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Nr. 522 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 266

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Sozialdemokrat Berlin  "

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands  

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Freitag, den 5. November 1926

Die Vergeltung für Leiferde  .

Die Attentäter zum Tode verurteilt.

Sildesheim, 4. Nov.( Eigener Drahtbericht.) 3m Prozeß gegen die Eisenbahnattentäter von Leiferde   wurde Donnerstag gegen 27 Uhr abends vom Schwurgericht Hildesheim   folgendes

Urteil verkündet:

Die Angeklagten Otto Schlesinger und Willi Weber werden wegen vorsätzlicher Eisenbahntransportgefährdung mit Todesfolge in Tateinheit mit Mord zum Tode und dauerndem Berlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt.

Der Angeklagte Walter Weber wird wegen Bergehens gegen den§ 139 des StGB. zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Acht Wochen gelten durch die Untersuchungshaft als

verbüßt.

Die Angeklagten wollen gegen das Urteil Revision ein­legen.

Das Schwurgericht hat die beiden Eisenbahnattentäter zum Tode verurteilt. Das Attentat von Leiferde   hat 21 Menschen das Leben gefoftet. Ein Schrei des Entfeßens ging durch Deutschland  . In die tiefe Trauer um die Toten tlang der Ruf nach Sühne. Eine unfaßbare Tat so schien es. Man schreckte zurüd vor dem Gedanken, daß einer die Tat vollführt hätfe, um zu

rauben.

Die Täter wurden entdeckt und verhaftet. Man erfuhr ihre Geschichte, fah ihre Bilder. Und erschrat aufs neue. Diefe halben Jungen waren es! Was haben sie für Unheil angerichtet! 21 Menschen sind ihrem Tun zum Opfer gefallen und doch mußte jeder, in dem nicht der Racheinstinkt alles

andere überiönte, sich fagen, daß die beiden felbft Opfer

maren.

Sie haben ungeheure Schuld auf sich geladen, aber hinter ihrer Schuld steht die Schuld der Gesellschaft. Die Tat ist unerklärbar ohne die Not und den hunger, der alle Hemmungen in den beiden zerbrochen hat.

Robert Dißmanns Heimkehr.

Die Deffentlichkeit hat neben der ungeheuren Tragit des Schicksals der Todesopfer von Leiferde   die soziale Tragit des Schicksals der Attentäter entdeckt. Nach dieser Entdeckung ist die Frage nicht mehr abzuweisen, ob unsere Strafjustiz, die zu einem guten Teil Rachejuftig ist, ein geeignetes Mittel ist, den sich ergebenden Konflikt zu lösen.

Vorwärts- Verlag G.m. b. H., Berlin   SW. 68, Lindenstr.3

Bostschecktonto: Berlin   87 536

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Mussolinis Orientpolitik.

Bon Dr. Artasches Abeghian.

,, Italiens   Zukunft liegt auf dem Meere", hatte Mussolini  ,, ohne andere topieren zu wollen"- im Frühling 1926 bei seinem Tripolisausflug gesagt, aber in seiner tripolitanischen Abschiedsrede sprach er symbolisch: Wir dürften nach Land, da wir uns rasch vermehren und auch dabei bleiben wollen." Noch früher hatte er ausgerufen: Italien   muß in den Orient gehen." In der Nat: als der aggreffive Faschismus im Innern des Landes schon den entschiedensten Sieg" über alle seine Gegner davongetragen hatte, fing er auch an, sich kolonial Das Gericht in Hildesheim   hat zwei Todesurteile gefällt. verlorene Beit" zurückzugewinnen und nachzuholen, was politisch zu betätigen. Der Diktator sucht im Orient die Man darf ruhig jagen- ohne daß darin ein Werturteil vor­nutzt jede Gelegenheit, um die Revision des Mandat­handen ist, daß das Urteil aus dem Willen zur Todes- feine Vorgänger ,, verfäumt" hatten. Die Faschistenpresse be­problems und Neueinteilung der Kolonien zu strafe hervorgegangen ist, nicht aus eiskalter Gesezesanwen- nut jede Gelegenheit, um die Revision des Mandat­dung, die unserer Meinung nach zu einen anderen Beschluß erlangen. hätte führen müssen.

