ihren Mann so lange, bis er um des lieben Friedens willen das Parteiblatt aufgibt. Diese Frauen sagen, sie seien lroh aller Mühen nicht in der Lage, die politische Zeitung zu verstehen und ziehen deshalb den Generalanzeiger vor. Ein sehr charakteristisches Erlebnis hatte der Abonnentcnsucher bei einem Gewerkschafter, der seit mehreren Jahren organisiert ist. Als er den Gewerkschaftskollegen fragte, warum er den Generalanzeiger lese und nicht das Arbeiter- blatt, antwortete der tiefernst und überzeugt:„Wieso Arbeiterblatt? Der Generalan, zeiger, den ich lese, beschäftigt doch viel mehr Arbeiter, als das sozialdemokratische Blatt... Wer weiß, wie viele Vor- träge über Klassensolidarität und Klassenkampf dieser Gewerkschafts- kollege, der meinetwegen eine Ausnahme sein soll, gehört hatte, ohne daß sein Gehirn begreifen konnte, um was es geht. Von jüngeren Leuten wird das Parteiblatt abbestellt, weil ein demokratisches Organ am Platze seinen Sportteil vorbildlich ausgebaut hat. Diese domo- kratische Zeitung wird im Wettbewerb noch dadurch begünstigt, daß sie am Montag in aller Frühe mit einem Sportblatt im Straßen- oerkauf auftritt. Tausende von Arbeitern kaufen es auf dem Wege zur Fabrik. In einzelnen Fällen wurden ganz sonderbare Begrün- düngen gegeben. So erklärte die Frau eines Parteigenossen, sie dulde die Zeitung nicht mehr im Hause, weil in einem Aussatz die Königin Luise geschmäht worden sei. Einige Leser waren unzufrieden, weil nicht nur proletarische, sondern auch bürgerliche Sportberichte gc- bracht worden seien. Andere erklären kaltblütig, sie hätten keine Zeil zum Lesen. Zahlreiche Leute meinten, daß das Parteiblatt zu wenig Papier liefere. Einigen stand es buchstäblich in zu üblem Geruch. Sie bemängelten nämlich den unangnehmen Geruch der Druckerschwärze. Es gelang dein Besucher, die meisten Abbestellungen rück- gängig zu machen. Den Erfolg erzielte er vorwiegend dadurch, daß er immer wieder an die Slasfensolidarität appellierte, daß er den Unterschied zwischen bürgerlichen und sozialistischen Zeitungen klar- machte und die Aussichtslosigkeit auf Erlangung einer Arbeitsstelle oder einer Wohnung durch den Bezug des Generalanzeigers bewies. deine Zeitung! Unser Genosse hält den„Vorwärts" schon lange; und, selbstver- ständlich ist er durchaus nicht immer und nicht mit allem zufrieden. Denn eine Zeitung, die jedem Wunsche entspricht, hat es noch nie gegeben.„Aber," so erklärt er mir,„ich halte ihn doch. Denn der „Vorwärts", er ist wie ein Spiegel, er ist der Spiegel der deutschen Arbeiterbewegung. Ich bin ja mit meinem Spiegel auch nicht immer zufrieden, der hat denselben Fehler: er ist ehrlich, und er malt mich so ab, wie ich wirklich bin. Es hat keinen Zweck, wenn ich von ihm verlangen wollte, er soll mich schöner machen, oder wenn ich mir einen Spiegel anschaffe, der mein Bild verzerrt... Und dann gibt mir die Zeitung eins: Das Bewußtsein unserer großen inter - nationalen Gemeinschaft, das uns unter allem Kleinkram fast ver- schüttet wird. Unser Blatt ist unsere Tribüne, von der wir auch zu denen sprechen, die noch nicht fest auf unserer Seite stehen und an die wir gar nicht anders herankommen können. Ich möchte schon, daß unsere Zeitung mehr„Aufmachung" und sowas alles bieten würde. Denn damit zieht sie die Indifferenten, die sonst überhaupt nichts vom Sozialismus erfahren, und die so doch langsam