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Nr. 530 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 270

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands  

Redaktion und Verlag: Berlin   SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292–297.

Mittwoch, den 10. November 1926

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Kampf um die Erwerbslosenunterstützung.

Neuer Antrag der Sozialdemokratischen Reichstagsfraktion.

Die Verordnung der Regierung, die die Säße der Er­werbslosenunterstügung um 10 Proz. für die Hauptunter­ftügungsempfänger, um 15 Broz. für die Alleinstehenden erhöht, wird heute erlassen und tritt sofort in Kraft. So unzureichend die Erhöhung auch ist, so ist auch sie nur auf das Betreiben der Sozialdemokratie zurückzuführen.

Inzwischen hat die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, wie schon gestern früh hier angefündigt wurde, beschlossen, ihre Artion fortzufegen. Sie wird schon heute zu der soeben erlassenen Verordnung folgenden Antrag ein bringen: " Der Reichstag   wolle beschließen, die Reichsregierung zu er­1. die Verordnung betreffend Erwerbslofenfürsorge vom 9. No­vember 1926 dahin abzuändern, daß die Bezüge der Hauptunter­ftützungsempfänger um 30 Pro3.( staff um 15 bzw. 10 Pro3.), die Familienzufchläge um 20 Pro 3. erhöht werden.

fuchen:

2. Zur Dedung der dadurch entstehenden Mehrausgaben ist erforderlichenfalls die durch die 14. Notverordnung über die Börsenumsatzsteuer( Ermäßigung von Steuern) vom 29. April 1926 eingetretene Ermäßigung der Börsenumfaßsteuer auf­zuheben."

Die fozialdemokratische Reichstagsfrattion hat damit bewiesen, daß sie ihrer Berantwortung sich voll bemußt ist. Sie stellt nicht nur Forderungen, sondern forgt auch für die Dedung. Sollte der neue Antrag verschleppt, abgelehnt oder nach der Annahme nicht durchgeführt werden, so würden dafür die bürgerlichen Parteien und die Regierung die Ber­antwortung zu tragen haben.

Der Rest der Anträge zur Erwerbslosenfürsorge wurde auf eigenartige Weise erledigt, da sich nur Sozialdemokraten und Kommunisten an den Abstimmungen beteiligten. Die Deutschnationalen enthielten sich aus taftischen Gründen, die Mittelparteien taten dasselbe, weil sie mit Rücksicht auf die angekündigten Regierungsvorlagen Ab­fegung der Anträge von der Tagesordnung beantragt hatten, diefe aber gegen die Rechte und die Linke nicht durchsetzen fonnten.

Für einen tommunistischen Antrag, dem Arbeitsminister Dr. Brauns ein Mißtrauensvotum auszustellen. stimmten nur die Antragsteller. Die Deutschnationalen enthielten sich. Mittelparteien und Sozialdemokraten stimmten dá­gegen. Wenn die Sozialdemokraten es für notwendig halten, einen Minister oder eine Regierung zu stürzen, so stellen sie die entsprechenden Anträge selbst, zuvor aber überlegen fie, was daraus wird. Wäre der Mißtrauensantrag gegen Brauns angenommen worden, so hätten die Arbeitslofen des wegen feinen Pfennig mehr bekommen, viel eher bestand dann die Gefahr, daß selbst die neue Berordnung mit ihren zu geringen Berbefferungen zurüdgezogen worden wäre; dann hätten die beitslosen nicht einmal das wenige bekommen, was ihnen die Berordnung zugesteht.

Die Sozialdemokratie bleibt bei ihrer Taftif, aus der Regierung und den bürgerlichen Parteien im Sinne ihrer Forderungen soviel herauszuholen, als möglich ist. Ob die Herbeiführung einer Regierungskrise die Aussicht auf Er füllung ihrer Forderungen verbessert, tann nur unter Be­rücksichtigung der politischen Gesamtlage von Fall zu Fall entschieden werden.

Kommunisten und Böttische hatten gestern im Reichstag  noch zwei Mißtrauensanträge eingebracht, diesmal gegen die Gesamtregierung. Vor der Abstimmung über bie noch außenstehen­den Anträge des sozialpolitischen Ausschusses zur Erwerbslofenfür forge nimmt das Wort

Reichsarbeitsminister Dr. Brauns:

Wie bereits gestern angekündigt worden ist, ist die Retchs­regierung fofort zusammengetreten, um ihr weiteres Vorgehen in der Frage der Arbeitslosenfürsorge zu beraten. Bestimmend für die Stellung der Regierung waren folgende Gesichtspunkte: die Reichs. regierung ist ermächtigt, die Unterstützungsfäße in der Erwerbslofen fürsorge an die wechselnden wirtschaftlichen Verhältnisse anzupassen und dabei den Reichsrat zu hören. Sie hat bisher stets dabei mit dem Reichstag   und mit dem Sozialpolitischen   Ausschuß und mit dem Hauptausschuß vor ihren wichtigsten Beschlüffen Stellung genommen. Das ist auch diesmal in ausgiebigen Beratungen geschehen. Das endgültige Ergebnis dieser Beratungen ist in den von den Re. gierungsparteien vorgeschlagenen Erhöhungen zu sehen. Auf dem elben Boden hat sich auch der Haushaltsausschuß gestellt. Der Sozialpolitische Ausschuß hat großen Wert darauf gelegt, die neuen Unterstügungsfäge in diefer Boche in Kraft treten zu lassen. Nach den gestrigen Parteiertlärungen steht fest. baß es fich bei den gestrigen Beschlüssen zum Teil um taktische Ab­Stimmungen gehandelt hat und daß tatsächlich eine Mehrheit des

