Sonntag
31. Oktober 1926
Unterhaltung und Wissen
Bon R.-G. Réan.
„ Das Berbrechen der franzöfifchen Kriegsgerichte" heißt das Buch, dem der folgende Bericht entnommen ist. Es hat R.-G. Réan, einen Franzosen, zum Verfasser. Das deutsche Gegenftüd, bas ficher nicht schmächtiger fein und nicht weniger erschüttern und empören dürfte, fehlt uns leider noch.
Es war geradezu bewunderungswürdig, mit welcher Begeiste rung sich die in unserem Frankreich wohnenden Ausländer am Tage nach der Kriegserklärung in den Meldestellen drängten, um als Kriegsfreiwillige genommen zu werden. Die Pariser werden sicherlich jene malerischen Trupps nicht vergessen haben, die sich aus jüdischen, armenischen, griechischen, spanischen, russischen und polnischen Freiwilligen zusammensetzten.
Geschmückt mit ihren Nationalfarben, spazierten sie auf den Straßen, auf den Boulevards; durch ein Schild, das sie vorantrugen, versicherten sie ihre Liebe zu unserem Baterlande und riefen ihre Landsleute, die sich unter uns befanden, zu den Waffen.
In ihren Augen repräsentierte Frankreich das Land der wahren Freiheit, wo sie Arbeit fanden, als fie brotlos waren, wo ihnen ein linb Afpl geboten wurde, als sie Flüchtlinge, Heimatlose waren. um die Zivilisation, das mit Füßen getretene Recht, zu verteidigen, boten sie ihr Leben der Nation an, die ihnen die Gastfreundschaft gewährte.
Aber.. aber
"
Das Oberfommando verstand nicht, diese Menschen entsprechend zu behandeln. Es täuschte sie, behandelte sie grausam; machte aus ihnen unglüdliche Opfer oder Empörer.
Das Verbrechen von Brouilly hat auf die ausländischen Freiwilligen die unglüdseligsten Rüdwirtungen ausgeübt.
Am 20. Juni 1915 find in cinem Dörfchen an der Marne neun Soldaten des 2. Regiments der Legion erschossen worden: Chapiro, Schwiegerfohn des russischen Generals Daviddoff; Pallo, Finnländer, Student der Rechtswissenschaften; Timariae, Armenier; Broudeck, ruffischer Arbeiter; Elephant, russischer Jude; Petroff, Nicolaief, Artomachine, Dickmann, Russen.
Der Tod dieser Leute hat in Tausenden von Herzen die Liebe für Frankreich getötet und den Glauben an seine Sache.
Wie hat man jene Freiwilligen behandelt. 3u ihrer militärischen Ausbildung hat man Offiziere und Unteroffiziere gewählt, die berühmt waren wegen ihrer Dummheit und Grausamkeit, die herfamen aus africanischen Bataillonen. An der Front herrschte eine Disziplin wie bei Zuchthäuslern.
Eine Katastrophe war unvermeidlich.
Und sie trat ein.
In der Nacht des 17. Juni 1915 wechselt das Bataillon E des 2. Fremdenregiments seine Stellung und fommt nach 20 Kilometer Marsch in Courlaedon an, einer kleinen Ortschaft des Bezirks vismes mit 150 Einwohnern.
Seit neun Monaten war es das erstemal, daß das Regiment fich in einer Drtschaft aufhält. Die Goldaten machen sich deshalb am frühen Morgen auf die Suche nach Lebensmitteln und Wem. Plöglich kommt der Befehl:„ Es ist verboten, Wein zu kaufen, bei Strafe fofortiger Berhaftung!"
Verbote dieser Art waren häufig. Die Soldaten betrachteten fie als Formalitäten und hielten sich niemals daran, ebenso übrigens wie die Berkäufer.
3wei Soldaten," erzählte mir ein Freiwilliger, Roronof und Rast, die zur 2. Kompagnie gehörten, machen sich im Dorfe auf die Suche nach Wein, die Kochgeschirre auf den Rüden geschnallt. Sie hören, daß es in einem Hause bei der Wache Wein gibt und gehen
dorthin.
In diesem Hause schlemmen einige Unteroffiziere, unter ihnen der Sergeant Barras.
Barras erblickt auf dem Hefe die beiden Freiwilligen, schleicht fich hinaus, trifft die beiden beim Füllen der Kochgeschirre und läßt fie fofort verhaften.
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Koronof bricht in wüfte Schmähungen gegen den Sergeanten aus, während Kast diesen flehentlich bittet, sie wieder zu ihrer Kompanie zu lassen.
Durch die laute Unterhaltung aufmerksam gemacht, eilen Kireieff und Elephant herbei.„ Nehmt diese zwei auch feft!" befiehlt der Sergeant.
