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Sonntag

24. Oktober 1926

Unterhaltung und Wissen

Mein armer Bruder.

Bruder, ich muß die Blicke vor dir senten,

wenn du an mir vorübergehst

und die Augen

-

die verraten, was wir denken haßerfüllt und schnell zur Seite drehst.

Breit ist dein Rüden und von trogender Kraft, schwer hängen deine Arme und fast erschlafft, frankenfahl das Gesicht, wenn du im Lichte stehst. Hunger hast du, indes die Speicher sich füllen, Hunger hast du und die Aehre schwellt. Hunger! die milchschweren Kühe brüllen, Hunger! die üppigen Gärten leuchten ins Feld. Weit sollst du wandern, du weißt nicht wohin, alles wird fremd deinem leidschweren Sinn, als Bruder will dich keiner auf der Welt.

Groß ist deine Gestalt und deiner Arme Stärke, aber noch gibt es Mächte, die stärker sind, auf ihren Wint stehn oder fallen Werte, das Schicksal gebietet mitleidslos blind.

Lieblich schaun Licht und Sonne aufs Land, Blumen blühen auch am fargen Straßenrand. Vögel steigen fühn im Wetterwind.

Du, der du irrst, geschunden, verflucht,

das Leben wird auch dir erblühn,

wenn der Mensch des Menschen Auge sucht,

wenn für alle die Aehren glühn.

( Nach dem Holländischen von Julius 3erfaß)

Der Idiot.

Chinesische Legende von Alfred Politz.

Die Götter feierten das Jubiläum der siebenmal ewigen Regent schaft ihres Meisters. Zur Freude des Tages wurde ein Scherz ausgemacht. Man beschloß, unter den Menschen eine Lotterie zu reranstalten und demjenigen, auf den das Los fallen würde, sollte ein Spezialaft himmlischer Gnade zuteil werden: Er dürfe einen Wunsch äußern und dieser solle, was es auch sei, erfüllt werden.

Die Lotterie tam zustande und das Los fiel auf den Idioten Herrn Wang Tse- fu. Im Schreck über diese Nachricht stieß er seinen Wanderstecken so heftig auf die Erde, daß er zerbrach. Die Leute lachten und er humpelte in den Saal der Götterversammlung.

In der Mitte stand ein goldener Thron, auf dem der Götter. meister saß. Der redete ihn an:

Du kennst die Bedingung: Nur ein Wunsch darf es sein, der erfüllt wird; und sobald ich die Worte spreche Es sei gewährt!" ist teine Umkehr mehr möglich. Ueberlege also gut!"

Herr Wang Tse- fu lächelte:

Mir ist schon ein Wunsch aufgekommen. Borhin zerbrach ich meinen Stecken, ohne den ich mich schlecht von der Stelle bewegen fann. Verschaff' mir einen neuen."

Die Götter riffen die Augen auf und der Meister versetzte: ,, So, ist es das, was Du verlangst?"

,, Nein, doch nicht, Du gemahnst mich recht. Einen Steden tann ich mir allenfalls selber beschaffen; und vielleicht brauche ich ihn gar nicht mal. Wenn Du mir ein Pferd gibst, bin ich des Laufens überhoben."

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-

Mehr nicht?" ,, Wohl gelüftets mich nach anderem auch, aber es wird ja doch nur ein Wunsch erfüllt. Doch halt! Gib mir Reichtum, und ich kaufe mir davon, was ich will." ,, Und wenn Du dabei vor Sehnsucht vergehst nach etwas, das Du nicht durch Kauf erwerben fannst?"

Du meinst es gut, daß Du mich warnft. Schon fällt mir ein, wie Sehnsucht quälen kann. So stille die gefährlichste meiner

Sehnsüchte: Gib mir eine liebende Frau."

Und wenn Du als franter Krüppel dahinweltst, wird Dich ihre Gegenwart über das Gebrechen hinwegtrösten?"

-

Es scheint mir nicht. Deine Frage öffnet mir die Augen. Es flingt zwar wie für Kinderohren geschaffen, hat doch seine Richtigkeit: Die Gesundheit ist das höchste But Gib mir dauernde Gesundheit."

" Doch bedent, wenn fein Gliederschmerz und tein Gebrechen Dich hindert, aber feine liebe Seele Dich auch nur auf Stunden über die Rauhigkeit des Alltaglebens erhebt, und Armut Dich hinter jenen zurückstehen läßt, die in schönen Häusern wohnen, schöne Kleider tragen, auch mal schöne Feste feiern..."

