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Nr. 50243. Jahrg. Ausgabe A nr. 256

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Sozialdemokrat Berlin "

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

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Sonntag, den 24. Oftober 1926

Nationalistenangriff auf Briand .

Nationalisten aller Länder, vereinigt Euch!

Die Korrespondenz fährt dann fort:

Paris , 23. Oftober.( Eigener Drahtbericht.) Trotzdem es nach der| der Deffentlichkeit vollkommen ersten Fühlungnahme zwischen Briand und Stresemann in Thoiry müssen. feinem Zweifel unterliegen fonnte, daß eine großzügige deutsch­französische Annäherung nicht das Wert einiger Wochen sein würde und sich notwendigerweise Schwierigkeiten, zum Teil er­wartet, zum anderen Teil unvorhergesehen, einstellen würden, und obwohl die vernünftige Presse auf beiden Seiten, soweit ihr an einer deutsch - französischen Annäherung lag, von Anfang an vor übereilten Hoffnungen gewarnt hatte, bricht jetzt die französische

reaktionäre Presse in ein Triumphgeschrei

aus und bespricht mit unverhohlener Schadenfreude die Aussprache zwischen Briand und dem deutschen Botschafter von Hoesch. Banz besonders betont sie die Tatsache, daß der deutsche Botschafter mit Peinerlei präzisen Vorschlägen an den franzöfifchen Außenminister herangetreten ist. Zahlreiche dieser reaktionären Blätter wittern in diesem Umstand sofort wieder angebliche deutsche Verschleppungsmanöver", wie man sie auch in der Entwaffnungsfrage festgestellt habe. Sie sehen darin einen willkommenen Anlaß, Briands Annäherungspolitik an Deutschland

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einer heftigen Kritit zu- unterziehen.

Glücklicherweise besteht angesichts der in weiten Kreisen des französischen Volkes vorhandenen Stimmung, die einer An­näherung an Deutschland durchaus günstig gegenübersteht und in dieser Annäherung das einzige große Ziel der fünftigen französischen Außenpolitit ficht, teine Gefahr, daß durch die Angriffe der nationalistischen Breffe auf Briand deffen Bolitit kompromittiert oder gar zum Scheitern gebracht werden könnte. Mit Recht weist der Quotidien daraufhin, daß weder de Jouvenel noch andere, mehr oder weniger voreingenommene Kritiker Briands Frankreich re­präsentieren, und daß

das wahre Frankreich die Politif von Thoiry verlange. Immerhin besteht aber für diese Politik infolge der französischen Hetze insofern eine Gefahr, als diese Kritiken der Pariser Rechtspresse den deutschnationalen Organen in der Heimat willkommenes Wasser auf ihre Mühlen liefern.

Eine offiziöse deutsche Mahnung.

Die Deutsche diplomatisch politische Ror respondenz". die man als eigentliches Sprachrohr Dr. Strese manns betrachten kann, bemerkt zu den Kommentaren, die an die Unterredung Briand- Hoesch geknüpft werden, daß derartige Be­sprechungen, auch wenn sie bereits einen tonkreteren Charakter ge­habt haben fönnten als nach Lage der Dinge wahrscheinlich, sich

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Unser die Zukunft!

Zum Abschluß der sozialdemokratischen Werbewoche. Die Werbewoche der Partei endet mit dem heutigen Tage. Eine große Aufklärungsarbeit ist geleistet worden, die entziehen ihre Früchte tragen wird. Die Genoffinnen und Genossen, die hier in Berlin und draußen im Reiche überall die großen geistigen und körperlichen Anstrengungen einer konzentrierten Berbearbeit auf sich nahmen, haben der Sache des ringenden arbeitenden Boltes einen großen Dienst geleistet. Wenn aber jezt wieder der Alltag in feine Rechte tritt, so ist damit nicht gesagt, daß die Zeit gekommen ist, die Hände in den Schoß zu legen. Wie immer das Ergebnis der Werbewoche gewesen sein mag, noch bleibt Gewaltiges zu tun übrig.