zu uns gebracht werden. Aber zum Kriegführen gehört Geld, und bei uns muß groschenweise einkommen, was woanders der Jnseratenchef scheffeln kann. Und gerade darum werbe ich für meine Zeitung, denn eine Partei, die ein große Zestuna in der Hand hat, hat halbe Mühe mit aller anderen Agitation... Und so lange, bis wir die Pro- duktionsmittel in der Hand des arbeitenden Volkes vereinigt haben, müssen wir unsere Zeitung immer weiter ausbauen. Sie ist unsere Tribüne und unser Sprachrohr. Und immer wieder sage ich jedem Arbeiter: Nur ein« proletarische Zeitung, zeigt dir die Welt so, wie sie ist, die bürgerlichen Zeitungen, in denen dir langsam, aber sicher, das Denken abgewöhnt wird, sie sind„unser Hauptfeind"
polizeistrntöe imd Nachtverkehr. Der preußische Minister des Innern hat, wie mitgeteilt, den Beginn der Polizeistunde für Berlin auf 3 Uhr ver- längert. Mit dieser Verordnung ist den Wünschen der Gastwirts- und Hoteloerbände Rechnung getragen worden. Im allgemeinen kann aber eine Verlängerung der Schankzeit nur Zweck haben, wenn die Verkehrseinrichtungen Nachtverkehr einrichten und so die Möglichkeit für joden schassen, sein« Wohnung zu erreichen, ohne die teuren Verkehrsmöglichkeiten benutzen zu müssen. Besonders für die im Gastwirts- uno Hotelbetriebe angestellten Arbeit«? und Angestellten wird es schwierig sein, ihr Heim zu erreichen. Eine Rundfrage bei den Verkehrsgesellschaften ergab, daß mit der Ein- richtung von einem verlängerten Nachtoerk«hr vorläufig nicht ge- rechnet werden kann. Die Straßenbahnbetriebsgesellschaft läßt ihre letzten Wagen aus denz Stadtinnern nach den Vororten nach'A3 Uhr fahren. Da morgens um 4� Uhr schon wieder die ersten Wagen verkehren, ist die Betriebspaus« von 3. 45 Uhr bis 4.15 schon jetzt zu knapp, um die notwendigen Gleisreparaturen und das Erneuern von Oberleitungen vornehmen zu können. In der Nacht vom Sonn- abend zum Sonntag verkehren die Hauptlinien die ganze Nacht hin- durch. Die Straßenbahn glaubt nicht, daß er notwendig wäre, noch Wagen zu späteren Zeiten als nach 2 Uhr verkehren zu lassen. Die letzten Wagen sind sehr schwach besetzt. Die Straßenbahnbe- triebsgesellschaft hofft, das durch die verlängerte Poliezistunde ihre letzten Wagen besser besetzt werden. Die Hoch- und Untergrundbahn hat auch nicht die Absicht, ihren Fahrplan zu«rweitern. Die letzten Züge verlassen um A2 Uhr das Stadtinnere. Morgens beginnt der Aerkehr bei der Untergrundbahn um 5 Uhr. Die knappe Vetriebspaufe von 3A Stunden reicht schon jetzt kaum, um die Gleisanlagen und die Signaleinrichtungen zu revidieren. Der Fahrplan ist genau so wie in der Vorkriegszeit, wo auch der Beginn der Polizeistunde später gelegt war. Die Reichsbahndirektion hält an ihrem Winterfahrplan fest, nach dem die letzten Züge aus dem Stadtinnern nach den Vororten, zwischen 1 und 2 Uhr, abfahren. In Paris wird auch der Eisenbahnvorortverkehr um 1 Uhr eingestellt, trotzdem es in Paris eine Polizeistunde überhaupt nicht gibt. Die A b o a g hat auf einzelnen Omnibuslinien schon seit einiger Zeit Nachtverkehr eingerichtet. Erst nach genauer Beobachtung der eingerichteten Linien, deren Wagen meist sogar bis nach. 3 und 4 Uhr aus dem Stadtinnern abfahren, wird über die Berlängerung des Nachtverkehrs entschieden. Auch hier macht sich die kurze Bs- triebspause störend bemerkbar. Viele Wagen können in der kurzen Zeitspanne nicht