klr. LZb» 4Z. Jahrgang � ��01rlö01»Ü9 Sonnabenü, 1Z. November I?2b
Wenn in unseren Kaffeehäusern die Damen ihr Zitronen- oder Himbeereis verzehren, oder Eiskaffee durch den Strohhalm schlürfen, machen sie sich wenig Gedanken über den Gang der Entwicklung vom Wasser über das Roheis bis zum Speiseeis. Früher konnte man im Winter, wenn unsere Fluhläuse und Seen zugefroren waren, ganze Kolonnen von Männern beobachten, wie sie Eis in Schollen zersägten und in die Eiskeller brachten. Zwischen Holz und Stroh verpackt blieb es so liegen, bis es in der heißen Jahres- zeit zur Kühlung von Speisen und Getränken seine Verwendung fand. Namentlich die Brauereien ließen große Mengen davon ein- fahren und gaben ihren Sunden bei der Lieferung von Bier ent- sprechende Quanten mit ab. War der Winter bei uns mild, kam es nicht zu genügend starkem Eis, dann mußten große Schiffs- ladungen aus den nordischen Ländern bezogen werden. Di« fort- schreitende Technik hat auch hier Wandel geschaffen, hat uns un- abhängig gemacht von den Launen des Wetters und der Tempera- tur. Das Natureis ist durch ein Kunstprodukt ersetzt worden. künstliches Eis. In Berlin bestehen jetzt in der Hauptsache nur noch sechs große Eesellfchafien. die sich mit der Fabrikation von Kunsteis befassen. Am leistungsfähigsten sind die„Norddeutschen E i s w e r t e', die schon 1872 gegründet wurden. Auch sie haben sich in den ersten Iahren darauf beschränkt, Natureis auf dem Rummelsburger, Müggel- und Plötzensee zu gewinnen oder vom Norden her einzu- führen. Ein Rundgang durch die Norddeutschen Eiswerk« soll die Fabrikation des Kunsteises erläutern. Im Kesselhaus sind vier Wasserrohrkessel im Gang, mit zusammen S6ö Quadratmetern wasserbespülter Heizfläche und einem Betriebsdampfdruck von 12 Atmo- sphären. Hier wird der erzeugte Dampf auf 320 Grad Celsius er- hitzt. Der im Kesselhaus erzeugt« Dampf treibt im Moschinenhause drei Dampfmaschinen von je 380 bis 400 Pferdestärkeleiftung. Die Maschinen sind mit je zwei Ammonioksauge. und Druckpumpen, auch Kompressoren genannt, gekcppelt. Die Kompresioren voll- bringen zusammen eine stündliche Leistung von 2 450 000 Wärme- einheiten, bei einer Verdampfungstemperatur mit Ammoniak von 10 Grad Celsius. Die kätteerzeugungsanlagen arbeiten nach dem Ammoniak-Komprefsionssystem. Das flüssige Ammoniak wird m einem ausgedehnten Röhrensystem zum Verdampfen gebracht. Es hat die Eigenschaft, dauernd Wärme aufzunehmen und wieder ab- zugeben. Die zur Verdampfung erforderliche Wärme hat das Am- moniak der sie umspülenden S a l z s o l e entnommen, sie also ab- gekühlt. Wird die Abkühlung immer weiter durchgeführt, so ist bald der Gefrierpunkt erreicht. Die Salzsole gefriert natürlich in- folge ihres Salzgehaltes nicht Hängt man in oas unter Nullgrad abgekühlte Salzwasser Blechgefäße mit Süßwasser gefüllt, so wird es zu Eis gefrieren. Das bei dem Verfahren zu Dampf ge- wordene Ammoniak wird dann durch Berieselung der Röhren wieder in den flüssigen Zustand zurückverwandelt, geht durch die Röhrenleitung zurück, und der Prozeh beginnt von neuem. Die
fünf Eisbildner der Norddeutschen Eiswerke haben jeder einen In- halt von 1600 Zentner Kristalleis, d. h. es kann in einem Zeilraum von 24 Stunden mindestens 7500 Zentner Sristalleis hergestellt werden. Obgleich die gesamten Werke direkt an der Spree liegen, kommt bei der Eiserzeugung kein Tropfen Spreewasser zur Verwendung. Das zur Erzeugung benötigte Wasser wird vielmehr eigenen Brunnenanlagen entnommen, deren Sauger 24 bis 32 Meter unter dem Flusse liegen, und die vollständig ab- gedichtet sind, so daß Flußwasser nicht eindringen kann. Das Wasser wird trotzdem in besonderen Filtern von allen Mikroben und Un- reinlichkeiten befreit. Das so gewonnene Eis ist hygienisch voll- ständig einwandfrei. Die Kunst hat hier die Natur verbessert. Das fertige Produkt in den bekannten Blocks von je 25 Kilogramm kommt dann entweder in die Vorratskeller oder zur Verladebühne. Ein großer Wagenpark und 170 Pferde stehen zur Verfügung, um die Eisblocks alltäglich der Kundschaft