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Nr. 51843.Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Mittwoch, 3. November 1926

OBST

BERLINS

BIRNENKAMMER

Nichts Köstlicheres, als im Frühjahr die Obst- besonders aber die grüne Flaschenbirne, die braune wohlschmeckende Kaiserkrone, die Birnenblüte an den Ufern der böhmischen Elbe . Und Grüne Salanderbirne, die später so schmackhaft und wachsgeiblich wird, nie Werder für Berlin die Kirschen liefert, so das deutsche Böhmer- biene, die zapfenbirne und Klapps Liebling mit rotgelber Schale, cin föstliches Gut und beste Sorte neben der im Fleisch rötlich schimmernder minderwertigen Blutbirne. Bis an den Rand füllen fich die Kammern.

land die Birnen, aber auch Aepfel. Die Birne jedoch herrscht vor. Das Obst, Birne, Aepfel und Kirsche spielen deshalb im Haushalt des deutschböhmischen Kleinbauern eine große Rolle, und sobald die Blüte vorbei ist, gibt es in den dörflichen Wirtschaften leidenschaftliche Debatten über die kommende Ernte. Gerät die Birne mäßig, dann zahlt der Großhändler wohl gute Preise, aber dann hat der Land­wirt nichts zu verkaufen. Gibts Birnen in Hülle und Fülle, wie in diesem Jahre, dann ist Ware vorhanden. Dann werden aber die Preise unwahrscheinlich niedrig, so niedrig, daß sich das Pflücken kaum noch lohnt. Die föstliche Frucht liegt dann auf dem steinig- fandigen Feldweg, auf dem fargen Stoppelacker. Wie froh wäre unsere proletarische Großstadtjugend, wenn sie sich an all diesem köstlichen Obst einmal so recht satt essen könnte. Hier aber wird sie den Menschen über und auch das Bieh mag nicht mehr und tritt läffig auf Kostbarkeit und Süße.

Goldene" Herbsteszeit!

Wenn dann der Herbst kommt, beginnt das große Obstpflücken im Elbtal , von Bodenbach bis nach Leitmerig, um den dunstigen Industrieschleier von Aussig herum, oder Usti nad Labem , mie eine famose tschechische Uebersetzungskunst die alte deutsche Stadt Auffig nennt, und in schwarzen Riesenbuchstaben an Bahn­hofshallen und Schiffsbrücken gemalt hat. Agenten oder Ausrichter fieht man dann in den lieblichen deutschböhmischen Dörfern in der Elbschleife, halbwegs zwischen Aussig und Bodenbach am linken Elbufer gelegen, oder wo es sonst sei. Dann gewinnen die Debatten im Wirtshaus praktischen Wert. Das große Thema der Birnen­und Pflaumenpreise steht auf der Tagesordnung und Bäuerlein, Ausrichter und Händler suchen vom Breis einander etwas abzus zwacken. Ist das Geschäft dann erledigt, hat der Ausrichter soviel zusammengetauft, daß man ein Schiff mit der töftlichen Birnen­frucht füllen kann, dann beginnt an einem bestimmten Tage das Pflücken. Bald stehen die Bäume geplündert da und nur oben im Gipfel dieses oder jenes Baumes sieht man, als die letzten eines noch Dor Stunden sehr zahlreichen Geschlechts, nach altem Brauch, der sicherlich auf uralte Mythologie zurüdgeht, zwei oder drei der töftlichen Früchte hängen. Die Ernte aber, unter den Bäumen in großen Haufen geordnet, wird nach sorgfältiger Prüfung in Säden geborgen. Die Birne ist noch lange nicht baumreif und sie muß gesund sein, denn sie hat eine lange Fahrt vor sich, während der fie wohl reifen, aber nicht faulen soll. Vor dem Transport wird die Qualität der Ware sorgfältig von den Händlern und ihren Gehilfen, den Ausrichtern, durch Stichproben geprüft. Auch auf richtiges Gewicht halten Auffäufer und Händler. Jeder Sad muß 40 Kilogramm faffen. Man nennt das eine Maze.

