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Nr. 528 43. Jahrgang

1. 6�1 löge öes vorwärts

Dienstag» 4. November 1924

Man weiß heute genau, wie die Revolution von 1848 aus- gesehen hat. das heißt wie eine Revolution eigentlich aussehen muß� Da. an der Königstraße, hatte die große Barrikade gestanden, von der die Schützengilde schoß, an der Kolonadenbrücke stand das Mi- litär, und auf dem Schloßplatz drängten sich die Menschen. Auf dem Balkon aber stand der König, und er mußte vor den Leichen der Barrikadenkämpfer den Hut ziehen. Das war die Revolution: und olle Romantik der Kinderjahre lebte nur in diesem Begriff. Man hatte die Revolutionsgeschichte Berlins nach Streckfuß genau im Kopf und es war die Sehnsucht: Es sollte doch noch einmal eine Revolution kommen, und dann.... vor öem Gewitter. Die Revolution war auf dem Marsch: wir fühlten es. Fühlten es an den Zeichen der großen Politik, fühlten die dumpfe Span- nung in allen Gemütern, die nach einem gewaltsamen Ausbruch drängte. Und in den ersten Nooembertage» kamen die Gerüchte nach Berlin : die Marine hat Schluß gemacht! Das w a r die Rc- volution! Run war die Reihe an uns, an den Berliner Arbeitern. Aber wir wußten auch eins: die Einschließung Berlins war vor- bereitet, die Menschenmengen solltennach der Ringbahn zu- sammengetrieben" werden-- und die Berliner Arbeiter hatte» keine Waffen. Trotzdem, wir wußten, die Revolution würde kommen. Weiter aber wußten wir nichts: nichts, was draußen geschah: unmöglich schien es, daß nicht schon Berlin im Aufstand mar. Da gingen wir, drei Genossen, am Abend des 7. November zusammen nach Berlin . Still lagen die Straßen, doch in all den Ge- sichtern lag unter der Alltagsmiene die gleiche heimlich«, horchende Spannung. Und da, als wir bis zur Königstraße gekommen waren. da sahen wir: Vom Turm des Rathauses wurde gefunkt! Ganz primitiv, mit irgendeinem optischen Telegraphen! Der Draht gehört« ihnen nicht mehr es war aus es war aus und obgleich keiner von uns das Morsealphabet kannte, konnten wir die Botschaft nur zu gut lesen! Der lange Weg. Ein Tag noch voll unerträglicher Spannung. Dann, am Neunten: Eine Genossin ruft mich auf der Straße an.Die Görz - Betriebe machen Schluß! Sie marschieren nach Berlin ! Kommen Sie mit!'' Ach, wie schnell, wie schnell war alles gerichtet wie gleichgültig war auch olles vor dem einen, großen Erleben: Die Arbeiter sind aus der Straße die Revolution Ist da! Im Lauf. schritt geht es durch die Friedenauer Straßen. Endlich, da quillt ein Zug, endlos, endlos. Keuchend laufen wir aus der Querstraße. Run sind wir eingereiht. Wie wenige Frauen waren in diesem ersten Zug: rund um uns die Arbeiter der Görzschcn Betrieb«: viet

Y- K. ältere Leute. Keiner bewaffnet, und dock alle voll der Zuoersicht: Wir siegen, wer will sich uns entgegenstellen? Wir sind das Bolk, wir find die Macht. Gute Laune liegt über allen, als gingen sie zur Maifeier. Und wie sich der Zug durch die Straßen des Westens wälzt, wächst er mehr und mehr an. Au» jedem Betriebe, aus jedem Bezirk bekommt er Zuwach». An den Fenstern im Westen steht selten irgendein Neugieriger. Was aber an den Ecken zu- sammenlief, da, reiht sich immer nach kurzer Weile in unseren Zug ein. Längst gehe ich nicht mehr neben der Görzschen Belegschaft. Nun sind Elektrizitätsarbeiter meine Nachbarn im Zuae.Ick habe schon am Vierten eenen roten Wimpel an meinen Platz jehabt. Machen Sie mal det Ding ab', hat der Meester sesacht.Det seht jetzt»ich mehr: det läßt sich»ich mehr abmachen,' habe ick ihm jeantwortet...Ja, das Rot! Wer einen Fetzen rotes Tuch hat,

