Toleöo. von Richard huelsenbeck. («onderbericht für den„Vorwärt s".) Man fährt von Madrid im„treno rapido" einige Stunden, mit der Rapidität darf man's nicht so genau nehmen, ober schließlich holpert es sich so hin und man ist erstaunt, daß man schon da ist. Als ich vor vierzehn Jahren hier war, wurden wir in einem großen Kremser abgeholt, der mit sechs Maultieren bespannt war. Heute durchfährt man den langen Weg vom Bahnhof bis zur Stadt mit einem rotlackierten fabelhaft modern aussehenden Automobil. Damals, wenn es den gefährlichen steil abfallenden Weg über die Tajobrücke hinabging, liefen die Kutscher neben den Maultieren her, hielten ste fest am Zaum und schrien ihnen dunkle Flüche in die Dhren, heute tönt die Hupe des Autos wie der Schrei eines wilden Tieres. Auch die Reisegäste find nicht mehr dieselben. Damals, cnt- sinne ich mich genau, waren wir die einzigen Fremden und wir kamen uns gottoerloren unter den für unsere norddeutsch-protcstan- tische Vorstellung etwas zigeunerhaft aussehenden Menschen vor. Heute hört man mehr englisch als spanisch, mir gegenüber sitzen zwei Amerikanerinnen von einer aufdringlichen Eleganz mit dem unvermeidlichen Bädecker. Aber der Tajo ist noch der gleiche, dieser Wildbach zwischen afrikanischen Bergkulissen. Tief, tief unten gleitet sein grüner Strich, er hat sich in die ausgedörrten Felsen eingefresien, neben mir wird er als„very nice indeed" bezeichnet. Wir tuten am Ottrothäuschen vorbei. Diese mittelalterliche Zollgroteske ist durch keinerlei noch so strenge Maßregel zu ent- fernen. Wenn jemand die Stadt mit zwei Würsten betritt, muß er soviel Zoll bezahlen, daß er am besten gleich die eine daläßt. Als wir vorbei sind, wird im Wagen eine Geschichte erzähtt, die mir zeigt, daß die hohe Obrigkeit hier nicht wie bei uns mit der lammfrommen Ergebenheit ihrer„Subjekte" zu rechnen hat. Als eines schönen Tages— es klingt wie eine Geschichte aus den Grimmschen Märchen— ein Mann mit einer Gans des Weges kam, wurde ihn i conto dieses edelen und wohlschmeckenden Vogels ein Wegzoll aufgebrummt, daß er glauben mußte, es nicht mit Zollwächtern, sondern mit Wegelagerern zu tun zu haben. Er zahlte zwar, aber er sann auf Rache, nach einiger Zeit erschien er wieder vor dem Oktroihäuschen, diesmal aber nicht mit einer Gans, sondern mit einem Haufen seiner Freunde. Das Ende einer kurzen Unterredung war ein zerstörtes Haus, die Bude der Zollwächter wurde von den Erbosten dem Erdboden gleich gemacht. Ich sah mir das Häuschen daraufhin noch einmal an, es war neu, blitzblank, sogar mit einem neuen Anstrich, eine unerhörte Tatsache für diesen Himmelsstrich. Daß hier ein neues Haus gebaut worden war. sprach unbedingt für die Richtigkeit der erzählten Geschichte. Jedes blankgeputzte Fenster sagte hier deutlich„Nun gerade", es müssen schon außer- ordentliche Gründe sein, wenn hier irgendetwas renoviert und in Ordnung gebracht wird. Ich konnte es vor Ungeduld kaum erwarten, nach vierzehn- jähriger Abwesenheit die Kathedrale aufzusuchen. Selten bin ich von der Schönheit eines großen Kunstwerkes so erschüttert worden wie diesmal, als ich aus der glühendsten Sonnenhitze in den kühlen Gotteshafen eintrat. Die Kirchen in diesen streng katholischen Län- dern sind wie geistige Gaschäuser, man mag an Gott glauben oder nicht, man mag zur Religion und dem Plunder der tausend Heiligen