Ist die Frucht verpackt, dann bringt sie der deutschböhmische Kleinbauer mit der blauen Schürze unter dem Rock auf primitivem Wagen, gewöhnlich von Kühen gezogen, ins Tal an die Elbe . Dort find bereits die Schiffe, Bille genannt, mobil gemacht. Die Zille selbst ist durch leichte Schalholzverschläge in einzelne Kammern eingeteilt. Sie nehmen nun die aus den Säden geschüttete Birnen­frucht nach den einzelnen Arten auf. Da sieht man die länglich­

Die Wunder der Klara van Haag.

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Bon Johannes Buchholz.

Aus dem Dänischen übersetzt von Erwin Magnus . Aber der Zollverwalter drehte sich auf dem Absatz herum und sagte mit seiner allerlangweiligsten Stimme: Sie fönnen Ja," sagte Hedwig verwirrt. Sie wagte weder ihn noch fie anzusehen, sondern begann die nächstliegenden Dinge auf dem Tisch zu verrücken.

abtragen."

Die Gnädige erhob sich, warf ihre Serviette flatschend auf den Boden und ging ins andere Zimmer. Sie schöpfte Lust, als wäre sie soeben viele Treppen hinaufgesprungen.

Herr van Haag nahm sich noch ein Glas Bein und sagte: ,, Die gnädige Frau wünscht, daß ihre Roffer heraufgebracht

werden."

Ja!"

Aber jetzt stand die Gnädige wieder in der Tür und sie fagte so gebieterisch, daß alle anderen Worte zu Boden ge­schmettert wurden: Meine Koffer bleiben stehen! Und, Hed­mig, wollen Sie mir sofort einen Wagen bestellen."

,, Es geht jetzt fein Zug," fagte der Zollverwalter. Jetzt flang seine Stimme durchaus nicht, wie wenn er seine Stiefel geputzt haben wollte. Er versuchte sogar ein kleines Lachen zu miehern.

,, Sofort!" sagte die Gnädige. Ja!"

-

Da fonnte ihr Mann sich nicht länger beherrschen; er mieherte wieder und sagte: Die Besorgung will ich gern hörst du gern übernehmen!"

-

Danke!"

Die Tür knallte hinter ihm zu. Du, teine Hedwig. Du wirst also wieder Frau" im Haufe hier," sagte die Gnädige furz darauf und lachte. Wir haber nicht lange Freude aneinander gehabt; und du, Aermite, haft natürlich extra Arbeit gehabt meinetwegen, mit Rein­machen und Kochen. Aber das sollst du auch nicht umsonst getan haben. Paß auf." Sie öffnete ihr glattes, fleines Täschchen. Hier haft du einen Zehntronenschein zum Dank für deine Mühe.

"

,, Vielen Dank," sagte Hedwig und errötete. Der Schein war ganz funkelnagelneu, ganz unecht neu. Aber es war

Ist die Zille voll, dann tritt sie die Fahrt an. Es geht hinaus aus dem herrlichen Elbtal, gewöhnlich nach Dresden , aber aud nach Magdeburg und bis Hamburg . Aber das Hauptgut trans­portiert man nach Berlin . Ein großer Teil der Berliner Birnen belieferung, wenn nicht der größte Teil, fommt aus Deutschböhmen. In Berlin setzt man die Frucht direkt in großen Quantitäten in die Händler in den Markthallen ab, oder man verkauft nach und nach. Sind die Zillen leer, dann treten sie ihre Fahrt wieder nach Böhmen an. Man legt sie irgendwo wieder fest und meistens machen diese Obstzillen ihre Fahrt nach dem Norden nur einmal im Jahr, da man in ihnen faum ein anderes Gut als Birnen ladet.

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L

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Die Elbe bei Aussig mit Schreckenstein.

Pfennige für den Bauern.