zuzuführen. die verlorene wärme. Wie in vielen technischen Betrieben, so gehen auch hier große Wärmemengen ungenützt verloren. In jeder Stunde gehen etwa 250 Kubikmeter Wasser von 25 bis 40 Grad Wärme in die Spree, weil keine Verwendung dafür vorhanden ist. Das Anerbieten der Firma, dieses Wasser der nahegelegenen städtischen Badeanstalt kostenlos zu überlassen— es hätte nur die Herstellung einer Leitung bedurft—, ist seinerzeit vom Magistrat abgelehnt worden. Diese Wassermengen hätten gereicht, um stündlich 1000 Bäder abgeben zu können. Neben der Kunsteiserzeugung unterhält die Firma noch einen Kühlhausbetrieb. Im Keller und auf 25 Böden mit zusammen zirka 12 000 Qudratmetern Fläche sind Kühlräume mit Durchschnittstemperaturen von minus 7 bis minus 10 Grad Celsius an Lebensmittelhändler vermietet. Ein großer Teil der Räume ist mit überseeischem Gefrierfleisch belegt, das mit be- sonderen Kühlkähnen aus Ueberseedampfern durch den Hamburger Hafen nach hier gelangt. In den Kühlräumen lagert es bei einer Temperatur von 7 bis 10 Grad unter Null, um zu passender Zeit in den Handel gebracht zu werden. Außer dem Gefrierfleisch finden wir hier alle anderen Arten Lebensmittel zur Frischerhaltung. Es lagern zurzeit in den Kühlräumen Waren im Gesamtwerte von etwa 45 Millionen Mark. Besonders interessant ist die Aufbe- wahrung von Blumen. Vor allem werden Maiglöckchen, Flieder
und Rosen hier gelagert, bei denen durch die Einwirkung der Kälte der Keimprozeß zurückgehalten wird, um zu der gewünschten Zeit (im Winter) durch den Einfluß von Wärme hervorgerufen zu werden.____ jährlich 180 Mark Schulgelü. Die neue Staffelung. Der Magistrat hat beschlossen, das Schulgeld für einheimische Schüler der städtischen höheren Lehranstalten in Groß-Berlin mit Wirkung vom 1. Dezember 1926 auf jährlich 180 M. zu er- höhen und gleichzeitig die nachfolgende anderweitige Stafseluno, des Schulgeldes einzuführen:
Bei emem Sesamtbruttoeinkommen im Kalender- jähr, das dem Schuljahr vorhergeht
Unter 2500 Rm............ von 2500 Rm. bis 3300 Rm ausschließlich.. „ 3300„. 5000„ . 5000,„ zum Betrage des E ndg ehaltes der Gruppe 12 einschließlich Kinderdeihilsen
sind zu zahlen sllr da»
l.Kind 2. Kind 3. Kind
y. voll
'/«
V,
4 Kind usw.
Die Staffelung gilt auch für die Mittelschulen. Soweit Eltern für das laufende Schuljahr auf Grund der alten Staffelung Anträge gestellt und Einkommensnachweise für das Kalenderjahr 1925 vor- gelegt haben, sind neue Anträge nicht mehr zu stellen. Die alten, bereits eingereichten Anträge werden von Amts wegen nach der neuen Staffelung umgearbeitet. Die Erziehungsberechtigten, die nicht schon freigestellt waren, erhalten neue schriftliche Bescheide. Nur diejenigen Eltern, �die noch keinen Antrag gestellt haben und jetzt unter die neue Staffelung fallen, können durch die Schule einen Antrag stellen. Sieben Jahre Freie Turnerfchast Grost-Bcrlin. Am Bußtag veranstaltet die Freie Turnerschaft Groß, Berlin wieder ihr alljährliches Werbefest aller Männer-, Frauen- und Jugendabteilungen in der Zentralturnhalle Prinzen- straße 10. Dieses Fest gilt gleichzeitig der Feier des sieben- jährigen Bestehens und findet seinen geselligen Abschluß in einer Abendveranstaltung im„Gewerkschafts- hau s". lieber das sportliche Programm werden wir noch be- richten. Für heute sei nur ein kurzer Ueberblick über den Berein selbst gegeben. Die FTGB. wurde im April 1919 von nur 40 Mitgliedern ge- gründet. Der prinzipielle Grundsatz, unter Ausschaltung der Partei- Politik im allgemeinen sozialistischen Sinne nach den Beschlüssen des Bundes zu arbeiten, brachte bald starken Zuwachs. Im Jahre 1923 waren bereits 35 Abteilungen vorhanden, 1925 und 1926 war der Zugang so stark, daß sich die Zahl der Abteilungen auf 65 erhöhte. Nach der Zahl der Turn, und Sportabteilungen berechnet, dürste die FTGB. bereits jetzt einer der größten Vereine in Deutschland sein. Dagegen ist die Mitglieder-
zahl infolge des kurzen Bestehens vieler Abteilungen noch nicht stark genug, um auch hier an eine der ersten Stellen rücken zu können.