kontrolliert werden und fehlen am nächsten Tage im Verkehrsnetz. „Abhärtung" für Reisende 4. Klasse. Unterschied muß sein. Der Reisende 2. Klasse erhält für den Höchstfahrpreis einen Aufenthaltsraum mit blütenweifcn gedeckten Tischen, in der 3. Klaffe gibt's bunte Decken und in der 4. Klasse ißt man eben vom bloßen Holztisch, das ist ja auch gar nicht so schlimm. Aber einen erwärmten Raum, zumal in der jetzigen rauhen Jahres- zeit, hat wohl jeder Reisende 4. Klasse zu beanspruchen, der oft eng zusammengepfercht in schlechter Lust und schlechter Sitzgelegenheit weite Strecken zurücklegen muß und bis zum nächsten Zuge sich manchmal stundenlang im Wartesaal aufhält. Ganz zu schweigen von den Kindern, die in solch ungeheiztem Raum besonders leiden. Ursache dieses Uebslstandes am Lehrter Bahnhof ist der schadhafte Heizkessel, dessen Instandsetzung mehrere Wochen dauern soll. Auf eine Beschwerde unseres Mitarbeiters erwiderte die Bahnvcrwaltung, den Reisenden sei es unbenommen, einfach in den Wartesaal 2. und 3. Klasse zu gehen. Jeder Mensch weiß aber ganz genau, daß gerade die Mehrzahl der Reisenden 4. Klasse solche Eigenmächtigkeiten ohne ausdrückliche Erlaubnis schwerlich begeht. Auf den Vorschlag, doch einfach einen Anschlag im Wartesaol anzubringen, erfolgte die Antwort: Das wollen wir aus dem Grunde nicht, weil sonst alle Reisenden 4. Klasse hinübergehen würden! Der Schaffner hat den
Auftrag, von Zeit zu Zell hineinzurufen, wem e» zu kalt sei, der könne den Wartesaal 2. und 3. Klasse benutzen. Man rechnet schein- bar mst der übergroßen Bescheidenheit der„kleinen Leute", die es einfach gar nicht wagen, die sogenannten„besseren Herrschaften" mit ihrer Gegenwart zu belästigen! Lluch in bezug auf Reinlichkeit lassen die Warteräume 4. Klasse am Lehrter, wie auch am Stettiner Bahnhof allerhand zu wünschen übrig.
Oeffentl.Werbeversammlungen heute, Sonntag, öen 17. Oktober: Baumschulenweg : Werbekundgebung. Antreten zum Ummarsch vormittags 9 Uhr Baumschulenstraße Ecke Heidekampweg.— Anschließend um 10 Uhr öffentlich? Werbeversammlung im Saal des Kinos Baumschulenstraße. Referent: Polizeioberst a. D. Dr. Her- mann Schützinger. Dienstag, öen 19. Oktober: Mille(4. Abkeilung): 1A Uhr in der Schule Kleine Frankfurter Straße 6. Referent: Bezirksverordneter Karl Litke . Lankwitz : 8 Uhr in Lehmanns F«stsälen, Kaiser-Wilhelm-Str. 29-31. Referent: Bürgermeister Dr. Ostrowski. Treptow : 7A Uhr im Lokal Nitschke, Am Treptower Park 26. Redner: Siegfried Aufhäuser , M. d. R. Köpenick: 7 Uhr Antreten am Bahnhof Köpenick . Anschließend öffentliche Werbeoersammlung im Stadttheater. Redner: Willy Steinkopf, M. d. R. Mittwoch, öen 20. Ottober: Illedding<17. Abteilung): TA Uhr im Saal von Schreiber, Trift- straße 63. Referent: Bürgermeister Karl Leid, M. d. L. Friedrichshain <34. Abteilung): TA Uhr in den Comeniussälen, Memeler Straße 67. Referent: Siegfried Aufhäufer, M. d. R. Friedrichshain <36. Abteilung): TA Uhr in der Schulaula Straß- mannstrahe 6. Referent: Wilhelm Landa. » Oeffentlrche Frauenkundgebung Charlotlenburg: Mittwoch, den 20. Ottober, abends TA Uhr in der Aula des Schiller-Realgymnasiums. Schillerstr. 26. Mitwirkende: Frauenchor des Gesangoereins„Liedertafel". Rezitationen: Wolf Trutz vom Staatstheater Berlin. Vortrag: FWuen und Völker- Verständigung. Referentin: Adele Schreiber . Männer und Frauen, erscheint in Massen!
