Nr. 538 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 274
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Sonntag, den 14. November 1926
Der Kampf um den Achtstundentag.
Die Gewerkschaften bei der Reichsregierung.
herstellung des Achtffundentages begründeten.
Am 13. November haben sich die gewertschaftlichen die bisherige Entwicklung der Unterstüßungsfäße Spigenverbände aller Richtungen zum Reichskanzler begeben, und greifen dabei nur zwei Beisplele heraus, um ein einfacheres wo sie im Beisein des Reichsarbeitsministers und Reichswirtschafts- Bild zu gewinnen. Das ganze Reich ist in drei Wirtschaftsgebiete minifters ihre Forderung nach einem nofgesetz zur Wieder eingeteilt, Often, Mitte, Westen, und jedes dieser Wirtschaftsgebiete gliedert sich wiederum in vier Ortsflaffen A, B, C, D/ E. Die Ortsflaffe A steht in jedem Wirtschaftsgebiet an der Spize, die Unterstüßungsfäße gehen in den anderen Ortsklassen herunter, bei Ortstlaffe D/ E werden bis 25 Proz. weniger gezahlt. Die wöchentliche Unterſtüßung betrug für einen Berheirateten mit zwei Kindern in der Ortsklasse A:
In eingehenden Ausführungen wiesen sie die Reichsregierung auf die unhaltbaren Zustände hin, die sich auf Grund der geltenden gefehlichen Regelung in der Arbeitszeiffrage ergeben haben. Befonders herausgestellt wurde der Gegensatz zwischen der völligen Arbeitslosigkeit von Millionen Erwerbslojen und der teilweise übermäßig ausgedehnten Arbeits3eit von Millionen Arbeitenden. Das Ueberstundenwefen habe in einer ganzen Reihe von Gewerben, so vor allem im Bergbau, in der Metallindustrie, der Tegfilindustrie, der Schuhindustrie, aber auch im Handel, die schlimmsten Formen angenommen. Eindringlich wurde fodann auseinandergefeht, daß man nicht auf die Verabschiedung des endgültigen Arbeitsschuhgesehes, die kaum vor dem Jahre 1928 zu erwarten fei, warten fönne, sondern daß es sofortiger gesetzgeberischer Maßnahmen bedürfe, um die gegenwärtigen schweren Mißstände in der Arbeitszeitfrage zu befelfigen. Hierbei beabsichtigten die Gewerkschaften nicht die pofitive Aufrollung des gesamten Fragenkomplexes, der mit einer allgemeinen Arbeitszeitregelung zusammenhängt, fondern fie verlangten nur die Beseitigung der weitgehenden Ausnahmen vom Achtstundentag, die die geltende Berordnung zuläßt.
Die Ausführungen der Regierungsvertreter, insbesondere die Erwiderung des Reichsarbeitsministers Dr. Brauns ließen erkennen, daß auch die Reichsregierung die Entwicklung des Ueberflundenwesens als bedentlich ansieht. Es wurde darum auch zugegeben, daß gewiffe Abhilfsmaßnahmen notwendig erschienen. Die Regierung versprach, diese Maßnahmen fofort zu erwägen und die Gewerkschaften alsdann zu einer erneuten Besprechung der Vorschläge aufzufordern.
Wer hilft den Erwerbslosen? Tatsachen gegen Agitationsphrasen.
Bei der Beurteilung des Wesens der Erwerbslofenfürsorge muß stets davon ausgegangen werden, daß es vor dem Kriege, im kaiserlichen Deutschland überhaupt keine Hilfe für die Opfer der Krise gab. Nur die Gemertschaften nahmen sich ihrer arbeitslos gewordenen Kollegen an. Eine der ersten Handlungen der Sozialdemokratie nach dem Umfturz von 1918 war die Sicherung einer Hilfe für die erwerbslos gewordenen Arbeiter und Angestellten. Für die Inflationsjahre läßt sich fein flares Bild darüber gewinnen, wie sich die Unterstützungsfäße gestalteten. Dagegen fönnen wir feit der Stabilisierung der deutschen Währung, also seit Ende 1923 die Kurve der Unterstüßungsfäße genau verfolgen. Wir geben im nachfolgenden eine Uebersicht über
Faschistenerpressung im Ausland.