" Du führst mich im Kreise. Ich sehe, was ich auch wünsche, schützt mich nicht vor der verspäteten Reue, das Falsche gewählt zu

haben."

,, Also wünschst Du nichts?" Im Gegenteil, alles!"

Die Götter im Saale brachen in ein schallendes Gelächter aus. Der Meister auf dem Thron befahl Ruhe und erwiderte: ,, Das geht nicht, Dir steht nur ein Wunsch zu!"

Der Idiot Herr Wang Tse- fu hatte den Kopf in die Hände gestützt. Die Ader, die über die Mitte der Stirn läuft, war ge­schwollen von der Anstrengung des Dentens. Endlich richtete er fich empor:

"

Nun denn, so werde ich mir alles durch eins schaffen!"( Die Götter traten aufhorchend näher.) Ich verlange, daß von nun an jeder folgende Wunsch in Erfüllung gehe!"

Die Götter wichen erschrocken zurüd und begannen zu schreien, daß die Wände zitterten. Sie waren schrecklich anzusehen in ihrer Aufregung, die sich aus Angst und Wut zusammensetzte, und die ihre Gesichter zu fürchterlichen Frazen verzerrte. Sie sprangen auf gilt nicht!" freischten sie. Der Meister verfluchte ihren Lärm und sie standen wieder ruhig. Dann hub der Meister an:

und nieder und stießen sich aneinander." Wir sind verloren. Das

Was ausgemacht ist, gilt. Er hat nur eins gewünscht. Aber," wandte er sich an den Idioten, bedenkst Du auch, daß es Dir zum Uebel sein fann? Du siehst, wie erzürnt die Götter find. Sie wer­den Deine Feinde, und im Augenblid, wo ich Dir gewähre, werden sie sicher Deinen Geist verwirren, daß Du fernerhin nur Unfinn

wünschst."

Herr Wang Tse- fu fühlte die haßsprühenden Blicke auf sich ge­richtet. Er überlegte, ehe er zum zweiten Wunsch komme( mit dem er die wütenden Götter ungefährlich machen könnte), würde das erwähnte Unglück schon geschehen sein.

Volksbelustigung.

Das große Fischerstechen zwischen den Admiralen v. Müller und Tirpitz-

Beilage des Vorwärts

H.ABEKING? 26

ANTERS

endete mit der Niederlage des Admirals Tirpit, in dessen Boot sich die Balken bogen...!

Memoi

Ti- pin

Ich erkenne, ich werde an teiner Erfüllung Freude haben,"| Schloffe absperrten, und von einem Bosten auf dem Turme be fagte er betrübt, was es auch sei."

Und Du willst Dich freuen?" " Sicher, sonft hat alles feinen Bert."

"

Na also...?"

Was?"

,, Warum wünschst Du Dir teine Freude?"

-

-

Ich komme mir tatsächlich vor wie ein Idiot, daß ich es nicht bedacht habe. Selbstverständlich wünsche ich mir einfach die dauernde Freude." Da stuzte er. Raum, daß ich es ausspreche, da regen sich die Bedenken. Deine Führung hat mich zur Kritik er­zogen: Ich begreife, schließlich muß mir dauernde Freude wie alles Dauernde zum Schluß über werden. Die menschliche Natur ist eben nicht für ein ftetes Gleichmaß geschaffen!"

Die Götter ficherten, und der Meister entgegnete sanft: Du bemühft Dich auf Berge, die nicht da find. Was heißt dauernde Freude, die Dir über. wird? Und die damit aufhört, Freude zu sein! Das bedeutet also, Du wünschst Dir teine dauernde Freube.

Wie groß Du bist! Meine Gedanken find verwirrt Dein weises Wort allein vermag mich noch zu lenfen! Nun glaubte ich soweit gekommen zu fein, einen Einwand gegen mich selbst gefunden zu haben und traf daneben. Stets werde ich Deiner Weisheit ge­denken müssen. Laß' gut sein, gib mir dauernde Freude."

-

Und was dünft es Dich, wenn Du dann in Ermangelung einer genügenden Anzahl vernünftiger Gründe genötigt bist, Dich am Un­vernünftigen zu erfreuen und derohalben von aller Welt als Idiot verlacht wirst?"

Mit einem Rud richtete sich Herr Wang Tse- fu auf:

-

Nie will ich das! Ich bekümmere mich nicht um die Men­schen, aber von ihnen als ein lächerlicher Jdiot zu paradieren, wider strebt mir schon in der Vorstellung. Ich danke Dir. Bemühe Dich nicht weiter! Berschaff mir einen neuen Steden, auf daß ich von bannen ziehe!"