Versicherungsverbrechen. Alles um des Geldes willen. Bersicherungsverbrechen gibt's, seitdem es Derstcherungsgesell- schaften gibt. Um der Versicherungssumme willen werden Brand- stistung, Morde, Urkundenfälschungen begangen, Einbrüche fingiert und ähnliches mehr. Gerade das letzt« Jahr kann sich rühmen, auf diesem Gebiete Neues geleistet zu haben. So steht noch der Prozeß des Ingenieurs Marek bevor, der sich selb st ein Bein abgehackt hat. In guter Erinnerung ist der Stockholmer Fall, in dem die zwei jungen Leute ihren Kompagnon um der Versicherungssumme willen in einem Auto in die Luft gesprengt haben. In München verlangte eine trauernde Witwe die Lebensoersicherung-summe ihres in den Bergen abgestürzten und verschollenen Mannes. In Wirklich- keit faß er Holl und gesund in Erwartung der kommenden Dinge in Straßburg . Erst vor einigen Tagen hat sich In Salzburg eine Gerichtsverhandlung abgespielt, die Abgründe von Perfidie und Ge- meinheit zweier jungen Leute enthüllt hat, die ihresgleichen suchen kann. Der Zahntechniker Karl Payrleitner und der Hand- lungsgehilfe o'vanz Schwarz, beide Hakcnkreuzler, waren ange- klagt,.ihren Freund Andreas B e r g e r, der bei dem ersten als Hilfstechniker angestellt war, in einen Abgrund gestürzt zu haben. Schwarz war der Täter, Payrleitner der Anstifter. Auf Veranlassung dieses hatte jener sich einer Bersichcrungsagcntin als Berger vorgestellt, hatte unter diesem Namen sich von den Aerzten in Salzburg untersuchen lassen und schließlich auch in dessen Eigen- schaft in der Höhe von etwa 50 000 M. versichert. Payrleitner hatte den teuflischen Plan ausgeheckt, Berger beiseite zu schaffen und hinterher die Versicherungssumme zu erheben. Cr verstand es, Schwarz für feinen Plan zu gewinnen. Auch er sollte eine kleine Summe abbekommen. Anfangs wollte er einen Selbstmord des Berger fingieren, ihn mit Gas vergiften oder erschießen. Dann ließ er aber den Gedanken fallen und beschloß, ihn während einer ge- meinsamen Bergpartie in den Abgrund zu stürzen. Die geeignete Stelle an einer steilen Felswand hatte er bereits ausgekundschaftet. Das erstemal im April, als sich alle drei, Payrleitner, Schwarz und Berger, bereits an Ort und Stelle befanden, versagte im letzten Augenblick dem Schwarz der Mut. Nun ließ aber Payrleitner ihm keine Ruhe. Er setzte ihm so lange zu, bis er versprach, am 13. Mai die Sache zum glücklichen Ende zu führen. Payrleitner nahm auch seinen Bruder mit, um einen Zeugen dafür zu haben, daß Berger das Opfer eines Unfalles geworben fei. Als auf dem schmalen Wege an der Felswand alle Vorbereitungen getroffen waren, der photo- graphische Apparat am steilen Abhang aufgestellt war und Berger durch das matte Glas die auszunehmende Landschaft aiisah, versetzte ihm Schwarz einen kleinen„Nückel". Im nächsten Augenblick flogen Apparat und Berger in den Abgrund. Dann wurde d i e Rettungsmannschaft geholt. An der Beerdigung nahm Payrleitner mit einem großen Kranze teil. Einige Wochen später schickte er seine Bekannte.zur Versicherungsgesellschaft. Als„Braut" des