Gegen ein Zentrumsblatt in Oberschlesien. katfowig, 13. November. ( Rd.) Bei der Redaktion des „ Oberschlesischen Kurier" in Königshütte hat der italienische konsul in Kattowitz gegen die faschistenfeindliche Haltung des Blattes Berwahrung eingelegt. Der Konsul erklärte, daß er sich gezwungen sehen würde, falls das Blatt auf seinen offiziellen Schritt nicht reagieren würde, bei der Bischöflichen kurie und beim Deutschen Generalfonfulat(!) Beschwerde zu führen. Wie aus einem Kommentar des Blattes hervorgeht, hat man dem Konsul auf der Redaktion die nötige Antwort erteilt, natürlich nicht auf faschistische Weise.
Zerstörungen und Plünderungen auf Kommando. Aus Chiasso wird uns berichtet:
Was in ganz Italien besonders starte Entrüstung und Erbitterung hervorgerufen hat, ist die Tatsache, daß nach dem Atten tat" von Bologna die Gewalttätigteifen zur felben Stunde fast methodisch überall wie auf ein Signal hin einsetzten. Diese Tatsache ist in Neapel auf eine geradezu verblüffende Art offenbar ge= worden. Noch teine einzige 3eitung hatte die Nach richt vom Attentat" gebracht. Kaum aber war diese Nachricht in der Präfettur eingetroffen, als sich faschistische Banden schwerbewaffnet bereits daran machten, den vorher festgesetzten Plan in Ausführung zu bringen. 3ur felben 3eit stürmten die faschistischen Trupps los und begaben fich gleichzeitig in die Wohnungen des Philosophen Benedetto Croce , des Dramatiters Roberto Bracco , des früheren Arbeitsministers Arturo Labriola , des früheren Bürgermeisters von Neapel Profeffor Prefutti, des sozialistischen Abgeordneten Lucci und einer großen Anzahl von Schriftstellern und Rechtsanwälten, wo sie einen wahren Plünderungsfeldzug in Szene feßten. Das Publikum erfuhr von dem Aftentat erft infolge dieser Gewaltatte.
ab 10. Dezember 1923
23 eft en
6,72 13,90
Dften
6,06
Mitte 7,02
M
15. Dezember 1924
11,10
12,80
"
9. Februar 1925.
13,10
15,30
16,50
"
14. Dezember 1925
15,15
17,70
19,10
8. November 1926
"
15,96
18,66
20,10
Die Unterstützungsfähe erhöhen fich für Erwerbslose mit Familie von der 9. Woche ab um 10 Proz.
über 21 Jahre in der Ortstlasse A: Die wöchentliche Unterstützung betrug für einen Alleinstehenden
Best en
Often
Mitte
ab 10. Dezember 1923
3,66
4,20
"
15. Dezember 1924
6,00
6,90
4,68 7,50
"
9. Februar 1925.
6,90
8,10
"
14. Dezember 1925
8,30
9,75
"
1. März 1926.
9,15
10,70
8. November 1926
12,30
10,50
8,70 10,50 11,50 13,20
Diese Tabellen zeigen, daß es troß alledem auch in der Erwerbslofenfürsorge aufwärts gegangen ist. Die sozialdemokra tife Bartei gibt sich mit dem bisher Erreichten nicht zufrieden, fie feht den Kampf für eine weitere Erhöhung der Unter ſtützungsfäße fort. Es ergeben sich bei der rückschauenden Betrachtung der Entwicklung der Erwerbslosenfürsorge alfo folgende Tatsachen: 30
1. Vor dem Kriege gab es überhaupt teine Erwerbslosen fürsorge. 2. Die Erwerbslosenfürsorge nach dem Kriege ist von den fozialdemokratischen Boltsbeauftragten ins Leben gerufen worden.
3. Das törichte Gerede, daß in der Republik für die Erwerbs losen nichts geschehe, ist falsch.
4. Die Berbesserungen in der Erwerbslosenfürsorge verdanken die Erwerbslofen vornehmlich der unermüdlichen Arbeit der Sozialdemokratie und der Gemertschaften.