stehen, wie man will, hier wird man bewirtet, verpflegt und durch Ruhe getröstet. Auch die Sinne des forschesten Alltagsmenschen lassen sich die Verträumtheit dieser Stätten gern gefallen. In der Kathedrale von Toledo gibt es einen leuchtenden Stein, einen großen in die Wand der Kirche gefügten Block, der geheimnis- voll erglänzt, wenn die Sonne von außen darauf fällt. Das ist eins der vielen Mittel, die die menschenerfahrenen Priester ge- brauchten, um die nach Wundern verlangenden Seelen ihrer Schaf- chen zu fangen. Wenn es auch nur ein kleines und leicht einzusehendes Wunder ist, aber es wirkt, man steht ergriffen, so viel Kunst macht nach- denklich. Man wird erdrückt von der geschichtlichen Tradition der Stadt, hier wirkte Torquemada mit der Kohorte seiner Blutgesellen als erster Vorsitzender des Inquisitionstribunals. Nirgendwo wurden die Juden schrecklicher gequält als in Toledo , man kann heute noch eine kleine Synagoge sehen, die an der Decke mit maurischen Fresken verziert ist, bescheiden, verschüch- tert, so wie die Stimmung der Juden gewesen sein mag, wenn sie sich versammelten. Wenn sie den Atem anhielten, konnten sie die Schreie der Brüder hören, die nicht weit von hier im bischöflichen Palais für Gottes höhere Ehre gemartert und mit glühenden Zan- gen zur Religion der Liebe bekehrt wurden. Toledo ist die Stadt des Greco; in einem Häuschen, kaum größer als das Oktroihäus- chen, kann man feine von geistiger Glut entstellten Bilder sehen. Die Menschen, die er darstellte, sind mager, dürr und schweigsam wie das Land, das sie hervorbrachte. Man muß entweder ja oder nein zu ihnen sagen, es gibt keine Kompromisse, genau so wie es in Spanien und im Leben des Spaniers keine Kontpromisse gibt. Das Land ist ernst, dunkel und streng, seine gesellschaftlichen Formen sind eindeutig, klar und unerbittlich, es kann sich ihnen niemand entziehen. Mus hermione von preufchens Erinnerungen. Die Malerin und Dichterin Hermione von Preuschen hat seiner- zeit durch ihre sensationellen Gemälde und ihr« leidenschaftlichen Gedichte ein gewisses Aufsehen erregt, und nodt mehr als ihre Kunst fesselte chre interessante Persönlichkeit. Diese Eigenart ihres Wesens tritt auch in den Erinnerungen hervor, die soeben aus ihrem Nach- laß unter dem Titel„Der Roman meines Lebens" bei K. F. Koehler in Berlin erscheinen. Bon berühmten Künstlern, mit denen sie zu- fammentraf, weiß sie mancherlei zu berichten. So war sie als Mal- schülerin in Karlsruhe oft Gast bei Scheffel:„Er lebte still und zurückgezogen mit seinem heranwachsenden Sohn, einem schlank aufgeschossenen Jüngling. Der Dichter des Ekkehard hatte ein rates, starkes Gesicht, einen graublonden Knebelbart und trug eine bunt- karierte Samtweste. Er war ausgesucht gütig gegen mich. Ich schwamm in eitel Seligkeit. Er erzählte mir die Geschichte der Irene von Spilimberg, der Sd)ülerin Tizians, über die er einen Roman schreiben wollte, wenn er wieder„Herzensruhe" habe. Ob ich ihm diese Herzensruhe nicht schaffen könne, meinte er scherzend. Dies bewegte mich lange... Ich verehrte den Dichter und nahm es sehr übel, wenn mir andere erzählten, Viktor Scheffel liebe allzu sehr den Trunk, und nur deshalb sei er von seiner Frau getrennt." Mit Theodor Storm verband sie eine langjährige Freund- schaft, deren Zeugnis ein reicher Briejwed)sel ist. Sie besuchte ihn in Husum. „Er zeigte mir jedes Haus der„grauen Stadt am Meer", die mir aber mtt ihren roten Dächern gar nicht grau er- schien. Abends las er aus seinen Gedichten oder erzählte mir und seinen vielen Kindern und seiner zweiten Frau'„Do" Geister- geschichten, die er selbst erlebt hatte. Ja. Storm war ein„Späten- kieker". In seinen Augen lag etwas Visionäres, so häuslich, still und schlicht er auch fairst aussah. Von seinen Gedichten hielt er sehr
