Einzelbild herunterladen
 

Nr. 496 45. Jahrgang

2. Seilage des vorwärts

Donnerstag. 21. Oktober 1926

Kultur und Volkswohlfahrt. Die Grundforderungcn der Frauenerwerbsarbeit. Von Marie Juchacz . Die kulturelle Entwicklung eines Volkes wird durch wirt- schaftliche und soziale Verhältnisse bedingt. Es ist kein Reich- tum notwendig, wohl aber ein bestimmter Wohlstand für alle Menschen, der es erlaubt, die materiellen Vorbedingungen einer Volkswohlfahrt zu erfüllen. Also ist V o l k s w o h l» fahrt in Verbindung mit der kulturellen Lebensgestaltung eine Lohn- und Wohnfragc. Grundlage der Volkswohlfahrt aber ist wertschaffende und werterhaltende Arbeit. Daher sind kulturelle G r u n d f o r d e r u n g e n: auskömm- l i ch e s Geholt für die Arbeitenden, eine Arbeitszeit, die die Kräfte der Arbeitenden nicht überspannt und sich in sozial vernünftigen Grenzen bewegt, hygienisch und gesundheitlich gute Arbeitsbedingungen, das Recht auf Arbeit für Mann und Frau, ein Ersatz für die im Dienst an der Volkswirtschaft etwa verlorene Gesundheit in Gestalt einer gut ausgebauten und ebenso durchgeführten Sozialgesetzgebung, die auf der gleichen sozialen Grundanschauung, auch den Schutz der schwangeren Frau, der Mutter und des Kindes, sowie der Jugend umfastt. Jede Arbeit, die das Ziel hat, Massen geistig und materiell aufwärts zu führen, ist Kulturarbeit. Fichte sagt:Der Mensch soll arbeiten, aber nicht wie ein Lasttier, das unter seiner Bürde in den Schlaf sinkt und nach der notdürftigsten Erholung seiner erschöpften Kraft zum Tragen derselben Bürde wieder aufgestört wird. Er soll angstlos, mit Lust und Freudigkeit arbeiten und Zeit übrig behalten, seinen Geist und sein Äuge zum Himmel zu erheben, zu dessen 2lnbl!ck er gebildet ist." Die Arbeit soll den Arbeiter, den Schöpfer der Werte, nicht aufzehren, sie soll Mittel zum Zweck sein, um möglichst allen Gliedern des Volkes kulturelle Ent- wicklungsmöglichkeiten zu geben. Deshalb ist das Leitmotiv für die Arbeit der Volkswohlfahrt: Kulturarbeit der Arbeiterschaft soll nicht Mittel der Er- bauung sein, sondern Mittel zum sozialen und geistigen A u f st i e g der Arbeiterklasse! Hier haben die freien Gewerkschaften und die Sozial- demokratische Partei eine große Summe von Pionierarbeit geleistet. Das Programm von Heidelberg hat die materiellen Grundlagen aller Volkskultur aufs neue festgelegt. Die Sozialdemokratie fordert darin: Gleiches Recht der Frauen auf Arbeit. Verbot jeder Erwerbsarbeit schulpflichtiger Kinder. Ein Gebiet, das vom Standpunkt der Kultur usw. be- sondere Beachtung verdient, ist die Frauenerwerbs» arbeit. In ihr liegen unter den heutigen Wirtschaftsver- hältnisfen kulturzerstörende und kulturaufbauende Tendenzen. Die kulturzerstörenden Tendenzen haben ihre Wurzel nur in der grundfalschen Verteilung der Ärbeit und in der allgemeinen falschen Einstellung zur verwaltenden und werterhallenden Hausfrauenarbeit. Wir können daran nicht vorbeigehen, daß aus dieser nur nach kapitalistischen Grundsätzen organisierten Frauenarbeit eine ungeheure moralische und gesundheitliche Jugend- arbeit notwendig herauswächst. Unsere ganze häuslich-privatwirtschaftliche Lebensge- staltung, aber auch die sozialen Lebensformen und die sozialen Einrichtungen, damit unser ganzes soziales Leben, stehen in einem krassen Gegensatz zu den sozialen Auswirkungen der Frauenarbeit und zum sozialen Menschenrecht schlechthin. Es ist ein neues Frauengeschlecht herangewachsen. Die Entwicklung ist noch im Fluß. Der eigene Erwerb gibt wirtschaftliche Selbständigkeit, größere Lebenssicherheit, gibt mit dem anderen Umkreis und Tätigkeit auch eine an- dere geistige und soziale Perspektive. Der Eintritt der Frau in die Politik, das Frauenwahlrecht, sind nur die Konsequenz der Frouenerwerbsarbeit. Es ist nun eine gebieterische Notwendigkeit, daß die Wohnungsfrage in