Abendausgabe Nr. S1� � 4Z. Jahrgang Ausgabe g Nr. 2S7
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?»ew Jork . Z. November.(TU.) Nach den bisher vorliegenden Ergebnissen sind die republikanischen Stimmen überall zurück- gegangen. Bei den Senatswahlen verloren die Republikaner ihre Hochburg Massachusetts , wo CoÄidges Wahlmanager Butler den Senatssitz an den Demokraten Walsh abtreten mußte. Außerdem gewannen die Demokraten besonders viel Stimme» in Illinois , Kentucky , Maryland , Colorado, Arizona und Oregon . Nach den bisherigen Ergebnissen ist anzunehmen, daß die republikanische Mehrheit im Senat so schwach fein wird, daß die pro- gressioen Republikaner den Ausschlag geben werden. Im Repräsen- tantenhaus wird die republikanische Mehrheit wahrscheinlich nur 25 Stimmen betragen, wobei die progressiven Republikaner ringe- rechnet sind. Bei der New Jorker Gouverneurswahl errang Smüh «inen leichten Sieg. Bei der Prohibitionsabstimmung in New Dort siegten die Prohibitionsgegner im Verhältnis 3: 1. Wahrscheinlich hoben auch in den übrigen sieben Staaten, wo über die Prohibition abgestimmt wurde, die Prohibitionsgegner gewonnen. vemokratisthe Senatsmehrheit! Ne« Jork . 3. November. (WTB.) Obgleich die endgültigen Wohlergebnisse noch ausstehen, wird vielfach stark mit der Möglich- keit einer demokratischen Senatsmehrheit gerechnet. Die Demokraten haben nach der bisherigen Zählung vier Senatssitze gewonnen: sie benötigten zur Erlangung der Mehrheit fünf weitere Sitze. » Alle vier Jahre finden in den Vereinigten Staaten Präsidenten- und Parlamentswahlen zugleich statt. Dann pflegt die Partei, die den Präsidenten stellt, auch die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses zu erhalten und die Zu-
sammenarbeit des Präsidenten mit dem Parlament ist gewähr- leistet. Ernsthafte politische Schwierigkeiten pflegen aber dann zu entstehen, wenn während der Amtsperiode des Präsidenten die Neuwahlen die zwei Jahre nach seinem Amtsantritt stattfinden, der Gegenpartei die Mehrheit bringen. Solche Wahlen fanden jetzt statt: das entscheidende Drittel des Senates und das ganze Repräsentantenhaus war neu zu wählen. Das Ergebnis, so weit es bis jetzt vorliegt, weist darauf hin, daß zum mindesten die republikanische Mehrheit nur noch verschwindend gering sein wird, daß diese Mehrheit jedenfalls von der Disziplin der progressiven Republikaner abhängt, wenn nicht überhaupt die Mehrheit im Senat wenigstens an die Demokraten übergegangen ist. Zwar ist der Präsident in seiner Verwaltung vom Parlament unabhängig und ihm nicht verantwortlich, dennoch ist er in der auswärtigen Politik auf den Senat und bei der Gesetz- gebung auf beide Häuser des Kongresses angewiesen. So können sich die Unzuträglichkeiten, zwischen Parlament und Präsident» die die letzten Amtsjahre Wilsons ausgefüllt haben, auch bei Coolidge leicht wiederholen. Auch von guten Kennern der amerikanischen Wahlpsycho- logie war vorausgesagt worden, daß das wirtschaftliche Wohlergehen des Landes unter der Verwaltung von Coolidge die Republikanische Partei stützen werde. Das Wahlergeb- nis zeigt, daß die amerikanischen Wählermassen dem Gefühl Ausdruck geben, daß nach bald sechs Jahren republikanischer Herrschaft die Demokratische Partei wieder das Steuer des Staates übernehmen sollte. Die Wiederwahl des demokra- tischen Gouverneurs des Staates New Pork, Smith, hat unter diesen Umständen ihn zu einem aussichtsreichen demokratischen Präsidentschaftskandidaten für 1923 gemacht.