Das Handelsgeschäft von Böhmen nach den deutschen Städten liegt in Händen von Großhändlern. Das sind Leute, wie ein Händler in Dobkowitz, der über 20 Jillen verfügt, die heute sehr wahr­scheinlich mit Hilfe der Banten , sofort im großen faufen. Das Geschäft ist äußerst spekulativ. Man fann Unglück haben, die Birne fann faulen, oder es tann sonstwas eintreten, dann stellen sich Aber ein einziges gutes Jahr äußerst empfindliche Verluste ein. scheint felbst empfindlichste Verluste mehrerer Jahre gutzumachen. Der von dem Großhändler gezahlte Preis erscheint uns äußerst niedrig. Der kleine Bauer hat in diesem Jahr für das Kilogramm Birnen mittlerer Qualität 40 Heller bekommen. Mancher behaupte:, für seine Birnen mehr bekommen zu haben; aber man lügt sich auch in Deutschböhmen gern etwas in die eigene Tasche hinein. Man darf schon annehmen, daß sich die Preise dieses Mal ab Berlade­platz Elbe für das Kilogramm auf ungefähr 2-3 Pf. gestellt haben. Den Ausrichtern muß für ihre Tätigkeit pro Maße 40 Kilogramın 30 Heller gezahlt werden. Der Landwirt selbst hat, sofern er nicht über hauseigene Arbeitskräfte verfügt, an den Pflücker neben der Berpflegung, die man insgemein dort mit 8 Kronen( 1 Reichs­mart 8 Kronen) auseßt, einen Tageslohn von 20 Tschechenkronen zu zahlen. Das wären nach dem Wechselgebrauch in der dortigen Gegend ungefähr 2,50 m. Es ist also erklärlich, daß geringer bezahlte minderwertige Qualitäten nur sehr schwer eine Rente bringen. Um so mehr fällt auf, daß sich schon der Preis für die an Ort und Stelle sehr billige Ware in Prag und in Dresden vervici­facht. Was der Magdeburger , Hamburger und Berliner zu zahlen hat, weiß er ja am besten. In Berlin zahlt man an den Wagen und auf den Märkten 40 bis 60 Pf. Auf dem Weg vom Produzenten zum Konsumenten verteuert sich also die Ware um 1000 Proz. Die Berladearbeit vom Wagen zu Schiff wird von den dortigen Fabrik­arbeitern jo im Nebenberuf gemacht. Der Lohn stellt sich auf 20 Heller pro Mazze, also auf ungefähr etwas mehr als 2 Pf. Man fann sich denken, welche Anstrengungen es erfordert, wenn ein solcher Träger einmal auf einen Berdienst von 100 Kronen fommen milk. Da liegt

Schön ist das Elbtal , die Biruentammer Berlins . Meischlowitz im bergigen Grün, ein Obstdörfchen wie ein ver wunschenes Werk aus töstlichem Kindermärchen, dert Czernoset, wo die dicksten Pflaumen geraten, wo auf den Bergen die Rebe wächst und geschickte Hände unseren sprißigen Mosel imitieren. Unb wenn wir Glück haben, wenn wir das Elbtal aufwärts wandern, so treffen wir in der Gegend von Lobosit tschechische Hopfenpflüde rinnen, die fröhlich und munter aus Böhmens Hopfengebiet, der Saazer Gegend, zurückkommen. Da schallt fröhlicher Gesang in unnachahmlichem Rhythmus, und wenn wir es auch nicht verstehen, was jene roten tschechischen Lippen fermen, so sind wir doch hin­gerissen von dem. was das Ohr vernimmt: Der Wunsch kommt in uns auf, daß auch in jenen gemischtsprechenden Bezirken Böhmens alte Schranken fallen mögen, die die Stämme der einen Menschen­gefchlechies trennen.

wohl undenkbar, daß eine so feine Dame etwas anrührte, das| habe. Aber jetzt steht mein guter Freund hier und empfängt alt und schmutzig war. dich und da muß ich gehen und ihn im Stich lassen!" ,, Aber können gnädige Frau den Flügel denn nicht mit­nehmen?"

Und nun wünsche ich nicht, daß du über dieses dieses Festmahl zu irgend jemand redest."

-

Hedwig wollte gerade den Schein in den Halsausschnitt ihres Kleides gleiten laffen, jetzt fischte sie ihn mit zwei Fingern " Es tostet nichts, mich schweigen zu lassen. Aber ich habe wieder heraus und reichte ihn mit einem scheuen Lächeln hin: auch nichts gesehen."