Man hat unwillkürlich gewogen, daß auf der anderen Seite die 21 Toten stehen. Es war instinktives Sühnever langen für 21 Tote. Aber gerade hier, wo der Wille zur Todesstrafe durchgebrochen ist, aus nur zu begreiflichen Gründen durchgebrochen ist, stimmt dieser Wille nicht überein mit dem strengen Buchstaben des Gesetzes. Danach lag teine vorfägliche Tötung, also kein Mord im strengsten juris stischen Sinne des Wortes vor, sondern nur Transport gefährdung mit Todeserfolg.

Möge dieser Fall, den niemand seit dem Attentat bis zum Urteil ohne tiefe Trauer betrachten kann, zu einem Argument gegen die Todesstrafe werden Argument gegen die Todesstrafe werden wenn auch noch so viele in der schrecklichen Tat einen Beweis für die Not wendigkeit der Todesstrafe gesehen haben.

-VO

stredung bes Urteils feine Wiedergutmachung. Eine Auf­Für das Leid und die Opfer des Attentats ist die Boll­rüttelung des sozialen Gewissens, die von diesem Fall aus­gehen fann und muß, ist mehr wert als die Vernichtung von zwei jungen Menschen, die furchtbare Schuld auf sich geladen haben.

Beileidskundgebungen.

Der Vorstand des ADGB  . hat sofort nach Eintreffen der Todesnachricht ein Beileidstelegramm an den Metallarbeiterverband abgeschickt, in dem es u. a. heißt:

,, Schmerzlich berührt durch die unerwartete Nachricht vom Tode Robert Dißmanns, des Führers des Deutschen Metall­arbeiterverbandes, sprechen wir Euch unser herzlichstes Beileid aus. In schwieriger Zeit hat er am Steuer gestanden, immer un­verzagt und beseelt von dem Wunsch, seinen Berufskollegen und der Arbeiterklasse aufs beste zu dienen. Wir werden ihm ein gutes Andenken bewahren.

Der Beginn der Intensivierung italienischer Orientpolitik fällt in das Ende 1925 und hängt mit der Mussolini Chamberlain Zusammenkunft in Rapallo   zusammen. Wenn auch seinerzeit die Gerüchte offiziell dementiert wurden, Chamberlain hätte Mussolini   gegenüber ganz bestimmte Zu­geständnisse gemacht, so fonnte doch unmöglich der Rauch ohne Feuer sein. Die darauffolgenden Ereignisse und namentlich das italienisch- englische Schulden abtommen waren Beweise dafür. Mussolini   ertaufte es mit seiner Unterstügung bei der Entscheidung Englands der Mossulfrage in Genf  .

Der Diktator sucht auch die Baltanländer in den Bannkreis seiner Orientpolitik hineinzuziehen, so liegen doch die eigentlichen tolonialen Ziele Mussolinischer Orientpolitit im nahen Osten: in Borderasien und Nordafrita. Auf diesem Gebiete bucht Mussolini   schon einige Erfolge. Vor allem: Abessinien. Es ist neben Liberia   der einzige unab­Meere gänzlich getrennt: durch das Somaliland  , das zwischen hängige Staat Afritas, aber durch europäische Kolonien vom

Italien  , Frankreich   und Egland geteilt ist, und durch die italienische   Rolonie Eryträa. Die einzige Bahnlinie, die die Hauptstadt Adis- Abeba mit der Außenwelt verbindet, steht unter französischer Verwaltung und hat ihren Ausgangspunkt in dem französischen   Dschibuti   am Golfe von Aden. Das englisch  - italienische Abkommen gestattet Italien  , Westabessinien wirtschaftlich zu kontrollieren und durch eine Eisenbahnlinie über abeffinisches Gebiet Eryträa und Somaliland   miteinander zu verbinden. Der abeffinische Regent Ras Tafari   erhob zwar im August 1926 in Genf   eine Beschwerde, der Frankreich  Unterstüßung liehdas italienisch- britische Abessinienabkom men war offenbar auch gegen französische   Absichten in Abef­finien gerichtet, die britische   und die italienische   Diplomatie zogen jedoch vor, lieber durch unmittelbare Berhandlungen Frankreich   zu befriedigen und die Streitfrage aus der Welt zu schaffen, auch der abessinischen Regierung formelle Verfiche­rungen abzugeben, als die Angelegenheit vor den Völkerbund zu bringen. Dies alles hindert Mussolini   nicht, in Abessinien seine Pläne zu verfolgen.