viel.„Wenn alles andere von mir vergesien ist, die werden bleiben. ineinte er zuversichtlich. Nach Jahren hat er mich einmal m J>om- bürg besucht, wo ich mich in meiner Unreife schämte über den umgen roten Schal, den er um den Hals gewürgt hatte. Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen. In seiner letzten Krankheit schrieb nod) von seinen Fieberphantasien:„Hier stand einmal ein Schau« spielhaus— nun gehen alle Lichter aus." In Heidelberg war sie bei Anselm Feuerbach. „Er nahm das junge, ungestüme Malweibchen, das so begeistert in sein Atelier gestürzt kam, uberau» gütig auf. 42 Jahre war er damals, klein, schlank und dunkel, mit langem Haar und Künstlerlocken und großen, traurigen, blauen Augen." In München hat sie viel bei I b s e n oerkehrt.„An ledem Silvesterabend tranken wir dort Punsch und aßen von ,;rau Absens „selbstgespritzten" Spritzkud)en. Das war das einzige Mal im Jahr. daß es mir warm wurde in der sonst so kühlen Zimmerflucht der Maximilianstraße mtt den altitalienischen Heiligenbildern.„Meine Frau leidet an fliegender Hitze," erklärte der Dichter, wenn er händereibend, frostgeplagt, rastlos wie eine Fledermaus in dep langen Zimmerreihe auf- und abschwirrte. Aber am Silvesterabend wars warm, und er trank einen sehr gründlichen Neujahrspunsch und wurde dann wundervoll angeregt, sprach von seinen Dramen, leinen Problemen, und wie seine Figuren ihn greifbar plastisd, be- dränaten.„Die Rebekka West hat ein kornblumenblaues Kleid unk» eine weiße Latzschürze." Der Satz ist mir unvergeßlich. Damals machten gerade die„Gespenster " ihren Siegeszug durch die Welt. Maschinen unö örücken im Examen. In unserem Zeitalter, in dem die Maschine eine so große Roll< spielt, ist die Prüfung der verschiedenen technischen Anlagen über- aus notwendig geworden. Jede Brücke, jedes Gebäude, jeder Kraftwagen, jedes Flugzeug usw. wird einem sehr eingehenden Examen unterworfen, um festzustellen, ob sie auch allen Anforde- rungen genügen. Dabei macht man immer wieder die merkwürdige Beobachtung, daß zwei Maschinen, die in ihrer Größe und Bauart ganz gleich sind, sich doch bei der Probe verschieden verhallen, und jeder Autofachmonn weiß, daß zwei in derselben Serie hergestellte Wagen sich doch in ihren Eigenschaften von einander unterscheiden. Besonders eingehend ist das Examen für die großen Autobusie. Sie werden, bevor sie eingestellt werden, mannigfach geprüft. Dg gibt es eine„Gleitprobe": der Omnibus mph mit großer Ge- schwindigkeit auf einem schlüpfrigen Boden fahren urtd wird dann plötzlich angehalten. So bekommt man heraus, ob er zu sehr schleudert. Dann wird er auf einem sehr schlechten Wege aus- probiert, wobei man die„Löcher" aussucht. Daran läßt sich die Federung des Gefährtes erkennen. Andere Prüfungen bestehen in Herabfahren von einem steilen Hügel und in einer Untersuchung seines Gleichgewichtes. Jede neue Brücke wird sorgfältig auf ihre Belastung hin erprobt. Lokomotiven und schwerbeladene Waggons. die eine drei- bis viermal so große Last darstellen als die normale, werden über die Brücke gefahren. Bei der Prüfung der neuen Waterloo-Brückc in London benutzte man zu dieser Belastung»- probe 30 Omnibusse, von denen jeder mit 47 Sandsäcken beladen war, jeder Sandsack 40 Klg. schwer. Jeder Bogen wnrde mtt dieser Last einzeln ausgeprobt und durch Instrumente die Senkung der Konstruktion bis auf ein tausendstel Zoll beobachtet. Ebenso werden Schisssketten einem strengen Examen unterworfen. Die größte Moschine für Prüfungen dieser Art, die es gibt, ist kürzlich in Birmingham eingeweiht worden. Sie kostet eine Viertelmillion Mark, ist 120 Fuß lang und imstande, einen Widerstand bis zu 12S0 Tonnen zu zerbrechen. Gerüste und Plattformen, auf denen große Menschenmengen stehen sollen, müssen natürlich auch aus ihr Gewicht hin genau geprüft werden. Man nahm früher an, daß das Gewicht einer Menschenmasse 80 Pfund aus den Ouadratsuß beträgt, aber in neuester Zeit hat man sestgestellt, daß eine dicht gedrängte Menschenmenge 176 Pfund auf den Ouadratsuß wiegen kann und daß daher die Belastung, die bei der Prüfung verwendet wird, das Mehrfache betragen muh.