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Abendausgabe

Nr. 535 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 265

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10 Pfennig

12. November 1926

Vorwärts=

Berliner Volksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Sozialdemokratie und Wohnungsbau. Das neue Strafgesetzbuch.

Debatte im Landtag. - Unsere Forderungen.

tann der Minister sachliche Gründe dafür anführen?

Der Landtag beriet heute den sozialdemokratischen Soll diese Maßnahme eine Konzession an die Hausbefizer sein oder Antrag über Förderung des Wohnungsbaus im Jahre 1927. Damit verbunden wurde ein kommunistischer An­

trag gegen die Loderung des Mieterschutzes für Großwohnungen.

Zur Begründung unseres Antrages nimmt das Wort: Abg. Lüdemann( Soz.):

Im Januar 1926 ist das Wohnungsbauprogramm vom Landtag einstimmig angenommen worden. Dadurch ist die Notwendigkeit des Bohnungsneubaues von allen Seiten anerkannt. Was hat die Staatsregierung nun inzwischen zur Verwirklichung des Wohnungs­neubaues getan? Wieviel Kleinwohnungen sind im verflossenen Jahre fertiggestellt worden? Leider find die Richtlinien des Ministers Hirtfiefer über Bergebung von Hauszinssteuerhypotheken viel zu spät herausgekommen. Dadurch hat sich die Vornahme von Neubauten bis in die Mitte des Jahres verzögert. Troß der großen Arbeitslosigkeit ist die dadurch mögliche Einstellung von Facharbeitern durch kostbare Monate hindurch un­gebührlich hinausgeschoben worden.

Welches Programm hat die Staatsregierung zur Durchführung des von allen Seiten anerkannten Wohnungsneubaues für die nächsten Jahre aufgestellt? Was darüber bekannt wurde, ist außer ordentlich dürftig.

Dafür ist die Oeffentlichkeit peinlich überrascht worden durch die Maßnahmen des Wohlfahrtsministers zur Coderung der Woh­

nungszwangswirtschaft ab 1. Dezember dieses Jahres.

Es handelt sich dabei um die sogenannten teuren Wohnungen und um gewerbliche Räume. Unserer Auffassung nach wird diese Loderung der Wohnungswirtschaft dazu führen, daß ein großer Teil der In­haber von teueren Wohnungen durch Aufgabe derselben die über­große Nachfrage nach den so knappen Kleinwohnungen noch verstärkt.

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Westarp in Verlegenheit. Sein Angriff abgeschlagen. Hoffnung auf die Kom munisten. Auch sie machen Kompromisse! ,, Reichspolitik unter Sozialistentontrolle." Die roten Drahtzieher." Kotau gegen links?"- Diese und andere leberschriften, die man heute auf der ersten Seite der Berliner Rechtspresse findet, sprechen nicht gerade dafür, daß die große Roalitionsattade des Grafen eft arp zu besonders glän­zenden Ergebnissen geführt hat.

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Es ist vorläufig wenigstens doch ganz anders gekommen, als der gräfliche Oberbefehlshaber es sich gedacht hatte. Er wollte die Regierung stürzen. Das ist ihm nicht gelungen. Er wollte den geregelten Gang der parlamentarischen Ar­beiten so lange unterbinden, bis die Mittelparteien die weiße Fahne aufzogen und ihn in die Festung hineinließen. Das ist ihm auch nicht gelungen. Vielleicht hat er gedacht, sein Borgehen würde zunächst zur Großen Koalition führen, und nach ihrem Sturz würde die Stunde für ihn gekommen sein. Das ist ihm aber wieder nicht gelungen...! Vorgestern hieß es noch: Der Graf hat es befohlen!" Der Soldat denft nicht, er gehorcht. Heute beginnen wohl die deutschnationalen Mannschaften schon im Stillen darüber nachzudenken, ob man unter dieser Führung etwas anderes erreichen fann als lächerliche Blamagen.

Wir warnen

Wir fordern, daß beim Wohnungsneubau jede private Bereiche­rung ausgeschaltet wird. Bei Vergebung von Hauszinssteuerhypo­thefen muß zur Bedingung gemacht werden, daß die Mieten möglichst niedrig zu halten sind. Unser Antrag stellt in feinen einzelnen Teilen eine Unterstützung des auch von der Regie­rung gebilligten Wohnungsbauprogramms dar. aber den Minister vor Mieterhöhungen, die in dieser Zeit der Wirtschaftskrise und Erwerbslosigkeit eine unsoziale Belastung der notleidenden Massen bedeuten würde. Es gibt andere Mittel, die Ergiebigkeit der Hauszinssteuer und damit den Wohnungsneubau zu steigern.