Die vier Männer verlangen verzweifelt, vor ihren Leutnant geführt zu werden. Zufällig kommt noch der Chef des Bataillons hmzu. Leutnant Marotini berichtet ihm, was sich zugetragen hat. Koronos, Kast, Elephant und Kireieff wollen auch sprechen. Der Kommandant lehnt dies rundweg ab. Er wendet sich an
Barras:
Eine Empörung, mie?". 3u Befehl!"
Die vier werden gefesselt!" Das Wachtkommando von fünfzehn Mann ist nicht imstande, diesen Befehl auszuführen. Zwölf Mann der 3. Kompanie werden zur Unterstügung geholt. Unter diesen letzteren befindet sich ein Bole, Adamthewsky. Als er hört, was man von ihm verlangt, bittet er, von einem anderen ersetzt zu werden. Man droht ihn mit dem Obersten Kriegsgericht vergebens. Er wirft Gewehr und Batronentasche zu Boden und gesellt sich zu den Gefangenen, deren Schicksal er teilen will.
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Rach hartem Kampfe find endlich die fünf überwunden und gefesselt.
Doch es sollte noch viel schlimmer fommen. Ein Vorgang spielle sich jetzt ab, der seinesgleichen an Brutalität suchen kann.
Sergeant Barras stürzt sich auf Koronoff, dér, gefesselt an Händen und Füßen, wehrlos am Boden liegt, und verprügelt ihn in grausamſter Weise.
Leutnant Sandré, gleichfalls wegen seiner Graufamkeit ge fürchtet, fommt zufällig vorüber. Er sieht den schon im Blute liegenden Adamtchewsky und gibt ihm einen derartigen Tritt an den Kopf, daß das Blut in Strömen aus Mund und Nase gesloffen fommt.
Der Sanitätsfoldat Emu springt herzu, um dem Unglücklichen die Wunden zu verbinden.„ Mach dich fort," brüllt ihn der Offizier an, wenn es dir nicht genau so gehen soll!"
Sandré geht, Barras will deffen Grausamkeit noch übertrumpfen! Er zieht Kireieff nadt aus und übergießt ihn mit taltem Wasser, dann nimmt er einen großen Lappen, tunft ihn in Fett und stampft ihn schließlich mit Hilfe eines Stodes in den Mund des unglücklichen Coldaten.
MUNZSTR
KOMINTERN
Von der Weltrevolution.
Ruth Fischer
101004
ML
Sinewjew
Aber diesen Ereignissen sollte noch ein tragischer Tag nachfolgen
Am 20. Juni, 3 Uhr morgens, verließ das Bataillon Courlaedon und marschierte nach Prouilln, wo es nach vier Stunden anfam. während des Marsches erfuhren alle Soldaten von den Graufainfeiten des Tages vorher. Raum war die Truppe in Prouilin ange. fommen, so ließen sich Didmann und Brouded bei ihrem Kompaniechef meiden. Sie wollten nicht mehr bei dem Frémbenregiment bleiben, sondern baten um Berfegung zu einem französischen Regiment. Die russische Abteilung der 2. Kompanie hatte mit dem gleichen Wunsch den Freiwilligen Nicolaief und Petroff zum Kompaniechef geschickt, die dort ihre Kameraden vertreten sollten.
Aber bevor sie überhaupt ihre Mission erfüllt haben, sind sie schon verhaftet, desgleichen die Freiwilligen Kolodine, Artomachine, Brodsky, Pallo, Chapiro.
Die letzten drei hatten schon mehrmals das Regiment wegen schlechter Behandlung verlassen. Immer wieder ergriffen, hatten sie ihre Bersetzung beantragt. Diese war ihnen sogar vom General versprochen morden, aber nichts geschah.
Bald ist die Zahl der Berhafteten auf 27 gestiegen, alles Ruilen
oder Armenier.
determag interes coll
Beilage des Vorwärts
Trotzky
Sodaß abschließend zu sagen ist: die Weltrevolution marschiert nicht mehr, fie fliegt jetzt fogar!
Das Bataillon ist entsetzt über dieses Urteil.
3 Uhr: Antreten zur Erefution!
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Die Verurteilten marschieren stolz mit erhobenem Haupt auf den Plaß, verabschieden sich von ihren Leidensgenossen, lehnen sich an die Mauer und rufen:
„ Es lebe Frankreich ! Nieder die Legion!" Die Salve fracht. Neun Körper stürzen.. Das Drama von Prouilly ist vorüber.
lebersetzt von Kurt Frenze!.
Das moralische Locarno des Films.