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muß teilen, teilen, teilen: Alle wollen wir die Farbe der Revo- lution tragen. Nun find wir in der Potsdamer Straße . Ja, es muß gesagt werden. Da war ein Balkon in der Potsdamer Straße : ein paar wohlgenährte Herren standen darauf. Leute, die sicher nie die Not des Krieges gefühlt hatten. Und sie lächelten wohlwollend herunter, und einer winkte sogar mit einem roten Taschentuch. Wir zogen vorbei, wir waren ja noch nicht in Berlin , wir hatten ja unser ganzes Werk noch vor uns: aber doch konnte ich lange die feisten Gesichter nicht vergessen, die so wohlwollend auf uns herab- gesehen hatten. Wie verdächtig war mir ihr Wahlwollen..., aber das Lachen sollte ihnen noch einmal vergehen. Dann waren wir am Potsdamer Platz . Die Züge stauten sich, stockten. Hier for- mierten sich die Gruppen, die die einzelnen Rcgierungsgebäude be- setzten. An der Eck« der Potsdamer Straße stand ein Lastauto: Wir fahren zum Reichsmarineamt! Kommt mit!' Bald war das Auto voll, auch einige Bewaffnete waren drauf. Wir anderen liefen im halben Laufschritt hinterher. Das Reichsmarineamt ! Da wiirde es Widerstand geben.... Das Neichsmarineamt. Als wir keuchend ankamen, war die große Tür schon weit tze- öffnet. Niemand hatte an aktiven Widerstand gedacht, kein Offizier hatte versucht, ihn irgendwie zu organisieren. Wir konnten es kaum glauben.Wo habt ihr die Waffen?' Da zeigten die Ordon- nanzen auf längliche Kisten: Maschinengewehre, noch nicht zu- sammengesetzt, aber genug, um das Haus in eine Festung zu vcr- wandeln. Man hatte uns vielleicht so früh nicht erwartet.... Ein paar Heißsporne wolllen alles. Gewehre und Munition, in den Landwehrkanal werfen.Laß sein, du! Die sind ja jetzt doch unser: Vielleicht brauchen wir sie bald----'Wo sind eure Offiziere?' Die Mannschaften des Reichsmarineämtes waren wahrhaftig nicht von revolutionärem Geiste angesteckt. Sie ließen sich die Revolution gefallen: das war alles...... Vielleicht in den Zimmern" Und nun mußte Zimmer um Zimmer, der große Bau abgesucht werden. Die meisten Zimmer waren schon leer: einige zeigten, wie schnell der Ausbruch gewesen war. In einem Zimmer retirlerte «in junger Offizier in' Unterhosen hinter das schützende Betthaupt. Sie müssen hier raus!'Ja, ja ich möchte mir nur Zivil anziehen!' Wir ließen sie alle laufen und glaubten sie damit endgültig los zu fein: wir haben es später wohl oft bereut. Sie leisteten keinen Widerstand. Sie wußten, sie konnten keinen leisten. Was bedeutete ihre Handvoll Ordonnan.zen. die hier im Reichs- marineamt in gutenDruckposten' handzahm geworden waren, gegen das Volk, gegen die entfesselte Revolution? Nun ging es zurück zur Haupthalle. Da saß aus einem Marmeladeneimer schon ein alter Korvettenkapitän a.D.: der hatte wohl eine gute Kon- junktur vermutet.... Ja, nun sahen wir im Reichsmarineamt ! 'Doch was nun? Wir waren nur eine Handvoll Leute. Wenige

Die Vunöer öer Klara van Haag. Van Johannes Duchholh. Aus dem Dänischen übersetzt von Erwin Magnus . Nein. Ich glaube, du bist verrückt. Willst mitten in der Nacht den Leuten vorspielen, wenn sie im Bett liegen?" Hedwig war im Begriff, zu kichern und etwas Drolliges zu sagen: aber da sagte Iohon mit harter Stimme:Dann bist du«ine andere, als ich gedacht habe." Hedwigs Mundwinkel bebten und sie sagte:Ein ander- mal. wenn es dir paßt." Das andere Mal kommt nie..." Aber kannst du denn gar nicht verstehen...?" JDod) ich kann gut verstehen!" Nun, ja...' Zch kann verstehen, daß ich falsch gegongen bin in der Stadl" Du bist nicht falsch gegangen in der Stadt, nur zu einer falschen Zeit gekommen. Johan!" Doch. Die ich suckte, ist nicht hier." Hedwigs Zähne schlugen zusammen vor Kälte und Be- wegung. Haben Sie mich nicht gesucht?" sagte sie. Sie hörte, daß ihr Mund jetzt von selbst wieder S i e sagte und spürte den kleinen Umschwung wie eine Eiseskälte. Johan wandte sich ab, drehte sich dann wieder um. Hedwig konnte seine Augen nicht sehen, als er aber sprach, war seine Stimme rauh und schreiend, so daß sie inwendig erstarrte.., Nein," sagte er.Ich suchte dich nicht. Ich suchte ein Mädchen, das dazu taugt, es zu lieben, und ihm mit meiner Geige ein wenig aufzuspielen. Ich suchte nicht ein leeres Nachthemd, wie du es bist auch nicht ein kleines Gänschen. wie du es auch bist!" Hedwig drehte sich um und entfernte sich auf ihren bloßen Füßen. Aber Johans böse Worte verfolgten sie und pufften sie in den'Rücken, daß sie fast stolperte. Ich mache mir nichts aus dir. Du bist nichts. Doch. du bist etwas. Ich will dir sagen, was du bist: Du bist ganz gewöhnlich. Du bist wie ein Stein im Pflaster. Denk daran, daß es Tausende von deiner Art gibt!" Mehr hörte Hedwig nicht. Sie fand ihre Tür und warf sich auf ihr Bett.

