Nr. 518 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 264
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Mittwoch, den 3. November 1926
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Ein zweifelhaftes Attentat mit grauenhaften Folgen.
Durch Italien raft ber faschistische Massenwahn-| attentats zu begründen, die sonst durch nichts bewiesen werden finn. Ein fünfzehnjähriger Knabe liegt tot, von vierzehn tann; denn die von 14 Dolchstichen durchbohrte Leiche des Dolchstoßen durchbohrt; eine zerfeßte Leiche. Die nicht jungen 3amboni ist, wie die Faschistenregierung jetzt selbst zufaschistische Preffe, die längst faum noch atmen tonnte, ist geben muß, fein Beweis, zumal der Ermordete und seine vollends erwürgt. Tausende, von ungefähr als Berdächtige" ganze Familie faschistisch war. zusammengelesen, füllen die Gefängnisfe. In der Grenzstation Ventimigia stürmt der Mob das Unterkunftsgebäude fran zösischer Eisenbahner, die einer faschistischen Kundgebung angeblich nicht den schuldigen Respekt erwiesen haben, mißhandelt die Insaffen und verlegt einige schwer. Dann geht der Weg nach dem französischen Konfulat, es wird erstürmt, vom Balton wird eine feindliche Rede gegen Frankreich gehalten. Inzwischen bläst die faschistische Regierungspreffe mit vollen Baden ins Feuer: ihre Stimme ift ein einziger Schrei nach Blut, ein einziger Schrei des Haffes gegen Frankreich .
Die Bermutung, daß es überhaupt kein Attentat von Bologna gegeben hat, ist berechtigt angesichts der inzwischen bekanntgewordenen verdächtigen Einzelheiten, angesichts der Atmosphäre der Lüge und des Irrfinns, die seit vier Jahren in Italien herrscht. Die nachträglichen Behauptungen über Drohbriefe, die Mussolini vor seiner Reise nach Bologna er halten haben soll, über eine weitverzweigte Verschwörung, über das Entkommen des wirklichen Täters usw. machen den Fall nur noch verdächtiger. Eine weitverzweigte Berschwörung? Ist es wahrscheinlich, daß in diesem von Polizeispigeln überschwemmten Land, mo feiner feinem besten Freund mehr So flar diese Ereignisse sind, so dunkel ist ihr Austraut, sich auch nur drei Leute zu einem Attentatsplan vergangspunt t. Die Agenzia Stefani" felbst hat ihre ur- einigen! Entfommen des Täters? Ist es denkbar, daß ein fprüngliche Angabe, der getötete fünfzehnjährige Anteo 3 a m. Attentäter inmitten eines Spaliers von hysterisch begeisterten boni habe in Bologna einen Revolverschuß abgefeuert, nicht Schwarzhemden einen Schuß abfeuert und sodann ver aufrechterhalten fönnen. Der Borwärts" hatte übrigens schwindet? Und darf man annehmen, daß sich die angeblichen Idon in feiner Dienstag- Morgenausgabe als erfter barauf Attentäter für ihren Anschlag gerade Bologna ausgesucht aufmertfam machen tönnen, daß der grausam hingeschlachtete baben, die Hochburg des wildesten Faschismus? Knabe Mitglied eines fa schiftenfreundlichen Fußball. flubs war, deffen Abzeichen man an seinem Rod fand, als man die Leiche nach dem Polizeibureau brachte. Nun war immer noch die Annahme möglich, daß der Knabe Bamboni ein Werkzeug der radikalen Opposition im Faschismus war auf der einen Seite war feine ganze Familie faschistisch, auf der anderen ist es seit dem Konflitt Mussolini- Farinacci tein Geheimnis, daß gewisse radikal- faschistische Kreise aus verschiedenen Gründen gegen den Duce eine lebhafte unterirdische Oppofition betreiben. Aber auch diese, von vornherein wenig wahrscheinliche Annahme ist jetzt durch die Meldung der offiziöfen Agenzia Stefani" widerlegt.