Verbindung mit der Frage der Haushaltsg est a l t u.n g und Führung den neuen Ver- Hältnissen entsprechend entwickelt wird. Die Wohnungsfrage ist verkoppelt mit dein Wohnungselend, das wir aus der Vorkriegszeit mit herübergeschleppt haben in die Gegenwart, wie es zu den ungeheuren Dimensionen angeschwollen ist und bei der Gestaltung der Wohnfrage als Hindernis wirkt. Das heutige Wohnungselend ist die Quelle für Ehezerstörung und Iugendverwahrlosung, für Volksseuchen wie: Tuber- kulose, Alkohol Geschlechtskrankheiten, aber auch für das Elend der Kinder Verkrüppelung des Geistes und der Seele. Erwerbslosigkeit, Wohnungselend, Wirtschaftskrisen drei fast unüberwindlich scheinende Hindernisse auf dem Wege zu dem, was wirVolkswohlfahrt" nennen. Und doch heißt es nun erst recht an die Arbeit gShen, Wege zu suchen, die uns herausführen aus den Wirrnissen einer anarchischen Wirtschaft, aus dem ewigen Unfrieden innen- und außen- politischer Zerrissenheit. Wir als Sozialdemokraten wissen, daß nur der Sozialis- mus uns zum Ziele führen wird, daß nur durch die Durch- dringung unseres ganzen Staats- und Wirtschaftslebens mit foLalistischem Geist dieses Ziel erreicht werden kann. W i r wissen es aber noch viel zu klein ist die Zahl derer, die zu unserer Fahne stehen, viel zu klein insbesondere die Zahl

der Frauen, die doch der Sozialdemokratie in erster Linie die Möglichkeit politischer Einflußnahme verdanken. Darum gilt es auch vor allem und nicht nur in der Werbewoche, die Frauen für unsere Ideen zu begeistern. Die Erreichung unseres großen, gemeinsamen Zieles ist nicht zuletzt eine M a ch t f r a g e. Je mehr Anhängerinnen unsere Forderungen unterstützen, je eher werden wir unser Ziel erreichen._ Der Vorkämpfer öer Zrauenrechte Worte Bebels. Der Sozialismus als Befreier. ,A>i« Frau steht dem Mann« erst gleich, wenn sie nicht bloß rechtlich, sondern auch ökonomisch ihm gleichsteht, wenn sie dasselbe Menschenrecht wie der Mann genießt, wenn die gesellschaft- lichen Verhältnisse dem Manne es unmöglich machen, sich zu ihrem Herrn auszuwerfen, weil er ihr Ernährer ist. Der gesellschaftlich« Zustand, der keinen Herrn und kein« Unterdrückten kennt, weder auf politischem, noch ökonomischem, noch religiösem, noch geschlechtlichem Gebiet«, ist der Sozialismus. Im Sozialismus allein tritt die Frau, wie jeder Unterdrückte in den Besitz des vollen Menschenrechtes. Der Sozialismus fetzt sich die höchste Entwicklung der Kräfte und Fähig- leiten alier Gesellschaftsmitglieder, also auch der Frauen, zum Ziel;«r verlangt von allen Gesellschaftsmitgliedern, also auch von den Frauen, die Anwendung ihrer Kräfte und Fähigkeiten zum gemeinsamen Nutzen:«r gewährt allen Gesellschaftsmitgliedern, also auch den Frauen, vollen Anteil an dem gemeinschaftlichen Ertrage und Nutzen aller Tätigkeit. Im Sozialismus allein kann sich der edelste Trieb im Menschen, die Lied«, voll und ganz entfalten: alle Hemmnisse fallen weg, Mann und Frau stehen sich vollständig gleich gegenüber, ihre Neigung allein entscheidet ihr Zusammenleben, ihre Ehe....." Die Frau hat das gleiche Recht. Die Frau hat von Natur das gleiche Recht wie der Mann, der Zufall der Geburt kann daran nichts ändern. Die Frau, weil st« als Frau nicht als Mann geboren ist woran der Mann so un- schuldig ist wie die Frau, von den Rechten der Menschen aus- zuschließen, ist ebenso unsinnig und ungerecht, als wenn Recht« von dem Zufall der Religion oder der politischen Gesinnung abhängig gemacht werden, oder daß zwei Menschen sich als Feinde betrachten, weil sie bei durch den Zufall der Geburt verschiedenen Volksstämmen oder verschiedenen Nationalitäten angehören. Alles das sind eines freien Menschen unwürdige Hemmungen und Gesinnungen, und der Fortschritt der Menschheit besteht darin, diese, und zwar so rasch als möglich, zu beseitigen. Es hat kein« andere Ungleichheit