Ein kommunistisches Angebot. Und eine deutliche Antwort. Man weiß nicht, worüber man sich mehr wundern'soll, über die Frechheit und Unverfrorenheit oder über die Dummheit, mit der die Kommunisten durch ihre„Rote Fahne" die Agitation gegen unsere Rathausfraktion betreiben lassen. Das edle Lügenblatt hat es nicht gewagt, auch nur andeutungsweise die Wahrheit über die Vorgänge in der letzten Stadtverordnetenversammlung seinen eigenen Lesern mitzuteilen. Ein kläglich stammelnder Artikel des bedauernswerten G ä b e l, der dazu verurteilt wurde, die seiner eigenen besseren Einsicht und seiner nicht gerade überwältigenden„Tapferkeit" durchaus widersprechende Taktik zu verteidigen zeugte von der inneren Unsicherheit der Radaubrüder Nachdem die Kommunisten mitten während der Verhandlungen über die Magistratswahl durch ihre wüsten, sich immer mehr häufenden Beschimpfungen es schließlich dahin gebracht haben, daß unsere Rathausfraktion einstimmig die Verhandlungen mit ihnen abbrach, haben sie offenbar geglaubt, es genüge ein einfacher W u t a n f a l l imd eine neue Lügensammlung, um unsere Genossen umzu- stimmen. Dieselben Brüder, die auf Befehl ihrer Partei- zentrale den sinnlosesten Radau inszenierten und dadurch den Stadtverordnetenvarsteher zwangen, den Sitzungssaal und die Tribüne räumen zu lasten, haben sich nicht geniert, zu behaupten, unser Genosse Haß habe diese Räumungsakt-on auf Anweisung des sozialdemokratischen Parteivorstandes durchgeführt. Jetzt hat die„Rote Fahne" sogar noch die Stirn, der Sozialdemokratischen Partei die Unterstützung bei der K ä m m e r e r w a h l anzubieten. Die„Rote Fahne " scheint anzunehmen, daß die sprichwörtliche T r e u l o s i g- keit der Kommunisten bei den Sozialdemokraten genau so entwickelt ist. Nur wer selber zu jeder Lumperei fähig ist, kann a nst ä n d i g e n Menschen zumuten/ so zu handeln, daß er erst die Hilfe anderer Parteien für seine eigenen Zwecke in Anspruch nimmt, um dann diesen Parteien einen Fußtritt zu geben und auch beim letzten Posten noch an sich selbst zu denken. Auf nichts anderes läuft das kam- munistische Angebot hinaus. Die lozialdemokratstche Rat- hausfraktion wü'-de sich dadurch um jedes Ansehen bringen, kein Mensch könnte sie mehr als ehrlichen Vertragsgegner ansehen. Die Kommunisten haben durch die„Rote Fahne" an unsere Funktionäre appelliert. Dabei sind sie an die r i ch t i g e Adresse gekommen. Die sozialdemokratischen kommunalen Funktionäre haben gestern einstimmig das Verhalten unserer Rachavsfraktion gebilligt. Diese Billigung ist erfolgt, trotzdem oder gerade weil ein Schreiben der Kommunisten an unsere Funksionäre jedem ein-elnen zugänglich gemacht worden war. Selbst der„Roten Fahne" sollte doch diese Einstimmigkeit aller So-ialdemokraten gegenüber dem kom- munistischen Treiben zu denken geben. Vielleicht gestehen sie sich im stillen Kämmerlein selber ein. daß diese Entwicklung nicht ganz ohne ihre Schuld möglich gewesen ist. Vielleicht beschäftigt sich die kommunisnsche Rathausfroküon auch ein- mal mit der Frage, ob' es zweckmäßig gewesen ist. daß sie den Kaschemmenbrüdern in ihren Reihen die Führung überließ und daß sie dem Defehle ihrer Parteizentrale so
willig gefolgt ist. Dümmer und kurzsichtiger ist noch niemals eine Fraktion geführt worden wie die kommunistische Rathausfraktion in diesen Wochen. Sie hat es fertig gebracht, die. anfängliche Vereitwilligkeit unserer Rathausfraktion zu gemeinsamer Arbeit in eine einmütige und g e s ch l o s- sene Abwehr der widerlichen kommunistischen Methoden zu verwandeln. Das ist auch ein Erfolg, der sich sehen lassen kann._ Vr. Zechlin Neichspressechef. Ter Nachfolger von Tr. Kiep. Die Reichsregierung hat den bisherigen. Dirigenten der Presse- abteilung der Reichsregierung Dr. Z e ch l i n an Stelle des nach London versetzten Dr. Kiep zum Reichspressechef ernannt.
