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Ja, sie ist modern geworden, so modern, daß ihr schon«in« Zeit- schrift gewidmet war die Frau ohne Mann. Ein« merkwürdig« Brill« war es freilich, durch die da die Frau ohne Mann betrachtet wurde: die Zeitschrist Hot inzwischen«in unrühmliches Ende gefunden, und sie gehört zu den Ausstellungsobjekten der AbteilungPorno- graphie" in der Polizeiausstellung. Aber immer noch ist in den Diärtern, die nur ein wemg vorsichtiger« Nachfolger dieser Zeitschrist sind, die Frau ohne Mann, d. h. natürlich ohne durch das bürgerliche Recht garantierte Eheversovgung,«in recht beliebtes Distufsions- objekt. Wie pikant ist das alles! Vor einem Jahrzehnt noch über- fetzt««in Schlager die Wünsche eines glühenden Junggesellenherzens in die Worte: Ob ein« feurig oder ätherisch, Ob sie gesund ist oder hysterisch... Ich geh' auf jede Nuance gern ein! Aber oerheiratet, aber verheiratet, richtig verheiratet, das muß sie sein!" Nun, das ist jetzt ein durchaus überwundener Standpunkt. Jetzt ist diejunge Witwe" oder dieberufstätige Dam« mit Eigenheim" sehr gesucht aus dem mehr oder minder legitimen Heiratsmarkt. Berlin besteht nicht nur aus der Touentzienstraß«, aus scrshionablen Konditoreien undlauschigen" Restaurants mit lila Beleuchtung: und w diesem anderen Berlin , m das diese Berufsbarden niemals kommen, de leben viel« Tausende Frauen ohne Mann, schlagen sich togtäglich mit den härtesten Nöten des Lebens und sind um so schutzloser, als noch der ganz« Apparat des Staates und, wie oft. noch dersozialen Fürsorge" von Männern bedient wird, die an all« Ding« mit männ­lichen Vorurteilen herangehen. Von diesen Frauen meldet kein buntes Magazin, und wer von ihnen wissen will, wird hier kein« Auskunft bekommen können... Und doch lehnt sich schon ein« Entdeckungsreise. Die Witwe. Di« Wohnung ist da draußen, wo die Untergrundbahn ihr Ende hat, in einer jener grauen Nebenstraße mit den freudlosen Miels- kajernen, die auf jedem Treppenabsatz vier Wohnungstüren ausweisen. Ein« kleine, schief« Küche ist derEmpfangsraum", und der ganze klein«, schief« Raum ist voll lebendigster Jugend. Denn dies« Frau hat. als Witwe, drei Kinder großgezogen, und alles, was Freud « heißt, haben diese drei ihr zugetragen. So klein ihre Wohnung ist, ist sie doch alle Tage der Versammlungsraum auch der Freunde ihrer Kinder, ist all« Abende von Musik und Spiel und Freude erfüllt... 1!i17 starb der Vater plötzlich am Herzschlag. Damals waren die Jungen neun und vier Jahre all. das Mädchen war gerade zwei Jahre geworden. Der Dater war Dreher, ein besser bezahlter Arbeiter, es waren einige Spargroschen vorhanden. Nun stand die Mutter ollein mit den fcrei Waisen. Das geringe Kapital mußte für die Kinder auf«in Sparkassenbuch«ingetragen werden, oerlangt« das

Vormundschaftsgericht. Armenunterstützung wurde der Frau ver- weigert. Der Armenoorsteher hatte erfahren, daß bei dem Tode des Mannes etwas Geld vorhanden gewesen sei: er wies sie ob:Erst müssen Sie ihre Groschen verbrauchen!" Da nahm sie nach drei Wochen Arbeit bei Siemens an: Kriegsarbeit. Um halb acht begann die Arbeit. So mußte sie um halb fünf aufstehen, um sechs schon gab sie die beiden Kleinsten im Kriegstindergarten ab um halb sieben mußte sie aus dem Haus. Ob sie auch den Messter bat sie mußt«, gleich den anderen, Ueberstunden machen:«zu was sind Sie denn hier! Hier wird gearbeitet!" Erst um halb neun kam sie nach Haus. Dann kam die Hausarbeit bis elf Uhr. Und dann, dann durfte sie schlafen bis ihr der Wecker meldet«, daß das Mittagessen gar fei. Und halb im Schlaf tappt« sie in die Küche, um das Gas abzudrehen. Aber irgendwie kam der Meister dahinter, daß sie den Vorwärts" hielt. Da bekam sie die elendeste Arbelt, bei der sie nur drei Viertel des normalen Lohnes verdiene» konnte. Und die Kinder wurden krank... Nun nahm sie Arbett, in der sie Wechsel- schicht arbeitete: und weil sie über Tage doch nicht schlafen konnte, nahm sie noch Wäsche ins Haus, um die droi hungrigen Kindermäuler zu stopfen.. 