Die Wunder der Klara van Haag. 12] van Johannes Vuchholh. Aus dem Dänischen übersetzt von Erwin Magnus . Denn wenn der Sinn nicht war, daß Frauen hier in der Welt ganz und gar zu Unnützigkeit und Hemmung waren, so mußte der Sinn wohl sein, daß sie ihre Männer und Kinder beeinflussen und etwas aus ihnen machen sollten. Was war aus diesem Manne zu machen! Herr van Haag wählte mit Sorgfalt seine gestreiften Hosen, er räusperte sich, glättete seinen Bart und sah mit Bewundtrung in alle Spiegel, an denen er vorbeikam. Darüber hinaus tat er n i ch t s in dieser Welt. Konnte nichts mehr, wollte nichts mehr. Für ihr Geld waren sie in die großen Länder gereist. Herr van Haag wußte daher, daß man in Paris , London , Wien und Rom untadelige Herrengarderobe bekommen konnte. Er wußte, daß die Scheiben in vielen, vielen Städten blank waren und gut spiegelten. Das war sein Gewinn von den Reisen. Rein, sie dachte daran, wenn sie damals ihrem Dater nicht erlaubt hätte, Kasper Egholm zur Tür hinauszuwerfen... Eine Frau erinnert sich jeder Kleinigkeit aus Liebe zu ihrem letzten Seufzer. Aber hier war nicht die Rede von Kleinigkeiten. Einer so weißglühenden Liebe war Frau van Haag nie, nie mehr im Leben begegnet. Das fühlte sie jetzt und seufzte. Sein flüchtiger Sinn hätte gezügelt werden können. Frau van Haag spannte die Muskeln Ihres Körpers. Sie spürte das Gefühl, einen störrischen Pferdetopf hintenüber zu zwingen Hedwig ärgerte sich, daß ihre Worte anscheinend so ge- ringe Wirkung taten: aber sie hatte noch mehr Karten in der Hand. „Und dann glaubt Vater ja. er sei ein heiliger Gottes- mann, und alle seine Handlungen geschähen Gott zur Ehre, und jede Schmalzstulle, die er ißt, sei ihm vom lieben Gott selbst in die Hand gesteckt. Er sagt zu Gott : ach. leih mir eben mal fünfzig Kronen. Ich habe es gehört, denn ich war selbst dabei. Ich mußte ja mit den anderen beten, als ich noch zu Hause war." „Mein Gott —! Dann glaubt er also wirklich an Gott ?" „Ja— glaubt— ja," sagte Hedwig unsicher.