Verstorbenen verlangte sie die Versicherungssumme. Die Ver- sicherungsgesellschaft stellte Nachforschungen an und stellte die wahr« Braut des Verunglückten fest und machte Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Das Verfahren nahm seinen Lauf. Die Geschworenen bejahten die Frage wegen Mordes und das Gericht verurteilte Payrleitner zu lebenslänglichem und Karl Schwarz zu löjährigem schweren Kerker._ Der internationale Kongreß für Sexualforsthung. Der letzte Tag des Kongrestes war den Problemen der Bevölkerungswifsenschaft gewidmet. Die zahlreichen Vor- träge befaßten sich in der Hauptsache mit der Frage der G e> burtenregelung und den Präoentivmitteln. So erklärte Dr. Max Marcus«- Berlin die Schwangerschaftsverhütung für das erfolgreichste Mittel zur Bekämpfung der„Abtreibungsversuche". Der Arzt müsse den Willen zur Kinderlosigkest als den seelischen Tatbestand eines erwachsenen Menschen respektiere�. Der Bor« tragende schien jedoch die Bedeutung der sozialen und Wirtschaft- lichen wie auch der moralischen und hygienischen Ursachen, die für die Geburtenprävention bestimmend sind, zu unterschätzen: er sprach von einer Fortpflanzungsunlust. Im Gegensatz zu ihm konnte jedoch Frau Dr. Hertha Riese aus Frankfurt a. M. auf Grund eines umfangreichen Materials, das von der Sozial- und Serualberatungs- stelle des Bundes für Mutterschutz stammt, nachweisen, daß diele Stelle durchaus nicht von Frauen aufgesucht werde, die unwillig zur Mutterschaft sind, sondern daß 95 Proz. Frauen von A r- beitslosen waren, die bereits zahlreiche Kinder besaßen. Pros. Dr. Zahn-München sprach über„Die kinderreichen Familien und die Sozialpolitik". Er meint«, daß die Hauptaufgabe nicht so sehr die Schaffung neuer kinderreicher Familien sein dürfe, sondern vielmehr Festigung und Stützung der bereits vorhandenen kinderreichen Familien. Durch eine ganze Reihe Maß- nahmen, wie Frauen- und Kinderzuschläge, durch Elternschaft- oder Kinderrentenversicherung und dergleichen mehr müßte dieses ge- schehen. Die reinen medizinischen Vorträge behandelten in der Haupt-
fache das Problem der Keimdrüsenüberpflanzung und der Sainen- stranguntcrbindung. Einige kritische Bemerkungen über den Kongreß seien an dieser Stelle gestattet. Die Fülle der Vorträge— es waren 14 2 Referate angesagt— ließen fast gar keine Zeit für dw Aus- spräche übrig. Das Fehlen einer Reihe von Gelehrten und Sexual- polstiker bewirkte teilweise einen schleppenden Gang der Verhand- lungen. Bezeichnend für den Kongreß mag das Referat des Grazer katholischen Priesters Ilde sein, der mit dem Fanatismus eines mittelalterlichen Asketen die sexuelle Echik der katholischen Kirche unter dem Veifall eines Teils der Versammlung als die einzig richtige bezeichnete, die Ehe sei ein Sakrament, der Geschlechtsakt diene allem der Fortpflanzung, die Schwangerschaftsverhütung sei eine Sünde, die Frau müsse eher sterben, als daß sie sich die Frucht abtreiben ließe. Was hatte dieser Redner aus einem Kongreß für Sexual- s o r s ch u n g zu suchen? Der nächste Kongreß findet in Rom statt.