Reichstags für die gestern beschloffene Erhöhung um 30 Proz. für die Hauptunterstügungsempfänger und um 20 Broz für die Familienzuschläge nicht vorhanden ist. Auf Grund dieser Zusammen hänge hat sich die Reichsregierung entschlossen, an der dem Reichs rat bereits unterbreiteten Borlage im Einklang mit den Re­gierungsparteien und den Beschlüssen des Ausschusses festzuhalten, und

im Wege der Berordnung die Unterstützungsfäße um 15 und 10 Proz. zu erhöhen. Heute vormittag haben die Reichsratsausschüsse dem Borschlage der Regierung ihre Zustimmung erteilt und daraufhin ist die Ver. ordnung heute mittag von mir vollzogen worden. ( Hört! hört! bei den Kommunisten.) Nur so ist zu erreichen, daß die Arbeitslofen noch in dieser Woche in den Genuß der erhöhten Unterffüßung fommen. Gleichzeitig soll der volle Zuschlag auch für das vierte Kind gezahlt werden. Die neuen Lasten regierung die Initiative, um im Sinne der Anträge der Regierungs­werden vom Reich getragen. Darüber hinaus ergreift die Reichs­parteien folgende Aufgaben teils gefeßlich, teils durch Verordnungen und Ausführungsbestimmungen zu lösen:

Die Regierung will ohne Berzug einen Gefehentwurf vorlegen, demzufolge die Bezüge aus der Wochenhilfe und Fürsorge nicht auf die Erwerbslosenunterstützung angerechnet werden. Sie wird weiterhin eine Vorlage einbringen, wonach den Erwerbslosen die Anwartschaft auf die Sozialver­ficherung aus den Mitteln der Erwerbslosenfürsorge gesichert wird. Endlich soll durch Gesetz auf dem Wege der Krisenfür­forge den Ausgesteuerten der Fortbezug der Unterstützungen für den Winter gewährleistet werden. Diese Vorlage foll fchon am Donnerstag im Reichsrat verabschiedet werden. Durch Berordnung oder Ausführungsbestimmungen soll eine gleichmäßige und entgegenkommende Durchführung der Be­dürftigkeitsprüfung sichergestellt und verhindert werden, daß Arbeitsstellen mit fortlaufender voller Arbeitstätigkeit auf dem Wege der Pflichtarbeit befeht werden. Endlich wird die Reichs­regierung entsprechend den Anträgen der Regierungsparteien die berufliche Fortbildung der erwerbslosen Ju­gendlichen fördern. Die Regierung hält an ihrer bejahenden Stellung zur Sozialpolitik fest und wird daraus alle Konsequenzen ziehen.( Beifall bei den Regierungsparteien.)

Mussolinis neuester Gewaltstreich.

Alle Oppositionsabgeordneten ihrer Mandate beraubt.

Rom  , 9. November.  ( WIB.) Die Kammer nahm den jede Rede. Die historische Stunde erfordere zudem nicht Antrag Turafis an, der die Abgeordneten der 2 ventin- Oppo- Worte, sondern Taten. Ich lade sie ein, den Ruf zu wiederholen: fition und die kommunisten ihres mandats ver. ,, Es lebe Mussolini  , jetzt und immer!" Mussolini   dankte dem Präsi­luftig erklärt. denten und der Rammer.

leber feinen noch so empörenden Gewaltstreich Musso: linis darf man sich mehr wundern. Man muß sich darauf beschränken, den jeweiligen Zweck zu enthüllen. Daß dieser neue Beschluß der Verfassung ins Gesicht schlägt, versteht sich von selbst. Die italienische   Verfassung besteht zwar noch immer, aber fein Mensch kümmert sich mehr um sie, am aller­wenigsten der Schattenkönig Biftor- Emanuel, der bei seiner Thronbesteigung geschworen, sie zu schützen.

Das Ziel, das Mussolini   durch den gestrigen Beschluß der Rammer verfolgt, ist ganz klar: er will die Möglichkeit haben, die nicht- faschistischen Abgeordneten jederzeit zu verhaften, vor das Standgericht zu stellen und sie durch dieses willfährige Parteiinftrument zum Tode oder zu Zuchthausstrafen bis zu 30 Jahren zu verurteilen. Da den Führern der Opposition außerdem verboten wird, Italien   zu verlassen, sichert sich Mussolini   zugleich einige hurdert prominente Geiseln, mit denen er anfangen fann, was ihm beliebt. Man muß damit rechnen, daß mit den Verhaftungen schon in den nächsten Tagen begonnen wird. Eine Prostriptionsliste ist bereits, wie uns von der italienischen Grenze zuver lässig berichtet wird, schon fertig, die zunächst mehr als 100 Na men enthält, darunter Senator Graf Sforza, Senator Albertini, die Schriftsteller Benedetto Croce   und Bracco, der sozialistische Abgeordnete und Rechtsanwalt Gonzales usw. usw.

