrün- d e t: sie werden auch ihren S i tz in New Pork haben. Das mag deshalb geschehen sein, weil das Anleihekonsortium es für unratsam hielt, dem amerikanischen Publikum eineStinnes".Anl«ihe zuzu- muten. Nur die Verwaltung selbst wird in Mülheim sein, wie auch der überwiegende Mehrheitsbesitz der neuen Gesellschaften sich bei der Familie Stinne» befinden wird. Für die Familie Stinnes ist das neue Arrangement zweifellos e i n E r f o l g. Ein Erfolg, der mehr als die materielle Bedeutung hat, daß die deutschen Großbanken ihre 85 Millionen glatt auf den Tisch gelegt bekommen und der neuen Firma noch ein beträchtlicher Teil der Anleihe als Betriebs- kapital verbleibt. Das Haus Stinnes verläßt die Herrschaft der Vankenliquidation gewiß mit gewaltigen Verlusten. Aber es ist für die deutschen Großbanken alles weniger als ein Lob, daß amen- kanische Finanziers die ihrer besten Stücke beraubte Erbmasse für einen lOO-Millionen-Kredit gut hielt, und daß das Haus Stinnes sür sein« Wiederaufrichtung auf die Hilfe der deutschen Bänkwelt ver- z i ch t e n tonnt«. Für alle, die mit dem Namen des Hauses Stinnes die Erinne- rung an den ungeheuren Aufstieg und die gewaltige Macht des alten Hugo Stinnes oerbinden, entbehrt die neueste Entwicklung nicht eines eigenartigen Beigeschmacks. Heute gehen die letzten Der- mögensreste diese» aus der Not des Volkes erramschten Vermögen» nach Amerika . Dort werden st«.saniert", wieder rentabel gemacht. Noch vor drei Jahren sind die Erbauer de» Hauses, das jetzt zum Schutthaufen herabsank und seine Steine neuen Baumeistern über- lassen mutzte, mit dem Anspruch aufgetreten, das kostbarste National- gut, die R e i ch« e i s e n b a h n e n, in die Hände der unfehlbaren Privatwirtschaft" zu überführen, deren Repräsentanten sie selbst waren. Ein gelindes Grauen überläuft jeden, der sich darüber Gedanken macht, w o heute vielleicht die Reichsbahn wäre, wenn sie in den Besitz der Jndustrieherzöge von damals und Bankerotteure von heute gelangt wäre!

öauernsthulung unö flgrarproüuktion. Wie der Landwirtschaft wirklich geholfen werden kann. In der letzten Sitzung des Unterausschusses für Landwirtschaft des Enqueteausschusses hielt am Freitag Genosse Dr. Laad« ein Referat über die Ausbildung des Landwirt». Während man vor dem Kriege diese Frag« nur wenig beachtete, steht sie heute im Mittelpunkt des Interesses, denn in keinem Wirtjchastszweig ist es so wenig gelungen, die Errungenschaften der Wissenschaft und Technik in die große Praxis umzusetzen wie in der Land- Wirtschaft, und vor allem sind es die kleinen Landwirte und Dauern, die infolge der großen Vernachlässigung ihrer Ausbildung durch den Staat vielfach noch heute rückständig und unrationell wirtschaften. Nur einige Zahlen hierzu: 1907 waren in der deutschen Landwirtschast nur 290 000- und Drillmaschinen in Gebrauch, hiervon 270 000 in den etwa 2 Millionen Betrieben von 2100 Hektar. Es entfiel also nur auf jeden achten bäuerlichen Betrieb eine Sämaschine! 1913 betrug der Verbrauch von Stickstoffdüngern, die be- kanntlich am stärksten zur Ertragssteigerung beitragen, 200 000 Tonnen Reinstickstoff, das find 6,5 Kilogramm pro Hektar, während rationell bewirtschaftete Betriebe etwa 50 bis 40 Kilogramm auf- wenden.