Großfeuer in Rahnsüorf. Gestern abend, kurz vor �9 Uhr, wurde die Rahnsdorser Feuerwehr nach den sogenaanken Spreewiesen g-rufen wo in einem der größeren Wohnhäuser, die zun) Teil aus holz und Fachwerk befiehen. Feuer ausgebrochen war. Un- aufhörlich ertönten die Feuersirenen, so daß zur Hilfeleistung die Freiwilligen Feuerwehren von Müggelheim und Blumensaue an die Brandstelle eilten. Ein gewaltiger Feuer- schein, der weit hinaus in das Dunkel der Nacht leuchtete, ver- anlaßle die Feuerwehren von Köpenick und wllhclmshagen auf eigene Znilialive sich ebenfalls unverzüglich an die Brandstelle zu begeben. Bei Redaklionsschluh dauert das Feuer noch an. Einzel- Helten über die Ursache und ob Menschenleben zuschaden gekommen sind, fehlen noch._
Der Schienenweg im Westen. Beseitigung der Kreuzungen zwischen Grunewald und Charlottenburg. — Die höchste Erhebung Berlins mit Rodelbahn. Das zwischen den Bahnhöfen Eharlottenburg, Halen- see, Grunewald und Witzleben liegende große Eisenbahn- gebiet, das mit den vielen, stellenweise in drei Stockwerken über- einander und nebeneinander liegenden Eisenbahnstrccken wohl das komplizierteste Schienengebilde der Berliner Eisenbahnanlagen dar- stellt, wird in der nächsten Zeit eine vollständige Umgestaltung erfahren. Die Bauarbeiten, von denen der erste Teil bereits in Angriff genommen ist, sind— wie der Deutsche Verkehrsdienst erfährt— die größten und umfangreichsten, die in den letzten 20 Jahren in Berlin zur Ausführung kommen. Die Arbeiten gestalten sich deshalb besonders schwierig, weil die einzelnen Objekte unter voller Aufrechterhallung des Eisenbahnverkehrs hergestellt werden müssen. Eine grundsätzliche, für den Eisenbahnbetrieb be- deutungsvolle Aenderung liegt darin, daß die unmittelbar vor dem Bahnhof Charlottenburg befindliche Kreuzung der Spandauer und Wetzlarer Ferngleise beseitigt und die schienenfreie Kreuzung dieser beiden Bahnstrecken weiter nach Westen, in die Nähe des bestehenden Bahnhofs Eichkamp, verlegt wird. Gegenüber dem jetzigen Zustand» kann also später gleichzeitig ein Fernzug in der Richtung Belzig— Sangerhausen vom Bcchnhof Charlottenburg abfahren und ein Fernzug aus der Richtung Hannover — Köln in den Bahnhof einfahren. Zu diesem Zweck werden zunächst in dem ersten Bau- abschnitt die Spandauer Ferngleise vom Bahnhof Heerstraße ab nach Westen verlegt und unter der Avus hindurch und über die Vorort- gleise nach Grunewald hinweg, zwischen den Wetzlarcr Ferngleisen in den Bahnhof Charlottenburg eingeführt. Für den B o r o r t- verkehr nach Spandau wird einbesonderesGleispaar neben den Ferngleisen angelegt und an den Umsteigebahnhof angeschlossen, der bekanntlich an der Kreuzung der Grunewaldlinic mit der Ring- bahn errichtet wird. Dieser Pahnhof wird von vornherein i n jedem Geschoß zwei Bahnsteige erhalten und so zur Aus- nahm« eines großen Massenverkchrs geeignet sein, wie er bei der von der Stadt' Berlin auf dem Messegelände in den nächsten Jahren geplanten Weltaus st ellung zu erwarten ist. Im Zusammenbange mit diesen Arbeiten wird an dem west- lichen Rande des Messcgelönders der h ö ch st e Hügel Berlins entstehen. Nach den Vorschlägen des Oberbaurats Dr. Heiligen- t h a l wird mit dem gesamten Erdboden, der aus der neuen, in einem Einschnitt liegenden Strecke gewonnen wird, ein