Erst nach Beendigung des vorbereitenden Sta. diums, in dem sich die Fragen beiderseits befinden, find Aus­fünfte denkbar, wie man sie jetzt sozusagen in jedes Zusammen­treffen einer deutschen mit einer französischen Persönlichkeit hinein zukombinieren versucht. Für öffentliche Diskussion haben sich Minister und Delegierten Konferenzen durch aus bewährt; sobald eine solche also erwünscht und zwed­mäßig wäre, würde man zweifellos diesen Weg wählen. In­

zwischen aber erwächst aus der Behandlung der weittragenden An gelegenheit in der vorliegenden Form die Gefahr, daß man mangels iäßt und damit das für beide Seiten wünschenswerte Ergebnis ge­Grundlagen für zutreffende Kombinationen die Phantasie walten fährdet. Besonders unzweckmäßig ist es, wenn dabei in der Form angeblicher nachrichtlicher Feststellungen, wie das z. B. das Echo de Paris" mit bezug auf die Besprechung Hoesch- Briand tut, der Gegenseite ein Drängen auf Realisierung der ihrerseits ange­strebten Ergebnisse unterstellt wird. Daven tann jedenfalls auf deutscher Seite nicht die Rede sein.

Das Interesse am Zustandekommen der in Thoiry an­gebahnten deutsch - französischen Transaktion ist ein beiderseiti­ges und gleichartiges; es handelt sich darüber hinaus um ein Weltproblem. Weder in bezug auf das Tempo, noch in bezug auf die Methoden einer eventuellen Lösung der Aufgabe dürfen dabei einseitige Wünsche und Sonderintereffen maßgebend sein; entscheidend ist in jedem Falle die Aufrechterhaltung und Ver­stärkung der Grundeinstellung, die zu der Aussprache von Thoiry geführt hat und auf dem beiderseitigen Bestreben beruht, die alten Gegenfäße zu überbrüden und im Wege der Berhältnis zu einem wirklichen Zusammenarbeiten zu gelangen. Ausräumung der afuten Schwierigkeiten in dem deutsch - französischen Es hat Mut dazu gehört, diese Aufgabe anzupacken; es wird mehr Mut dazu gehören, die vielen Steine aus dem Weg zu schaffen, die von vornherein und seither den Wegbahnern sichtbar gemacht werden; aber der größte Mut würde dazu gehören, an­gesichts der Erwartungen der ganzen Welt, das Werk zum Scheitern zu bringen, an dem vorläufig, wenn auch nicht im Lichte der Deffentlichkeit, intensiv weitergearbeitet wird. Wir glauben nicht, daß irgend jemand dieses Odium auf sich nehmen möchte. Um so mehr möchten wir wünschen, daß nicht durch eine unzeitgemäße und mangelhaft fundierte Polemik die natürlichen Schwierigkeiten der Aufgabe noch vermehrt werden."

Das Kampfkabinett Seipel.

Allbürgerlich

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scharfmacherisch- monarchistisch!

Wien , 23. Oktober. ( Eigener Bericht.) Es sind zwei Jahre her, daß Seipel die Regierung an Ramet übergab, und es ist merkwürdig, daß der äußere Anlaß zum Regierungswechsel genau der gleiche war wie damals. Seipel war zurückgetreten, weil die Eisenbahner streiften, und er kommt zurück, weil die Beamten mit dem Streif drohen und Ramet sich außerstande fühlte, die Berhand­lungen zu einem gedeihlichen Ende zu führen genau so, wie es damals Seipel nicht vermochte. Das ist aber nur eine äußere Aehn lichkeit, denn in Wirklichkeit ist Ramet nicht so sehr wegen des Ultimatums der Beamten als deshalb zurückgetreten, weil

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die Ergebnisse der parlamentarischen Untersuchung

die Korruption der christlich sozialen Regierung bloßlegte. Er hat das Ultimatum der Bundesangestellten nur zum Anlaß genommen, um nicht erst über den Korruptionsstandal zu stürzen. Nun mußte Seipel die Regierung übernehmen, weil er per­fönlich an den Standalen nicht beteiligt ist und um der bürgerlichen Deffentlichkeit zu beweisen, daß ihre Regierung durch die Ent­hüllungen des Untersuchungsausschusses fich nicht einschüchtern läßt, sondern die sozialdemokratische Offensive, die diese Enthüllungen herbeiführte, mit einer Gegenoffensive zu beantworten ent­schlossen ist. Es soll den Sozialdemokraten jetzt mit der starken Hand gedroht und zugleich gezeigt werden, daß die Christlichsozialen und Großdeutschen zusammenhalten und das ganze Bürgertum geschlossen hinter ihnen steht. Das ist der Sinn des neuen Kabinetts Seipel: Es ist die