Trauerfeierlichkeiten in Bremerhaven  . Am Bremerhaven  , 4. November.  ( Eigener Drahtbericht.) Donnerstag vormittag gegen 11 Uhr traf der Lloyd- Dampfer Co­Tumbus" in Bremerhaven   mit der Leiche des verstorbenen Vor­fihenden des Deutschen Metallarbeiterverbandes, Genossen Robert Dißmann  , ein. Um den Toten zu empfangen, waren zahlreiche Delegationen der Arbeiterbewegung, insgesamt mehrere hundert Der Personen, auf der Anlegestelle in Bremerhaven   erschienen. Hauptvorstand des Deutschen Metallarbeiterverbandes hatte aus In dem Beileidsschreiben des Allgemeinen Deutschen Stuttgart drei Bertreter entfandt. Gegen 12 Uhr mittags wurde der Beamtenbundes an den Vorstand des Deutschen Metall­Weiter hat der Gouverneur von Italienisch- Eryträa am Garg Robert Dißmanns unter den feierlichen Klängen einer Musik- arbeiterverbandes wird zum Ausdruck gebracht, daß Dißmann 2. September 1926 einen Vertrag geschlossen mit Jahia, fapelle von Bord getragen. Am Laufsteg hatten die zahlreichen gerade auch für die freigewerkschaftliche Beamtenbewegung so oft dem Imam   Jemens  ( des glücklichen Arabiens"), wodurchy Delegationen mit ihren Fahnen Aufstellung genommen. Eine nach ein tiefgehendes Verständnis gezeigt habe. Der Vorstand des All­ein tiefgehendes Berständnis gezeigt habe. Der Borstand des All- Italien auch auf asiatischem Boden Fuß faßt. Jemen   gewinnt Hunderten zählende Menge begleitete den Trauerwagen aus dem gemeinen Deutschen   Beamtenbundes wird bei dem Leichenbegängnis als Absatzgebiet für italienische Fabrikate und speziell für Hafen heraus. Der Verstorbene wurde darauf in der Bremerhavener   Dißmanns durch seinen Vorsitzenden Falkenberg vertreten sein. Tertilwaren, zumal es das am dichtesten bevölkerte Gebiet der Stadthalle für die große Trauerfeierlichkeit nachmittags 3 Uhr auf­Weitere Beileidsfundgebungen find eingetroffen vom Direttor arabischen   Halbinsel ist( 6 Millionen Einwohner) mit einer gebahrt. des Internationalen Arbeitsamtes in Genf  , Albert Thomas  , verhältnismäßig entwickelten Landwirtschaft, aber auch wegen vom Sekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes Brown, feiner unmittelbaren Nähe von Eryträa, an der arabischen vom Borsitzenden des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes in Frant. Landküfte des Roten Meeres  , mit dem Zentrum Sana und reich Jouhaug, vom Vorsitzenden der Deutschen   Sozial. der Hafenstadt Hodeida ist es gelegen. Jahia ſelbſt gilt als demokratischen Arbeiterpartei in der Tschecho der Rivale Ibn Sauds  , des Wahabitenführers und Herr flowakei und vom Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion schers des Hedschas  . Wie sonst überall im Orient steht zweifels= des Danziger Bolt stages.

Die Trauerfeier.