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Nichts steht über die Vorgänge von Bologna feft, als daß dort ein Knabe im Tumult getötet wurde und daß der Duce unverlegt blieb. Jst dort wirtlich ein Attentat gegen Mussolini versucht worden, dann muß der Täter unerkannt entfommen sein, während sich die rasende Menge damit beschäftigte, ein unschuldiges Kind in grauenvoller Weise abzuSchlachten.
Gibt es aber einen Täter, gibt es überhaupt ein Attentat von Bologna ? Diese Frage muß man jetzt ernftlich erheben, denn die ganze Geschichte von dem Revolveranschlag und dem Lynchirrtum flingt überaus rätselhaft und verdächtig. Es ist ja fonderbar genug, daß nach den ersten Meldungen der Knall von der nächsten Umgebung des Täters inmitten der Ovationen gar nicht als Revolverschuß erkannt worden sein soll. Außerdem ist bisher in teiner Meldung davon die Rede gewesen, daß man die Attentatswaffe gefunden hat, und bisher ist über ihre Art, ihr Kaliber usw. feine nähere Angabe gemacht worden. Welche Beweise find denn dann überhaupt dafür vorhanden, daß ein RevolverSchuß tatsächlich abgefeuert worden ist? Man hat im allge meinen Dvationslärm einen Knall vernommen. Es war% 6 Uhr abends, also zu dieser Jahreszeit schon dämmerig. Der Knall fonnte daher ebensogut von einem Kraftwagenmotor herrühren, wie man das täglich auf der Straße erlebt, oder von einem geplagten Reifen. Als einziger Beweis" dafür, daß ein Revolverattentat wirklich verübt worden sein soll, tommt nun die Geschichte mit dem zerriffenen Band des Großkreuzes vom Mauritiusorden Mussolinis und vom beschädigten Aermel feines Nachbarn, des faschistischen Bürgermeisters von Bologna . Aber wie seltsam! Die ersten Meldungen am Sonntag über das Attentat besagten lediglich, daß Mussolini unverlegt fei, erwähnten aber mit feiner Silbe das angeblich zerriffene Orbensband und den angeblich beschädigten Rod ärmel des Bürgermeisters. Erst viele Stunden später tauchte diese an sich recht unwahrscheinliche Version auf. Uebrigens hieß es zuerst, die Rugel sei an dem Orden selbst abgeprallt, der auf diese Weise Mussolini das Leben rettete. Dann muß doch die Kugelspur an dem Orden selbst sichtbar fein, nicht an dem Band.
Angesichts der grenzenlofen Berlogenheit, die das faschistische Regime zum Staatsgrundfaß erhoben hat, und die durch die offizielle Unterdrückung einer jeden unab hängigen Preffe und öffentlichen Meinung begünstigt wird, ift es teineswegs undenkbar, daß das zerrissene Ordensband" nachträglich erfunden wurde, nicht nur um die byzantinische Legende der Unverfehrbarkeit des Duce zu nähren, sondern überhaupt um die ganze Bersion des angeblichen Revolver.
Was also war es? Wirkliches oder gestelltes Attentat? Oder nur ein Ausbruch des Massenwahnsinns, der an ein Attentat glaubte und den vermeintlichen Urheber tötete? Man steht vor einem Rätsel, das vielleicht nie gelöst werden wird. Nur soviel steht fest: das Haupt des Faschismus ist unverleßt. Anderen sind blutende, tödliche Wunden geschlagen worden. Der rasende Mob hat einen Knaben erschlagen, er hat die letzten armseligen Reste staatsbürgerlicher Freiheit erschlagen, er bedroht den Frieden zwischen den Völkern. Der Duce aber ist stolz und unversehrt und lächelt. Gott ist mit ihm", foll nach faschistischem Zeugnis der Papst gesagt haben. Auch dies ist ungewiß. Man sieht nur, daß Italien von Gott verlassen ist...