Regierung des reaffionären Bürgertums ohne Unterschied der Partei,

geeint durch das gemeinsame Intereffe, sich die Profitfreiheit nicht einschränken zu lassen, geeint auch durch die gemeinsam begangenen Börsenspekulationen, die gemeinsam verbrochene Korruption.

Nicht, daß zwei Großdeutsche in dem Kabinett Seipel find, ist das Bezeichnende. Die Großdeutschen haben im Bürgertum, selbst in der bürgerlichen Intelligenz, die sie einstmals beherrschten, ganz ausgespielt, und fie vermochten Mandate nur noch im Rest ftimmenverfahren und durch chriftlichsoziale Gnade zu erhalten. Sie

werden das nächstemal nur noch Mandate bekommen, wenn die Christlichsozialen, wie sie es in einzelnen Bundesländern bereits taten, mit ihnen eine Einheitsliste aufstellen. Die einst antifleritale, ja fulturfämpferische Partei wird nur durch die Gnade der Klerifei noch Mandate erhalten.

Die Großdeutschen fönnen feinen eigenen- Willen mehr haben. Sie müssen tun, was die Chriftlichsozialen befehlen und wurden dafür mit zwei Ministerposten bezahlt, die außerdem noch der Deffent­lichkeit vortäuschen sollen, daß die Regierung nicht flerital, nicht habsburgisch sei.

fonders in seinen täglichen Werbebeilagen die schwere Der Vorwärts" hat durch aufklärende Aufsätze, be­Arbeit der Genofsinnen und Genossen zu unterstützen versucht. dargelegt, die durch die gänzlich veränderten Zeitver­Er hat auf einer Reihe einzelner Gebiete die großen Aufgaben hältnisse seit dem Krieg und der Revolution an unsere Partei herangetreten sind. Erschöpfend konnten diese Dar­legungen nicht sein, da dazu Bücher, nicht einzelne Zeitungs­blätter notwendig fein würden. Und doch wird jeder ältere Genosse aus ihnen einen lebendigen Eindruck davon erhalten haben, welcher umwälzende Wechsel in den Funktionen der Partei eingetreten ist.

Vor dem Krieg und der Revolution mußte die Tätigkeit der Partei vorwiegend fritisch und agitatorisch bleiben. In Reich, Staat und Gemeinde war ihr jeder Weg zu direktem Einfluß gesperrt. Eine stets wachsende Masse politisch und gewerkschaftlich Organisierter, eine stets an schwellende Schar von Wählern, die durch Abgabe eines sozial­demokratischen Stimmzettels ihrer Unzufriedenheit Ausdruck gaben, drängte gegen die Mauern des Obrigkeitsstaates und seiner Privilegiensysteme. Auf dem ganzen Bolke lastete das würden und doch fand man aus ihnen feinen Ausweg, bis Gefühl, daß diese Zustände auf die Dauer unhaltbar fein der Krieg, die Waffenstillstandsbitte der Heeresleitung und damit das Geständnis fam, daß der Krieg verloren sei. Jetzt erft barsten die so lange gehaltenen Dämme, und die Masse der arbeitenden Männer und Frauen strömte in das Leben des Reichs, der Länder und der Gemeinden ein.