Tse- fug ging mit seinem neuen Stecken hinaus. Es sei gewährt," sagte der Meister, und der Idiot Herr Wang

Der Wydener Kongreß 1880. nach unveröffentlichten handschriftlichen Berichten des Archivs. Die heutige kämpfende Generation der deutschen Sozialdemo­fratie wuchs im wesentlichen nach dem Fall des Ausnahmegesetzes Nur aus gegen die Sozialdemokratie heran. den Erzählungen ihrer Väter tennen unsere heutigen Jungen die ständig drohenden Gefahren, unter denen der demokratische Sozialismus in der aus nahmegesetzlichen Periode von Ende Oktober 1878 bis Anfang Oftober 1890 verbreitet werden mußte. Mehr als 46 Jahre sind verflossen, seitdem deutsche Sozialdemokraten auf dem Schlößchen Wyden bei Offingen im Kanton Zürich ihren ersten Kongreß ab­hielten. Welche umfassenden Vorsichtsmaßnahmen mußten unsere Genoffen damals treffen, um das Heer polizeilicher Spürnafen von diesem geheimen Kongresse fernzuhalten? Da trat am 20. Auguft 1880 in Wyden die Generalversammlung der Kranken-, Wander­laffenbrüder fanden sich hier ein, die nicht ihren Gebrechen, und Altersunterstügungstaffe" zusammen. Merkwürdige Kranken­sondern den Krankheiten des preußisch deutschen Staates, der fieberhaft vor dem roten sozialdemokratischen Umsturz zitterte und bebte, zu Leibe gehen wollten.

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Wenn wir heute den gedruckten Bericht vom Wydener Rongreß durchlesen, so stoßen wir nicht auf den Namen eines deutschen Referenten oder eines deutschen Delegierten. Die Genossen, deren Namen im Berichte erwähnt sind, erfreuten sich der' republi­tanischen Freiheit der Schweiz : es find das die Genossen Greulich, Uhle, Gutsmann usw. Nach Möglichkeit sind eben alle Namens Vorsicht bei ihrer Berichterstattung auf deutschem Boden ans Herz nennungen vermieden. Allen Kongreßdelegierten wurde die größte gelegt. Kein Delegierter durfte nach einem unveröffentlichten Wydener Kongreßbeschluß Papiere, Druckschriften, Zahlen, die sich nur irgendwie auf die Verhandlungen der Wydener Tagung bezogen, auf der Heimreise mit sich führen. Bei etwaigen gerichtlichen Bernehmungen durften die Genossen wohl not gedrungen ihre Beteiligung am Kongreß zugeben, nichts weiter aber.

Man verständigte sich ferner auf dem Kongreß über einen Blättern. Wer war auf dem alten Wydener Schlosse erschienen? romanhaften Bericht der Wydener Tagung in bürgerlichen Das wußte niemand zu sagen. In den Berichten der von unseren Genossen beeinflußten Zeitungen, in den Meldungen der Berliner Bolkszeitung", der Tribüne" usw. hieß es unter anderem: Man betam temen der geheimnisvollen Schloßbewohner außerhalb der Tore zu sehen, mit Ausnahme der Wachen, welche die Wege zum

nachrichtigt, niemanden nahe kommen ließen." Der Zeichenstift des Genossen Kauzky hat in der Wydener Kongreßzeitung das uralte Raubschloß mit den ritterlichen Wachen festgehalten.

Für die Sozialdemokratie jener Tage existierte nicht mehr das Gefeß, das gewöhnliche bürgerliche Gesez, sondern nur das bratonische Ausnahmegeseh; und daher strich der Wydener Kongreß das Wert: gefeßlich aus dem Gothaer Parteiprogramm, und die Sozialdemokratie verfolgte nun ihre Biele mit allen Mitteln. Ignaz Auer bemerkte zu diesem Beschluß auf dem Kongreß: Der Antrag Schlüter der Genosse Schlüter hatte diese Streichung vor. geschlagen bleibe illusorisch, wenn nicht nach diesem Antrag ge handelt werde. Die ungefeßliche Handlung sei selbstverständlich und deshalb gerechtfertigt, und es sei nur zu wünschen, daß recht viele derartige Handlungen begangen würden.