Berg her- gestellt, dessen Spitze 80 Meter über dem Meeresspiegel, also noch 16 Meter höher als der Kreuzbsrg, liegen soll. Von diesem Punkte aus, der als Gegenpol zu dem Funkturm architektonisch reiz- voll ausgestaltet werden wird, bietet sich dann gleichfalls ein weiter Blick auf der einen Seite über das Messegelände hinweg nach Berlin , und auf der anderen Seite über den Grunewald bis an die Havel - seen. Durch Anlage einer Rodelbahn wird dieser Berg bei den Berliner Wintersportlern bald eine große Beliebtheit erlangen. Der erste Werbeumzug. Trotz aller Widerwärtigkeiten hatte es sich der 1. Kreis (Mitte ) nicht nehmen lassen, seinen Werbeumzug mit Fackeln am Sonnabend vom Arkonaplatz nach dem Gewerkschaftshaus zum Be- ginn der Werbewoche glatt durchzuführen. Reu waren diesmal die schön dekorierten Wagen bei guter Beteiligung der Genossinnen, Gc- nossen, der Kinder, der Arbeiterjugend und der Jungsozialisten. Der erste Wagen stellte den Sozialismus dar, der zweite Wagen war den Kindern gewidmet; die alte Schule wurde im Gegensatz zur neuen Gemeinschaftsschule dargestellt. Der dritte Wagen mit der Anschrift „Wir Frauen kämpfen mit der Männern für eine bessere Zeit" war von Frauen besetzt. Die Jugend und Jungsozialisten hatten ihrem Wagen die Devise„Aufbau" gegeben, in großen beleuchteten Buch- stoben war zu lesen: Kinderfreunde, Jugend, Jungsozialisten und Sozialdemokratie, tretet ein in unsere Sozialdemokratische Partei ". Genosse Riese sprach gegen die Kommunisten als Störenfriede und aufklärend zugleich, mit einem Hoch auf die Partei schließend. Notftands-Konzert des Musikeroerbandes. Die Berufsmusiker, arg bedroht durch die unlautere Konkurrenz der„Außenseiter" und musizierenden Beamten, gaben in der Reuen Welt, Hasenheide, ein Konzert zum Besten ihrer erwerbslosen Kollegen. Der Riesensaal war bis aufs letzte Plätzchen gefüllt, und wahre Beifallsstürme durchbrausten das Haus. Der Abend war dem unsterblichen Dreigestirn Strauß— Millöcker— Suppe gewidmet. Süße Weaner Must, dirigiert vom letzten Sproß der Strauhschen Gene- ration, Johann Strauß III. , dem das Erbe seiner Väter noch voll und ganz im Blute sitzt. Es war prachtvoll, mit welchem Schneid das Streichorchester all die schönen bekannten Klänge aus „Fledermaus",„Bettelstudent",„Schöne Galathee" und noch viele andere zu Gehör brachte. Das war Musik, die keiner Mode unterworfen, keiner Zeilrichtung und keinem bestimmten Publikums- kreis vorbehalten ist. Die wackeren Musiker, die hier eine so glänzende Probe ihres Könnens abgelegt haben, werden hoffentlich siegreich den Kampf gegen die Nebenberufler bestehen. Die starke Arbeits- losigkeit der Berufsmusiker hat eben ihren Grund darin, daß der Ver- band auf Zahlung von Tariflöhnen besteht, während die anderen „freien" Musiker natürlich Preisdrücker sind. Die Lokalbesitzer würden gut daran tun, möglichst Berufsmusiker zu bevorzugen und die Honorardifferenz auf Kosten der Leistungshöhe zu buchen. In kleineren Kinos beispielsweise, die absolut nlcht über schlechten Ge- schöftsgang zu klagen haben, würde diese Aenderung wohltuend auf das Ohr der Zuhörer wirken. Vereinigung der Freunde für»ellglcrn und vtirgcrfricden. Wegen Be- binderung des Genossen Pfarrer Bl-ier fpricht heute. Sonntag, w der ZrinitaNSIirche Genosse Pfarrer Franle.