Wir fordern deshalb erneut die Heranziehung der Landwirtschaft, die bisher von der Hauszinssfeuer freigeblieben ist. Wir fordern weiter, daß die Erträge der Hauszinssteuer ihrer eigentlichen Zwedbestimmung zugeführt werden, d. h. für den Wohnungsbau. anderen Staatsaufgaben verwendet werden. Auch müssen die von Es ist unmöglich, daß die für diesen Zwed aufgebrachten Mittel zu sammelten Mittel mehr als bisher für diesen Zweck verwendet werden, den Spartaffen und Banken in steigendem Maße ange­statt daß ungeheure Summen jährlich zur Belebung der Börsen spekulationen dienen.

Wir brauchen den Bau von Massenwohnungen. Damit muß im neuen Jahr zeitiger begonnen werden als im alten. Die Durchführung unseres Antrages wird auch den Bau einer größeren Anzahl von Wohnungen bringen als bisher. Möge der Wohnungs­ausfchuß in der jetzt eintretenden Barlamentspause bis zum Wieder­zusammentritt des Hauses im Sinne unferes Antrages fruchtbare Arbeit leisten.( Lebhafter Beifall b. d. Soz.) Die Debatte wird fortgesetzt.

diesem Zweck verzichteten sie sogar auf jeden parlamentarischen Standal. Es hat seit der Wiedereröffnung des Reichstags feine mustergültigeren Parlamentarier gegeben als die Kom­

muniſten.

Diese Erfahrung berechtigt zu der Hoffnung, daß die Kommunisten in Zukunft auch dann Verständnis für Kom­promißverhandlungen mit den bürgerlichen Mittelparteien beweisen werden, wenn es sich nicht um das persönliche Schicksal einzelner Abgeordneten, sondern um Arbeiter

interessen handelt.

Eine Jrreführung.

Das Nachrichtenbureau des Vereins deutscher Zeitungsverleger veröffentlicht irreführende Behauptungen über die Hal­tung der sozialdemokratischen Reichstagsfrattion. Es fann feine Rede davon sein, daß die Haltung der Fraktions­vertreter, die gestern mit dem Reichskanzler eine Aussprache hatten, der Meinung der Mehrheit der sozialdemokratischen Fraktion nicht entspreche. Eine Abstimmung hat in der gestrigen Sitzung der Reichstagsfraktion überhaupt nicht stattgefunden; ein Antrag war von feiner Seite gestellt worden.

Deutsch - tschechische Zusammenarbeit.

Nicht Vergeltung, sondern Besserung und Sicherung! Ben Dr. Gustav Radbruch .

Es bildet sich um den Entwurf des Strafgesez­buchs herum nachgerade eine Stimmung, die ich für verfehrt und bedrohlich halte.

Ergebnis von mehr als einem Vierteljahrhundert strafrechts­Man beginnt zu vergessen, daß dieser Entwurf das reformerischer Arbeit ist, daß seine Grundgedanken jahrzehnte­lang als undurchführbar radikal verschrien waren und sich erst mühsam durchsetzen mußten, und daß diese Grundgedanfen in den Lehren des großen Kriminalisten Franz v. Liszt ihren der sozialistischen Auffassung von Verbrechen und Strafe eng verwandten Hintergrund haben.

Welches sind diese Grundgedanken? Nicht Vergel= tung, sondern Besserung und Sicherung! Weit­gehende Zurückdrängung der Freiheitsstrafe! Milderungs­rechte des Richters, häufig bis herab zur Straflosigkeit! Fort­bildung des bedingten Straferlaffes aus einer Gnadenmaß­regel zu einer Rechtseinrichtung! Neben, ja an Stelle der Strafe ein ganzes System nicht strafartiger Maßregeln: Unterbringung des nicht oder nicht voll zurechnungs­Pflegeanstalt, Unterbringung des trunksüchtigen Verbrechers fähigen und gemeingefährlichen Verbrechers in einer Heil- und in einer Trinkerheilanstalt, Sicherungsverwahrung des un­verbesserlichen Berufsverbrechers! Schließlich auf der Grund­Lage der Strafrechsreform eine Strafvollzugsreform, die, folge­richtig auf den Gedanken der sozialen Heilung eingestellt, die Freiheitsstrafe im Sinne des ,, Bollzugs in Stufen" ausgestaltet! Ich sollte meinen, das alles wäre Geist von unserem soziali­stischen Geiste.