Nach diesen Zahlen ergibt sich also, daß in dem letzten Vor- kriegsjahr mindestens L0 Pro;, des Kulturlandes gar nicht oder in ganz ungenügendem Maße mit Stickstoff gedüngt wurde. Natürlich ist es sehr schwierig, die große Masse der schwer arbeitenden Bauern zu geistiger Tätigkeit zu bringen, aber ohne Frage würde diese Mühe reich belohnt durch höhere Erträge und höheres Einkommen bei vermindertem Kraftaufwand. Jedoch nicht nur privatwirtschaftlich, auch volkswirtschaftlich ist die Hebung des Bauernstandes von größter Bedeutung. In wenigen Zahren kann durch Verbesserung der bäuerlichen Produk- kionsmethoden die Kaufkraft der Landwirtschaft kolossal gesteigert werden, wodurch der Industrie ein Absatzgebiet erschlossen würde, das in die Milliarden geht. Die Erzeugung der deutschen Land- Wirtschaft könnte leicht durch bessere Schulung der Bauern so ge- hoben werden, daß mindestens der Inlandsbedarf gedeckt würde. Was tut nun der Staat und das Reich für diese hochwichtige Frag«? Wohl ist in den letzten Jahren manches geschehen, um das landwirtschaftliche Schulwesen zu verbessern und auszudehnen: aber wie stiefmütterlich es immer noch behandelt wird, zeigen folgende Zahlen aus dem Etat des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft für 1926: Von den 3 5 Millionen, die d«m Ministerium zur Ver- fügung stehen, gehen 26H Millionen als Unterstützung an die Winzer, 2 Millionen sind für die Fischerei vorgesehen, so daß für allgemeine landwirtschaftliche Zwecke nur 6)4 Millionen übrig bleiben. Von diesen werden 4 Millionen für Unterrichts- und Delehrungszwscke verwendet, davon 3 Millionen für die Förderung der bäuerlichen Ausbildung. Im Preußischen Finanzmini st erium, das bisher 75 Proz. der Gehälter der Landwirtschaftslehrer zahlte, wird äugen- blicklich darüber beraten, ob nicht ein Drittel dieser Summe g e- st r i ch e n werden kann, wodurch nur einige hundertausend Mark gespart würden, was aber bei der heutigen Lage der Landwirtschafts- kammern, die den Rest zu zahlen haben, zu einer Katastrophe des landwirtschaftlichen Bildunzswesens führen würde. Es wird eine der vornehmsten Aufgaben der Enquete sein, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen und die dem landwirtschaftlichen Bildung?- wesen gebührende Beachtung und Pflege zu fordern. Nach Dr. Baabe ergriff Prof. Dr. Beckmann das Wort und zeigte die vielen technischen Fragen und Schwierigkeiten der Aus- bildung. Prof. Dr. Lang wies darauf hin, daß vor dem Kriege auch die Ausbildung der größeren Landwirte sehr im argen lag, da sie aus Standesgründsn nur auf militärische Karriere Wert legten. Der Redner begrüßte den Umschwung, der hier in der Nachkriegszeit eingetreten ist und sprach die Hoffnung aus, daß auch die Landwirtschaft davon Nutzen hättet

Dke krankenzissern See Ruhrbergarbeiter. In letzter Zeit konnte man wiederholt Bemerkungen aus dem Unternehmerlager hör«n. daß die Zahl der krankfeiernden Ruhrbergarbeit«r infolg« des hohen Krankengeldes, das nach dem Reichsknappfchaftsgesetz an sie zu zahlen sei, ein« u n n a t ü r- liche Höhe erreicht habe. Die Ruhrbergarbeiter wurden also ganz offen der Simulation beschuldigt. Nun stellt sich heraus, daß die Behauptungen jeder Grundlage entbehren. Die bekannt« Berg- und Hüttenmännisch« Unternehmerzeitschrist Glückauf" erbringt dafür den statistischen Nachweis. Nach einer Berechnung dieser Zeitschrift«ntfielen auf einen im Ruhrbergbau bc- schäftigten Arbeiter, ausgehend von 25 Arbeitstagen im Monat: Ver- Feier. davon Feier- tahrcne) dichlen schichten in- Schicdlen insges. folge Kranlh. 1925 Durchschnitt... 22.46 8.89 1.70 1926 Januar.... 22,54 8.47 1.56 Februar.... 21,86 3.89 1.63 März..... 20,93 4,61 1,69 April..... 21,03 8,83 1,51 Mai...... 23,12 2.05 1,47 Juni..... 28,74 2,64 1,48 Juli...... 28,75 2,80 1,69 Mit dieser Aufstellung wird der Nachweis geführt, daß die Feierschichten infolge Krankheit in den genannten sieben Monaten van 1926 nicht einmal die Durchschnittszahl von 1925 erreicht haben. Nach einer anderen Statistik, die in derselben Nummer desGlückauf" enthalten ist, entfielen auf 100 Mitglieder der Ruhrknoppschaft verrechnete Krankenscheine: 1913 1925 1926 Mai....... 6,2 5,4 4,6 Juni....... 5,3 3.7 5,7 Juli....... 5,9 4,8 5,4 Auch damit ist der Nachweis erbracht, daß die Behauptung von den simulierenden Ruhrbergarbeitern, von den Bergarbeitern, die nur krank feiern, um Krankengeld zu beziehen ohne in Wirklichkeit krank

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