191g wurde sie im Januar arbeitslos: aber sie bekam nur für sich Unterstützimg, denn für die Kinder hatte sie nun Armen- uilterftützung, nachdem sie zu des Vormundschaftsacrichts Entrüstung das Geld von dem Sparkassenbuch für die Ernst? rung der Kinder abgehoben hatte. Armenuaterstühung, für die sie jedem Kinde gerade zwei Schrippen kaufen konnte. Aber das Waisenhaus wollte die Kinder nicht aufnehmen.Eine gesunde Frau muß doch drei Kinder ernähren können!" Und Mutter und Kinder zogen im Sommer in die Heide, um Blaubeeren zum trockenen Brot zu haben.. Dann fand sie einegute" Stelle als Hausmädchen in einem Krankenhaus. Di« Kinder blieben allein; das Mädel im Bettchen, bis die Brüder nach Haufe kamen. Stullen standen auf dem Tisch, die Jungen wurden fix und fertig angezogen, der Wecker gestellt auf die Zeit, zu der sie in die Schul« gehen mußten. Und mit einem Herzen voll Angst und Oual arbeitete die Mutter, bis sie um 4 Uhr nach Hause kam...Jetzt habe ich ein Herzleiden, aber nun geht es uns ja glänzend gegen früher! Trude macht die Küche(und die war blank und sauber), der Junge die Stube, und mein Großer...Ihm ist ein halbes Jahr Lehrzeit geschenkt worden, und jetzt ist er Expodient bei der Firma, 100 Mark bekommt er am Ersten Gehalt! Er hat es so schwer gehabt, sich durchzubeißen, denn er hatte ja ein« Freistelle

auf der Realschul «, der Rektor hat ihn ohne meinen Willen hingebracht. Die Anzüge hat er sich selbst verdient mit Nachhilfestunden, und die anderen Jungs haben doch oft über ihn gespottet, weil er nur Schmalz- stullen mithatte. Der zweit« hätte auch auf ein« besser« Schul « kommen können, aber ich konnte es nicht mehr durchsetzen; es kostet ja doch Geld, wenn das Schulgeld auch geschenkt wird..." Neun- unddreißig Jahr« ist sie jetzt: dreißig war sie, noch eine jung« Frau, als der Mann starb. v:e leüige Mutter. ... ich war ja noch so'n Schaf, trotz meiner 23 Jahr«! Ich habe ja gar nicht kapieren können, warum das Kind eigentlich'n Malheur sein sollt« ich habe mich so drauf gefreut! Es war ja nicht schlimm, Mutter lebte noch, ich konnte arbeiten, da habe ich für beide gesorgt. Wie? Zuerst habe ich Schürzen genäht, für'n Schneider aber denn habe ich noch Prioatarbeit dazwischen genommen, und ich habe immer gur verdient, nie ausgesetzt, denn ich habe Muster gemacht. Wir haben immer gut zu essen gehabt, aber die anständige Ernährung war auch das Einzige, was ich schassen konnte für uns drei... und dafür mußt« ich täglich mindestens 12 Stunden arbeiten, aber manch- mal ging's die Nacht durch, und am nächsten Tage konnte auch erst um die übliche Zeit Feierabend gemacht werden. Lange habe ich das ausgehalten, aber dann fing ich an der Maschin« immer zu schlafen an und wacht« erst aus, wenn ich mit dem Kops« gegen den Näharm fiel. Dann starb Mutter, ich hätte in der Fabrik leicht bessere Arbeit finden können, aber ich blieb zu Haus«. 