Racheakte der Faschisten.
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Gegen Presse, Professoren und sonstige Einzelpersonen.
Rom , 2. November. ( EP.) Alle Oppositionsblätter in Rom , Mondo"," Boce Republicana" und" Risorgimento ", find verboten. Die Korrespondenten der„ Unita" und des„ Avanfi" wurden aufgefordert, zur Vermeidung von Zwischenfällen dem Pressesaal fernzubleiben.
Wie der„ Popolo d'Italia" meldet, find als Vergeltungsmaßregeln für das Attentat an der Universität von Padua die antifaschistischen Profefforen, die sich mit dem Schriftsteller Bene detto Croce und dem Historiker Salvemini folidarisch erklärt hatten, zum Rücktritt gezwungen worden. Zur Vornahme einer Säuberungsaktion in der Stadt wurden die faschistifchen Attionstruppen wieder gebildet, die im Zentrum das
Gewerkschaften und Achtstundentag.
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Kaffeehaus Petrocchi befehten, weil in diesem hauptsächlich Frei maurer und Antifaschisten verkehren sollen. Aus Varese werden 39 Berhaftungen gemeldet. In der Industriestadt Busto Arsizio ereigneten sich einige Zwischenfälle", wobei 5 Personen fo schwer verletzt wurden, daß fie ins Spital gebracht werden mußten.
Aufforderung zur Lynchjustiz.
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Mailand , 2. November. ( TU.) Der Popolo d'Italia" fordert in einem anscheinend inspirierten Extrablatt zur Lynch justiz auf. Er schreibt:„ Die Volksjustiz ist die heilsamste Form der Rache Sie muß ausgeübt werden. Wir werden erst das Verbrechen bis in alle seine Einzelheiten verfolgen und dann ohne weiteres zuschlagen". Nach der Aussage Marinellis vom faschistischen Zentralvorstand foll Mussolinis erstes Wort nach dem Attentat gewesen sein, daß alle Staliener und die Welt wiffen müßten, daß der Attentäter gelyn cht worden sei. Der hiesige Faschistenführer Giampaolo erflärt in einer Rede, es feien schon viele Bergeltungsmaßregeln vollzogen worden, andere würden folgen. er werde genaue Weisungen geben. Nach dem„ Corriere della Sera " find in Ferrara bereits fascistische Geheimlisten über die Gegner aufgeftellt worden, deren Leben von demjenigen Muffolinis abhängic
gemacht wird.
Rom , 2. November. ( Eẞ.) Die Blätter melden aus Cagliari , der Hauptstadt Sardiniens : Während einer Kundgebung begaben fich einige Demonstranten vor die Wohnung des Oppositions. abgeordneten Lussu und versuchten den Balton zu ertlettern. Luffu wehrte sie mit erhobenem Revolver ab. Dabei tötete er einen, der bereits den Ballon erflommen hatte. Lussu wurde verhaftet. Während der Rundgebungen sind die Drudereien des tatholischen Corriere di Sardegna" und des fardinischen Organs ,, Solco" verwüstet worden.
,, Der Attentäter Zamboni!"
Rom , 2. November. ( EP.) Eine Mitteilung des Präfekten von Bologna stellt fest(!), daß der Attentäter Zamboni" früher der faschistischen Jugendorganisation angehörte, sich aber seit mehr als einem Jahre fernhielt. Die Erhebungen über etwaige weitere Verantwortliche sind noch nicht abgeschlossen.( Und Stefani" hat die Geschichte vom Attentäter Zamboni" bereits preisgegeben. Redaklion des., B.".)
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Aufdeckung einer Verschwörung?