5. Die unbedingt notwendige weitere Erhöhung der Unterstüßungsfäße ist nur dann durchzusehen, wenn sich Sozialdemokratie und Gewerkschaften auf eine organisierte Massenbewegung stüßen und dadurch ihren Einfluß auf Staat und Verwaltung stärken tönnen.
Es hat sich also nicht, wie man gerne weismachen möchte, um einen Entrüstungsaft der Bevölkerung gehandelt, sondern um wohl Verbrechen zur Einschüchterung des
Dorbereitete
Publikums.
Eine bemerkenswerte Erscheinung ist noch nachzutragen. Die selben Faschisten, die die Uebergriffe und Plünderungen begangen hatten, begaben sich sodann in die Hauptstraßen der Stadt, wo sie alle Geschäfts- und Firmenschilder in franzöfifcher Sprache entzweischlugen.
Nur ein Fünftel der Abgeordneten im Schloß! Warschau , 13. November. ( Eigener Drahtbericht.) Am Sonnabend nachmittag wurde auf dem Schloß das Defret über die Eröffnung des Sejm durch den Staatspräsidenten verlesen. Nur ein Fünftel der Abgeordneten hatte sich dazu eingefunden; fein einziger der pelnischen und deutschen Sozialisten war erschienen, ebenso keiner der jüdisch- nationalen Augeordneten und keiner der nationalen Minderheiten. Die strittige Frage, ob die Abgeordneten während der Berlesung sizen oder stehen sollten, hatte die Regierung in der Weise geklärt", daß aus dem Saal sämtliche Stühle entfernt in der Weise geklärt", daß aus dem Saal sämtliche Stühle entfernt worden waren. Diese Maßnahme erregte unter den erschienenen Abgeordneten großen Unwillen.
Um 5 Uhr nachmittags fand dann die erste Sigung statt, in der der Finanzminister den Haushaltsplan für 1927 erläuterte. Darauf wurde die Sigung geschlossen. Ein Antrag jämtlicher Parteien auf Aufhebung des Pressedetrets wurde dem Sejmmarschall überreicht.
Minister Moraczewski, dessen Eintritt in die Regierung ohne 3uftimmung der sozialistischen Fraktion erfolgte, hat an den Parteiverstand ein Schreiben gerichtet, in dem er seinen Berzicht auf fein Mandat und seinen Beschluß, in der Regierung zu Derbleiben, fundgibt.
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In England wird Frieden.
Der große Streik vor dem Abschluß. Condon, 13. November. ( WTB.) Die Bergarbeitera tonferenz beschloß, die Vorschläge der Regierung den Bezirksverbänden unter Anempfehlung der Annahme zu überweifen.
beispiellosen Dauer und hartnädigteit ge= Der Kampf im englischen Bergbau ist nicht nur von einer wefen. Er hat eine ziemlich lange Borgeschichte, die das Verständnis für die Ursachen und Auswirkungen des Kampfes etwas verdunkelt.
nordfranzösischen Bergwerke durch die deutschen Truppen, inInfolge des Krieges, der Besetzung der belgischen und folge des Raubbaues, der während des Krieges im deutschen Bergbau betrieben wurde, infolge der Zerstörung der er giebigsten nordfranzöfifchen Bergwerfe beim Abzug der deut schen Truppen und schließlich infolge des Ruhrkampfes hat der englische Bergbau eine fast zehnjährige, ungewöhnlich günstige Konjunktur erlebt. Diese Konjunktur, die durch die Kriegschränkten Maße ausgenutzt werden fonnte, führte dazu, daß gesetze von den Arbeitern während des Krieges nur in bein Betrieb genommen wurden und daß sich eine große Anzahl piele wegen ihrer Rentabilität stillgelegten Bergwerfe wieder von Zwergbetrieben auftat, die technisch außerordentlich rückständig sind.