1915 ging ich doch in die Fabrik, denn nur so konnte man damals Geld verdienen, und ich nahm Nacht­schicht, um den Tag für zu Hause rrei zu haben. Der Vater? Der Vormund? Ja, der Vater war hier ein junger Mann aus wohl- habender Bürgerfamili«, aber darum brauchte er für fein Kind doch nur 15 Mark Alimente zahlen, denn ich wurde nicht als Schneiderin, sondern alsungelernte Arbeiterin" gerechnet, und der Vormimd riet mir noch, mein Einkommen möglichst niedrig anzugeben. Er soll von dem Vater Geld bekommen haben dafür... Dann starb er, ich wurde meines Kindes Vormund, und der Vater löste feine Verpflichtungen durch Kapitalauszahlung ab Aber das Geld mußte ich auf«in Spar- kassenbuch anlegen, kaum daß man mir so viel freigab, wie die Aus- bildung in der Fröbelfchul« für mein Mädel kostete... Hätte ich wenigstens über das Geld verfügen dürfen, dann hätte ich meinem Mädel ein« Existenz gründen können! Aber so viel Zuverlässigkeit traute das D o rm unds chaft sg eri ch t mir nicht zu; vielleicht, weil ich«in« ledige Mutter oder weil ich nur Schneiderin bin... Da lag dos Geld auf der Sparkasse, und die Inflation hat das Vermögen meines Kindes gefressen. Nun sind mein« Nerven zerrüttet, ich kann nicht mehr Tag für Tag arbeiten, und mein Mädel kriegt in der Wäschefabrik 18 Mark die Woche raus: und sie, die längst nicht so robust ist, wie ich war, wird bald für mich sorgen müssen. Bis auch sie zusammen- bricht. -i° So sieht das Loben derFrau ohne Mann" heute in Wirklichkeit aus: Sie wird am wenigsten gestützt und alle Staatshilfen sind ihr

Die Vunöer öer Klara van Haag. 1] Don Johannes Vuchhollz. Aus dem Dänischen übersetzt von Erwin Magnus . 1. Kapitel. Hedwig erschien auf der Steintreppe des Zollamts. Der Frühlingswind spielte mit ihrem gelben Haar. Sie strich es sich aus der Stirn, beschattete sich die Augen und sah die Brückenstraße hinunter. Jetzt mußte der Wagen bald da sein. Dann lief sie die drei Stufen hinab und blieb mitten auf der Steinbrücke stehen. Sie stand frei und gerade auf ihren Beinen, während der Wind vom Hafen ihr das Kleid um die Schenkel schlug und die weiße Schürze wie ein schimmerndes lateinisches Segel ausspannte. Der alte Poulsen öffnete das Kontorfenster halb und steckte sein braves, graues Ziegenbockgesicht heraus. Hedwig lachte zu ihm hinauf: Noch nicht!" Sie ging hinein ins Kontor. Wie herrlich warm es ist," sagte sie und strich sich ostwechselnd über die nackten Unterarme. Das Feuer prasselte still im Ofen, durch die zwei Fenster fiel die Sonne herein und bildete herrlich funkelnde Vierecke auf dem blanken Linoleum. Draußen am Bollwerk lagen die Schiffe mit weißen Kombüsen und hohen Masten. Poulsen schritt unruhig hin und her in seinen aus- getretenen Schuhen. Sein Rock war der bekannte, alte, grüne auf der rechten Seite gelblich verblichen Zollassistentey- uniform; aber Hedwig bemerkte, daß er merkwürdig geformte Manschetten trug, die er immer wieder in seine Aermel hinauf- zuschrauben versuchte. Plötzlich blieb er stehen und lauschte mit offenem Mund. Er versuchte sich zwei-, dreimal aufzu- richten, ohne daß der bucklige Rücken folgen wollte, und drehte sich verwirrt auf derselben Stelle herum. Rasselte es nicht?" sagte er. Hedwig sprang durch die Tür auf die Straße und wieder herein.. Rein, keine Spur von einem Wagen!" Es klang wirklich so. Es klang wirklich so." murmelte Poulsen. wie um Entschuldigung bittend und schritt weiter. Hedwig trat vor ihn. daß er nicht vorbei konnte. Poulsen! Hören Sie, Poulsen, man sollte wirklich

glauben, daß Sie es wären und nicht ich, die meine Gnädige erwartet!" Ich muß dir gestehen, Hedwig, daß daß ich daran gedacht habe hinauszukommen und guten Tag zu sagen. Oder vielleicht: Guten Tag und willkommen in Knarreby Oder..." Ja, aber darüber braucht man doch nicht zu er- schrecken." Ja, aber siehst du, Hedwiglein, ich weiß ja doch nicht, ob es sich paßt. Kontor und Wohnung, was? Ich gehöre ja nach unten. Sie nach oben. Ich dränge mich nirgends auf: aber ich bin jetzt feit zweiundzwanzig Jahren hier und da finde ich, daß es mein gutes Recht ist, hinauszu- gehen und zu sagen: Guten Tag und willkommen im Zollamt von Knarreby." Daß ist auch Ihr gutes Recht, alter