ein Recht auf Bestand als jene, welche die Natur fiir die Erreichung des äußerlich verschiedenartigen, im Wesen gleichartigen Naturzwecks begründete. Die Naturfchranken wird ober kein Geschlecht überschreiten, weil es damit seinen eigenen Naturzweck vernichtete, darauf können wir uns sicher verlassen, und ist kein Geschlecht berechtigt, dem andern sein« Schranken zu ziehen, so wenig wie ein« Klasse der andern." Frau und Mann im Proletarial. Ein günstigeres Verhältnis bildet sich zwischen Mann und Frau im Proletariat heraus, insofern beide erkennen, daß sie an dem gleichen Strange ziehen und es für ihre menschenwürdig« Zukunft nur«in Mittel gibt: die gründlich« gesellschaftliche Umgestaltung, die alle zu freien Menschen macht. In dem Maß«, wie diese Erkenntnis sich auch unter den Frauen des Proletariats immer mehr verbreitet, idealisiert sich, trotz Not und Elend ihr Eheleben. Beide Telle haben jetzt«in gemeinsames Ziel, nach dem sie streben und ein« unversiegbare Quelle der Anregung durch den Meinungsaustausch zu dem ihr gemeinsamer Kampf sie führt. Die Zahl der Proletarierfrauen, die zu dieser Erkenntnis kommen, wird mit jedem Jahre größer. Hier entwickelt sich eine Bewegung, die von ausschlaggebender Bedeutung für die Zukunft der Menschheit ist... Der klassenbewußte Arbeiter weiß, daß die gegenwärtige ökono- mische Entwicklung die Frau zwingt, sich zum Konkurrenten des Mannes aufzuwerfen, er weiß aber auch, daß die Frauenarbeit zu verbieten ebenso unsinnig wäre wie ein Verbot der Anwendung von Maschinen und so trachtet er danach, die Frau über ihre Stellung in der Gesellschaft auzuklären und sie zur Mitkämpferin in dem Befreiungskampf des Proletariats gegen den Kapitalismus zu erziehen." Die sozialistische Ehe. .In der sozialistischen Gesellschaft ist die Ehe das reinste, von keiner anderen Rücksicht als auf die gegenseitig« Neigung. geschlossene Verhältnis:«in Verhältnis, das, weil es aus keiner anderen Absicht als der, sich gegenseitig anzugehören, von zu gegen- seitiger Achtung und voller Gleichberechtigung erzogenen Menschen geschlossen wird, eine unendlich sittlichere Grundlage, als die meisten heutigen Ehen hat. Es existiert nicht, wie böswillige und unver- ständige Gegner dem Sozialismus unterschieben wollen, die sog«- nannteWeibergemeinschaft",«in Zustand, dessen Name schon«ine schimpfliche Dregradation der Frau bedeutet, der aber heut« für manche Klassen in Wirklichkeit besteht.. Die Frau und der Sozialismus"(1870).

Frauenarbeit- Frauenrechte. Der Kampf für die Arbeiterklasse als Staatsbürger» Pflicht. Von Anna Geyer . Nicht selten hört man die Behauptung, daß den Frauen die politische Gleichberechtigung im November 1918 geschenkt worden sei, ohne daß sie jemals ernstlich darum gekämpft hätten. Vergleicht man die verhältnismäßig kleine Zahl der Frauen, die bereits vor dem Krieg den Kampf um ihre politischen Rechte geführt haben, mit der Masse der Frauen, denen das politische Wahlrecht zuteil wurde, so mag diese Behauptung allerdings den Schein der Nichtigkeit fiir sich haben. Zlber richtig ist sie darum doch nicht. Gewiß ist das Tempo, in dem sich eine politische Ent- wicklung vollzieht, abhängig von dem politischen Willen der für sie kämpfenden Klasse oder Gruppe. Der kleinen Zahl der für das Wahlrecht kämpfenden Frauen stand schon seit Jahrzehnten vor dem Krieg der nicht geringe politische Wille der deutschen Sozialdemokratie zur Seite, der schließlich auch zum Ziele führte. Aber wenn der politische Wille für eine Aenderung der politischen Rechts- oder Machtverhältnisse wichtig und bedeutungsvoll ist, so ist noch ungleich entscheiden- der, daß eine Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse dafür die Vorbedingungen geschaffen hat. Diese Veränderung der wirtschaftlichen Stel- l u n g der Frau hat sich im Laufe des letzten Jahrhunderts vollzogen. Die