3. Kapitel. Sivert streckt zögernd seine eckigen Beine zum Bett heraus. Er gähnt übermäßig und reckt sich. Die Sonne sprüht in die Bodenkammer zu ihm herein. Kurz darauf weicht der erloschene Ausdruck von ihm. Er sieht sich lauernd um. Schwer ist er aus seiner eigenen guten Welt geplumpst, wo Schlaf und Traum regieren, herab auf die nüchterne feindlich« Erde . Sieh, da liegt sein Zeug in verstreuten zusammengesunkenen Haufen, jetzt muß er hineinkriechen und den Kampf ums Da- sein beginnen. Ach ja. Ob der Dater wohl gegangen ist, so daß er sich Hoffnung auf eine ruhige Tasse Kaffee bei der Mutter machen kann? Ach, wer doch ungestört hundert Jahre schlafen könnte! Heute nacht träumte Sivert festsich. daß er in Kaufmann Lunds Stuben umherging. Er hatte Minna an der Hand, und ihr Noter, der kleine Lund. legte den Kopf auf die Seite vor lächelndem Wohlwollen. Heute nacht trug Sivert auch schöne Kleider. Er hatte sein grünes Zeug an. In der Erinnerung hieran tritt er an den Kleiderschrank und öffnet ihn, um den Anblick in Wirklichkeit zu genießen. Ja, da hängt es. Aber es soll ja leider hängen bleiben. In diesem Augenblick hat Sivert einen Einfall. Mit zitternder Hand nimmt er das Zeug heraus, schleicht sich rück- wälts in die Hosen, stiehlt sich in die Weste und verbirgt sich in der Jacke: jetzt hat er Kragen und Krawatte aus einer Schublade genommen, steht vor seinem kleinen Spiegel und lacht glücklich über den Ausfall und murmelt vor sich hin: Zum Teufel, ich kann ja t u n, als ob ich um sie freite!" Gerade als Sivert den Fuß der Bodentreppe erreichte, kam der Bater heim. Er bemerkte sofort die Kleiderpracht, stutzte und runzelte die Stirn, dann aber klärte sich sein Ge- sich auf. und er sagte:Das ist recht. Du erinnerst dich der Abmachung." Damit war Sivert die schiefe Ebene so weit hinunterge- glitten, daß er nicht mehr zu retten war. Borläufig ging alles glänzend. Der Bater winkte mit der Hand, daß Sivert sich an den Tisch setzen und mit ihm zusammen frühstücken könnte. Was willst du ihr nun sagen?" fragte er. Seine Augen funkelten vor Lust, gerade auf die Aufgabe loszugehen. Sivert langte dreist nach dem Essen aus: er fühlte in diesem Augenblick seine Bedeutung. Das ordne ich mit der größten Leichtigkeit. Ueberlaß mir das nur." Sag, wie du anfangen willst." Ich will gar nicht anfangen."

Wie-?" Sivert nahin einen Bissen aus dem Munde, lächelte scheu und erhob sich halb. Ich habe ja mein grünes Zeug angezogen," sagte er. Sollte das nicht genügen?" Oh, prachtvoll! Das vergaß ich. Du willst dich also auf- stellen und es auf sie wirken lassen?" Ich will mich aufftellen und es auf sie wirken lassen," be- stätigte Sivert. Ausgezeichnet. Und dann...?" Dann denke ich, daß s i e anfängt." Sivert war ganz vom Effen in Anspruch genommen. Er richtete seine Antworten nach augenblicklichen Einfällen, ohne eine Handbreit vor sich zu sehen, wo es hinführte. Du bist ja ein großartiger Feldherr!" Mit Gottes Hilfe," sagt« Sivert feierlich, indem er einen ungeh«uren Mund voll hinunterschlang,ich denke doch, daß ich dir in der Sache keine Schande machen werde." Die Mutter kam aus der Küche herein. Ich finde, ihr solltet die Sache etwas aufschieben und euch erst ein wenig bedenken," sagte sie mit Bezug auf die Freierei. Aufschieb«n? Warum? Morgenstunde hat Gold im Munde." Morgenstunde soll man mit Beten beginnen, nicht mit Begehren!" Wenn du nur mit Unsinn kommst, dann geh lieber! Sivert braucht eine Ermunterung, keinen Weiberschnack." Ja. ja." Wer ist in der Küche?" Egholm hatte jemand gehen gehört. Ach, niemand," sagte die Mutter unruhig. Aber im selben Augenblick trat Hedwig ein, bleich und vermacht nach der aufreibenden Nacht. Der Äater richtete sich abweisend auf: aber sie versuchte zu lächeln. ,LLas will das Fräulein eigentlich hier?" Ich will dich fragen, Vater," sagte Hedwig, während das Lächeln in ihrem Gesicht aufflackerte und verschwand wie die Flamme einer ausgebrannten Lampe.Ich will dich fragen, ob wir nicht lieber den Handel abschließen sollten, den wir gestern abend anfingen?" Ich weiß nichts von einem Handel." Daß ich dir«ine große Freude verschafft«, wogegen du den Skandal mit Sivert und Petrea Bisy läßt." Ist mit deiner Freude Bargeld verbunden?" Nein aber,,(Fortsetzung folgt.)