Poulsen." Es i st mein Recht," wiederholte Poulsen belebt.Aber, wie soll ich nun am besten...? Meinst du. es wäre am besten, wenn ich draußen auf der Treppe die Mütze abnehme, um das Offizielle zu unterstreichen.... oder..., du mußt daran denken, daß es, obwohl ich ein älterer Mann bin, das erste das allererste Mal ist, daß es mir widerfährt, daß eine neue Frau ins Zollamt kommt. Wassermann und seine Frau waren ja nicht mehr jung, als ich herkam. Sie kommt zu uns aus der großen Welt. Der Zollverwalter sagte neulich: ... Als wir einmal in Paris waren. In Paris ! Man muß beinahe zittern bei dem Gedanken. Was?" Hedwig sagte bedächtig:Rein, das ist wirklich nicht so leicht. Wir wissen nicht, ob sie jung oder alt, ob sie ein Engel oder ein Teufel ist. D a s ist sie wohl am ehesten. Aber" und Hedwig hob den Kopf, als lasse sie einen überflüssigen Mantel von Bedenken von ihren Schultern gleitenich jedenfalls werfe mich nicht vor ihr auf die Knie, selbst, wenn sie meine Gnädige ist. Sagt Sie zu mir: Ich bin aus Paris ! So bekommt sie zurück: So! Ich bin aus Knarreby! Das gleicht sich aus." Ja. du kannst lachen." sagte er kopfschüttelnd und ließ sich schwer auf seinen Stuhl am Fenster sinken. Er nahm den Federhalter, als wäre jede Diskussion vorbei, aber einen Augenblick später sprachen sie wieder über denselben merk- würdigen Gegenstand, daß der Zollverwaster, der jetzt fast ein Jahr lang als Junggeselle gelebt, gestern das Telegramm erhalten hatte, und daß Hedwig bei Sören Fuhrmann gewesen war, um den geschlossenen Wagen zum Drei-Uhr-

Zuge zu bestellen. Poulsen krümmte jedesmal, wenn er von der Gnädigen sprach, seinen Rücken. Ja," sagte Hedwig,aber ich kann es nicht ausstehen, daß sie grob ist. Zum Beispiel gegen ihre Mädchen. Man sollte nicht glauben, daß ein gebildeter Mensch solche in den Mund nähme..." Was sagst du? Woher weißt du...?" Hedwig sah starr vor sich hin und sagte geheimnisvoll: Ja, das ist sie. Ich kenne natürlich nicht jedes einzelne Wort, das sie gebraucht. Aber, wenn Herr van Haag nicht einmal seine eigenen Möbel an Ort und Srelle zu setzen wagt. Er sagte immer: Rein, laßt das stehen, bis meine Frau kommt, sie stellt doch alles um! Dann muß sie ja ein verrücktes Biest sein. Auch gegen mich zum Beispiel Nicht wahr?" Poulsen wagte durchaus nicht, Hedwig in ihrer Lossik zu folgen. Er öffnete statt dessen das Fenster auf seine vorsichtige Art, und als die frische Luft hereinstrich, hörten sie gleichzeitig deutlich Wagenrollen von der Algade her. Das Fenster wurde höchst unvorsichtig zugeschlagen. Hedwig bekam rote Backen, und Poulsen lief an die Garde- robenhaken, setzte seine Mütze auf, nahm sie wieder ab und stülpte sie sich schließlich verkehrt auf sein störrisches, graues Haar. Als der Wagen an der Zollamtstreppe vorfuhr, standen Hedwig und er wie zwei weit verschiedene Statuen je auf einer Seite der obersten Stufe. Sören Fuhrmann schlug einen allmächtigen Knaller mit der Peitsche und hielt die Roten an. Die Kalesche war her- untergeschlagen. Reben dem Zollverwalter saß eine ranke Dame ganz in Weiß. Sie sagte mit einer Stimme, die jedes Wort zu seinem Recht kommen ließ: Fahren Sie etwas weiter vor, Kutscher!" Sören Fuhrmann wandte den Kopf und vergewisserte sich, daß der Wagcntritt war, wo er seiner Berechnung nach sein sollte: gerade mitten vor der Treppe, Dann drehte er die Rase wieder nach vorn. Fahren Sie etwas weiter vor, Kutscher! Fahren Sie bis zu dem Schiff!" Sören suchte mit den Augen Hilfe beim Zollverwalter der war doch kein Frauenzimmer da er aber keine fand, trieb er die Pferde an und ließ den Wagen die dreißig Ellen zum Bollwerk hinüber beinahe springen. Nie hatte er solche Behandlung erfahren. (Fortsetzung folgt.)