Freilich: ein Strafrecht, das die Strafe zu einer sozialen Behandlungsmethode macht, fann nicht umhin, dem Richter die Möglichkeit zu gewähren, diese Behandlungsmethode dem Einzelfalle anzupassen. Ein soziales Strafrecht seht die Be­freiung des Richters von manchen Fesseln des Tatbestandes und des Strafrahmens voraus, die ihn heute binden. Und hier seht der Widerspruch gegen den Entwurf ein.

Es bildete sich eine Organisation, die Strafrechtliche Gesellschaft, die sich die Bekämpfung des Strafgesetz­entwurfs unter dem Gesichtspunkt der zuweitgehenden. Richterfreiheit zur besonderen Aufgabe macht. Es waren die alten Vertreter der Vergeltungsstrafe, die sich in dieser neuen Drganisation zusammenfanden, aber man sagte nicht mehr Bergeltungsstrafe", sondern Rechtsstrafe" und führte den Kampf gegen die moderne Besserungs- und Siche­rungsstrafe des Entwurfs vom Standpunkt des Rechtsstaats, der Rechtssicherheit, des Schutzes der Bürger vor richterlicher Willkür und richterlichem Irrtum. Auch Barteigenossen haben auf diesen rechtsstaatlichen Röcher angebissen, mit dem man für die Vergeltungsstrafe angeln ging. Schon die Kampf­genossenschaft, in die sie damit geraten, sollte sie irre machen. das richterliche Ermessen in diesem Maße freische, dürfe nicht Man macht geltend, von einer Strafrechtsreform, welche der Justiz überwunden sei. Ich habe schon auf dem Köiner die Rede sein, so lange nicht die gegenwärtige Bertrauenstrife Juristentage gesagt, das heiße eine Jahrhundertfrage mit einer Tages frage verknüpfen. Ich stehe nicht im Ber­dacht, die Justizkrise auf die leichte Schulter zu nehmen, ich war unter den Ersten, welche die öffentliche Aufmerksamkeit auf diesen Gefahrenherd lentten. Ich glaube also vor Mik­verständnissen gesichert zu sein, menn ich sage. daß ich allererst meine. Man beginnt endlich auch innerhalb der Justiz den Anfänge zur lleberwindung jener Krise feststellen zu können Schaden zu erkennen und anzuerkennen. Noch vor vier Jahren, auf dem Bamberger Juristentage, fonnte ein hoher preußischer Staatsbeamter die Vorwürfe gegen die Justiz als hysterisches Geschrei" abtun. Man vergleiche damit die Kahl der Vertrauenstrife gewidmet hat. ernsten Worte, die auf dem Kölner Juristentage Geheimrat

Von den Sozialdemokraten beschlossen. Prag , 12. November. ( Eigener Drahtbericht.) Kommunistische und bürgerliche Blätter meldeten vor einigen Tagen den Abbruch der Verständigungsverhandlungen zwischen der tschechischen und deutschen Sozialdemokratie. Diese Meldung ist aus der Luft gegriffen und das wird am besten durch folgendes am Donners tag von den beiden Parteien ausgegebene gemeinsame kom­muniqué bewiesen: Die parlamentarischen Ausschüsse der klubs muniqué bewlejen: Die parlamentarischen Ausschüsse der Klubs der tschechoslowakischen und der deutschen sozialdemokratischen Ab­geordneten und Senatoren traten heute im Abgeordnetenhaus zu einer Besprechung zusammen, um über die Frage der Zusammen­Aussprache und Darlegung der gegebenen Situation und der beider­arbeit auf parlamentarischem Boden zu beraten. Nach eingehender feitigen Auffaffungen wurde die Notwendigkeit eines par­digen Fühlungnahme ausgesprochen und die Bereit lamentarischen Zusammengehens und der stän­wurde dem Wunsch Ausdrud gegeben, daß auch in jenen Fällen, in denen gewiffe politische Notwendigkeiten eine abweichende Stellung Das ist aber schließlich auch nichts neues. Die Deutsch- nahme zu einzelnen parlamentarischen Fragen erfordern, eine Aus­nationalen überschäzen den Wert der Hilfe, die ihnen von sprache zur Klärung der beiderseitigen Auffassung herbeigeführt den Kommunisten kommen kann.

