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Sonntag 10. Oktober 1926
Unterhaltung und AVissen
Vellage des vorwärts
Capitain Noel. von Hermann Schühlager.
Zwischen de» beiden Fronten, etwa fünfzig Meter rechts ober. halb der Straße, di« von den deutschen   Gräben aus denCol du Sas* überquert und schnurstracks in den Drahtverhau der Franzosen hinüberführt, liegt die Ferme»La Goutte  ", ein großes, weißes Ge. bäude mit einem kleinen Türmchen am Giebel und oergitterten, kleinen Fenstern in den starten Mauern. Die Ferme sieht eher wie ein von der Außenwelt verrammeltes Kloster aus oder wie der Gendarmerieposten an einem von Schmugglern und anderem Ge- sindel unsicher gemachten Paß. Beiderseits der Ferme dehnt sich der Bergstraße   entlang ein mit Schindeldächern gedecktes, ärmliches Bergdorf, das auf der deutschen   Poßseite die Bezeichnung Launois und auf dem den Franzosen zugekehrten Hang den stolzen Namen Battant de Lourras trägt. Diese Ferme La Goutte   ist nahezu zwei Jahre lang der Schrecken meines Regiments gewesen. Sie lag so vertrackt zwischen den Fronten, so raffiniert zwischen unseren beiderseitigen Flankierungs- anlogen hineingepflanzt, so verteuseU durch Buschwerk und Gärten gedeckt, daß weder wir, noch der«Franzmann" damit etwas an. fangen konnte. So prallten in jeder Nacht im Schatten der Ferme die Patrouillen aufeinander und gaben sich vom Keller zum Dach. giebel ihr übliche», meist sehr verlustreiches Gefecht. Jede Nacht wurde ein Toter oder ein Schwerverletzter in der Zeltbahn au» der Ferme La Goutt« in unser« Gräben zurückgezogen. Kein Wunder, daß über das Cespensterhaus am«Col du Las" bald die wildesten Gerüchte in Umlauf waren» die vor allem durch eine Gefangenen. aussage Nahrung fanden. Ein schwer verwundeter französischer Piomer-Unteroffizier hatte nämlich berichtet, daß der französische  Abschnittskommandeur, ein tollkühner, ganz wilder, von unten her» ausgedienter Kapitän und vorzüglicher Pistolenschütze, sich nahezu jede Nacht selbst in der Ferme aus die Lauer legt, um die.Boches" höchsteigenhändig abzuknallen. Seit diesem Tage hatte unseren Regimentskommandeur der Ehrgeiz gepackt, den berüchttgten Kapitän zur Strecke zu bringen. So jagte er eine Offizierspatrouille nach der anderen Nacht für Nacht in die Ferme La Goutte hinein. Fünf- undzwanzig Tote hatte es gekostet, bis man dahinter kam, daß der Kapitän mit seiner Pistole gefühlsmäßig«um die Ecke" schoß, das heißt sein Opfer aushorchte, die Pistolemnündung durch die Tür oder durchs Fenster schob und dann losdrückte, ohne das Zimmer betreten zu haben. In der darauffolgenden Nacht, als man seinen Trick heraus hatte, lag der Kapitän selbst, durch den Bauch geschossen. in derguten Stube" der Ferme La Goutte   und starb aus dem Transport zum Befehlsstab des Regimentskommandeurs. Es war gerade Weihnachten, und der Stabsarzt schlug eine schreckliche Lache auf, als er den Papieren entnahm, daß der fchießwütige Kapitän den verhängnisvollen NamenNoel"(Weihnacht) besessen hat. Die Mannschaft aber stand mit neugierigen und doch so angstvollen Augen um die dürftige Pritsche im Schulhaus von Launois umher, auf der nichts wie der riesige schwarze Bart des Kapitäns, der aus der Zeltbahn herausragte, zu sehen war. * Die Ferme La Goutte steht heute noch auf ihrem alten Platz: ich habe mir sie vor wenigen Wochen wieder einmal angesehen. Auch die beiden Dörfer Launoi» und Battant de Bourras Hai man wieder aufgeboitt: die