-

-

,, Liebes Kind, du machst mich ganz verlegen über meine große Ungeschicklichkeit. Siehst du, ich reise jetzt fort. Klatsch fann mich nicht einholen. Aber Herr van Haag er bleibt ja hier. Und weißt du, was ich glaube, die Leute werden ihm ia schuld geben. daß ich abreise, wenn sie hören, was hier vorgefallen ist, und das ist ja eigentlich- teilweise eine sehr verkehrte Auffassung. Die Schuld habe ich. Die Zügel­losigkeit meiner Nerven. Ich bin so lächerlich, daß ich nichts vertrage. Die Schuld habe ich. Aber nun vergiß dies ekelhafte Geld. Ich werde statt dessen eine Kleinigkeit für dich in meinem Koffer finden. Die wirst du doch wohl behalten zur Erinnerung an eine hysterische Frau, der du einmal eine Stunde lang gedient hast. Nicht, Hedwig? Stehen die Koffer im Rorridor?"

,, Ich hatte sie schon hineingestellt, als..." ,, Wo hinein?"

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Ins Zimmer der gnädigen Frau."

,, Ha, ha, nein. Er gehört ja ihm. Ach, willst du nicht augenblicklich den Buchenzweig herausnehmen. Ein etwas geschmackloser Einfall!"

hatte ihn acht Tage lang am Fenster in Wasser gestellt, damit Hedwig wurde rot und sagte: Ich war es, die... ich er aufspringen sollte, und jetzt ist er so hübsch; ich dachte... da nun das andere nicht so hübsch war..

"

,, Ach, du warst es, Hedwig? Du hast mir eine Freude machen wollen? Mir, die dir nur eine Fremde war? Danke, kleine Hedwig. Was für eine kleine, feine Hand du hast, kind. Solch eine lange Hand. Gute Spielfinger. Bist du nicht ein verkleidetes Brinzeßchen? Wer ist dein Bater, Hedwig?" ,, Mein Vater ist Photograph Egholm," sagte Hedwig laut und unerschütterlich.

,, Photograph, ach so," sagte die Gnädige und spielte weiter mit Hedwigs Fingern. Egholm heißt er, ein merf­würdiger Name."

Sie ließ plötzlich Hedwigs Finger los und sah nachdenklich zum Fenster hinaus. ,, Du sagst, daß du Hedwig Egholm heißt? Ist dein Bat ein alter Mann?"

,, Ja, nein, nicht so alt. Ich weiß nicht recht." ,, Ach, aber er braucht ja nicht so uralt zu sein. Er ist

,, So, ich habe ein Zimmer! Gut, so gehen wir dort Photograph, aber fage mir, du hast wohl keine Ahnung, oh hinein."

Hedwig öffnete die Tür und sagte, daß ja hier nicht geräumt wäre, aber der Herr Zollverwalter hätte Auftrag gegeben...

Ein sonnenlichtes Stübchen mit blauen Wänden lag vor ihnen; es hatte ein Fenster sowohl nach der Kirche wie nach dem Hafen, und zwischen diesen beiden Fenstern ſtard schräg ein großer schwarzer Flügel. Auf der schimmernden Fläche des Flügels stand eine Kristallschale mit einem einzigen langen, frisch aufgesprungenen Buchenzweig.

Mein lieber, guter Flügel," sagte die Gnädige und lief hin wie zu einer Umarmung ,,, wie lange sind wir getrennt gewesen, wie lange!"

Und sie setzte sich auf den runden Schemel, ftühte den Kopf in die Hand und lehnte die Stirn an den Deckel.

Ich bin so lange fort gewesen, daß ich alles vergessen

er je in Helsingör war?"

,, Doch, dort war er bei einem Konsul. Davon hat er oft gesprochen."

Frau van Haag erhob sich bewegt. Einige Fäben in

ihrem Dasein, die zuvor in einem gleichgültigen Gewirr gelegen, schieden sich plötzlich und glitten wieder zu einem fonderbaren Muster zusammen. Bor mehr als zwanzig Jahren war dieser Egholm ihre Jugendliebe gewesen. Nicht

einen Gedanken hatte sie ihm seither geschenkt. Jetzt hatte sie

die Welt durchreist und kam eines schönen Apriltages nach

Knarreby, einem Ort, der fast außerhalb jeder Art von Welt lag, und hier geht also der Jugendgeliebte leibhaftig um als Photograph, Ehemann. Kein Schatten von Zweifel. Hier stand ja Hedwig mit Kaspar Egholms langen Händen. Selt­fam!.. Und diese Hände begegneten ihr mit frischen Blumen.

( Fortsetzung folgt.)