„Sonderbar--" „Das tun ja viele, ohne daß sie den lieben Gott hinter sich herziehen, wie ein Junge eine tote Katze an einer Schnur schleppt." „Wirklich? Wer sonst noch? Wirklich, wer sonst noch?" „Der Pastor zum Beispiel." „Rein, jetzt führst du mich sicher an, Hedwig. Der Pastor soll an Gott glauben! Rein, Knarreby ist zwar ein eigentümliches Städtchen, aber.. Das war Hedwig unverständlich. Glaubte der Pastor, der sie konfirmiert hatte, nicht an Gott ! Sie mußte lachen. Aber die Gnädige lachte nicht mit. Sie saß tiefernst da mit großen verwunderten Augen, ein wenig vornübergebeugt, die Hände unter dem rechten Knie gefallet. Kurz darauf sagte sie:„Dann müßte er der erste sein. Ich meine natürlich glauben in ganz naivem Sinne, was ja das einzig Ge- ziemende ist. Theologisches Gerede und Gewebe kenne ich. Du sagst, dein Vater betet um fünfzig Kronen. D a haben wir den richtigen Standpunkt. Wer nicht um fünfzig Kronen beten kann, zählt nicht mit. Er ist lau." Hedwig wollte nicht auch diesen Einsatz verlieren, es galt ja ihre ganzen Lebensanschauungen, dann lieber all« Rück- ficht beiseite setzen und das Schlimmste erzählen:„Keiner ist lauer als Vater. Sie kennen ihn nicht, Fvou van Haag. Aber ich kenne ihn. Ich habe gesehen, wie er flach auf dem Boden lag, um sich beim lieben Gott beliebt zu machen, und dann aufftand, um im Laufe von fünf Minuten zum Henker und Gewalttäter zu werden. Was er mir und meinem Bruder Sivert angetan hat, will ich gar nicht erwähnen. Aber Mutter hat er mehr als einmal geschlagen, daß sie umgefallen ist!" Hedwig sprang vom Stuhl auf und stand mit blitzenden Augen vor ihrer Gnädigen. „Ja, das hat er getan!" sagte sie. Was würde diese zarte, stengelranke Frau dazu sagen? Empörte sich eine Frau nicht immer über die Mißhandlungen einer anderen? Frau van Haag schloß die Augen und sagte:„Dachte mir schon, daß dein Vater nicht so leicht eine gefunden hätte, die fein Temperament zu beherrfchen wüßte.— Ist deine Mutter nicht eine kleine schwache Frau?— Ja, ich dachte es mir. Rein, Kleine, man darf nicht so völlig einseitig und schnell über recht verwickelte Dinge urteilen. Temperament ist Feuer. Und muß genährt werden. Und muß gehütet werden. — Aber Feuer ist gefährlich. Deine Mutter ist, glaube ich. ein Kind, das sich die Finger verbrannt hat. Du und ich,
wir wollen deinen Vater nicht verurteilen. Wir wollen ihn verstehen." „Ich werde nie etwas anderes verstehen, als daß er ein Tyrann ist." „Dieser Standpunkt wird dich bald langweilen." „Rein! Weshalb?" Die Gnädige sprang vom Küchentisch herunter. Sie war tief in ihren eigenen Gedanken. „Wshalb? Wenn sonst nichts ist, dann weil dieser Standpunkt so schrecklich alltäglich ist." „Alltäglich?" „Ja so unerträglich alltäglich." Hedwig setzte sich plötzlich auf den Küchenstuhl und ver- mochte nicht, ihre Augen frei von Tränen zu halten. „Ist es denn so schrecklich, wie andere Menschen zu sein?" „Ja." sagte Frau van Haag,„das Alltägliche ist wie ein mit Wafser verdünntes Nichts. Glaube mir, ich kenne das. Scheue das Alltägliche, tritt es mit Füßen, bespeie es. Es ist schrecklich, sage ich dir. Eines Tages wirst du deinen Vater mit ganz anderen Augen ansehen." 5. Kapitel. Egholm ist wütend. Seine Pläne sind auf die gemeinste Art und Wise, die man sich denken kann, durchkreuzt worden. Sivert ist durchgebrannt— zu einem Paar gehören zwei. Jetzt denkt Egholm verwirrt, wenn er Sivert gehabt hätte, dann hätte er auch schon Petrea eingefangen, und dann wäre das Paar dagewesen. Sivert ist weg. Da liegt ein Zettel von ihm: Herzlichen Gruß. Schreibe bald. Stets Euer Sohn. Sivert Egholm, Glosergeselle. Ich liebe nämlich eine andere. „So ein undankbarer Lümmel!" sagt Egholm und tram- pelt auf den Abschiedsbrief.— „Steht gar nichts darin, wo er hingegangen ist?" fragt die Mutter betrübt. „Nein, und das ist mir auch gleich. Wnn er es übers Herz bringen kann, seinen Eltern diesen Kummer zu bereiten!" „Ach. sie wären nie glücklich geworden, vielleicht." „Sie! Nein, aber ich!" „Sei ruhig, Egolchen, alles kann noch gut werden. Ick) glaube gar nicht, daß sie überhaupt etwas hat. Sie haben überall Schulden, sagen die Leute." „Jeder Pfennig Schulden bedeutet ein Plus an Kapital," sagte Egholm fanatisch. Er begab sich wütend auf seinen Morgenspaziergang. (Fortsetzung folgt.)