Den Trost haben die Deutschnationalen allerdings: Was jekt eingeleitet worden ist, ist nur ein Versuch. Ob er gelingen wird, steht dahin. Die sozialdemokratische Reichs­tagsfraktion verlangt feine Ministerportefeuilles, aber mehr Rüdsicht auf ihre fachlichen Argumente bei der Behand­lung von Gesetzesvorlagen. Sie will versuchen, sich mit den Mittelparteien von Fall zu Fall über das höchstmaß des augenblidlich Erreichbaren zu verständigen ge­lingt diese Verständigung, dann wird sie feine Anträge mehr ftellen, die über das Bereinbarte hinausgehen, und solche An­träge, wenn sie von anderer Seite tommen, ablehnen. Gelingt der Berfuch, so wird zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten eine Arbeitsteilung" in folgender Form entstehen: Die Sozialdemokraten werden in mühevollen Ver­bandlungen mit der Regierung und den Mittelvarteien das Erreichbare für die arbeitenden Massen herauszuholen suchen; die Kommunisten werden dazu die Musik machen und Ar willigteit hierzu festgestellt. In diesem Zusammenhang flagepflicht durchbrach und in geringfügigen Fällen die Ver=

beiterverrat!" schreien.

Die neue Aera der Verständigung fann naturgemäß nur eine Aera von Kompromissen sein. Mit einem Kom­promiß ist sie eingeleitet worden. Ihre erste Frucht war die Einstellung des Prozesses gegen die KPD .. 3entrale bis zum nächsten Sommer!

Die Sozialdemokratie hatte sich darum bemüht, die gänz liche Einstellung zu erreichen. Als sich herausstellte, daß dies nicht erreichbar sei, einigte man sich auf Einstellung bis zum Sommer 1927. Also, ein Kompromiß, wie es im Buche steht! Indes darf hinzugefügt werden, daß die Kommunisten biefes Kompromiß feineswegs bekämpften, sondern daß sie die Sozialdemokraten in ihrem Bestreben, es zu erreichen, in De rständnis pollster Weise unterstüßten. Zu

werden möge."

Amerikanischer Gel- Imperialismus.

Ultimative Note an Merito.

Paris , 12. November. ( WTB.) Wie New York Herald " aus Washington berichtet, hat das amerikanische Staats­departement an den Präsidenten Calles eine Note gerichtet, wegen des merikanischen Gefehes über die Delvorkommen. Diese wegen des merikanischen Gefehes über die Delvorkommen. Diese Note fomme praffijch einem Ultimatum gleich und ftelle die fofortige 3urudnahme der Anerkennung der megifanifchen Regierung durch Amerika in Aussicht, falls Präsident Calles nicht Schritte zur Revision der betreffenden gesetzlichen Maßnahmen unter­nehme.

Bei seelischen Erkrankungen ist Krankheitseinsicht ein erster Borbote der Heilung. Viele Zeichen zeigen die fort­schreitende Befestigung der Republik und der Demokratie im der Unwiderruflichkeit des neuen Staates wird auch die Bewußtsein der Nation. Mit dem zunehmenden Bewußtseint Justizkrise überwunden werden.

die Emminger- Berordnung über den Strafprozeß die An­Aehnliche wie die jetzigen Befürchtungen wurden laut, als folgung in das freie Ermessen der Behörden stellte, wohl audy als das Jugendgerichtsgesetz dem Richter eine erheblich weiter beabsichtigt. Ich habe nicht gehört, daß diese Befürchtungen gehende Freiheit gewährte, als es jetzt der Strafgesehentwurf politisch tendenziöser Handhabung der gewährten Ermessens­freiheit sich bestätigt hätten.

Schließlich aber und endlich: ist es überhaupt angängig, die umfassende Frage der Strafrechtsreform einseitig unter dem engbegrenzten Gesichtswinkel des politischen Delikts zu betrachten? Man sollte den Entwurf nicht nur nach dem( gut gerechnet) einen unter tausend Fällen be= urteilen, in dem er vielleicht gewiffe Gefahren( Gefahren, gegen die fein Gesetz ganz gesichert werden fann) enthalten fönnte, sondern auch nach den anderen 999 Fällen, in denen er unzweifelhaft Segen stiften wird.

Gemiß: in einer flaffenmäßig geschichteten Gesellschaft wird die Laft auch des besten Strafrechts immer wesentlich auf die Schultern der unterdrückten Kaffe fallen, tann jegfikrg