Rom , 2. November. ( WTB.) Lavoro d'Italia" berichtet aus Nizza , daß dort eine Verschwörung italienischer Emigranten gegen das Leben Mussolinis aufgedeckt und zwei Emigranten verhaftet worden seien, die bereits Vorkehrungen für die Rückkehr nach Italien getroffen hatten. Die italienisch- französische Grenze merde dem Blatt zufolge scharf überwacht.
Italienisch - französischer Zwischenfall.
Faschistenterror gegen Franzosen.
Paris , 2. November. ( Eigener Drahtbericht.) Am Dienstag verübten Ungehörige der fafdhistischen Miliz in Ventimiglia an der italienisch- französischen Grenze einen Ueberfall auf das franjöfische& onfulat. Die Aktion wurde eingeleitet durch einen Angriff der Faschisten auf franzöfifche Eisenbahner, die angeblich bei einer Kundgebung für Mussolini die Kopfbedeckung aufбehalten hatten. 50 Faschisten stürmten daraufhin den Bahnhof und tot- orangen drangen in die für die französischen Eisenbahner reservierten Räume ein. 15 franzöfifche Eisenbahnbeamte, die sich dort aufhielten, wurden mit Fußtriften, Fauftschlägen und Peitschenhieben in den Hof getrieben und in der niederträchtigsten Art und Weise mißhandelt.
Ein Wohnungsbauprogramm der Gewerkschaften. Gestern übergaben die Spihenverbände der freien Gewerkschaften der Preffe ihre Forderung an den Reichstag , durch ein Notgefeß zur Wiederherstellung des Achtffundentages die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Genoffe Splieth bebegründete diese Forderung, die übrigens auch von den anderen gewerkschaftlichen Spikenorganisationen geteilt wird, mit durchschlagendem Material, das beweift, wie heute inmitten der allgemeinen Arbeitslosigkeit ohne jeden wirtschaftlichen Sinn Hundertlaufende von Arbeitsträffen mit Ueberstunden und Ueberschichten beschäftigt werden, während gleichzeitig die Gefahr besteht, daß anderthalb Millionen Menschen infolge dieser verfehlten Wirtschaftsund Sozialpolitik zur dauernden Arbeitslosigkeit verurteilt werden. Er widerlegte dabei die Auffaffung der Unternehmer, die die Wiederherstellung des Achtstundentages als schwere wirtschaftliche Gefahr hinstellen, während sie in Wirklichkeit nur die Löhne niederhalten wollen.
Außerdem übergaben die freien Gewerkschaften ein Programm zur Bekämpfung der Wohnungsnot unter eingehender Begründung ihrer Forderungen der Deffentlichkeit.
Wir bringen ausführliche Berichte über diese gewertschaftlichen Rundgebungen, die für die fünftige Wirtschafts- und Sozialpolitit von größter Bedeutung sind, in unserem Gewerkschafts- und Birt. fchaftsteil
Bom Bahnhof 30g die Bande vor das franzöfifche konsulat, wo es einem Faschisten froß der Absperrung dura) italienisches Militär gelang, in das Gebäude einzubringen und vom Balkon herab Hahreden gegen Frankreich zu halten. Als der Faschist das Gebäude wieder verließ, wurde er von der Polizei verhaftet. In Frankreich ist die Erregung über diesen Borfall allgemein. Eine diplomatische Aktion der französischen Regierung ist bereits eingeleitet.
Eine Pariser T.- Meldung gibt folgende weitere Einzelheiten: Auf die Erklärung, daß unter den 15 Eisenbahnern niemand die von den Faschisten behauptete spöttische Handbewegung gemacht hat, ent riß der faschistische Offizier, der die Truppen führte, einem der Eisenbahner die Zigarette, indem er ihm erklärte, daß man vor den Faschisten feine 3igaretten rauche. Die lärmenden AusDie bisherige schreitungen dauerten den ganzen Tag über an. Untersuchung hat ergeben, daß die Anschulbigungen gegen bie fro zösischen Eisenbahner nicht stichhaltig find.