Der Film hat sich bereits einmal in den Dienst von Locarno gestellt. Als das Abkommen zwischen Frankreich und Deutschland geschlossen wurde, da war dank dem Eifer und der Geschicklichkeit der Filmreporter die ganze zivilisierte Welt Augenzeuge der Vorgänge, die sich bei diesem Anlaß abgespielt haben. Jetzt wird der Film aufs neue mit dem Friedenswert von Locarno in Verbindung gebracht. Auf dem Internationalen Filmkongres in Paris ist das schöne Wort von einem moralischen Locarno gefallen, das herbeiauführen als die Aufgabe des Films bezeichnet wurde. Ein schönes Bort, aber eben nur ein Wort, das ein Deutscher unter dem ein
Der Hauptmann fordert die Gefangenen auf. zu ihrer Kom- mütigen Beifall der internationalen Delegierten gesprochen hat. Falls panie zurüdzufehren.
,, Wir werden nur mit einem französischen Regiment mar schieren," antworten sie.
Das Bataillon muß am folgenden Tage morgens 6 Uhr weiler. Ein Offizier fordert mit einigen Worten die Mannschaft zum Gehorsam auf. ,, Euer Gesuch wird geprüft werden, und in 24 Stunden werdet ihr Bescheid haben!" Und die Antwort ließ nicht auf sich warten!
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Um 10 Uhr trifft das Bataillon bei dem Gute Aubernan ein. Um 11 Uhr tritt das Kriegsgericht zusammen, die 27 Angelingten werden vorgeführt.
Die Verhandlung dauert zwei Shinden. Der Chef der Gen darmerie wird als Beuge aufgerufen und erklärt:„ Diese Männer verweigern nicht den Frontdienst, fie fordern nur, in ein franzöfifches Regiment eingereiht zu werden."
Ein Hauptmann vom 75. Infanterie- Regiment hält eine sehr gemäßigte Anklagerede. Einige Offiziere vom 43. Infanterie- Regi. ment unterdrüden nur mühsam ihre Erregung bei den Erzählungen der Freiwilligen fiber erduldete Mißhandlungen.
Und trotzdem
Um 1 Uhr wird das Urteil verkündet: Chapiro, Pallo, Timaetian, Brouded, Elephant, Nicolaief, Petroff, Didmann und Artomachine werden zum Tode verurteilt; die 18 anderen Angeklagten erhalten Strafen in Höhe von fünf bis zehn Jahren Zwangsarbeit.
Unter diesen Berurteilten starben während ihrer Strafzeit einige, die fich 1914 mit größter Begeisterung friegsfreiwillig gemeldei Die Mikhandlungen dauerten so lange, bis endlich der Haupt- hatten; es waren die russischen Studenten Kast, Rireieff, Effe, Le mann fam, der seine Leute befreite und verbinden ließ. minfon, Koronoff, Kolodine und Lischip.
aber der französische Antrag, der tags darauf gestellt und angenommen wurde, auch wirklich in die befreiende Tat umgesetzt werden tönnte, dann ist ein bedeutsamer Schritt in jener Richtung geschehen, die der politische Sprachgebrauch der Gegenwart mit dem Namen Locarno verknüpft. Es sollen feine Hekfilme mehr gedreht werden. Der Kongreß verwirft grundfäßlich Filme, die eine Aufreizung gegen andere Nationen bedeuten fönnten. Also eine ganz entschiedene Absage gegen jene Methoden, die in der Kriegszeit gang und gäbe waren. Damals hat man in dem Film ein taugliches, vielleicht das tauglichste Propagandamittel erblickt, so recht geeignet, den Haß der einen gegen die anderen bis zur Siedehige aufzupeitschen. Die Kriegslüge im Film wurde direkt in ein System gebracht. Es soll nicht im einzelnen daran erinnert werden, was in diefer Beziehung von mißverstandenem Patriotismus gefündigt wurde, wie gründlich sich das gute Europäertum verleugnete. Die Leinwand bewies, daß sie ebenso geduldig fein tönne wie das Papier. Es gab kaum eine Tollheit, die überreizte und entartete Phantasie ausgebrütet hatte und die nicht im Film verarbeitet worden wäre.
Ob es möglich sein wird, den Beschlüssen, die jetzt gefaßt wurden, immer und unter allen Umständen Befolgung zu sichern, ist freilich feine ausgemachte Sache. Aber auf jeden Fall tut es wohl und reinigt die europäische Luft, wenn es ausdrücklich als Brunnenvergiftung, als ein Verstoß gegen ungeschriebenes Völkerrecht bezeichnet wird, Angehörigen eines anderen Volkes durch das Kostüm eines Darstellers etwa oder durch einen sonstigen Hinweis eine verächtliche Rolle zuzuschieben. Es wird von den Filmleuten die überaus vernünftige Parole ausgegeben, daß man sein eigenes Volk lieben, sogar durch und durch national gesinnt sein fann, ohne Anders geartete zu verunglimpfen und dem zumeist billigen Spott preis