Der gestrige Beschluß der Faschistenkammer betrifft nicht nur die Sozialisten, Marimalisten und Kommunisten, sondern auch die Demokraten, die Republikaner  , die Katholiken und fogar den größten Teil der Liberalen, denn auch letztere hatten gulegt unter Führung Giolittis der Aventin- Oppofition an­gehört. Damit werden die Schwarzhemden in dieser Karikatur eines Barlaments ganz unter sich sein.

Der Veriauf der Sitzung.

Rom  , 9. November.  ( EP.) 3ur außerordentlichen Rammerfigung für die Annahme des Gesetzes über die Todesstrafe erschienen alle faschistischen Abgeordneten heute auf Befehl des Generalsekretārs der Partei

im Schwarzhemd.

Vor der Sizung ereigneten sich in den Wandelgängen einige 3 wifchenfälle mit oppofitionellen Abgeordneten, u. a. wurde der marimalistische Abgeordnete Lazzari gezwungen, sofort das Parlamentsgebäude zu verlassen. Die Tribünen waren bei Beginn der Sigung dicht besetzt. In der Diplomaten loge waren zahlreiche ausländische Vertreter anwesend. Musso. ini wurde mit einer ftürmischen, nicht endenwollenden Ovation begrüßt, an der sich auch die Tribünen beteiligtn.

Als sich der Beifallssturm gelegt hatte, sagte der Kammer präsident Casertano, diese eindrucksvolle Kundgebung erübrige

Hierauf verlas der Kammerpräsident den von Turatt ein­gebrachten Antrag, wonach die Aventinabgeordneten ihrer Mandate für verlustig erklärt werden, und fügte hinzu: Ueber die verlangte sofortige Behandlung müsse ge­heim abgestimmt werden, was auch fofort geschah.

Mit 293 gegen 10 Stimmen

wurde beschlossen, sofort in die Beratung des Antrages einzutreten. ( Die Gesamtzahl der gewählten Abgeordneten beträgt 510! Red. d. V.".) Der Justizminister Rocco brachte den Gesetzentwurf über die Einführung der Todesstrafe und die anderen Bestim­mungen zur Verteidigung des Staates ein.

Es wurde mit 295 gegen 8 Stimmen die sofortige Behandlung der Anträge beschlossen. Alsdann begann die Diskussion des von Turati eingebrachten Antrags, der ein Verzeichnis der Aventin­abgeordneten verlas, denen ihr Mandat entzogen werden soll. Ihrer Haltung seit der Matteotti- Affäre stellte er die Leistungen der Regie­rung gegenüber und sagte hinsichtlich der Attentate auf Mussolini  , der Anschlag des Sozialisten 3 ani boni fei aus den Kreisen des Aventin gekommen.( Diese verlogene Behauptung fann er nur wagen, weil die Zenfur die Berichte über die Geständnisse Gari. baldis unterdrückt hat. Auch Baniboni ist von Garibaldi   im Auf­trage Muffolinis geworben worden. Red. d. B.) Er betonte zum Schluß, man müsse der Stimme des Volkes Gehör schenken, das unter der Leitung des Duce in Ruhe arbeiten wolle. Mussolini  unterstützte diesen Schlußsatz mit den Worten: Ich gehe dem Bolte voran!"- Die Rede des Kammerpräsidenten wurde mit lebhaftem Beifall aufgenommen, und die Kammer stimmte die Faschistenhymne an. An der Sitzung nahmen außer den faschistischen Abgeordneten die Erminister Salandra, Soleri und Riccio, der liberale Abgeordnete Giovannini und einige andere tell, aber fein Vertreter der Aventin  - Opposition und tein Kommunist.

Auch die Schandgesetze genehmigt.

Ein Rückzug vor dem Ausland.

Rom  , 9. November.  ( WIB.) Die kammer nahm den Gesetz­entwurf zum Schuhe des Staates bei namentlicher Ab­ftimmung mit 341 gegen 12 Stimmen an. Es folgte eine geheime Abstimmung, die 318 Stimmen für und 6 gegen den Ent­wurf ergab.

Der Artikel, nach welchem ein italienischer Bürger oder ein Ausländer ein von dem Gesetzentwurf vorgesehenes Ber­brechen auf ausländischem Gebiet begehen würde, dem Gesehe gemäß im Königreich abgeurteilt werden sollte, obwohl er schon im Auslande abgeurteilt fel, wurde aus dem Tegt des Ge­fehentwurfes entfernt.( Weil ein europäischer Protest gegen diese Bölferrechtswidrigkeit unvermeidlich war! Red. d. B".) Der Wiederzufammenfritt der Kammer, die sich darauf vertagte, fo!! den Abgeordneten in ihren Heimatsorten mitgeteilt werden.