Frauenerwerbsarbeit bildet die Voraussetzung für das»Frauenwahlrecht. Zwar ist die Frauenarbeit keine Erfindung des letzten Jahrhunderts. Die Frauen haben zu allen Zeiten gearbeitet. Äber ihr Arbeitsgebiet war in früheren Zeiten genauer abgegrenzt. Es bestand im wesent- lichen in der Herstellung eines großen Teiles von Bedarfs- gegenständen in der eigenen häuslichen Wirtschaft. Je mehr die moderne Form der Gütererzevgung die Herstellung einer immer größeren Zahl von Gegenständen aus dem Haushalt in den Gewerbebetrieb verlegte, desto größer wurde auch die Zahl der Frauen, die in den Fabriken arbeiteten und nicht mehr ausschließlich in ihrem Haushalt. Zwischen der Zu- nähme der außerhäuslichen Erwerbsarbeit der Frauen und dör Verringerung der Hausarbeit bestand und besteht auch heute noch eine deutliche Wechselwirkung. Je geringer die Hausarbeit, desto leichter können die Frauen Berufsarbeit leisten. Je mehr Frauen einem außerhäuslichen Erwerb nachgehen, desto lebhafter wird das Bedürfnis nach Er- leichterung in der Hausarbeit. Silber nicht die Befreiung von einem Teil der Hausarbeit war die für das Frauenwahlrecht entscheidende wirtschaftliche Veränderung. Die Frauenarbeitinden Fabriken un binde n Bureaus war es vor allem, die das Frauen- Wahlrecht zur Folge hatte. Diese Arbeit hat von Jahr zu Jahr an Bedeutung zugenommen. Für Deutschland oricn- ticren uns darüber Statistiken seit dem Jahre 1882. Damals waren 5,5 Millionen Frauen oder 24 Proz. der weiblichen Bevölkerung erwerbstätig. Für die Berufszählung von 1925 liegen bis jetzt nur Teilergebnisse vor. Es kann danach ge- schätzt werden, daß heute fast 11 Millionen, also doppelt so- viel Frauen wie 1882, erwerbstätig find. Nicht nur im Umfang der Frauenerwerbsarbeit, auch in der Art der Tätigkeit hat sich eine Aenderung vollzogen. Vis vor wenigen Jahrzehnten war es fast ausschließlich die Frau des Proletariats, die außerhalb ihres Hauses erwerbs- tätig war. Man wies ihr vorwiegend die am meisten unter- geordneten und unselbständigen Arbeiten zu. Heute sind wir so gewohnt, die Frauen auch in höheren Berufen und bei selbständiger Arbeit anzutreffen, daß es uns kaum mehr zum Bewußtsein kommt, wie schnell sich gerade auf diesen Arbeitsgebieten die Entwicklung und Anerkennung der Frauenarbeit vollzogen hat. Im Jahre 1893 wurde zum erstenmal Mädchen die Zulassung zum Abiturientenexamen gestattet und im Jahre 1899 wurden Studentinnen zum erstenmal zur medizinischen und pharmazeutischen Staats- Prüfung zugelassen. Die anderen akademischen Berufe folgten noch später. Höhere Beamtenstellen wurden den Frauen vor dem Krieg überhaupt nicht eingeräumt. Innerhalb des letzten Vierteljahrhunderts haben die Frauen mit zäher Energie und mit Tüchtigkeit um die Anerkennung ihrer bc- ruflichen Arbeitsleistung gerungen. Nicht nur die akademisch gebildete Frau in den höheren Berufen wurde eine immer häufigere Erscheinung. Auch in den Bureaus und zum Teil sogar in den Fabriken wurden Frauen leitende �Stellungen übertragen. Die Einschätzung der weiblichen Arbeits- l e i st u n g hat sich grundlegend geändert. Die in die Enge ihres Haushalts gebannte Frau früherer Jahrhunderte hatte keine Gelegenheit, ihre ganz anders geartete Arbeit mit der Arbeitsleistung des Mannes zu vergleichen. Sie war leicht von der Unterwertigkeit ihrer Leistungen und ihrer Person zu überzeugen. Schwieriger war das bei der Fobrik- oder Bureauarbeiterin. Sie arbeitete häufig an der Seite von Männern. Sie konnte ihre Arbeitsleistungen vergleichen mit denen ihrer männlichen Kollegen. Nicht selten konnte sie konstatieren, daß sie viele Arbeiten ebenso gut verrichtete wie die Männer. Besonders als während der Kriegsjahre viele Frauen zu zahllosen Arbeiten herangezogen wurden, die vor- dem ausschließlich den Männern vorbehalten waren, da wurde förmlich mit Erstaunen von Männern wie von den