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der Partei schloß nicht ganz aus, daß auch positive Erfolge er­Die vorwiegend kritische und agitatorische Einstellung reicht wurden. Allerdings geschah dies nur auf indirektem Wege, weil die herrschenden Mächte vor dem Anwachsen der Sozialdemokratie Furcht empfanden und bei ihren Maßnahmen darauf bedacht waren, wie sie auf die Reichstagswähler wirken würden. Insofern erwies sich schon der fümmerliche Ansah zur Demokratie, der in dem damaligen Reichstagswahlrecht bestand, als ein wesent­licher Vorteil für die arbeitenden Massen. Was das Kaiser­reich auf dem Gebiet der Sozialpolitik und der Sozialversiche­rung fertiggebracht hatte, wäre nie zustande gekommen, wenn nicht den Herrschenden die Angst vor der Sozial= demokratie im Nacken gesessen hätte. Aber kennzeichnend und eine unvergleichliche Lehre für den Klassenkampf bleibt es, daß die herrschenden Mächte, die sich gelegentlich sozial" zu gebärden suchten, den demokratischen Forderungen der Arbeiter den hartnädigsten Widerstand entgegensetzten. Lieber warfen sie den werktätigen Massen ein Almosen der Sozialgesetzgebung hin, als daß sie gutwillig irgendwelche es um den Siegespreis aller Klaffenkämpfe: um die poli­politische Zugeständnisse gemacht hätten. Denn hier ging tische Macht.

scheitern.

Der Kampf um die politische Macht ist noch nicht beendet Drei der Minister sind es vor allem, die der Bougeoisie die Beruhigung geben sollen, daß die neue Regierung eine Regierung und noch nicht gewonnen. Er wird aber unter gänzlich der starken Faust sein will: vor allem der Bundeskanzler veränderten Umständen geführt, und wer nicht Dr. Seipel selbst, der sich seit jeher bemüht, die bürgerliche Einversteht, sich diesen Veränderungen anzupassen, muß elend heitsfront gegen die Sozialdemokratie zu schaffen; dann der Finanzminister Dr. Kienböd, der in dem früheren Kabinett Seipel das Vertrauen der Großfinanz genoß, weil er die Befigsteuern herabsetzte und die Verbrauchssteuern erhöhte, der auch persönlich das jüdisch- antisemitische Kompromis verförpert, weil feine Mutter Jüdin war, was ihn aber nicht hindert, zu der sich so antisemitisch gebärdenden christlichsozialen Partei zu gehören. Schließlich ist der neue Unterrichtsminister Sch mit ein ausgesprochener mon= archistisch- flerital- scharfmacherischer Reaktionär, zugleich Ver­trauensmann der industriellen Scharfmacher, für die er im früheren Ministerium Seipel das Ministerium für soziale Ver­waltung zu einer

Filiale des Industriellenverbandes machte. Hinzu kommt der Heeresminister Bau goin, der aus dem Ministerium Ramet übernommen wurde, weil er durch seine Be­mühungen, die Wehrmacht den monarchistischen Offizieren in die Hände zu spielen, feine Zuverlässigkeit bewiesen hat.

Es ist also ein Ministerium des Kampfes gegen die Sozial. demokratie, gegen die Arbeiterschaft. Die arbeitenden Massen werden daraus nur die Lehre ziehen können, daß sie um so fester zusammen. halten müssen.

Die Sozialdemokratie ist nicht mehr die Partei, die im wesentlichen nur fritifiert und agitiert. Indem sie aus der Monarchie die demokratische Republik schuf, den Frauen gleiche Staatsbürgerrechte gewährte, der deutschen Außenpolitik die Linien zum Wiederaufstieg aus der furchtbarsten Niederlage zeigte, hat sie positive Leistungen vollbracht, von denen die Weltgeschichte berichten wird. Diese Leistungen, an deren Vollkommenheit jeder zu zweifeln berechtigt ist, und die uns, vor allem als Sozialisten noch viel zu wünschen übrig laffen, sind vollbracht worden, obwohl die Sozialdemokratie im Laufe dieser ganzen Entwicklung noch niemals die Mehrheit des Bolkes hinter sich gebracht hatte. Möglich murden sie, entweder weil die Macht der Gegner unter der Gewalt der historischen Ereignisse zusammenbrach oder weil es gelang, einen Teil der bürgerlichen Parteien auf den Wegen, die die Partei als richtig erfannt hatte, ein Stüd mitzuziehen.

So steht heute im Bordergrund unserer Werbearbeit nicht mehr nur die Kritik der gegebenen sozialen Zustände, sondern