Am Nachmittag um 3 Uhr fand in dem großen dichtgefüllten und feierlich geschmückten Saale   die erste Trauerfeier auf deutschem Boden für Robert Dißmann   statt. Der auf hohem Katafalt ruhende Sarg war mit zahlreichen Kränzen geschmückt. Nach einleitendem Orgelspiel und Gefang des Bremerhavener   Boltschors hielt Genoffe Landgraf, der Bremerhavener   Bevollmächtigte des Deutschen Metallarbeiterverbandes, die erste Trauerrede. Er verwies dabei auf die Tragit, daß Dißmann heute als Toter an der gleichen Stelle aufgebahrt sei, wo er am 1. September d. 3. zum letztenmal auf deutschem Boden seine zündenden Worte an die deutschen   Arbeiter richtete. Für die Bremerhavener   Parteiorganisation feierte Genoffe Riemann die Rämpfernatur Robert Dißmanns. Für den Haupt­vorstand des Deutschen Metallarbeiterverbandes führte Genosse Reichel aus, daß Robert Dißmann   von der Metallarbeiter- Inter­nationale beauftragt worden war, nach Amerifa zu fahren, um dort die organisierten Metallarbeiter der großen internationalen Kampf gemeinschaft der Metallarbeiter einzugliedern. Dieses Wert sei Robert Dißmann   gelungen. Die amerikanischen   Metallarbeiter seien der Metallarbeiter- Internationale beigetreten, aber Robert Dißmann   fehre als Toter nach Deutschland   zurüd, mitten aus einem arbeitsreichen Leben herausgerissen.

Orgelspiel und Chorgesang beendeten die ergreifende Feier. Die gesamten Teilnehmer, ungefähr 2000 Menschen, gaben dann unter Borantritt der Fahnendelegationen den sterblichen Ueberresten Dißmanns das feierliche Geleit durch die mit zahlreichen Fahnen geschmückten Straßen Bremerhavens   zum Bahnhof. Bon dort wurde der Sarg furz nach 6 Uhr mit dem Zuge nach Stuttgart  übergeführt.

Eine Gesellschaft gegen die Sozialpolitik. Zur Förderung der Gelben.

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Heute nachmittag findet in den Räumen des Reichswirt­schaftsrats die Gründungsversammlung der Gesellschaft für deutsche   Wirtschaft und Sozialpolitit" statt.

Bei dieser Gesellschaft handelt es sich nicht um eine wissen schaftliche Gesellschaft, sondern um eine Interessenten organisation. Die Vorbereitungen der Gründung sind vertraulich besprochen worden. Nur die Rechtspresse ist von den Gründern unterrichtet und eingeladen worden.

Der Zwed der neuen Gesellschaft ist die Förderung der gelben Berbände. Zu den Gründern gehören die Herren Stadler, Professor Spahn, Bergwerksdirektor Leo pold. Erich Schmidt und andere.

Die Personen der Gründer sowie die Zwecksetzung der Gesellschaft lassen erkennen, daß es sich um einen Organi­fationsversuch gegen die Leitung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie zur Bekämpfung der von Silverberg ausgesprochenen Tendenzen handelt. Wir werden auf diefe Gründung noch näher zurüdtommen.

ohne auch in Jemen   die Politik Mussolinis im Zusammen­hange mit der Politik Chamberlains. Bei ihrer Livornozusammenkunft haben die Beiden, wie auch die ita­ lienische   Presse zugab, bezüglich ihrer Orientpolitik eine Ber­einbarung getroffen.

Aber die eigentlichen Triebfedern des italienischen   Ex­pansionsdranges, nämlich die lle ber volterung, lenkt die Mussolinischen Bläne mehr nach Kleinasien  . 1919 be­setzten italienische Truppen mit Zustimmung der übrigen Entente das A daliagebiet am Mittelmeer   in unmittel­barer Nachbarschaft Siziliens  . Seit Mussolini   herrscht, hegt er neue Pläne in dieser Richtung. Er hat schon die notwen­digsten Stükpunkte in Besitz, vor allem aber die Dodekanes­Inseln im östlichen Mittelmeer  . Man besprach schon während der Tripolisreife Mussolinis die Möglichkeit einer Pleinafia­tischen Aktion Italiens  . Unter dem geftürzten neuen Diftator Bangalos waren Vorbereitungen eines gemeinsamen italie­nisch- griechischen Militärunternehmens gegen die Türkei  im Gange. Neuerdings war wieder die Rede von einem angeblich vorbereiteten Angriff Mussolinis in Kleinasien  .

Selbstverständlich verursachen diese Dinge den Türten Bedenken. Im Rusammenhang damit steht auch die Einbe­rufung der Jahrgänge 1903 und 1904 zur türkischen Armee, obwohl diese Jahrgänge planmäßig erst im April 1927 heeres­