Häuser sind zum Teil schöner und geräumter wie zuvor und ein respektables Paßwirtehaus mit Speisesaal und Garagen verdankt dem Schlachtfeld des«Ban de Sapt" seine Existenz. Der Autobus kommt täglich zweimal von St. Die und von Saales herüber: Diehmarlt wird auf der breiten Chaussee, die vier Jahre lang mit Schützengröten und Drahtböcken versperrt war, abgehalten und Reklar, eplakate'chreien von den frisch gekalkten Häuserwänden. Der Wmg hat Ii' Sorgen der Vergangenheit weggespül. und man sitzt zum Abendlact in der«salle ä manger" beisammen, wie wenn der Eol du Las. der Elimont und der Ormont   nieinals einen Kanonenschuß gehört hätten! Man liest seine Zeitung und trinkt seinen Wein und sckout zufrieden in die heraufdämmernde Nacht hinaus. Plötzlich stammt in der Ferme La Goutte ein Lichtscheu auf. Der treib: mich hinaus. Wohl aus Gründen der Trodit-on hat die neue Forme ouf den allen Grundmauern so ziemlich d-c« selben Umrisse bekommen: die Fenster sind etwas größer, doch ebenso wie früher oergittert, und der Dachreiter leuchtet wie früher ge- spenstig im Mondlicht über den Paß hinweg. In der«guten Stube" sitzt ein alter Mann mit einem langen, schmalen Bart im Großvater- stuhl und neben ihm, unter der Tischlampe, ein Mädel, ein vielleicht ilöjähriges Kind. Mein Gott: selbst die Inneneinrichtung ist noch dieselbe: Das offene Jnnenfenfter zur Küche, neben der Tür der mächtige Schrank mit den beiden schwarzen Kreuzen in den Türen und im Schlafzimmer dieselbe dunkelrote Chaiselongue mit den gelben Tupfen, auf der unsere Leute, mit dem Pistolenschuß des Kapitän» im Kopf und im Bauch, gestorben sind! Irgendetwas reißt mich herum und treibt mich ins Hotel zurück. Ich ziehe mir di« Kleider ab und strecke mich in dem breiten Bett aus, den Kopf unverwandt zum Fenster gereckt. Dort leuchtet immer noch die gute Stube de» Kapitäns Noel mitten in der Sommernacht. Mit seinem mächtigen Schatten bewegt sich der Alte und sein Kind gespenstig im Zimmer umher und treibt mir den Schweiß in die Stirn. Es ist mir, wie wenn mich eine unsichtbare Hand am Genick hätte und mich mit ihrem Schraubstock zum Begaffen der Ferme La Goutte zwingt, ob ich will oder nicht. Bleischwer liegt die Müdig- keit über mir und zwingt mich in den Schlaf, da» heißt aus dem wachen Betrachten der gespenstigen Ferme wird ein traumhaftes Schauen, da» die innere Starre löst und den müden Körper mit einem Ruck in die«gute Stube" stößt. Die beiden schen es als selbstverständlich an, daß ich bei ihnen am Tisch sitze, und wortlos schenkt mir das Mädel das Glas voll roten Wein., Tun Sie, wie wenn Sie bei uns zu Haufe wären!" sagt der Alte grinsend und schiebt mir den Teller mit. Brot und den Butter- napf zu. «Merkwürdig, wie Sie doch Ihre alten Sachen wiederbekommen haben," konstatiere ich, schon etwas weniger beklommen als zuvor. «Der wunderbare Schrank mit der eingelegten Tür, den habe ich doch schon vor einigen Jahren In tausend Fetzen gehen sehen!" Den haben wir im.Louvre" in Nancy   genau nach dem alten Modell bekommen," zwitschert di« Kleine. «Da- ist möglich," sage ich.«aber wie kommt es. daß Sie im Schlafzimmer genau dieselbe Chaiselongue mit den gelben Tupfen wieder haben! Da haben doch Monate lang unsere Schwerverwunde. ten gelegen und dos schöne Tuch versaut!" Stimmt!" sagt der Alte. Woher wollen denn Sie da» wissen?" frage ich erstaunt. Ich? Ich hab' sie doch alle um di» Ecke gebracht!"
französische Ränke»»« So isi's gewesen!