Um die Erwerbslofenfürforge. Vertagung der Ausschustberatungen. Der Sozial« Ausschuß des Reichstags setzte heut« seine Beratung über die Erwerbslosenfürsorge fort. Der Borsitzende Abg. Esser(Z.) gedachte vor Eintritt in die Tagesordnung unseres verstorbenen Ge- nen Dißmaffn. Es entspann sich eine Kontrovers« zwischen den Regierungsparteien über die angeblich vorzeitige Veröffentlichung der Pläne der Reichsregierung: es wurde beschlossen, die Beratung a u f mor.gen zu oertagen und heut««ine Stellungnahm« der einzelnen Fraktionen zu den neuen Regierungsvorschlägen zu ermitteln. Paris wirü in Rom protestieren. Falls Frankreichs Ehre wirklich verletzt wurde. Paris , 3. November. (Eigener Drahtbericht.) Ohne dem durch eine systematische Kampagne gegen Frankreich vorbereiteten Zwischenfall von V e n t i in i g l i a eine ernstere Bedeutung bei- zumessen, als sie als Ausfluß eines übertriebenen Nationalismus verdient, scheint man an hiesiger zuständiger Stelle doch nicht ge- willt, auf die Dauer diese italienischen Herausforderungen hin- zunehmen. Am Quai d'Orsay wurde gestern abend den Jour- nolisten erklärt, daß das französische Außenministerium von dem französischen Konsul in Bentimiglio einen Bericht über den Zwischenfall angefordert habe: sobald der Bericht in Händen Briands sein werde, werden scharfe Instruktionen an den französischen Botschafter in Rom abgehen, damit er bei Musiolini eine Demarche unternehme.
Die ilallenlsch« Regierung hat mit der Gesamtoppositionspresie auch alle deutschen Blätter in Süd-Tirol verboten mit alleiniger Ausnahme des in deutscher Sprache herausgegebenen Faschistenblattes. Friede durch Heirat. Die belgische und schwedische Monarchie haben einen Hochzeitsvertrag geschlossen. Kronprinz Leopold von Belgien hat Prinzessin Astrid von Schweden geheiratet.„Die aus einer Neigung der Herzen zueinander entsprungene Verbindung wird die beiden Länder noch näher aneinander als bisher bringen," erklärte König Albert von Belgien bei den Bermählungsfeierlich- leiten.
Die Hetze gegen Scheiöemann. Deutschnationale Methoden. Von Otto Landsberg . Vor kurzem ist das Gutachten des Reichstagsabgeordneten Professor Dr. B r e d t über das Thema„Der Deutsche Reichs- tag im Weltkrieg" erschienen, das der Verfasser dem parla- mentarischen Untersuchungsausschuß erstattet hat. Bredt, der ein streng konservativer Mann ist, hat sich zu der Ueber- zeugung durchgerungen, daß Deutschland den Krieg mit dem rettenden Verständigungsfrieden hätte beenden können, wenn der Obrigkeitsstaat rechtzeitig vor dem parlamentarischen System gewichen wäre. Er mißt der Mehrheit des Kriegs- reichstages die Schuld daran bei, daß der von der Not der Zeit erforderlich« freiheitliche Ausbau unserer Verfassung unterblieben ist. Aber von diesem Vorwurf nimmt er eine Partei aus: die Sozialdemokratie. Immer und immer wieder zitiert er Reden Scheidemanns in einer Weise, die deut- lich die Anerkennung seiner Verdien st e um das Vaterland wie auch das Bedauern darüber erkennen läßt, daß die von ihm vertretene Politik sich nicht zum Heile Deutsch - lands hat durchsetzen können. Gleichzeitig wurde von deutschnationaler Seite eine Hetze gegen Schcidemann in Szene gesetzt, von der man nur deshalb nicht sagen kann, daß sie ohnegleichen ist, weil unser Parteigenosse seit Jahren das Ziel der deutschnationolen Giftgeschosse ist. Fübrer in diesem Kampfe ist ein gewisser Steuer in Kassel , �den der Preußische Landtag zu seinen Mitgliedern zu zählen die zweifelhafte Auszeichnung genießt. In einer Broschüre, in Flugblättern, in Zeitungsartikeln, die durch die deutschnationale Presse verbreitet werden, sucht er Scheidemann die Ehre