Bie überall hat sich auch im englischen Bergbau als Folge der Kriegswirtschaft der wirtschaftliche Grundsatz eingeführt, die Rentabilität einer Industrie nicht nach den bestorganisierten, leistungsfähigsten Betrieben, sondern nach den rückständigsten Betrieben zu berechnen. Der Rückschlag trat ein, als nach dem Abbruch des Ruhrkampfes und der inzwischen vorgenommenen Wiederherstellung und technischen Modernisierung des französischen Bergbaues ein Ueberfluß an Kohle fich bemerkbar machte, der um so größer war, als infolge der Kohlenknappheit die Schiffahrt und selbst teilweise die Industrie zur Delfeuerung übergegangen war, wozu noch der Ausbau der Elektrizitätswirtschaft und der Fortschritt in der Wärmetechnik famen. Dazu tam für den englischen Bergbau, der zum großen Teil auf Ausfuhr angewiesen ist, der Berlust von Absatzmärkten, teilweise durch die amerikanische Konkurrenz, teilweise durch die angedeuteten technischen Fortschritte verursacht.
Die Unternehmer versuchten dieser Situation dadurch zu begegnen, daß sie einen generellen Lohnabbau und außerdem noch eine Berlängerung der Arbeitszeit durchzusetzen versuchten. Der Kampf im englischen Bergbau wäre beinahe schon im Sommer 1925 zum Ausbruch gefommen. Durch das Dazwischentreten der englischen Gemertschaften, die der englischen Regierung erklärten, daß sie es nicht zulassen würden, wenn die notwendige Umſtellung des englischen Bergbaues auf Kosten der Löhne und der Arbeitszeit der Bergarbeiter vorgenommen würde, wurde der Rampf in letter Minute vermieden. Es fam ein Abkommen zustande, auf Grund dessen die Regierung sich verpflichtete, die englischen Zechenbesizer für die Berluste zu entschädigen, die fie bei der Ausfuhr infolge der niedrigeren Weltmarktpreise erleiden würden. Dieses Abkommen hatte Gültigkeit für acht Monate und lief Ende April 1926 ab.
Scheinbar hatten die Bergarbeiter infolge des Dazwischentretens des Generalrats der englischen Gewerkschaften einen großen Erfolg errungen. Dieser Erfolg hatte aber zunächst zur Folge, daß die englischen Bechenbefizer auf Staatsfoften hohe Profite gesichert betamen und in Staatsfoften hohe Profite gesichert betamen und in der Lage waren, die Weltmarktpreise zu unterbieten. Obwohl die Löhne der englischen Bergarbeiter erheblich höhere waren als die der deutschen Bergarbeiter, fonnten die englischen Zechenbefizer die deutsche Ruhrkohle niederfonkurrieren. Das hatte ungünstige Rüdwirkungen auf die Arbeitsbedingungen der deutschen Bergarbeiter und auf die Möglichkeit der Berbefferung dieser Arbeitsbedingungen.
Als das Abkommen abgelaufen war, hatten die englischen Zechenbefizer wie auch die englische Industrie im allgemeinen ungeheure Kohlenvorräte aufgestapelt. Wie groß diese Kohlenvorräte waren, tann man daran ermessen, daß England in den ersten Monaten des Kampfes so gut wie ohne jede Kohlenzufuhr vom Ausland austam, obwohl es wöchent lich 3 Millionen Tonnen Kohlen verbraucht. Die Situation war dadurch für die englischen Bergarbeiter erheblich ungünstiger geworden, als sie es im Sommer 1925 war. Es sei noch hinzugefügt, daß die englischen Zechenbesizer die aufgestapelten Rohlenvorräte mit ganz erheblichen llebergeminnen verkauften, da die Kohlenpreise infolge des Streifs außerordentlich in die Höhe getrieben wurden. Diese Umstände laffen es erkennen, wieso es tommen tonnte, daß die englische Industrie, ohne zusammenzubrechen, einen so ungeheuren Kampf, der über 6 Monate dauerte, aushielt, und daß vor allem die englischen Zechenbefizer bis heute noch keine greifbaren Anzeichen finanzieller Schwäche zeigen.
Als im Sommer 1925 zwischen der englischen Regierung, den Zechenbefizern und den Gewerkschaften jenes Sub