Eines Tages brüteten die Franzosen eine« schwarzen Plan au»
Sie gruben dem guten Seeckt eine Grube.
Und daun. man deute, bemächtigten sie sich Seiner Sgl. Hoheit des Prinzen Wilhelm von Preußen   und stellten ihn als Lockspeise auf.
Und dann kam der ahnungslose Seeckt und sah bloß die schäne Uniform und wollte dem Prinzen um den hals fallen.
Und dann trat das Unglück ein und man hat wieder ein- mal einen Beweis von der Niedertracht des Erbfeindes.
Sie? Ja, sind Sie denn der Eapitaine Noel?" «Natürlich bin ich der! Kennen Sie mich nicht? Ich hab' Sie dreimal vor der Mündung gehabt! Sie haben mich aber gedauert, weil Sie so ein junges Bürschel sind!" Mir steigt es eiskalt den Buckel herauf. «Aber Ich hab' Sie doch maustot am Schulhaus von Launois auf der Pritsche liegen sehen!" Kann sein! Was geht das uns jetzt an? Alter Freund, trinken wir eins!" Ich schau ihm heimlich auf die Pfote, wie er den Wein ein- schenkt. Herrgott nochmal: dieses schmale, haarige Handgelenk gibt es doch nur einmal! Das kennst du doch! Zum Teufel nochmal: damit hat der Hauptmann Noel im Mcndlicht mit seiner Pistole um die Ecke gelangt! Und jedesmal lag ein blutender Mensch auf dem Bauch! Meine Hände legen sich wie Stahlklammern um den Sessel, und eine brennende Röte fliegt mir in den Kopf. Ich will ausspringen: kann aber nicht; irgendetwas hält mich fest und drückt mich in den Stuhl hinein. Der Alte und das Mädel sind wie ausgelöscht: ich sehe nur den Kapitän Noel, wie er durchs Küchenfenster mit seiner haarigen Faust auf den Leutnant vom Amberger Jnsanterie-Regi» mcnt schießt, den der Oberst insGespensterhaus" kommandiert hat, um ihm wieder Muteinzupumpen". Der war auf die Jammer- briefe der kleinen Frau Leutnant hin allmählich in die Binsen ge- gangen. Aber was ist denn das? Da schiebt sich ja wirklich wieder die haarige Faust mit dem Schießeisen in der Hand durchs Küchenfenster herein, krümmt den Abzugbügel und---. Ich schreie wie ein wildes Tier:«Achtung, der Kapitän!" Die Hand greift hastig nach dem Lichtschalter und macht hell; es ist der Gastwirt.Aber mein Herr, Sie wecken mir ja mll Ihrem Geschrei Änd Gestöhn das ganze Haus!" Seien Sie mir nicht böse! Der Krieg!" Er versteht und geht.