Der Wydener Rongreß schloß die bisherigen Führer Most und Haffelmann aus der Partei aus: sie hatten neben sehr gehässigen Quertreibereien eine gewaltrevolutionäre tonfpira. torische Tattit befürwortet, die unsere Parteigenoffen direkt in die Bajonette des herrlichen Kriegsheeres" treiben mußte,

Die Sozialdemokratie hielt sich frei von den Praktiken der früheren blanquischen Geheimbünde: fie brütete teine Berschörungen zum direkten gewaltsamen Sturze des Staates aus. Sie verneinte in ihrer politischen Tätigkeit nur grundsäßlich die Bestimmungen des fluchwürdigen Ausnahmegesezes, das ja die Sozialdemokratie überhaupt endroffeln wollte. Ja, sie wehrte von sich selbst eine zentralistische Organisation ab, deffen Spize mit umfassenden dikta­torischen Befugnissen ausgerüstet war. Sie schuf sich unter der Führung Auers eine den gewöhnlichen politischen Verbindungs­verhältnisser angepaßte Organisation: fie legte die offizielle Barteivertretung in die Hände der derzeitigen Abgeordneten" und überließ den Aufbau der lokalen Organisation dem Ermessen der dort lebenden Genossen". 3um offiziellen Organ der Partei be­ftimmte der Wydener Kongreß den in der Schweiz erscheinenden Sozialdemokrat" Die Gelder für Parteizwede sollten durch Marken von mindestens 10 Pfennige" aufgebracht werden.

Ueber die Verbreitung des Sozialdemokrat" berichtete auf dem Kongresse der rote Postmeister Julius Motteler . Er schlug eine möglichst umfassende Versendung des Sozialdemokrat" in Batetform vor. Das Briefabonnement des offiziellen Parteiorgans würde dessen Bezug sehr verteuern. Das Blatt wäre noch von der Unterstützung einzelner Personen abhängig, und es müßte erst auf die eigenen Füße gestellt werden. Johann Most gefiel sich damals in geistlosen Sticheleien auf den Goldonfel" der Partei: auf Karl Höchberg , der aber, wie Bebel in Wyden eingehend schilderte, niemals versucht hatte, auf die Haltung des Sozialdemokrat" einen Einfluß zu gewinnen. Der Redakteur des" Sozialdemokrat", Bollmar, schilderte dann die Schwierigkeiten, mit denen das Parteiorgan zu tämpfen hatte, und er forderte die deutschen Ge­nossen zur Abfassung von Situationsberichten auf, die zur richtigen Erfassung der deutschen Verhältnisse wesentlich beitragen würden.

Ein großes Verdienst um die Partei erwarb sich der Wydener Kongreß durch sein geschlossenes und begeistertes Eintreten für die Reichstagswahlen des kommenden Jahres. Er beseitigte die pessi­mistische Stimmung, von der zum Teil bestimmte radikale Gruppen Berlins unter dem Belagerungszustande befallen waren. Der Kongreß beschloß einmütig, die Reichstagswahlen zu einer großen Heerschau zu gestalten. Bei den Stichwahlen wollte man den Ge­nossen im allgemeinen Wahlenthaltung auferlegen. Der Widerwille gegen den Abschluß von Wahlkompromissen und gegen diesem Widerwillen sprachen die sehr trüben Erfahrungen der Ge­die Unterſtüßung bürgerlicher Kandidaten war allgemein. Aus noffen mit den bürgerlichen Parteien.

Schließlich stimmte der Wydener Kongreß dem Vorschlag der Belgischen Arbeiterpartei für die Einberufung eines fozia­liftischen Welttongreffes bei und nahm den Antrag Schlüter mit großer Majorität an, einen befannten Parteigenossen zweds Agitation und Sammlung von Geldern nach Amerika zu senden.

Nur ein Wort noch zum Schluß über die historische Bedeutung getragen hatten. Er förderte wirksam die Verbreitung des Sozial­des Wydener Kongresses. Der Wydener Kongreß beseitigte erfolg= reich die Spaltungsfeime, die Most und Hasselmann in die Partei demokrat " und den Ausbau der internen Organisation der Partei in Deutschland . Er gab das Signal zu dem großen Wahlfeldzug der Sozialdemokratie gegen das freiheitsfeindliche, halbabfolutistische System Bismarcks, und stellte dadurch die Partei in die breite Deffentlichkeit. Die Partei blieb in engster Fühlung mit den Massen selbst und hielt sich von allen tonspiratorischen Unter­nehmungen fern. Der Wydener Kongreß half die Partei zu einer mit revolutionärem Eigenleben in allen Organen der bürgerlichen wirklichen Maffenpartei entwickeln, die sich als starter Rörper Gesellschaft festsetzte.

Der schließliche Sieg der Sozialdemokratie über das Kaiserreich wurde schon in Wyden vorbereitet. Daher muß die heutige Generation der Sozialdemokratie den mutigen Kämpfern von Wyden ein treues Gedächtnis bewahren. B. R.