zu nehmen. Sein Beweggrund ist wahrscheinlich in dem Erfahrungssatz zu suchen, daß jeder sich das zu verschaffen sucht, was ihm fehlt. Jedes seiner Mach- werke unterzeichnet er stolz Lothar Steuer , M. d. L., als ob er daran erinnern wollte, daß er mit Immunität ausgestattet ist. Ein schamloserer Mißbrauch des Schutzes, den die Vcr- sassung den Abgeordneten gewährt, dürfte noch nicht vor- gekommen fein. Steuer hat seinen Derleumdungsfeldzug gegen Scheide- mann schon vor der Reichstagswahl vom Dezember 1924 auf- nehmen wollen. Er hat sich damals von seinem Vorhaben durch die Ankündigung eines Kasseler deutschnationalen Füh- rers in ehrenamllicher Stellung abbringen lassen, daß die seinen An standsbegriffen widersprechende Kampagne ihn zum Rücktritt veranlassen würde. Die in dieser Erklärung enthaltene Kritik hat auf Steuer, der in gewisser Beziehung unbelehrbar zu sein scheint, keinen Ein- druck gemacht. Was wirft er Scheidcmann in der Haupt- fache vor? Im Magdeburger Prozeß hat ein Zeuge bekundet, er habe im Jahre 1917 einer Versammlung in Danzig -Ohra beigewohnt, in der Scheidemann als Redner den B r e st e r Frieden verurteilt und die Anwesenden aufgefordert habe, zum Zweck der Beendigung des Krieges in einen Streik einzutreten. Scheidemann, der vor der Vernehmung des Zeu- gen entlassen worden war und ihr daher nicht beiwohnte, hatte vorher unter seinem Eide die ihm vorgehaltenen, in das Wissen jenes Zeugen gestellten Behauptungen in Abrede ge- stellt. Daraufhin erhob Steuer gegen ihn den Vorwurf des wissentlichen Meineides. Daß der Brester Friede erst 1918 geschlossen ist, müßte er eigentlich wissen. Weiter aber ist längst erwiesen, daß jene Versammlung in Ohra im Jahre 1916 stattgesunden hat. Endlich gehört nach der ganzen Kriegspolitik Scheidemanns ein ungewöhnliches Maß von Urteilslosigkeit zu dem Glauben, daß er die Wehrkraft Deutschlands durch einen Streik hat lahmlegen wollen. Will man Herrn Steuer nicht eine bodenlose Unwissenheit zutrauen oder einen gänzlichen Mangel an Kritik, so bleibt nur die Annahme übrig, daß er seinen infamen Vorwurf wider besseres Wissen erhoben hat. In der sogenannten Schloß möbelan gelegen- h e i t wirft Steuer Scheidemann unlautere Machenschaften vor. Das haben auch schon andere Verleumder getan. Gegen einen von ihnen hat Scheidemann vor Jahren Beleidigungs - klage bei dem Kasseler Gericht angestellt. Das Urteil der Strafkammer unter Leitung eines Richters, der der Vorsitzende des Kasseler deutschnationalen Vereins war und noch ist, lautete auf 1000 M. Geldstrafe bzw. 100 Tage Gefängnis. In der Urteilsbegründung wurde von dem Gericht ausdrück- lich festgestellt, daß dem Angeklagten der Wahrheitsbeweis dafür nicht gelungen sei, daß Scheidemann in rechtswidriger Weise Möbel erworben habe. Jin einzelnen handelt es sich bei der lächerlich aufgebauschten und in ihrem Kern sehr ein- kack en und unbedeutenden Möbelangelegenheit einfach darum, daß Scheidemann in einem vom Magistrat und Finanz- Ministerium abgeschlossenen Miet-, bzw. Kaufvertrag, auf dessen Abschluß er ohne jeden Einfluß war, ein- getreten ist. Der zwischen Finanzministerium und Kasseler Magistrat abgeschlossene Vertrag hatte, wie zahllose ähnliche Verträge mit rechts politisch eingestellten Beamten, zum Gegenstand die kauf- und mietweise Ueber- lassung von Einrichtungsgegenständen aus den Magazinen staatlicher Schlösser in Kassel . Dieses Mobiliar sollte Scheide- mann, da er beim Verlassen seines Berliner Wohnsitzes seine Einrichtungsgegenstände einer verheirateten Tochter zurück- lassen mußte, zur Einrichtung seiner Kasseler Wohnung und für Repräsentationsräume zur Verfügung gestellt werden.