Die Schule der Stierkämpfer. Sonderbericht für denVorwärts" von Richard Huelsenbeck  . Barcelona  . Wir bummelten über die sonnendurchglühte Hauptstraße Bar- celonas. Das Hupen der Autos, das Schreien der Zeitungsverkäufer und der wirre Lärm, der aus den Menschentnäueln ausstieg, be- täubte so sehr, als hätte man irgendwie und irgendwo einen schweren Schlag vor den Kopf bekommen. Die Fata Morgana eines kühlen, steinfliesenbelegten, wasserdurchrieselten, mit sanften Huris ver- sehenen Raumes stieg ouf. Mein Freund Raphael Apparicio y Sota ist als schöner Mann bekannt, er trägt eine Oxsordhose, die, aus einen größeren Lampen- schirm gespannt, eine fabelhafte Krinoline abgeben könnte, der Knauf seines Stöckchens ist eine Elfenbeinarbeit aus der Zeit der Königin Jfabella, sein seidenes Hemd glänzt in bunten maurischen Mustern er ist fabelhaft, selbst die sprödeste Spanierin wagt wenigstens einen kleinen Seitenblick,
Aber alle Freuden dieses Lebens(Raphael ist sehr wohlhabend) können ihm nicht den Jammer oertreiben, an dem er trankt wie an einer Geisteskrankhell die schreckliche Langeweile. Raphael war einige Zeit in Paris  , sein Vater war glücklich, sich seiner einige Monate entledigen zu können, nun geht das alte Lied wieder an, wenn er auch jetzt seine schrecklichen Flüche über die Schalheit, Ausgeleertheit und Plattheit dieser allzu irdischen Welt mll zierlichen französischen   Redensarten zu durchsetzen versteht. Neuerdings findet er allesstupide". Die entzückendsten Frauen sind stupide, die Cafäs und Theater sind das Stupideste, was man sich denken kann, ja und das grenzt hier wirklich an einen Zu- stand geistiger Verwirrung... die Stierkämpfe sind stupide. Heute hat er einen Einsall, den er mir sogleich in freudigster Erregung mitteilt. Kennst du die Schule der Stierkämpfer, Amigo mio?" Ich schüttele den Kopf. Er zerrt mich ohne weiter etwas zu sagen hinter sich her, wir biegen von den großen Straßen ab in ein Gewirr von Gassen, wir gehen über zerklüftete Bürgersteige an bröckelnden Hauswänden vorbei und sind schließlich in einem kleinen Easä. Ich sehe mich erstaunt um. mache eine fragende Bewegung. Raphael lächelt:Hier treffen sich die jungen Leute, deren höchster Ehrgeiz es ist, einmal ein Gallo zu sein. Sind amüsante Burschen, ich werde dir einige vorstellen." Es erscheint aber niemand, wir sitzen an einem leeren, mit Weinslecken verschmierten Marmortischchcn. An den Wänden sind Photographien, die die Phasen des Stier- kampfes und dieProminenten" darstellen. Hinter dem Büfett sitzt eine dicke Madame in einer roten Bluse und lutscht aus einem Strohhalm ein Eisgetränk. Es ist totenstill, man hört die Fliegen summen. Ich sehe Raphael an, er sagt:Sie werden gleich kommen, es ist die Stunde des Coctatls..." Zwei Männer, groß, schlank, sehnig, mit dem üblichen schwarzen Strohhut, kommen hereingeschlendert, rufen eine Bestellung nach dem Büfett, setzen sich an den Tisch und fangen an zu reden. Raphael geht hin, sie lachen, ich werde geholt. Die Verständigung ist etwas schwierig, ich erfahre, daß esProfessionels  " sind, die beide schon oft als Banderilleros in der Arena gestanden haben. Die Banderilleros, die dem Stier die Feuerwerkskörper auf de» Nacken setzen, sind meistens Liebhaber, keine Professionels," erklärt Raphael.Hier hast du zwei Ausnahmen. Prachtvolle Burschen, was?" Die Männer quittieren die Apostrophierungprachtvolle Burschen" mit einem gewinnenden, aber selbstverständlichen Lächeln. Ich lächele auch, mit einer gewissen Ergebenheit und Hochachtung. Ich weih, was es bedeutet, dem wildanrasenden Stier in freier Arena entgegenzutreten, ihm seinen.Kopfschmuck" auszusetzen und beiseite zu springen. Im Lause einer Sekunde muß das gemacht fein. Jeder verfehlte Schritt, eine noch so unbedeutende falsche Be- wcgung endet mit zwei Hörnern im Leib. Diese Helden haben ihr Schicksal immer vor Augen, wenn sie die armen ausgerissenen Gäule sehen, die die Arena bedecken wie wabbernde kleine Hügel. Man gleitet in ein Gespräch über die Zukunft des Stierkampfes. Mächtig« Kreise sind an der Arbeit, ihn als grausam, unmoralisch